Definition:Infektion in den oberen Harnwegen, meistens von den unteren Harnwegen aszendierend.
Häufigkeit:Etwa 1 von 1.000 jährlich, Frauen häufiger als Männer.
Symptome:Typische Symptome sind Flankenschmerzen und Fieber, fakultativ Übelkeit/Erbrechen und Symptome einer Zystitis.
Befunde:Häufig klopfschmerzhafte Nierenlager, evtl. Fieber. Die Pyelonephritis kann Abwehrspannung verursachen, andere Ursachen für die Abwehrspannung müssen aber ausgeschlossen werden.
Diagnostik:Am wichtigsten sind Anamnese, klinische Untersuchung und Urinkultur mit Resistenztestung. Mit Ultraschall sollten komplizierende Faktoren wie Stenosen ausgeschlossen werden.
Therapie:Antibiotische Therapie, i. d. R. mit Fluorchinolonen (Ciprofloxacin, Levofloxacin) oder Cefpodoxim über 5–10 Tage.
Allgemeine Informationen
Definition
Die Pyelonephritis ist eine Infektion der oberen Harnwege, d. h. von Nierenparenchym und Nierenbecken.1-2
Kann akut, rezidivierend oder chronisch verlaufen.
Unkompliziert
Eine Harnwegsinfektion wird als unkomplizierte Harnwegsinfektion eingestuft, wenn im Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Anomalien, keine relevanten Nierenfunktionsstörungen und keine relevanten Begleiterkrankungen vorliegen, die eine Harnwegsinfektion bzw. gravierende Komplikationen begünstigen.21
Kompliziert
Komplizierte Nierenbeckenentzündungen kommen relativ häufig vor bei Männern, älteren Menschen, Schwangeren, bei zugrunde liegenden anatomischen oder physiologischen Dispositionen, immunsupprimierten Personen, Obstruktion und Katheterisierung.32
Häufigkeit
Die Inzidenz für akute Nierenbeckenentzündung in Deutschland wird mit 1 von 1.000 Personen jährlich angegeben, Grundlage sind Versicherungsdaten.21
Die Erkrankung tritt am häufigsten bei Frauen auf.43
Die akute Nierenbeckenentzündung tritt bei 1–2 % der Schwangeren auf.
Möglicherweise erhöht sie das Risiko für eine Frühgeburt und weitere Schwangerschaftskomplikationen.21,54
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologisches Agens
E. coli wird in ca. 60–80 % der Pyelonephritis-Fälle nachgewiesen und ist damit der häufigste Erreger, der in der Hausarztpraxis vorkommt32,6-75, bei älteren Patient*innen etwas seltener (40–60 %).
Es folgen Proteus mirabilis und Klebsiella pneumoniae, seltener werden andere Enterobakterien oder Staphylokokken im Urin nachgewiesen.75-6
Klebsiella sp., Proteus mirabilis und Enterobacter sp. machen zusammen ca. 10–15 % der Pyelonephritis-Fälle in der hausärztlichen Versorgung aus.
Häufigster Erreger bei Kindern ist ebenfalls E. coli, seltener Proteus mirabilis.75
Pathogenese
Es handelt sich in der Regel um eine von den unteren Harnwegen aufsteigende Infektion.
Die hämatogene Ausbreitung ins Nierenbecken/in die Nieren kommt selten vor und meistens bei immunsupprimierten und chronisch kranken Patient*innen.
Komplizierte Fälle
Sind oft bei älteren Menschen, bei Patient*innen mit Diabetes mellitus und immunsupprimierten Personen zu beobachten.32
Multiresistente Erreger
Folgende Patientengruppen tragen ein erhöhtes Risiko einer Infektion mit multiresistenten Erregern. Für sie gelten gesonderte Therapieempfehlungen:21
stattgehabte Kontakte mit dem Gesundheitssystem innerhalb der letzten 90 Tage
Bei Männern liegt oft eine Obstruktion wegen vergrößerter Prostata mit unvollständiger Blasenentleerung oder altersbedingter Reduktion antibakterieller Aktivität im Prostatasekret vor.18
Nierentransplantation: Innerhalb von 2 Monaten nach der Operation hatten 30–50 % der Patient*innen eine akute Pyelonephritis aufgrund von Immunsuppression und vesikoureteralem Reflux nach der Operation.9
Definitionsgemäß handelt es sich bei vielen dieser Patient*innen um eine komplizierte Harnwegsinfektion, bei der Komplikationen wahrscheinlicher sind.2
ICPC-2
U70 Pyelonephritis/Pyelitis
ICD-10
N12 Tubulointerstitielle Nephritis, nicht als akut oder chronisch bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Klinik: Voraussetzung für eine Diagnose. Laut Definition gibt es keine asymptomatische Harnwegsinfektion.21
Auch die Differenzierung zwischen unterer und oberer Harnwegsinfektion erfolgt ausschließlich über die Klinik.21
Urindiagnostik: Bei Verdacht auf Pyelonephritis sollte eine Urindiagnostik mit Teststreifen und Anlage einer Urinkultur zur Erregerbestimmung und Resistenztestung erfolgen.21
Sonografie: Sollte zum Ausschluss komplizierender Faktoren erfolgen.21
Differenzialdiagnosen
Appendizitis: Druck- und Loslassschmerz in der rechten Fossa iliaca, rektale Empfindlichkeit
DasDie Symptomspektrumklinische Präsentation bei akuter Nierenbeckenentzündung ist umfangreich und reichtkann von leichter Erkrankung bis zur Sepsis variieren.810
Eine Harnwegsinfektion ist wahrscheinlich beim Vorhandensein folgender Zeichen:21
Frauen sollten nach vaginalen Beschwerden gefragt werden. Beim Vorhandensein sollten andere Differenzialdiagnosen in Erwägung gezogen werden und ggf. eine gynäkologische Untersuchung erfolgen.21
Kinder und ältere Menschen
Können asymptomatisch sein oder lediglich einen reduzierten Allgemeinzustand haben.
