Vermehrte Körperbehaarung bei Frauen an anderen Körperstellen als z. B. auf dem Kopf, in den Achselhöhlen oder in der Genitalregion, d. h. in androgen-abhängigen Bereichen.1
Die Störung ist ein Zeichen für eine verstärkte androgene Stimulation der Haarfollikel, die meist durch eine erhöhte Menge zirkulierender Androgene (endogene oder exogene) oder auch durch andere Veränderungen der Haarbiologie, wie eine erhöhte Androgensensitivität der Haarfollikel, verursacht wird.2
Die Grenze zwischen normaler und übermäßiger Behaarung ist fließend.
Nur die Hälfte der Fälle mit leichtem Hirsutismus und Eumenorrhö wird auf Hyperandrogenismus zurückgeführt.2
Allerdings ist unklar, wie häufig bei der anderen Hälfte der Frauen ein subklinischer – leichter oder vorausgehender – Hyperandrogenismus, etwa aufgrund eines bislang unerkannten polyzystischen Ovarialsyndroms, vorliegt.2
Hirsutismus ist nur eines von vielen Symptomen für Hyperandrogenismus. Andere Anzeichen sind:
Als Hypertrichose bezeichnet man allgemein eine verstärkte Körperbehaarung bei Männern oder Frauen. Zwar ist laut ICD-10 der Hirsutismus (L68.0) eine Unterform der Hypertrichose (L68.-)3, es ist jedoch international gebräuchlich, bei Frauen den Begriff Hypertrichose nur für androgenunabhängige verstärkte Körperbehaarung zu verwenden.1,4
Häufigkeit
Die Prävalenz von Hirsutismus wird bei Frauen im gebärfähigen Alter auf ca. 5–15 % geschätzt.5-7 Eine verlässliche Einschätzung aufgrund belastbarer Prävalenzdaten ist jedoch bislang nicht möglich.8
Hirsutismus entsteht bei 70–80 % der Frauen mit erhöhtem Androgenspiegel.6
ovarialer Hyperthekose (Hyperplasie der Thekazellen).
Etwa 5–20 % aller Betroffenen und etwa die Hälfte der eumenorrhoischen Frauen mit nur mit leichtem Hirsutismus haben einen idopathischen Hirsutismus (siehe Abschnitt Differenzialdiagnosen).
Ob der idiopathische Hirsutismus auf veränderten Wirkmechnismen der Androgene im Haarfollikel (kutaner Hyperandrogenismus) beruht, oder auf anderen Veränderungen der Haarbiologie, ist unklar.
Eine leichte Zunahme der Behaarung in der Menopause ist aufgrund der sinkenden endogenen Östrogenproduktion normal.
bei Frauen europäischer oder schwarzafrikanischer Abstammung: < 8
bei Frauen aus dem Mittelmeerraum und Mittleren Osten: < 9–10
bei Frauen aus Südamerika: < 6
bei Frauen aus Asien zwischen < 2 (z. B. Han-Chinesinnen) und < 7 (z. B. Südchinesinnen).
Jede der 9 androgensensitiven Körperregionen ist mit einem Score von 0 (unbehaart) bis 4 (offensichtlich viril) versehen. Die 9 Scorewerte werden zu einem Gesamtscore addiert. Bei Frauen mitteleuropäischer Herkunft ist ein Gesamtscore bis 8 normal.2
des Alters bei Krankheitsbeginn
des evtl. Leidensdrucks der Betroffenen im Hinblick auf die verstärkte Behaarung.
Pathologie
Erhöhte Testosteronmengen bei Frauen mit Hirsutismus beruhen meist auf einer erhöhten LH-Sekretion der Hypophyse. Dadurch wird die lokale Androgenproduktion in den Ovarien stimuliert.
Dehydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS) ist ein männliches Sexualhormon, das fast ausschließlich in der Nebenniere gebildet wird, was jedoch nur selten Ursache für Hirsutismus ist.9
Fast das gesamte zirkulierende Testosteron ist an das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) und an Albumin gebunden, während freies Testosteron die biologisch aktivste Form ist.10
In der Pubertät nimmt die Androgenproduktion zu, was das Wachstum von Haaren in der Achselhöhle und im Genitalbereich erklärt. Bei Mädchen ist der Androgenanstieg jedoch nicht so hoch, dass z. B. das Bartwachstum stimuliert wird.
