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Myasthenia gravis

Zusammenfassung

  • Definition:Autoimmune neuromuskuläre Erkrankung, bei der die Impulsübertragung vom Nerv zum Muskel gestört ist.
  • Häufigkeit:Die Prävalenz beträgt ca. 15–180 pro 100.000.
  • Symptome:Verursacht Schwäche und schnelle Ermüdung der quergestreiften Muskulatur.
  • Befunde:Anfangs meist nur okuläre Symptome: Ptose und Doppelbilder. Bei generalisierter Myasthenie kommen später Kraftminderung und pathologische Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur sowie evtl. auch der Schlund- und Atemmuskulatur hinzu.
  • Diagnostik:Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren (AChR) sind bei 85 % positiv. Elektromyografie (EMG) ist pathologisch. Cholinesterase-Hemmtest ist positiv.
  • Therapie:Cholinesterase-Inhibitoren stellen die wichtigste symptomatische Basistherapiemaßnahme dar. Pyridostigmin-Bromid ist das Medikament der Wahl für die orale Langzeitbehandlung.

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-3

Definition

  • Autoimmune neuromuskuläre Erkrankung, bei der die Impulsübertragung vom Nerv zum Muskel gestört ist.
    • Sie verursacht Schwäche und schnellere Ermüdung der quergestreiften Muskulatur.
    • Verschiedene Muskelgruppen können in unterschiedlichem Maße betroffen sein.
  • Klinisch-pathogenetisch unterscheidet man folgende Formen der Myasthenia gravis:
    • Myasthenia gravis mit frühem Beginn (≤ 45 Jahre)
      • Liegt bei etwa 20 % aller Myasthenia-gravis-Erkrankten vor.
      • Die Erkrankung ist in etwa 70 % der Fälle begleitet von einer immunologisch bedingten Entzündung des Thymus (Thymitis) mit lymphofollikulärer (medulläre) Hyperplasie.
    • Myasthenia gravis mit spätem Beginn (> 45 Jahre)
      • etwa 45 % aller Myasthenia-gravis-Erkrankten
      • Der Thymus zeigt die altersentsprechende Involution.
    • Thymom-assoziierte Myasthenia gravis
      • Bei 10–15 % der Erkrankten entsteht die Myasthenia gravis paraneoplastisch infolge eines Thymoms.
    • Anti‐MuSK‐AK‐assoziierte Myasthenia gravis
      • Das entscheidende Pathogen sind dabei nicht Acetylcholinrezeptoren-Antikörper, sondern Auto-Antikörper, die gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase gerichtet sind (MuSK).
      • Diese Form macht etwa 6 % aller Myasthenia-gravis-Fälle aus.
      • Sie kann prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten, ist aber bei jüngeren Betroffenen häufiger.
      • Der Thymus zeigt nur leichte oder keine Auffälligkeiten.
    • okuläre Myasthenia gravis
      • Bei etwa 15 % aller Myasthenia-gravis-Betroffenen bleibt die Erkrankung auf die Augenmuskeln begrenzt.

Häufigkeit

  • Prävalenz
    • ca. 78 pro 100.000 weltweit (Spannweite: 15–179)
  • Inzidenz
    • Die jährliche Inzidenz liegt bei 0,25–2 pro 100.000.
    • In den Altersgruppen < 40 Jahre ist die Inzidenz etwa gleich, bei über 60-Jährigen steigt sie mit zunehmendem Alter an.
  • Geschlechterverteilung Männer/Frauen
    • früher Beginn: 1/3
    • später Beginn: 5/1
    • Thymom-assoziiert: 1/1
    • Anti‐MuSK‐AK: 1/3
    • okulär: 1/2

Ätiologie und Pathogenese

  • Autoimmunerkrankung mit unbekannter Ätiologie
  • Durch Autoantikörper kommt es zum Verlust funktionsfähiger Acetylcholinrezeptoren an der motorischen Endplatte. Dadurch wird die neuromuskuläre Übertragung motorischer Potenziale unterbrochen.
  • Acetylcholinrezeptoren-Antikörper können bei etwa 85 % der Erkrankten nachgewiesen werden. Die Bindung an die Rezeptoren verursacht eine komplement-vermittelte Zerstörung.
    • Deutliche Symptome treten auf, wenn etwa 2/3 der Rezeptoren nicht mehr funktionieren.
  • Bei etwa 6 % der Myasthenia-gravis-Erkrankten sind die pathogenen Auto-Antikörper nicht gegen Acetylcholinrezeptoren, sondern gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase (MuSK) gerichtet. Dadurch kommt es ebenfalls zum Verlust der neuromuskulären Transmission.

