Schwangerschaftspruritus

Allgemeine Informationen

Definition

  • Juckreiz in der Schwangerschaft kann auf physiologische Hautveränderungen, Hauterkrankungen oder schwangerschaftsspezifische internistische Erkrankungen zurückzuführen sein.1
  • Juckreiz kann den Schlaf und die Lebensqualität beeinträchtigen und auch Depressionen hervorrufen oder verstärken.

Häufigkeit

  • Die überwiegende Zahl aller Schwangeren berichtet von Hautveränderungen, wobei ein nicht unerheblicher Anteil mit Juckreiz einhergeht.2
    • Studien zufolge sind bis zu 20 % der Patientinnen während der Schwangerschaft von Juckreiz betroffen.3
  • Meist handelt es sich um einen Juckreiz, der auf physiologische Veränderungen, trockene Haut u. Ä. zurückzuführen ist.

ICPC-2

  • S02 Juckreiz
  • W29 Schwangerschaftsbeschw., andere

ICD-10

  • L29 Pruritus
  • O26.88 Sonstige näher bezeichnete Zustände, die mit der Schwangerschaft verbunden sind 

Differenzialdiagnosen

  • Juckreiz in der Schwangerschaft kann unterschiedliche Ursachen haben:3
    • Exazerbation einer bereits vor der Schwangerschaft bestehenden Hauterkrankung (z. B. atopische Erkrankungen oder Psoriasis)
    • Erstmanifestation einer Hauterkrankung ohne direkten Zusammenhang zur Schwangerschaft
    • Juckreiz im Rahmen physiologischer Veränderungen
    • Schwangerschaftsdermatosen
    • schwangerschaftsassoziierte systemische Erkrankungen (meist hepatobiliär)

Chronische Hauterkrankungen

Trockene, juckende Haut

  • Die meisten Fälle von Schwangerschaftsjuckreiz sind trivial und auf trockene Haut zurückzuführen.

Sonstige juckende Hauterkrankungen

  • Allergisches Kontaktekzem
    • Bei manchen Patientinnen kann sich dieses in der Schwangerschaft verstärken.
  • Psoriasis
    • Die Psoriasis bessert sich während der Schwangerschaft meist, bei manchen Patientinnen kann es während der Schwangerschaft jedoch zu einer erhöhten Krankheitsaktivität kommen.

Schwangerschaftsdermatosen

  • Zu den schwangerschaftsspezifischen Hauterkrankungen zählen:
    • atopische Eruption der Schwangerschaft (AEP)
    • polymorphe Exantheme der Schwangerschaft (PEP)
    • Pemphigoid gestationis4

Atopische Eruption der Schwangerschaft (AEP)

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Hierzu zählen sowohl die Schwangeren, die bereits vor Eintritt der Schwangerschaft unter einer Atopie litten (ca. 20 %) als auch diejenigen, die zum ersten Mal Symptome dieser Art entwickeln.
  • Tritt meist in der ersten Hälfte der Schwangerschaft auf.
  • Meist ekzematöse, juckende Veränderungen an Stamm und Extremitäten

Polymorphe Schwangerschaftsdermatose (Polymorphic Eruption of Pregnancy, PEP)

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Diese Hauterkrankung wurde früher auch als PUPPP bezeichnet (Pruritic Urticaria Papules and Plaques of Pregnancy).
  • Sie tritt in etwa 1:120–1:300 Schwangerschaften auf.
  • Sie beginnt meist im 3. Trimenon: Es kommt zu einem starken Juckreiz am Abdomen und zur Ausbildung von polymorphen Plaques und Papeln.
    • Häufig breitet sich der Ausschlag auf das Gesäß und den proximalen Teil der Oberschenkel aus. Auch eine generalisierte Form ist möglich.
    • Typischerweise bleibt der Bereich um den Nabel herum vom Ausschlag ausgespart.
  • Sie ist für Mutter und Kind ungefährlich und verschwindet nach 4–6 Wochen (unabhängig von der Geburt) spontan.

