Eine Blutungsneigung entsteht durch eine Störung des Zusammenspiels von Endothelzellen, Thromboyzten und plasmatischem Gerinnungssystem.1
Zu unterscheiden sind:
angeborene Blutungsneigung
erworbene Blutungsneigung.
Pathophysiologisch können vorliegen:
Störungen der primären Hämostase (Gefäßendothel/Thrombozyten)
Störungen der sekundären Hämostase (plasmatische Gerinnung).
Problemstellung für die Hausärztin/den Hausarzt
Häufig schwierige Differenzierung zwischen normaler und pathologischer Blutung
Auch gesunde Personen haben häufig eine Anamnese mit Nasenbluten, Neigung zu blauen Flecken oder Zahnfleischbluten (26–45 %).2
Bei Personen mittleren Alters beträgt die Wahrscheinlichkeit einer leichten Blutung ca. 5–8 % pro Jahr bzw. 40 % in 10 Jahren.3
Eine erhöhte Blutungsneigung kann sich auf unterschiedliche Weise präsentieren:4
spontanes Blutungsereignis (z. B. Epistaxis, Petechien)
verstärkte/verlängerte Blutung nach einem Trauma
zufällige Erhebung eines anomalen Gerinnungslabors bei einer Konsultation aus anderem Grund
Abklärung wegen einer Familienanamnese mit Blutungsstörung.
Häufigkeit
Zu den am häufigsten erworbenen Blutungsneigungen gehören die medikamentös bedingten Störungen der Funktion von Thrombozyten und plasmatischem Gerinnungssystem.3
Angeborene Blutungsneigungen kommen ca. in einer Häufigkeit von 1:200 vor.3
Neben der hereditären Form gibt es ein deutlich selteneres erworbenes VWS u. a. bei lympho- und myeloproliferativen Erkrankungen und Aortenklappenstenose.6
Angeborene Thrombozytopathien
Heterogene Gruppe von seltenen Erkrankungen, die als Teil eines Syndroms oder isoliert als hämorrhagische Diathese auftreten.7
Schwierig zu diagnostizieren, Thrombozytenstörungen bleiben häufig bis zum Auftreten von Blutungen unentdeckt, insbesondere wenn keine Thrombozytopenie vorliegt.7
Klinisch zumeist leichte bis moderate Blutungsneigung, Auslösung v. a. durch Medikamente, Operationen oder andere Herausforderungen der Hämostase7
Bernard-Soulier-Syndrom
Mangel an VWF-Rezeptor an der Thrombozytenoberfläche3
zudem Störung der Thrombozytenmembran mit erhöhter Thrombozytengröße und verminderter Anzahl3,7
Glanzmann-Thrombasthenie
Störung der Aggregation durch Verminderung oder Fehlen der GpIIb/IIIa-Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche3
Einteilung je nach Restaktivität des Gerinnungsfaktors in 3 Schweregrade:3,10
leichte Form (Restaktivität > 5 %): im Alltag meist asymptomatisch, Blutungen z. B. nach chirurgischen Eingriffen
mittelschwere Form (Restaktivität 1–5 %): Blutungen nach Bagatelltraumen
schwere Form (Restaktivität < 1 %): spontane Gelenk- und Muskelblutungen.
Hämophilie A
Mangel an Faktor VIII
häufigere Form der Hämophilie, Prävalenz ca. 1:10.000
Hämophilie B
Mangel an Faktor IX
seltenere Form, Prävalenz ca. 1:50.000
Sonstige
Weitere Erkrankungen mit Faktormangel sind im Gegensatz zu den eigentlichen Hämophilien autosomal-rezessiv vererbt.
Faktor-VII-Mangel: häufig mit einer Prävalenz Heterozygoter von 1:700, symptomatisch werden allerdings nur Homozygote mit < 2 % Restaktivität (Prävalenz ca. 1:500.000).
Weitere angeborene Störungen mit niedriger Prävalenz (jeweils ca. 1:1.000.000):3
Faktor-II-Mangel
Faktor-V-Mangel
kombinierter Mangel an Faktor V und VIII
kombinierter Mangel an Faktor II, VII, IX und X
Faktor-X-Mangel
Faktor-XI-Mangel
Faktor-XII-Mangel (keine Blutungsneigung, nur Verlängerung der aPTT)
Faktor-XIII-Mangel
keine Veränderung von lNR und aPTT beim Faktor-XIII-Mangel1
typisch sind Wundheilungsstörungen mit Keloidbildung1
Durch eine detaillierte Anamnese kann der Verdacht auf eine Blutungsneigung gestellt werden.