Prädisponierende Faktoren

  • Es ist wahrscheinlich, dass genetische Faktoren von Bedeutung sind.
    • Die bisher identifizierten Subtypen sind mit unterschiedlichen HLA-Merkmalen assoziiert.
    • Geschwister von Personen mit neuromuskulären Erkrankungen erkranken zu 4,5 % an Myasthenia gravis.
  • Viele Medikamente können den Zustand verschlechtern. Siehe Abschnitt Medikamente, die Myasthenie verschlimmern können
  • Exazerbationen können ausgelöst werden:
    • während der Schwangerschaft
    • vor der Menstruation
    • durch Infektionen
    • durch Stress
    • durch Immuncheckpoint-Inhibitoren.4
      • Unter einigen der zur Behandlung maligner Erkrankungen verwendeten Immuncheckpoint-Inhibitoren wurden Fälle neu aufgetretener Myasthenia gravis und Exazerbationen bereits bestehender Myasthenia-gravis-Erkrankungen beobachtet. Das trifft sowohl auf anti–CTLA-4-Antikörper zu als auch auf PD-1-Hemmer.

ICPC-2

  • N99 Neurologische Erkrankung, andere

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20225
    • G70 Myasthenia gravis und sonstige neuromuskuläre Krankheiten
      • G70.0 Myasthenia gravis
    • P94 Störungen des Muskeltonus beim Neugeborenen
      • P94.0 Transitorische Myasthenia gravis beim Neugeborenen

Diagnostik

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-3

Diagnostische Kriterien

  • Zunehmende muskuläre Ermüdung
  • In 75 % der Fälle: Beginn mit Ptose und Diplopie (Doppelbilder)
  • Die Muskelschwäche nimmt bei wiederholten Bewegungen und gegen Ende des Tages zu und wird durch Ruhe gemildert.
  • Wirkung von Cholinesterasehemmern
    • Edrophonium-Test (früher Tensilon®-Test): Edrophonium i. v. erhöht innerhalb kurzer Zeit (30 sec) die Muskelkraft.
    • Neostigmin-Test: Der Effekt tritt erst einige Minuten nach der i. v. Injektion ein und hält etwa 1 Stunde lang an.
    • Pyridostigmin-Test: Wenn sich die Muskelkraft etwa 45–60 min nach oraler Gabe von Pyridostigmin eindeutig bessert, dann ist der Test positiv.
  • Immunologische Befunde: Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren, bei fehlendem Nachweis erweiterte Autoimmundiagnostik, u. a. mit Bestimmung von Anti-MuSK-Antikörpern
  • Neurophysiologische Befunde

Differenzialdiagnosen

  • Hypothyreose
  • Lambert-Eaton-Rooke-Syndrom (LEMS)
    • Kann bei malignen Erkrankungen auftreten, insbesondere bei kleinzelligem Lungenkarzinom.
    • Manifestiert sich durch Schwäche und schnelle Ermüdung vorrangig in der Muskulatur der proximalen Extremitäten; nur selten sind Augen- oder Schlundmuskulatur betroffen.
    • Verursacht durch einen immunologisch bedingten präsynaptischen Übertragungsdefekt.
    • Lässt sich in der Regel nicht durch Cholinesterasehemmer beeinflussen.
  • Botulismus
    • Augensymptome, jedoch rasche Abnahme von Paresen
    • autonome Symptome
  • ALS
    • kortikobulbäre Befunde
    • Faszikulationen, Atrophie
    • Pyramidenbahnzeichen
  • Mitochondropathien
    • allmählicher Beginn, fehlende Fluktuation von Symptomen
    • symmetrische Muskelschwäche
    • selten Diplopie
  • Guillain-Barré-Syndrom
    • akuter Ausbruch
    • keine Fluktuation, fehlende Reflexe
  • Multiple Sklerose
  • Depression
  • Somatoforme Störung