Pemphigoid gestationis

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Seltene schwangerschaftsassoziierte bullöse Autoimmunerkrankung
  • Sie tritt bei etwa 1:2000–1:60.000 aller Schwangerschaften auf.
  • Beginnt meist spät im 3. Trimester, kann aber grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft auftreten.
  • Meist beginnend im Abdominalbereich inkl. periumbilikal zeigen sich stark juckende polymorphe urtikarielle Papeln und Plaques, im weiteren Verlauf breiten sich die Effloreszenzen aus, und es treten Blasen auf.
  • Die Prognose ist gut. Die Erkrankung nimmt während der Schwangerschaft einen schwankenden Verlauf, innerhalb von Wochen oder Monaten nach der Entbindung kommt es jedoch zur Remission.
  • Es besteht ein erhöhtes Risiko für eine intrauterine Wachstumsverzögerung (SGA) und Frühgeburt. Es sollten daher eine regelmäßige Überwachung des Feten im letzten Schwangerschaftsdrittel erfolgen.

Östrogenabhängiges Angioödem

  • Dabei handelt es sich um eine seltene Erkrankung, bei der das Östrogen den Bradykininspiegel zu erhöhen scheint, was wiederum zu einem Ausschlag und Juckreiz führt.
    • Im Gegensatz zum hereditären Angioödem liegt keine erniedrigte C1-Inhibitor-Konzentration vor.5
  • Gesichtsbetonte Schwellung, die mit einem leichteren Juckreiz einhergeht als die Urtikaria.
  • Abdominelle Beschwerden können ebenfalls vorliegen.5
  • Die Erkrankung kann durch eine Schwangerschaft sowie durch die Einnahme orale Kontrazeptiva ausgelöst werden. In Folgeschwangerschaften kann es zu einem Rezidiv kommen.
  • Die Prognose ist gut. Der Ausschlag klingt nach und nach ab. Die Patientinnen sollten jedoch auf die Einnahme oraler Kontrazeptiva oder sonstiger östrogenhaltiger Präparate verzichten.

Schwangerschaftsspezifische Lebererkrankungen

Intrahepatische Schwangerschaftscholestase

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Mit einer Inzidenz von 0,3–5,6 % ist diese Erkrankung relativ verbreitet.
  • Anstieg von Gallensäuren, Transaminasen, Gamma-GT und evtl. des Bilirubins
  • Typischerweise nach der 30. Schwangerschaftswoche auftretend
  • Quälender Juckreiz ohne Hauteffloreszenzen, insbesondere an den Handflächen und Fußsohlen, nachts am quälendsten
  • Ikterus und dunkel gefärbter Urin können auftreten.
  • Die Erkrankung ist für die Mutter ungefährlich, geht jedoch mit einem leicht erhöhten Risiko einer Frühgeburt und eines intrauterinen Fruchttods in den letzten Wochen vor dem Termin einher.
  • Sie klingt nach der Geburt spontan ab.
  • Durch die Behandlung mit Ursodeoxycholsäure bis zur Lungenreifung des Fetus lässt sich eine gute Linderung der Symptome erreichen.
  • In Schwangerschaftswoche 37–38 ist eine Einleitung der Geburt in Betracht zu ziehen.

Akute Schwangerschaftsfettleber

  • Die akute Schwangerschaftsfettleber ist eine seltene Erkrankung, die in etwa 1 von 7.000–15.000 Schwangerschaften auftritt.6-7
  • Innerhalb weniger Tage entwickelt sich eine schwere Leberinsuffizienz mit reduziertem Allgemeinzustand, Übelkeit, Juckreiz, Polydipsie, abdominelle Schmerzen und im weiteren Verlauf Anorexie und Gelbsucht.
  • Bei etwa 20 % der Betroffenen liegt zudem ein HELLP–Syndrom vor.7
  • Es ist eine umgehende Einweisung, Entbindung und Intensivbehandlung erforderlich.7
  • Die Mortalität der Mutter lag früher bei über 70 %, heute bei < 10 %.7
  • Die perinatale Mortalität des Kindes ist erhöht (10–20 %).