Fragen zur Identifizierung von Patienten mit verstärkter Blutungsneigung1
Eine positive Blutungsanamnese liegt vor, wenn mindestens 1 der folgenden Fragen mit „Ja“ beantwortet wird.1
Haben Sie bei sich selbst vermehrt Nasenbluten, auch ohne erkennbaren Grund, festgestellt?
Treten oder traten bei Ihnen vermehrt – ohne sich anzustoßen – „blaue Flecken“ oder kleine, punktförmige Blutungen auf? Wenn Sie diese Frage mit „Ja“ beantwortet haben, geben Sie bitte an, ob diese Symptome auch am Körperrumpf oder an anderen, für Sie ungewöhnlichen Stellen aufgetreten sind.
Haben Sie bei sich selbst Zahnfleischbluten ohne erkennbaren Grund festgestellt?
Treten Blutungen oder blaue Flecken mehr als 1- bis 2-mal pro Woche auf?
Haben Sie den Eindruck, dass es bei Schnitt- oder Schürfwunden (z. B. Rasieren) länger nachblutet?
Traten bei Ihnen bereits einmal längere und verstärkte Nachblutungen nach oder während Operationen (z. B. Mandeloperationen, Blinddarmoperationen, Geburten) auf?
Traten bei Ihnen längere und verstärkte Nachblutungen nach dem Zähneziehen oder während des Zähneziehens auf?
Wurden Ihnen bei einer Operation bereits einmal Blutkonserven oder Blutprodukte gegeben? Bitte geben Sie die Art der Operation(en) an.
Gab oder gibt es in der Familie Fälle von Blutungsneigungen?
Nehmen Sie Schmerz- oder Rheumamittel ein? Wenn ja, bitte Namen der Medikamente eintragen.
Nehmen Sie weitere Medikamente ein? (Ein „Ja“ ist bei dieser Frage nur relevant, wenn es sich um blutgerinnungshemmende Medikation handelt.)
(Nur von Frauen zu beantworten): Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Monatsblutungen verlängert (>7 Tage) und/oder verstärkt (häufiger Tamponwechsel) sind?
Scores
Es gibt verschiedene Score-Systeme zur Quantifizierung einer Blutungsneigung.
Am bekanntesten ist ISTH-BAT (International Society on Thrombosis and Hemostasis – Bleeding Assessment Tool)11-12
14 Fragen mit jeweils 0–4 Punkten
Der ISTH-BAT-Score ist positiv bei > 3 Punkten für Männer und > 5 Punkten für Frauen.
Vorhandensein von Antiphospholipid-Antikörpern (Lupusantikoagulanz), aPTT erhöht trotz klinisch erhöhter Thromboseneigung
Antikoagulanzientherapie
unfraktioniertes Heparin
Thrombininhibitoren (Dabigatran)
Evtl. Blutungszeit
Bei normaler INR und aPTT, aber klinischer Blutungsneigung ist eine primäre Hämostasestörung wahrscheinlich (Thromboyztenfunktionsstörung, Willebrand-Syndrom).
orientierende Untersuchung der primären Hämostase durch Bestimmung der Blutungszeit
z. B. Blutungszeit nach Duke: Inzision des Ohrläppchenrandes mit Lanzette und Aufnahme des austretenden Bluts mit Tupfer oder Filterpapier ca. alle 15 s (normale Blutungszeit 3–5 min)
Bei milderen Formen des VWS Blutungszeit sehr variabel und häufig im Normbereich!8
insgesamt der am wenigsten zuverlässige Screeningtest wegen begrenzter Reproduzierbarkeit und Sensitivität14
Leber- und Nierenwerte
Erweiterte Diagnostik
Die erweiterte Diagnostik umfasst vor allem auch die Bestimmung einzelner Gerinnungsfaktoren und die genauere Abklärung der Thrombozytenfunktion3
Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH). Diagnose von Thrombozytenfunktionsstörungen – Thrombozytopathien. AWMF-Nr. 086–003. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH). Thrombozytopathien, Therapie, AWMF-Nr. 086–004. S2k, Stand 2014. www.awmf.org
Literatur
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Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung. Thrombozytopathien, Therapie. AWMF-Leitlinie 086-004. Stand 2014. www.awmf.org
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Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung. Diagnose von Thrombozytenfunktionsstörungen - Thrombozytopathien. AWMF-Leitlinie 086-003. Stand 2018. www.awmf.org
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Autoren
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Eine Blutungsneigung entsteht durch eine Störung des Zusammenspiels von Endothelzellen, Thromboyzten und plasmatischem Gerinnungssystem.1 Zu unterscheiden sind:
angeborene Blutungsneigung
erworbene Blutungsneigung.
Blut
Blutungsneigung
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