Anamnese

  • Die Entwicklung der Symptome ist in der Regel langsam, die Krankheit kann jedoch auch fulminant einsetzen.
  • Frühe Symptome sind oft Ptose und Doppelbilder (Diplopie) – Initialsymptome bei 75 %.
  • Andere frühe Symptome
    • nasale Stimme
    • verwaschene Sprache
    • Schluckbeschwerden
    • Nachlassen der Kraft, den Kopf ausreichend zu halten oder zu bewegen.
    • Etwa 85 % der Erkrankten entwickeln innerhalb von 1–2 Jahren eine generalisierte Myasthenia gravis.
    • Bei ca. 15 % beschränkt sich die Krankheit auf die Augenmuskulatur (okuläre Myasthenie).
  • Der Kräfteschwund kann in seiner Intensität sehr variieren. Die Symptome sind oft abends am stärksten ausgeprägt.
  • Durch Ruhe regenerieren sich die Kräfte innerhalb von Minuten oder 1 Stunde.
  • Rumpf und Extremitäten können im weiteren Verlauf der Krankheit betroffen sein.
  • Sehr häufig treten andere Autoimmunerkrankungen auf, meist Schilddrüsenerkrankungen, aber auch Diabetes mellitus.

Klinische Untersuchung

  • Auffallend schnelle Ermüdung der Gesichtsmuskeln nach wiederholten Kontraktionen
  • Weitgehend unauffälliger neurologischer Status. Im Frühstadium sind häufig auch die Kraftprüfungen unauffällig.
  • Typische Befunde
    • asymmetrische Schwäche der Augenmuskulatur
    • asymmetrische Ptose
    • Schwäche der Gesichtsmuskulatur (z. B. Schließen der Augen), seltener in den Extremitäten
  • Klinische Tests zur Ermüdung
    • Positiver Simpson-Test: Die untersuchte Person ist nicht in der Lage, den Blick zwei min lang nach oben zu richten, ohne eine Ptose zu entwickeln.
    • Kniebeugen – ein gesunder Mensch schafft 20 bis 30: Untersuchung der groben Kraft vorher und nachher.
    • Arme 3 min lang ausgestreckt halten: Untersuchung der groben Kraft vorher und nachher.
    • Händedruck mit 30 Wiederholungen: Untersuchung der groben Kraft vorher und nachher
    • Augen zusammenkneifen: verminderte Kraft.
  • Kraftminderung in den HWS-Extensoren
  • Bei fortgeschrittener Erkrankung: Atrophie und abgeschwächte Muskeleigenreflexe
  • Keine sensiblen oder sensorischen Defizite

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren (AChR)
    • bei etwa 85 % positiv
    • Die Sensitivität beträgt ca. 85 % bei generalisierter Myasthenia gravis und ca. 50 % bei okulärer Myasthenia gravis.
    • Der Test hat eine hohe Spezifität, jedoch kann es bei anderen Autoimmunerkrankungen zu falsch positiven Ergebnissen kommen.
    • Die Serumkonzentration der Antikörper sagt nichts über den Schweregrad der Krankheit, sie ist jedoch höher bei Betroffenen mit Frühbeginn als bei solchen mit Spätbeginn.
  • MuSK-Antikörper
    • Sind positiv bei 40 % der Erkrankten mit negativen Acetylcholin-Antikörpern.
    • Werden untersucht bei klinischem Krankheitsverdacht und negativen Acetylcholin-Antikörpern.
  • LRP4-Antikörper (Anti-Lipoprotein-Related Protein 4)
    • Können bei 2–45 % der Erkrankten nachgewiesen werden, deren AChR- und MuSK-Antikörper-Befunde negativ sind.
  • Screening auf Autoimmunerkrankungen, die bei Myasthenia gravis häufig begleitend auftreten:
  • Screening auf seltenere immunologische Begleiterkrankungen, z. B.:
  • Im Rahmen des Autoimmunscreenings können u. a. folgende ergänzende Parameter relevant sein:
  • Neurophysiologische Tests
  • Cholinesterasehemmer-Test
  • Thorax-CT
    • Bei 15 % der an Myasthenia gravis Erkrankten liegt ein Thymom vor (Thymom-assoziierte, auch paraneoplastische Myasthenia gravis).
    • Bei ca. 70 % der Betroffenen mit frühem Beginn kommt es zu follikulärer Thymushyperplasie.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf Myasthenia gravis an Neurolog*in

