Allgemeine Informationen
Definition
- Synonyme: Cheilitis angularis, Perlèche (franz. pourlècher = sich die Lippen lecken)1, Angulus infectiosus, Faulecke
- Deskriptive Diagnose für entzündliche Hautveränderungen der Mundwinkel verschiedener Genese2
- Rhagaden: Überbegriff für Hautfissuren im Bereich von Regionen mit viel Bewegung2
Häufigkeit
- Prävalenz von 0,7 % in der Allgemeinbevölkerung2
- zweigipfelige Verteilung (gehäuft bei Kindern sowie 3.–6. Lebensdekade)
- Geschlechterverhältnis ausgeglichen1
Ätiologie und Pathogenese
- Multifaktorielle Genese mit lokalen und systemischen Faktoren, die häufig in Kombination auftreten.1
Lokale Faktoren
- Infektiöse Ursachen
- Allergische Ursachen
- Kontaktdermatitis für etwa 1/4 der Fälle verantwortlich, z. B. durch:2
- Nickel (bei Patient*innen mit Zahnspangen), Zahnpasta, Kosmetika
- Kontaktdermatitis für etwa 1/4 der Fälle verantwortlich, z. B. durch:2
- Repetitive Verhaltensmuster mit Reizung der Mundwinkel, u. a.:2
- Daumenlutschen, Lippenlecken, aggressive Verwendung von Zahnseide
- Anatomische Ursachen
- Anatomische Varianten, die zu vermehrter Speichelansammlung in Mundwinkeln führen, z. B.:2
- schlecht sitzendes Gebiss
- Retrognathie mit Malokklusion der Zähne
- reduzierter Hautturgor durch starken Gewichtsverlust, Alter oder Rauchen
- Makroglossie (25 % der Patient*innen mit Trisomie 21 leiden unter Mundwinkelrhagaden)
- Anatomische Varianten, die zu vermehrter Speichelansammlung in Mundwinkeln führen, z. B.:2
Systemische Faktoren
- Mangelernährung
- Systemische Erkrankungen1
- Xerostomie als Auslöser für Mundwinkelrhagaden, häufig bei Diabetes mellitus oder Sjögren-Syndrom
- vermehrtes Lecken über Lippen für Befeuchtung
- chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (M. Crohn und Colitis ulcerosa)
- diskoider Lupus erythematodes
- Xerostomie als Auslöser für Mundwinkelrhagaden, häufig bei Diabetes mellitus oder Sjögren-Syndrom
Pathogenese
- Speichel sammelt sich in Mundwinkeln.
- Aufweichung der Haut mit Fissurenbildung
- Sekundärinfektion mit Candida und/oder Staphylokokken
Prädisponierende Faktoren
- Rauchen1
- Prädisponierende Faktoren nach Pleimes4
- atopische und seborrhoische Dermatitis
- Hypersalivation
- Malnutrition (z. B. Eisenmangel)
- Systemerkrankungen, wie Diabetes mellitus
- Anämie
- Immundefizienz
- Medikamente, insbesondere Immunsuppressiva
- beeinträchtigter Mundschluss, insbesondere Fehlstellungen (Lippe, Zähne, Zunge)
- mechanische Dehnung, z. B. Intubation, Zahnuntersuchungen
ICPC-2
- S75 Candidose der Haut
ICD-10
- K13.0 Krankheiten der Lippen inkl.: Angulus infectiosus oris (Perlèche)
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klinische Diagnose durch Anamnese und körperlichen Befund
- Ziel ist Herausfinden der Ursache der Mundwinkelrhagaden, um eine adäquate Therapie zu ermöglichen.
Differenzialdiagnosen
- Lippen-Leck-Ekzem4
- Bei Kindern, scharf begrenzt auf Areale, die mit Zunge erreicht werden.
- Bei Kindern, scharf begrenzt auf Areale, die mit Zunge erreicht werden.
- Atopische Dermatitis4
- Reicht im Gegensatz zum recht scharf begrenzten Lippen-Leck-Ekzem meist bis auf Wangen.
- Periorale Dermatitis4
- klassischerweise bei längerer Anwendung von fettigen Externa
- meist Befund aus monomorphen konfluierenden Papeln
- typisch: Aussparung des direkten Lippenrot-Randbereiches
- Herpes labialis
- Erosiver Lichen ruber
Anamnese
- In den Mundwinkeln spontanes Auftreten von Rötung und schmerzhafter Rissbildung
- Zahnstatus: Tragen von Zahnersatz? Mundhygiene? Einsatz von Zahnseide?
- Beruf/Hygienemaßnahmen: längeres Tragen einer Maske?
- Sonstige Erkrankungen: Anämie, Immuninsuffizienz, Diabetes?
- Raucher: Verwendung von Kautabak?
- Alkoholkonsum?