Chronische Lebererkrankungen in der Schwangerschaft

Anamnese

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Beginn des Ausschlages
  • Lokalisation, Ausbreitung
  • Ausprägung
  • Tageszeitliche Schwankungen
  • Zeitlicher Zusammenhang zu Vorerkrankungen, Operationen, Medikamenteneinnahme, anderen Ereignissen
  • Gesundheitsbezogene Lebensqualitätseinschränkung, Leidensdruck, Schlafstörungen
  • Vorerkrankungen einschließlich Dermatosen
  • Medikamenteneinnahme
  • Bekannte Allergien
  • Familienanamnese (z. B. atopische Erkrankungen)
  • Reiseanamnese
  • Bisheriger Schwangerschaftsverlauf
  • Abdominalschmerzen? Sonstige Begleitsymptome?
  • Verfärbung von Stuhl oder Urin?

Klinische Untersuchung

  • Untersuchung der gesamten Haut inklusive Schleimhäute
  • Beurteilung des Allgemeinzustands der Patientin

Ergänzende Untersuchungen

 Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei Vorliegen einer unklaren Hauterkrankung in der Schwangerschaft sollte neben der gynäkologischen Beurteilung eine Überweisung zu dermatologischen Fachärzt*innen erfolgen.
  • Bei Verdacht auf eine akute Schwangerschaftsfettleber, reduziertem Allgemeinzustand oder Anstieg der Gallensäuren/Leberwerte sollte eine Krankenhauseinweisung erfolgen.

Maßnahmen und Empfehlungen

  • Abhängig von der gestellten Diagnose
  • Sichere Diagnose und angemessene Aufklärung der Patientin

Allgemeine Empfehlungen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Kleidung aus Baumwolle bevorzugen.
  • Nasse Haut abtupfen, nicht abreiben.
  • Kompression juckender Hautregionen mit einem kalten Baumwolllappen bei Bedarf
  • Meidung von:
    • Hitze (heiße Bädern, heiße Getränken, heiße Regionen)
    • Stress
    • Alkohol
    • Kleidung aus Synthetik und Wolle

Topische Therapie in der Schwangerschaft

  • Rückfettende Maßnahmen4
    • indiziert bei hautaustrocknenden Dermatosen
    • Verwendung von Waschsyndets (künstlich erzeugte waschaktive Substanzen, „synthetische Detergenzien“)
    • Fettcremes, Fettsalben, Lipolotionen
      • Bei der Wahl des Vehikels müssen auslösende Ursache, Patientenpräferenzen, Körperregion4 und Tageszeit der Applikation in Betracht gezogen werden.
  • Harnstoffhaltige Mittel, z. B. Urea pura 5,0
    • Stillen den Juckreiz.
    • Können unbedenklich in der Schwangerschaft eingesetzt werden.
  • Symptomatisch-antipruritische Maßnahmen
    • Die Beurteilung von Studien bzgl. des antipruritischen Effekts gilt als schwierig.4
    • topische Lokalanästhetika4, z. B. Lidocain, Kampfer
      • Wirken oftmals nur kurzzeitig.
    • topische Glukokortikosteroide4
      • Beispielsweise Methylprednisolonaceponat 0,1 % 1 x tgl. dünn auftragen.
      • Nicht als alleinige Dauertherapie zu empfehlen.
      • kurzfristig bei sekundär entzündlichen Kratzläsionen erfolgreich
      • Studien, die die antipruritische Wirksamkeit belegen, fehlen größtenteils.
      • In einer großen Kohortenstudie zeigte sich kein relevanter Zusammenhang zwischen der Anwendung topischer Steroide in der Schwangerschaft und erniedrigtem Geburtsgewicht oder -größe.8