Therapie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-3

Übersicht

  • Die 1. Wahl ist eine symptomlindernde Therapie mit einem Cholinesterasehemmer, in der Regel Pyridostigmin.
  • Bleibt diese Behandlung wirkungslos, ist eine Therapie mit Glukokortikoiden oder anderen Immunmodulatoren indiziert.
  • Bei schweren, akuten Symptomen ist Immunglobulin intravenös (IVIG) oder eine Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption indiziert.
  • Immunmodulatorische Therapie
    • Glukokortikoide
    • Immunsuppressiva
    • Plasmapherese oder Immunadsorption
    • Thymektomie
  • Physiotherapie und Rehabilitation

Empfehlungen für Patient*innen

  • Übermäßige körperliche Aktivität vermeiden.

Medikamentöse Therapie 

Cholinesterasehemmer

  • Pyridostigminbromid (Tabletten 10 mg/60 mg) ist der einzige für die Behandlung der Myasthenia gravis zugelassene Cholinesterasehemmer.
    • Dosierung Pyridostigminbromid: 3- bis 4-mal tgl. 30 mg; nach und nach kann auf 4–5 x 60 mg erhöht werden, je nach Wirksamkeit und Verträglichkeit.
  • Die häufigsten Nebenwirkungen unter oraler Medikation:1
    • Diarrhö (≤ 30 %)
    • Hypersalivation (6 %)
    • Schwitzen (4 %)
    • Bradykardie
    • Verschwommensehen
    • Albträume (vereinzelt).
  • Die i. v. Gabe sollte ausschließlich unter stationärer Überwachung erfolgen. In hohen Dosisbereichen (oral > 300 mg/d) und vor allem unter i. v. Applikation kann eine cholinerge Krise auftreten.
    • rasch einsetzende Verschlimmerung in Form von allgemeiner Muskelschwäche
    • unwillkürliche Muskelkontraktionen
    • schmerzhafte Muskelkrämpfe
    • Schwitzen
    • Übelkeit
    • Bauchkrämpfe
    • Bronchospasmus und bronchiale Hypersekretion mit Dyspnoe
    • Harndrang
    • AV-Block
    • Miosis
    • Angst/Reizbarkeit

Glukokortikoide

  • Adjuvant zu Cholinesterasehemmern, wenn diese allein keine zufriedenstellende Wirkung zeigen.
  • Dosierung langsam erhöhen – eine zu hohe Anfangsdosis kann den Zustand verschlimmern.
  • Führen bei den meisten zu signifikanter Besserung innerhalb von 6–8 Wochen.
  • Bei 30 % tritt sogar für bis zu 5 Jahre nach der Steroidtherapie eine Remission ein.
  • Prophylaxe der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose
    • Vermeidung hoher Dosierungen über längere Zeit
    • Kalzium und Vitamin D
    • Bisphosphonate für diese Indikation sind nur bei postmenopausalen Frauen zugelassen.
  • Werden auch adjuvant bei einer Thymektomie eingesetzt.6

