Definition:Juckreiz infolge einer Lebererkrankung (hepatischer Pruritus) stellt ein Symptom der intra- und extrahepatischen Cholestase dar.
Häufigkeit:Verhältnismäßig seltene Erkrankung.
Symptome:GeneralisierterJuckreiz, häufig an Händen und Füßen. Oft vor anderen Symptomen einer Lebererkrankung.
Befunde:Meist keine Hautveränderungen, lediglich sekundäre Kratzläsionen; ggf. Leberhautzeichen je nach zugrunde liegender Erkrankung.
Diagnostik:Labor, ggf. Sono, CT oder MRT.
Therapie:Symptomatische Linderung des Juckreizes durch verschiedene Medikamente, meistoft muss ausprobiert werdenlangwierig.
Allgemeine Informationen
Definition
Juckreiz (Pruritus) gehört neben Ikterus, Müdigkeit, Schmerzen im rechten Oberbauch, Übelkeit, Appetitlosigkeit und Blähungen zu den typischen Symptomen einer Lebererkrankung.1
Als Ursache wird die intra- und extrahepatischen Cholestase diskutiert.2
Hepatischer Juckreiz tritt in erster Linie bei cholestatischen Erkrankungen auf.
Häufigkeit
Bei chronischer Cholestase tritt ein generalisierter Pruritus mit Betonung der Hände und Füße bei etwa 25 % der PatientenPatient*innen als frühes Symptom auf.2
15–100 % aller PatientenPatient*innen mit einer hepatobiliären Erkrankung leiden unter Pruritus.4
Es zeigen sich große Unterschiede je nach zugrunde liegender Erkrankung. So leiden 70–80 % aller Patient*innen mit PSC oder PBC unter Juckreiz, während der Anteil bei anderen Erkrankungen deutlich niedriger ist.5-6
Ätiologie und Pathogenese
Hepatischer Juckreiz tritt in der Regel in Verbindung mit einer cholestatischen Lebererkrankung auf.4
Der genaue Pathomechanismus konnte bisher nicht geklärt werden.3,5
Es scheint sich um ein multifaktorielles Geschehen zu handeln.7
Als Ursache wird die Gallensalzkonzentration vermutet, aber auch endogene Opioide, Histamin, Autotaxin und Lysophosphatidisäure scheinen eine Rolle zu spielen.25,58
Es bestehen keine primären Hautveränderungen, durch Kratzen kann es aber zu sekundären Hautveränderungen wie Erosionen, Exkoriationen oder Krusten kommen.
Prädisponierende Faktoren
Lebererkrankung
ICPC-2
S02 Juckreiz
D29 Beschw. Verdauungssystem, andere
D97 Lebererkrankung NNB
ICD-10
L29.9 Pruritus, nicht näher bezeichnet
K70 Alkoholische Leberkrankheit
K71 Toxische Leberkrankheit
K72 Leberversagen, anderenorts nicht klassifiziert
K73 Chronische Hepatitis, anderenorts nicht klassifiziert
K74 Fibrose und Zirrhose der Leber
K75 Sonstige entzündliche Leberkrankheiten
K76 Sonstige Krankheiten der Leber
K77 Leberkrankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
R19 Sonstige Symptome, die das Verdauungssystem und das Abdomen betreffen
R19.8 Sonstige näher bezeichnete Symptome, die das Verdauungssystem und das Abdomen betreffen
Hepatischer Juckreiz ist an Handflächen und Fußsohlen am stärksten ausgeprägt, kann aber in den schwersten Fällen auch eine generalisierte Form annehmen; Patienten berichten von Juckreiz in den Gehörgängen.3, in den Nasenlöchern und sogar hinter den Augen.5
Die Intensität kann von einer leichten Irritation bis hin zu stark brennendem Juckreiz reichen.
AmOft stärkstenwird trittvon einer Zunahme des Juckreizes in der JuckreizNacht nachts aufberichtet.5
StarkeNicht selten besteht eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität.3,7
Klinische Untersuchung
Gründliche Inspektion der gesamten Haut einschließlich der Schleimhäute, Kopfhaut, Haare, Nägel und Anogenitalregion
meist keine Hautveränderungen, lediglich sekundäre Kratzläsionen
Im Rahmen der Differenzialdiagnostik Ultraschall, MRT, CT und/oder Leberbiopsie
Bei pathologischen Leberwerten oder grundsätzlichem Verdacht auf eine hepatobiliäre Genese, ggf. weitere DiagnostikLabordiagnostik durch einen HepatologenSpezialist*innen (oder in Absprache)4
Im Rahmen der Differenzialdiagnostik Ultraschall, MRT, CT und/oder Leberbiopsie
Therapie
Therapieziele
Symptome lindern.