1/3atypische derSymptome
Verschlechterung älterendes Patient*innen sind fieberfreiAllgemeinzustandes
Eine Cochrane-Metaanalyse fand, dass bei Kindern BSG, CRP und Procalcitonin nicht zur Unterscheidung zwischen oberer und unterer Harnwegsinfektion empfohlen werden können. Es scheint jedoch eine Korrelation des Procalcitonins mit einer Pyelonephritis zu geben. Bei niedrigem CRP (< 20 mg/l [ < 190 nmol/l]) ist die Wahrscheinlichkeit einer Pyelonephritis gering (< 20 %).14
Eine französische Studie kam zu dem Ergebnis, dass das CRP nicht hilfreich zum Management einer Pyelonephritis ist.1512
Blutkulturen sind bei 12 % der hospitalisierten Patient*innen mit Pyelonephritis positiv. Eine Abnahme von Blutkulturen wird nur bei drohender Urosepsis empfohlen, da sie sonst keine prognostische oder therapeutische Konsequenz haben.21
Diagnostik bei Spezialist*innen
Ultraschall
WennBei einatypischem Verlauf oder Verdacht auf Obstruktion oder Steine vorliegt.
Bei Verdacht auf Harntransportstörungen (z. B. vermehrter Restharn) ist durch weitergehende Untersuchungen (z. B. Sonografie) der Ausschluss von komplizierendenkomplizierende Faktoren notwendig.2
Bei fehlender klinischen Besserung 72 Stunden nach Behandlungsbeginn
Therapie
Therapieziele
Infekt sanieren.
Dauer und Schweregrad der Infektion reduzieren.
Mögliche Komplikationen verhindern bzw. begrenzen.
Allgemeines zur Therapie
DieBei meistenunkomplizierter Patient*innenPyelonephritis, kKreislaufstabilität, Fehlen von Erbrechen und sichergestellter Versorgung ist eine ambulante Behandlung mönnen außerhalb des Krankenhauses behandelt werdenglich.1710
Vor Beginn der Behandlung sollten immer eine bakteriologische Untersuchung und Resistenzbestimmung des Urins durchgeführt werden.
Bedingt durch die Häufigkeit der Erkrankung richten sich die Therapieempfehlungen für die unkomplizierte Zystitis auch danach, einer Resistenzentwicklung vorzubeugen. Dies rückt bei der komplizierten Harnwegsinfektion in den Hintergrund, da diese seltener ist und potenzielle Komplikationen schwerwiegender.
Eine rechtzeitig eingeleitete wirksame Therapie kann möglicherweise einen Nierenparenchymschaden vermeiden.75
Bei atypischem Verlauf oder Verdacht auf komplizierende Faktoren sollte eine urologische Untersuchung erfolgen.
Bei urogenitalen Fehlbildungen/Abflusshindernissen sind wahrscheinlich Therapien > 7 Tage vorzuziehen.1814
Bei immunsupprimierten Personen sind 14–21 Tage angezeigt.9
Männer mit rezidivierenden Infektionen brauchen ggf. eine 6-wöchige Behandlung.1
Kinder
Bei kindlicher Pyelonephritis können frühzeitig permanente Nierenschäden auftreten.7 Eine schnelle antibiotische Behandlung von Harnwegsinfekten ist bei kleinen Kindern wichtig, um Nierenparenchymschäden zu vermeiden.75,15
Bei schwerem Verlauf und im frühen Säuglingsalter kannist initial eine parenterale Therapie indiziert sein. Nach Ansprechen der Therapie und Vorliegen des Resistogramms kann auf eine gezielte orale Behandlung umgestellt werden.75,15
Bei Pyelonephritis jenseits des Säuglingsalters kann die antibakterielle Behandlung mit einem Oralcephalosporin der Gruppe 3 ambulant erfolgen. Voraussetzungen sind eine gute Compliance und die engmaschige ärztliche Betreuung.15
Die Behandlung an das Ergebnis von Kultur und Resistenzbestimmung anpassen.