Immunsuppressiva

  • Eine Vielzahl von Medikamenten kann in Kombination mit Glukokortikoiden oder an deren Stelle indiziert sein.
  • Betroffene, die bei Erkrankungsbeginn über 60 waren, scheinen besonders gut auf eine Therapie mit Immunsuppressiva anzusprechen.
  • Azathioprin ist außer den Glukokortikoiden das einzige bei Myastenia gravis zugelassene Immunsuppressivum. Es führt zu einer Symptomstabilisierung und verringert den Bedarf an Cholinesterasehemmern.
Medikamente, die bei ausgewählten Erkrankten infrage kommen (Stand 2021)
  • Unter bestimmten Bedingungen zugelassen:
    • Der an das Komplementprotein C5 bindende monoklonale Antikörper Eculizumab ist zur Behandlung ansonsten therapierefraktärer AChR-Antikörper-positiver generalisierter Erkrankung zugelassen.
  • Off-Label-Use
    • andere immunselektive monoklonale Antikörper wie Rituximab
    • Calcineurininhibitoren (Substrate von CYP 3A4 – cave Arzneimittelinteraktionen!):
      • Ciclosporin A 
      • Tacrolimus.
    • Methotrexat: evtl. bei älteren Erkrankten als Alternative zu Ciclosporin A
    • Mycophenolat-Mofetil evtl. als Alternative zu Azathioprin: Wegen der hohen Fehlbildungs- und Spontanabortrate sollte das Medikament nicht bei Schwangeren eingesetzt werden. Frauen im gebärfähigen Alter sollten eine sichere Methode der Kontrazeption wählen und diese – bei Kinderwunsch –frühestens 4 Monate nach Absetzen des Medikaments beenden.
Weitere Ersatzoptionen, die nur bei schweren, therapieresistenten Verläufen oder im Rahmen von Studien infrage kommen
  • Pulstherapie mit Cyclophosphamid i. v.
  • Neue monoklonale Antikörper
  • Myeloablation evtl. gefolgt von Stammzelltransplantation

Weitere Therapieoptionen

Thymektomie6

  • Indikationen
    • bei nachgewiesenem Thymom
    • bei 18- bis 50-Jährigen mit generalisierter AChR-Antikörper-positiver Erkrankung
    • Bei allen von generalisierter AChR-Antikörper-positiver Erkrankung Betroffenen, wenn sie nicht adäquat auf eine Immuntherapie ansprechen oder diese nicht vertragen.
    • Ggf. in Erwägung zu ziehen bei Personen mit generalisierter AChR-Antikörper-negativer Erkrankung, wenn sie nicht adäquat auf eine Immuntherapie ansprechen oder diese nicht vertragen.
  • Wirksamkeit und Ansprechrate
    • Innerhalb von 1–2 Jahren wird bei 50–70 % der Thymektomierten eine Heilung oder Stabilisierung beobachtet.
    • Der Behandlungserfolg tritt meist erst verzögert ein und ist oft erst nach einigen Jahren retrospektiv erkennbar.

Plasmapherese

  • 3–5 Austauschbehandlungen zeigen innerhalb von wenigen Tagen eine gute Wirkung, die jedoch nur von kurzer Dauer ist (2–4 Wochen).
  • Diese Therapieform ist Erkrankten mit besonders schweren Symptomen wie einer myasthenen Krise vorbehalten.
  • Kann auch als präoperative Therapie vor einer Thymektomie sinnvoll sein, um postoperative Komplikationen zu vermeiden.

Immunadsorption

  • Vergleichbare logistische Voraussetzungen und Wirksamkeit wie Plasmapherese
  • Semiselektive Elimination von IgG oder selektive Elimination der Subklassen IgG 1, 2 und 4

Immunglobuline intravenös (IVIG)

  • Werden wegen ihres schnellen Wirkeintritts (innerhalb von 1–2 Wochen) bei einer myasthenen Krise als Alternative zur Plasmapherese angewandt.7

Physiotherapie und Rehabilitation

  • Oft ein wichtiger Beitrag zum Behandlungserfolg
  • Myasthenia-gravis-Erkrankte können ihre Atemmuskulatur durch regelmäßige physiotherapeutische Übungen stärken.

Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit

  • Schwangerschaft und Stillzeit
    • Bei einigen Frauen verstärken sich die Symptome während der Schwangerschaft.
    • Als risikoarme Medikamente während der Schwangerschaft und Stillzeit gelten:
      • Glukokortikoide (Blutzuckerkontrolle!)
      • Azathioprin
      • Immunglobuline.
    • Schwangerschaft als relative Kontraindikation bei:
      • Pyridostigminbromid und andere Cholinesterasehemmer
      • Rituximab.
    • Wegen des teratogenen Potenzials ist ein negativer Schwangerschaftstest erforderlich vor Therapiebeginn mit:
      • Mycophenolat-Mofetil
      • Methotrexat
      • Ciclosporin A
      • Tacrolimus.
    • Testen Sie zu Beginn der Schwangerschaft die Schilddrüsenfunktion.
    • Behandeln Sie rasch evtl. Harnwegsinfekte und andere Infektionen.
  • Geburt
    • Myasthenia gravis hat keinen Einfluss auf die Uterusmuskulatur.
    • Eine vaginale Geburt mit Regionalanästhesie (Lidocain) sollte gegenüber einem Kaiserschnitt bevorzugt werden.
    • Die perinatale Sterblichkeit ist leicht erhöht.
    • Magnesiumsulfat als Abführmittel kann, ebenso wie viele andere Medikamente, eine myasthene Krise verursachen und ist kontraindiziert.
    • Die Geburt ist in der Regel kein Anlass, die während der Schwangerschaft regelmäßig eingenommene Medikation zu verändern.
    • Bei Frauen, die bereits länger mit oralen Glukokortikoiden über der Cushing-Schwelle (> 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent täglich oder > 15 mg jeden zweiten Tag) therapiert werden, kann der Glukokortikoidbedarf während der Geburt sprunghaft ansteigen. Sie sollten daher prophylaktisch hoch dosiert parenterales Hydrokortison bekommen.

Medikamente, die Myasthenie verschlimmern können

  • Viele unterschiedliche Medikamente können die Krankheit verschlimmern.
  • Verwenden Sie auf keinen Fall:
    • Alpha-Interferon und D-Penicillamin.
  • Was die Symptome verschlimmert und nur mit Vorsicht angewandt werden sollte:
    • bestimmte in der Anästhesie eingesetzte Muskelrelaxanzien (Suxamethonium, D-Tubocurarin)
    • Chinin, Chinidin und Procainamid
    • bestimmte Antibiotika:
      • Aminoglykoside (Gentamicin, Kanamycin, Neomycin und Streptomycin)
      • Chinolone (z. B. Ciprofloxacin, Levofloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin)
      • Makrolide (Erythromycin, Azithromycin, Telithromycin)
      • Tetracyclin.
    • Betablocker (Tabletten und Augentropfen)
      • Propranolol, Timolol
    • Kalziumkanalblocker
    • Diuretika
    • Magnesiumsalze (Abführmittel und säureneutralisierende Mittel mit hoher Magnesium-Konzentration)
    • jodhaltige Kontrastmittel
    • Schlafmittel, Beruhigungsmittel (Benzodiazepine)
    • Statine
    • Lithium
    • Botulinumtoxin
    • Anticholinergika
    • Chloroquin
    • Phenytoin

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-3

Verlauf

  • Der Krankheitsverlauf ist oft schwankend. Ist die Atemmuskulatur betroffen, kann eine rasche Verschlimmerung lebensbedrohlich sein.
    • Behandelt wird mit IVIG oder Plasmapherese.
  • Unterteilt wird nach der MGFA (Myasthenia gravis Foundation of America) in verschiedene Klassen von Schweregraden:
    • Klasse I – okuläre Myasthenie
    • Klasse II – leichtgradige generalisierte Myasthenie
    • Klasse III – mäßiggradige generalisierte Myasthenie
    • Klasse IV – schwere generalisierte Myasthenie
    • Klasse V – Intubationsbedürftigkeit.