Zwar haben 80–90 % aller Frauen mit Hirsutismus eine messbare Hyperandrogenämie, und die meisten Frauen mit Androgen-Serumspiegeln, die über dem Doppelten des Normalwertes liegen, haben einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Hirsutismus. Im Gegensatz zu anderen Virilisierungszeichen zeigt der Grad des Hirsutismus jedoch keine konsistent nachweisbare Korrelation mit dem Androgenspiegel.7
Konsultationsgrund
Übermäßige Körperbehaarung
Das Symptom kann eine enorme psychische Belastung darstellen und sich stark auf die Lebensqualität auswirken.
Besorgnis wegen der Ursachen
Abwendbar gefährlicher Verlauf
Androgenproduzierende Tumoren
Vorsicht bei kürzlichem Beginn und schneller Zunahme der Behaarung!
Spät eintretende Hyperplasie der Nebennierenrinde überlappt klinisch mit PCOS.
Androgenproduzierende Tumoren der Nebennieren oder Ovarien
Sehr selten, trifft nur auf 0,2 % der Frauen mit Hyperandrogenismus zu.11
Meist Ovarialtumor (am häufigsten Arrhenoblastom), seltener in den Nebennieren (Nebennierenkarzinom mit schlechter Prognose). Über die Hälfte sind maligne Tumoren.13
Beginn außerhalb der Pubertät
Rasche Zunahme der Körperbehaarung, Zeichen für Virilisierung
Akne, Klitoromegalie, tiefere Stimme, gesteigerte Libido, Zunahme der Muskelmasse, seltene oder gar keine Menstruationen, Verschwinden des Brustgewebes oder normaler weiblicher Körperkonturen, übelriechender Schweiß, Verlust der Temporalbehaarung und Kahlheit
Deutlich erhöhte Androgenwerte
Produziert der Tumor andere Nebennierenrindenhormone, kann die Patientin auch an Kopfschmerzen, Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen, kardiovaskulären und metabolischen Störungen leiden.
Hyperprolaktinämie
Seltene Ursache für Hirsutismus
Wird häufig durch Medikamente (s. u.) oder prolaktinproduzierende Mikroadenome in der Hypophyse ausgelöst.
Isotretinoin (Retinoid zur Behandlung schwerer Akne)
Progestine (Gestagenanaloga), z. B. zur oralen Kontrazeption
Orale Kontrazeptiva, die Levonorgestrel, Norethindron und Norgestrel enthalten, haben häufig einen stärkeren androgenen Effekt als die Präparate, die Ethynodiol, Norgestimat und Desogestrel enthalten.
Testosteron und -Analoga (z. B. Anabolika).
Medikamente, die Hyperprolaktinämie verursachen, können auch zu Hirsutismus führen. Dazu zählen z. B.:14
60–80 % der Frauen mit PCOS haben einen erhöhten Testosteronspiegel.
Neoplasien sind gekennzeichnet durch eine starke Erhöhung von:
Testosteron > 7 nmol/l – die Referenzwerte variieren jedoch zwischen den Laboren.
Dehydroepiandrosteron-Sulfat (DHEA-S) > 19 µmol/l, weist auf nebennierenbedingte Ursachen hin8, ist jedoch eine unzuverlässige Untersuchung, deren Wert häufig etwas zu hoch ist.20
Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG)
Ist bei Hyperandrogenismus häufig niedrig.
Der Grad von Hirsutismus korreliert nur bedingt mit dem Androgenspiegel.
Andere Hormone
Prolaktin ist bei Prolaktinom erhöht.
17-OH-Progesteron ist bei 21-Hydroxylasemangel erhöht
LH/FSH werden bei Verdacht auf ein polyzystisches Ovarsyndrom gemessen, kann aber bei PCO genauso gut normal sein.