- Hauterkrankungen: atopisches Ekzem, Psoriasis, Lichen ruber?
- Allergien: Ekzem?
- Medikamente: Anwendung topischer Präparate? Medikamente, die Xerostomie verursachen können, z. B. Anticholinergika?
- Ernährung: Anhalt für Malnutrition?
- Stuhlverhalten: Hinweise für chronisch-entzündliche Darmerkrankung?
Klinische Untersuchung
-
- Anhalt für Anämie?
- blasses Hautkolorit
- blasse Konjunktiva
- Überprüfung der Mundhöhle und ggf. des Zahnersatzes
- Sitz der Zahnprothese?
- Anhalt für schlechte Mundhygiene?
- intraorale Läsionen, z. B. Aphthen (Anhalt für M. Behcet, insbesondere bei Patient*innen mit Abstammung aus dem Nahen und Mittleren Osten).
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Ggf. Abstrich auf Pilze und Bakterien2
- Bei therapierefraktären Beschwerden nach 2–3 Wochen trotz kombinierter antimykotischer/antibiotischer topischer Behandlung:2
- Labor mit Hämoglobin, Eisenstatus, Folsäure, Vitamin B2/B6/B12 und Nüchtern-Blutzucker
Indikationen zur Überweisung
- Überweisung an dermatologische Praxis
- bei therapierefraktären Beschwerden
- Überweisung an zahnärztliche Praxis
- bei schlecht sitzender Zahnprothese
Therapie
Therapieziele
- Schmerzen und Beschwerden lindern.
- Behandlung der zugrunde liegenden Ursache.
Allgemeines zur Therapie
- Die Mehrzahl der Fälle mit infektiöser Genese; empfohlen wird eine probatorische Behandlung mit lokalen Antimykotika oder ggf. Antibiotika.1
- Insbesondere bei rezidivierenden Beschwerden an die Ursache ausgerichtete Therapie
Empfehlungen für Patient*innen
- Gute Mundhygiene sicherstellen.
- optimale Anpassung und hygienische Reinigung von Zahnersatz
- Verzicht auf Nikotin
- Lippenlecken vermeiden.
- Patient*innen, die Steroide inhalieren, sollten nach der Inhalation den Mund spülen.
- Bei Xerostomie Kaugummis oder Bonbons zur Anregung des Speichelflusses
- Auf Stoffe verzichten, die Kontaktallergie auslösen können.
- Mundwinkel regelmäßig mit einem Taschentuch trocken tupfen.5
- Mundwinkel mit Salbeitee abtupfen.5
- Gerbstoffe machen die Haut unempfindlicher.
Medikamentöse Therapie
- Bei Beteiligung von C. albicans (häufigste Ursache)
- topische Therapie mit z. B. Nystatin-haltiger Creme, 2 x/d über 2 Wochen1-2
- häufig in Salben Kombination mit Zink (austrocknender Effekt)
- Bei Beteiligung von S. aureus
- topische Therapie mit z. B. Mupirocin-haltiger Creme, 3–4 x/d über 1–2 Wochen1-2
- Topische Glukokortikoide
- Können zusätzlich Entzündung reduzieren, z. B. Hydrokortison 1-%-Creme 2–3 x/d über 1–2 Wochen1-2
Bei zugrunde liegender Mangelernährung
- Ggf. Eisen- oder Vitaminmangel ausgleichen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- In der Regel rasche Abheilung
- Verlaufskontrolle nach 2 Wochen empfohlen, um bei Persistenz Reevaluation der Ursache und Anpassung der Therapie vorzunehmen.1
Komplikationen
- Sekundärinfektionen
- Chronische oder rezidivierende Verläufe
Prognose
- Kandidose spricht gut auf Antimykotika an.
- Einzelne Episode mit guter Prognose, jedoch häufig Rezidive, insbesondere bei inadäquater Therapie der Ursache.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinie
- Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH). Eisenmangelanämie. AWMF-Leitlinie Nr. 025-021. S1, Stand 2016. www.awmf.org
Literatur
- Pandarathodiyil AK, Anil S, Vijayan SP. Angular Cheilitis - An Updated Overview of the Etiology, Diagnosis, and Management. International Journal of Dentistry and Oral Science 2021; 8(2): 1433-1438. www.researchgate.net
- Federico JR, Basehore BM, Zito PM. Angular Chelitis. StatPearls 2021. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Park KK, Brodell RT, Helms SE. Angular cheilitis, part 1: local etiologies. Cutis 2011; 87: 289-95. pmid:21838086 PubMed
- Pleimes M. Orale und periorale Dermatosen bei Kindern richtig diagnostizieren.. HNO Nachrichten 2020; 50: 20-25. link.springer.com
- Pharmazeutische Zeitung. Rhagaden: Beschwerden ernst nehmen und behandeln. 06.07.2017. www.pharmazeutische-zeitung.de
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).