Komplikationen

  • Myasthene Krise
    • akute Verschlimmerung
    • Gefahr der Atemlähmung
    • Ist der Zustand nur schwer von einer cholinergen Krise zu unterscheiden, liefert die intravenöse Injektion von Cholinesterasehemmern eine Antwort.
  • Cholinerge Krise meist unter hohen Dosen i. v. applizierter Cholinesterasehemmer
  • Autonome Neuropathie

Prognose

  • Spontane anhaltende Remissionen sind selten.
  • Die meisten Betroffenen sprechen gut auf die Therapie an und können ein weitgehend normales Leben mit wenigen oder ohne Symptome führen.
  • Von einer Thymektomie innerhalb der ersten 1–2 Jahre nach Diagnosestellung scheinen vor allem Erkrankte in der Altersgruppe 18–50 zu profitieren.
  • Fatigue
    • Knapp die Hälfte der Betroffenen, die eine Remission mit oder ohne Medikamente erzielt haben, d. h. normale Muskelkraft und evtl. noch minimale Augensymptome, leidet an anhaltender Fatigue.8
    • Eine Intensivierung der immunmodulatorischen Therapie – allein wegen der Fatigue – scheint eher kontraproduktiv zu sein.
  • Ateminsuffizienz
    • Weniger als 5 % der Erkrankten bedürfen gelegentlich intensivmedizinischer Behandlung.
    • Plötzlicher Atemstillstand mit Todesfolge ist selten.
  • Obwohl es sich um eine progrediente Krankheit handelt, haben die Betroffenen eine normale Lebenserwartung.

Verlaufskontrolle

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-3
  • Klinischer Verlauf
  • Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Therapie
  • Klinikeinweisung bei:
    • rascher Verschlechterung der Muskelkraft
    • zunehmender Ateminsuffizienz
    • Hinweisen auf eine myasthene Krise
    • Hinweisen auf eine cholinerge Krise.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Über die Krankheit und ihre Prognose im Allgemeinen
  • Über die medizinische Therapie und welche Medikamente vermieden werden sollten.

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Myasthenia gravis und Lambert-Eaton-Syndrom, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-087. S2k, Stand 2014 (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Myasthenia gravis und Lambert-Eaton-Syndrom, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-087. S2k, Stand 2014 (abgelaufen). www.awmf.org
  2. Narayanaswami P, Sanders DB, Wolfe G et al. International Consensus Guidance for Management of Myasthenia Gravis: 2020 Update. Neurology 202; 96: 114-22. PMID: 33144515 PubMed
  3. Lisak RP. Myasthenia gravis. BMJ Best Practice. Last reviewed: 15 Sep 2021; last updated 01 Apr 2021. bestpractice.bmj.com
  4. Makarious D, Horwood K, Coward JIG. Myasthenia gravis: An emerging toxicity of immune checkpoint inhibitors. Eur J Cancer 2017; 82:128-36. PMID: 28666240 PubMed
  5. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2022. Stand 17.09.2021 www.dimdi.de
  6. Wolfe GI, Kaminski HJ, Aban IB, et al. Randomized Trial of Thymectomy in Myasthenia Gravis. N Engl J Med 2016; 375: 511-22. doi:10.1056/NEJMoa1602489 DOI
  7. Gajdos P, Chevret S, Toyka KV. Intravenous immunoglobulin for myasthenia gravis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 12. Art. No.: CD002277. DOI: 10.1002/14651858.CD002277.pub4. DOI
  8. Elsais A, Wyller VB, Loge JH, Kerty E. Fatigue in myasthenia gravis: is it more than muscular weakness? BMC Neurol 2013; 13:132. pmid:24088269 PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
G70; G700; P94; P940
N99
Gestörte Impulsübertragung; Impulsübertragungsstörung; Autoimmune neuromuskläre Erkrankung; Ptose; Doppelbilder; Sehstörungen; Achtylcholinrezeptor-Antikörper; Antikörper gegen Achtylcholinrezeptoren; AChR; Thymom-assoziierte Myasthenia gravis; Anti‐MuSK‐AK‐assoziierte Myasthenia gravis; Okuläre Myasthenia gravis; Muskuläre Ermüdung; Simpson-Test; Cholinesterasehemmer; Thymektomie
Myasthenia gravis
U-NH 12.12.17 Hinweis zur Fahreignung TH 5.3.18
BBB MK 18.10.2021 revidiert und aktualisiert. chck go 13.04.16. MK 13.09.16
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Definition:Autoimmune neuromuskuläre Erkrankung, bei der die Impulsübertragung vom Nerv zum Muskel gestört ist. Häufigkeit:Die Prävalenz beträgt ca. 15–180 pro 100.000.
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