Ggf. weitere Bildgebung
Abdomen-CT oder -MRT
CT oder MRT der Nebennieren kann zur Unterscheidung zwischen Adenom und Karzinom hilfreich sein.22
Schädel-CT/-MRT (Hypophyse)
Laparoskopie
Angiografie
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung
Die meisten Frauen mit Hirsutismus können, falls sie eine Behandlung wünschen, in der Hausarztpraxis behandelt werden.
Eine vollständige, hormonelle Diagnostik beim Spezialisten ist erforderlich bei Patientinnen mit Hinweisen auf ovariale oder adrenale Neoplasien, z. B.:
rasch progredienter Hirsutismus
plötzlich einsetzende Symptome
Virilisierung.
Eine Bestimmung des Androgenspiegels ist ratsam bei Frauen mit einem erhöhten Ferriman-Gallwey-Score (s. o.) und bei Frauen mit unerwünschtem lokalen Haarwachstum – auch bei normalem Ferriman-Gallwey-Gesamtscore.2
Patientinnen, bei denen Verdacht auf einen androgenproduzierenden Tumor besteht, sollten an eine Praxis für Endokrinologie und/oder Gynäkologie überwiesen werden.
Patientinnen mit Verdacht auf endokrinologische Erkrankung sollten an eine Praxis für internistische oder gynäkologische Endokrinologie überwiesen werden, z. B. bei Verdacht auf:
Keine der genannten Behandlungen führt nach Abschluss der Behandlung zu verstärktem Haarwuchs.20
Medikamentöse Therapie
Medikamente bei mäßigen bis starken Beschwerden
Wirken entweder durch Unterdrücken der Androgenproduktion oder durch Blockieren der Wirkung der Androgene an den Haarfollikeln.9Maximaler Therapieerfolg setzt eine 9- bis 12-monatige Behandlung voraus.
Bei prämenopausalen Frauen ist ein testosteronsenkender Ovulationshemmer (Östrogen-Progesteron-Kombination) 1. Wahl.2,9
Hemmt die LH-Produktion und das Haarwachstum in androgensensitiven Hautarealen.
Präparate mit antiandrogenen Gestagenen wie Drospirenon oder Cyproteronacetat einsetzen.
Bei Frauen mit erhöhtem thrombembolischen Risiko: Ovulationshemmer mit möglichst niedriger Ethinylestradioldosis (üblich sind 20 μg) und einem Gestagen mit niedrigem Thrombembolierisiko wählen, z. B. Levonorgestrel. Näheres dazu siehe Artikel Wahl des Verhütungsmittels.
Nach 6 Monaten ohne ausreichendes Ansprechen: ggf. zusätzliche Gabe eines Antiandrogens2
Eine Metaanalyse zeigt, dass Antiandrogene bei der Behandlung prämenopausaler Frauen mit Hirsutismus wirksam sind (NNT = 3).27
Wegen ihres teratogenen Potenzials sollen sie jedoch nicht bei schwangeren Frauen eingesetzt werden oder bei Frauen, die schwanger werden können (Ia).2,27
Spironolacton (Zulassung nur bei primärem Hyperaldosteronismus, sonst off label)
Finasterid (off label).
Der Therapieerfolg einer medikamentösen Behandlung im Hinblick auf die Behaarung ist eher gering, eine Langzeitbehandlung kann jedoch zukünftigen Haarwuchs verzögern.
Laut eines Rote-Hand-Briefs vom 16.06.2020 ist die Anwendung von Cyproteronacetat in einer Dosierung über 25 mg/d mit einem erhöhten Risiko für Meningeome assoziiert.
Für ausgeprägte Androgenisierungserscheinungen bei der Frau, die eine Hormonbehandlung erfordern, ist Cyproteronacetat 10 mg oder 50 mg angezeigt, wenn mit cyproteronhaltigen Arzneimitteln mit niedriger Dosis oder mit anderen Behandlungsoptionen keine zufriedenstellenden Ergebnisse erreicht werden konnten.
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Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Vermehrte Körperbehaarung bei Frauen an anderen Körperstellen als z. B. auf dem Kopf, in den Achselhöhlen oder in der Genitalregion, d. h. in androgen-abhängigen Bereichen.1