Grunderkrankung behandeln.
spezifische internistische Therapie der Lebererkrankung bis zur operativen Therapie eines zugrunde liegenden Tumors
Allgemeines zur Therapie
Obwohl viele Substanzen die Symptome lindern können, gibt es keine Substanz, die bei allen PatientenBetroffenen zuverlässig wirkt. Da ggf. mehrere Therapieansätze erforderlich sind, ist häufig Geduld gefragt.4
Manchmal ist eine Lokaltherapie allein, häufig aber in Kombination mit Systemtherapien und/oder UV-Phototherapie, sinnvoll.4
Psychosomatische und psychische Einflussfaktoren auf den Therapieerfolg sollten gerade bei langwierigen Behandlungszeiträumen zu jeder Zeit mitbedacht werden4
Externe Therapie
Kühlende wasserhaltige Salben, Schüttelmixturen oder Gele mit Zusätzen von Menthol, Kampfer, Lidocain oder Polidocanol können den Juckreiz der Haut lindern.2,4
Beispielsweise Optiderm–Creme, 2 x tgl. auch auf juckende Areale auftragen11 (Anm. d. Red.).
Oder „1-2-3-Creme“ als Rezeptur in der Apotheke anzumischen (Anwendung: 2 x tgl.).12
Topische Glukokortikosteroide (z. B. Hydrocortison 1 % 2 x tgl.) oder topische Calcineurininhibitoren kommen(z. B. Pimecrolimus 1 % 2 x tgl., Off-Label-Use!) können zur kurzfristigen Therapie des chronischen Pruritus bei sekundären entzündlichen Kratzläsionen zumerwogen Einsatzwerden.4
Interne Therapie
Antihistaminika
Können versucht werden, haben aber aufgrund fehlender Histaminvermittlung des Pruritus bei Lebererkrankungen meist keine ausreichende Wirkung, der sedierende Effekt kann allerdings den Schlaf und den Juckreiz verbessern.74,6,13
Colestyramin
4–16 g/d (4 h getrennt von der Einnahme anderer Medikamente) gilt als Mittel der 1. Wahl.4
Ist das einzige in Deutschland für die Behandlung des cholestatischen Pruritus zugelassene Medikament.6
Rifampicin
Dosierung (300–600 mg/Tagd); die Wirkung ist laut einer kleineren Studie belegt (Off-Label-Therapie).814
Die Hepatotoxizität nach 4–12 Wochen muss beachtet werden.6
Einschleichend dosieren, mit 150 mg täglich beginnend.6
nicht unerhebliches Interaktionspotenzial (u. a. Kontrazeptiva, Antikoagulanzien)
Codein (4-stündlich 20 mg p. o.) kann gegen Pruritus helfen.2
Opioidrezeptorantagonisten
Naloxon i. v. kann bei hepatischem Pruritus mit starkem Leidensdruck erwogen werden.4
Naltrexon (12,5–50 mg/Tagd p. o.) kann bei hepatischem Pruritus als Off-Label-Therapie empfohlen werden.4
Gabapentin bis 3.600 mg/d oder Pregabalin bis 600 mg/d (off label)42,6
Therapie
Ebenso der Schwangerschaftscholestasehaben Fibrate einen antipruriginösen Effekt, wobei die Hepato– und Nephrotoxizität zu bedenken ist.6,16
OraleDie GabeOff-Label-Anwendung von UrsodeoxycholsUrsodesoxycholsäure kann bei Schwangeren in Betracht gezogen werden (10–20 mg pro /kg und Tag KG/d).93-4
Elektive Geburtseinleitung in der 37. bis 38. Schwangerschaftswoche
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Operation
Evtl. wird eine biliäre oder duodenale Drainage durchgeführt. Dieses Verfahren kommt bei Kindern mit chronischer Cholestase und Juckreiz zum Einsatz.1017
Allerdings erhöht die intrahepatische Schwangerschaftscholestase das Risiko für eine Frühgeburt, vorzeitigen Mekoniumabgang, fetale Bradykardie und Totgeburt.919
Bei medikamenteninduzierter Cholestase oder cholestatischem Juckreiz ohne bekannte Ursache kann der Juckreiz bis zu einem halben Jahr anhalten.
Bei benigner rekurrierender Cholestase kann der Juckreiz bis zu 2 Jahre anhalten, verschwindet aber in der Regel nach einigen Monaten.
Bei extrahepatischer Cholestase hört der Juckreiz einige Tage nach dem AnlegenBeheben der GallendrainageObstruktion auf.
Bei schwerer, progressiver Lebererkrankung hört der Juckreiz bei manchen Patienten auf, wenn sich die Erkrankung dem Endstadium nähert.
Deutsche Dermatologische Gesellschaft. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-048. S2k, Stand 20162022. wwwregister.awmf.org
Literatur
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Orphanet. Schwangerschaftscholestase, intrahepatische. Mai 2007 www.orpha.net
AutorenAutor*innen
Bonnie Stahn, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
HannsDie ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-UlrichHandbuch MarschallNorsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, professor och överläkare, Medicinkliniken gastrosektionen, Sahlgrenska universitetssjukhuset, Göteborg
Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheimhttps://legehandboka.no/).
Definition:Juckreiz infolge einer Lebererkrankung (hepatischer Pruritus) stellt ein Symptom der intra- und extrahepatischen Cholestase dar. Häufigkeit:Verhältnismäßig seltene Erkrankung.