Schwierige Abgrenzung, da sich diese Veränderungen auch unabhängig von Infektionen ergeben können.3
In deutschen Pflegeeinrichtungen vergleichsweise geringer Anteil (ca. 15 %) an mikrobiologisch gesteuerten Therapien, etwa 85 % der Antibiotikabehandlungen erfolgen empirisch.7
Andererseits ist auch eine Überdiagnostik zu vermeiden, dies gilt insbesondere für asymptomatische Harnwegsinfektionen.
In Pflegeeinrichtungen haben bis zu 50 % der Bewohner*innen eine asymptomatische Bakteriurie ohne therapeutische Konsequenz.14
Die Unterscheidung zwischen symptomatischen Harnwegsinfektionen und asymptomatischer Bakteriurie ist allerdings bei geriatrischen Patient*innen eine Herausforderung.15
Bei Atemwegsinfektionen besteht durch die Verbreitung von SARS-CoV-2 derzeit Indikation zu einer raschen virologischen Diagnostik.
Unabhängig von SARS-CoV-2 sind Atemwegsinfektionen mehrheitlich viral bedingt, diese führen aber nicht selten zu einer dann inadäquaten antibiotischen Therapie.14
Therapie
Antibiotikaeinsatz in Pflegeeinrichtungen
Im Rahmen des europäischen HALT-Projektes (Healthcare-Associated Infections in European Long Term Care Facilities) wurden in Deutschland für 2016/17 folgende Indikationen zum Antibiotikaeinsatz erhoben:16
Harnwegsinfektion 41 %
Atemwegsinfektion 21 %
Haut- und Weichteilinfektion 16 %.
Die am häufigsten verschriebenen Antibiotika für die häufigsten Indikationen waren 2016/17:16
Harnwegsinfektionen
Ciprofloxacin
Trimethoprim/Sulfamethoxazol
Nitrofurantoin
Atemwegsinfektionen
Amoxicilllin/Betalaktamaseinhibitor
Cefuroxim
Doxycyclin
Haut- und Weichteilinfektionen
Ciprofloxacin
Amoxicillin
Clindamycin.
Überlegungen zur antibiotischen Therapie
Ein inadäquater Einsatz von Antibiotika sollte aus verschiedenen Gründen vermieden werden:17-18
Unwirksamkeit bei nicht gegebener Indikation
Nebenwirkungen
Interaktionen mit anderen Medikamenten
Resistenzentwicklung
Kosten.
Indikationsstellung
Die Indikationsstellung zur antibiotischen Therapie sollte auf einem gut begründeten Verdacht auf eine klinisch relevante bakterielle Infektion beruhen.
Hilfreich sind hier auch die Empfehlungen der Initiative Klug entscheiden der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (Klug entscheiden in der Infektiologie):19
Patient*innen mit asymptomatischer Bakteriurie sollen nicht mit Antibiotika behandelt werden.
Patient*innen mit unkomplizierten akuten oberen Atemwegsinfektionen inklusive Bronchitis sollen nicht mit Antibiotika behandelt werden.
Der Nachweis erhöhter Entzündungswerte wie C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin (PCT) allein soll keine Indikation für eine Antibiotikatherapie darstellen.
Nicht selten werden Betalaktamantibiotika wegen einer dokumentierten Penicillinallergie nicht verordnet und stattdessen Antibiotika mit deutlich schlechterem Nebenwirkungsprofil (z.B. Fluorchinolone, Clindamycin).14
Untersuchungen konnten zeigen, dass ein Teil dieser Patient*innen nie eine Allergie hatte.14
Bei unklaren Allergien, die lange (> 10 Jahre) zurückliegen oder Niedrigrisikoanamnese (z. B. Juckreiz ohne Ausschlag) kann eine beobachtete Reexposition vertretbar sein.14
Nebenwirkungen
Toxizität von Fluorchinolonen
Wegen Toxizitäten ist das Nutzen/Risikoverhältnis bei Fluorchinolonen besonders genau abzuwägen ist (siehe auch Rote-Hand-Brief):10
Vermeidung des Einsatzes bei Patient*innen in hohem Alter (> 80 Jahre), insbesondere bei eingeschränkter Hirnleistung
besondere Vorsicht bei schwerer kardialer Komorbidität
Vermeidung des Einsatzes bei gleichzeitiger systemischer Steroidtherapie
Vermeidung des Einsatzes bei Patient*innen mit Aortenaneurysma.
Verstärkt wird das Problem dadurch, dass Fluorchinolone bislang besonders häufig mit inadäquater Indikation verschrieben wurden.14
QT-Zeit-Verlängerung durch Antibiotika
Antibiotika, die eine Verlängerung der QT-Zeit bewirken können:20
Bei geriatrischen Patient*innen besteht häufig eine Multimedikation, d. h. die Verordnung von 5 oder mehr Medikamenten.21
Diese Patient*innen stellen eine Risikogruppe für unerwünschte Ereignisse und Therapieprobleme dar, auch durch zusätzliche akute Medikation mit Antibiotika.20
Makrolidantibiotika (außer Azithromycin) können mit Statinen interagieren:20
gegenseitige Wirkungsverstärkung, Risiko der Rhabdomyolyse
Wenn möglich, sollte das Statin während der Makrolidgabe pausiert werden.
Bei Notwendigkeit der gemeinsamen Gabe sollte auf Pravastatin gewechselt werden (Pravastatin und Fluvastatin mit nur geringer Interaktion).
Verstärkung der Wirkung von Phenprocoumon durch:20
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Brennen beim Wasserlassen. AWMF-Leitlinie 053-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Hausärztliche Leitlinie: Multimedikation. AWMF-Leitlinie Nr. 053-043. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Urologie. Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 043-044. S3, Stand 2017. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie. AWMF-Leitlinie Nr. 020-020. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen. AWMF-Leitlinie Nr. 017-066. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
CCC MK 23.08.2021 neue DEGAM-LL Multimedikation berücksichtigt.
CCC MK 07.11.2019, Einzelnennung von Antibiotika entfernt, nach Leserfeedback. Angaben waren veraltet.
Anwendungsbeschränkungen für Chinolone 9.4.19 UB
MK 05.04.2018, Datum an LL HWI geändert
Bewohner*innen in Pflegeeinrichtungen stellen eine für Infektionen besonders vulnerable Gruppe dar.1 Hierfür gibt es verschiedene Gründe:2-4
Immunoseneszenz
Sowohl die unspezifische als auch die spezifische Abwehr sind betroffen.
verminderte Wirksamkeit von Impfungen
Reaktivierung latenter Infektionen
physiologische Veränderungen
z. B. verminderte mukoziliäre Clearance, verminderter Urinfluss/Residualurin
funktionelle Einschränkungen, z. B. Schluckstörungen
Immobilität
Komorbiditäten/Multimorbidität
vermehrter Einsatz von Kathetern und Devices
erleichterte Transmission von Erregern (Mitbewohner*innen, Personal)