Systemische Therapie in der Schwangerschaft

  • Dermatosen (z. B. AEP, PEP)4
    • 1. Wahl: Desloratadin 5 mg/d
    • 2. Wahl: topische Steroide (s. o.)
    • 3. Wahl: Mirtazapin (off label) 7,5–30 mg/d
  • Hepatobiliär (z. B. ICP, PBC, PSC)4
    • 1. Wahl: Ursodesoxycholsäure (off label) 10–20 mg/kg KG/d
    • 2. Wahl: S-Adenosylmethionin (off label) 1.000 mg/d
    • 3. Wahl: Rifampicin (off label) 150–300 mg/d
  • Systemische Glukokortikosteroide
    • Die Beurteilung des Risikos für fetale Fehlbildungen nach systemischer Anwendung von Glukokortikoiden in der Schwangerschaft ist schwierig, sie sollten nur nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung angewendet werden.9
    • Studien zur Wirksamkeit bei chronischem Pruritus fehlen, die klinische Erfahrung zeigt eine Wirksamkeit bei verschiedensten Indikationen.4
    • bei schwerstem Pruritus mit starkem Leidensdruck als Kurzzeittherapie möglich4
    • Mittel der Wahl in der Schwangerschaft sind nichtmethylierte Glukokortikosteroide wie Prednisolon und Prednison.9
  • UVB-Phototherapie
    • nachgewiesene Wirksamkeit bei juckender Follikulitis in der Schwangerschaft10 und bei allgemeinem Pruritus11
    • Sollte aufgrund der immunsuppressiven Wirkung erst in der fortgeschrittenen Schwangerschaft angewendet werden.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Bergman H, Melamed NB, Koren G. Pruritus in pregnancy. Treatment of dermatoses unique to pregnancy. Canadian Family Physician, 2013; 59 (12):1290-4. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Kannambal K, Tharini GK. A Screening Study on Dermatoses in Pregnancy. J Clin Diagn Res. 2017 May;11(5) www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Stefaniak AA, Pereira MP, Zeidler C, Ständer S. Pruritus in Pregnancy. Am J Clin Dermatol. 2022 Mar;23(2):231-246 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Deutsche Dermatologische Gesellschaft. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-048, Stand 2022. register.awmf.org
  5. Caballero T, Baeza ML, Cabañas R, et al. Consensus statement on the diagnosis, management, and treatment of angioedema mediated by bradykinin. Part I. Classification, epidemiology, pathophysiology, genetics, clinical symptoms, and diagnosis. J Investig Allergol Clin Immunol. 2011;21(5):333-47. www.jiaci.org
  6. Naoum EE, Leffert LR, Chitilian HV, Gray KJ, Bateman BT. Acute Fatty Liver of Pregnancy: Pathophysiology, Anesthetic Implications, and Obstetrical Management. Anesthesiology. 2019 Mar;130(3):446-461 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Liu J, Ghaziani TT, Wolf JL. Acute fatty liver disease of pregnancy: Updates in pathogenesis, diagnosis, and management. Am J Gastroenterol 2017; 112:838–46. www.researchgate.net
  8. Andersson NW, Skov L, Andersen JT. Evaluation of Topical Corticosteroid Use in Pregnancy and Risk of Newborns Being Small for Gestational Age and Having Low Birth Weight. JAMA Dermatol. 2021 Jul 1;157(7):788-795 www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Embryotox. Methylprednisolon, online abgerufen am 10.8.2023. www.embryotox.de
  10. Reed J, George S. Pruritic folliculitis of pregnancy treated with narrowband (TL-01) ultraviolet B phototherapy. Br J Dermatol 1999; 141: 177-179 . pmid:10417550 PubMed
  11. Yashar SS, Gielczyk R, Scherschun L, Lim HW. Narrow-band ultraviolet B treatment for vitiligo, pruritus, and inflammatory dermatoses. Photodermatol Photoimmunol Photomed 2003; 19: 164-168. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Bonnie Stahn, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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