Medikamentöse Therapie
Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen: Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung. Keine Kombination mit Kortikosteroiden. Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.1916
Leitlinie: Empirische Antibiotikatherapie bei unkomplizierter Pyelonephritis21
Leichte bis mittelschwere Pyelonephritis bei gesunden Erwachsenen (keine Risikofaktoren, keine Schwangerschaft)
Orale Therapie
Ciprofloxacin 500–750 mg 2 × x tgl. über 7–10 Tage
Levofloxacin 750 mg 1 × x tgl. über 5 Tage
Cefpodoxim-Proxetil 200 mg 2 × x tgl. über 10 Tage
Cefpodoxim wird in der DEGAM-Leitlinie als gleichwertige Therapieoption genannt.107
Bei klinischer Besserung nach 72 Stunden Fortsetzung der Behandlung; bei fehlender Besserung Umstellung auf parenterale Therapie mit anderen Antibiotika, möglichst nach Resistogramm (s. u.)
Urinkultur am 4. Therapietag und ca. 10 Tage nach Therapieende
Schwere Pyelonephritis bei gesunden Erwachsenen (keine Risikofaktoren, keine Schwangerschaft)
Stationäre Behandlung
Initial parenterale Gabe, bei Besserung nach 72 Stunden Umstellung auf orale Therapie nach Antibiogramm
Mittel der 1. Wahl zur Initialtherapie
Cefotaxim 2 g 3 × x tgl. i. v.
Ceftriaxon (1–)2 g 1 × x tgl. i. v.
Ciprofloxacin 400 mg (2–)3 × x tgl. i. v.
Levofloxacin 750 mg 1 × x tgl. i. v.
Mittel der 2. Wahl zur Initialtherapie
Amoxicillin/Clavulansäure 2,2 g 3 × x tgl. i. v.
Amikacin 15 mg/kg 1 × x tgl. i. v.
Gentamicin 5 mg/kg 1 × x tgl. i. v.
Cefepim (1–)2 g 2 × x tgl. i. v.
Ceftazidim (1–)2 g 3 × x tgl. i. v.
Ceftazidim/Avibactam 2,5 g 3 × x tgl. i. v.
Ceftolozan/Tazobactam 1,5 g 3 x tgl. i. v.
Piperacillin/Tazobactam 4,5 g 3 × x tgl. i. v.
Ertapenem 1 g 1 x tgl. i. v.
Imipenem/Cilastatin 1 g/1 g 3 x tgl. i. v.
Meropenem 1 g 3 x tgl. i. v.
Bei Patient*innen mit einem erhöhten Risiko für eine Infektion mit multiresistenten Erregern kann eine initiale Behandlung mit Antibiotika der 2. Wahl gerechtfertigt sein.
Urinkultur am 4. Therapietag und ca. 10 Tage nach Therapieende
Über den in der Regel gutartigen Verlauf bei adäquater Behandlung
Über notwendige Verlaufsuntersuchungen
Darüber, dass sie sich zeitnah erneut vorstellen sollten, sofern sich der Zustand weiter verschlechtert oder nach 2–3 Tagen keine deutliche Besserung eingetreten ist.
Über Möglichkeiten, Harnwegsinfektionen vorzubeugen.
Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU). Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 043-044. S3, Stand 2017. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Brennen beim Wasserlassen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org
Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Infektionstherapie e.V. (PEG). Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018. AWMF-Leitlinie Nr. 082-006, S2k, Stand 2017. www.awmf.org
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Autor*innen
Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
Dietrich August, Arzt, Freiburg im Breisgau
Klaus Gebhardt, Arzt für Allgemeinmedizin, Bremen (Review)
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
CCC MK 14.09.2021 Cefpodoxim lt. DEGAM gleichwertig.
BBB 23.05.2019 laut BfArM keine Anwendungsbeschränkung für Chinolone bei Pyelonephritis
BBB 09.04.2019 Anwendungsbeschränkung für Chinolone
CCC MK 25.09.2018, neue DEGAM-LL
CCC MK 09.11.2022 revidiert, wenige Änderungen.
Revision at 28.09.2015 20:18:33:
German version, reviewed, chck go 11.8.
MK 06.10.17, neue LL HWI
6.10.17 DEGAM Gebhardt
OK von Gebhardt 1.10.18
Definition:Infektion in den oberen Harnwegen, meistens von den unteren Harnwegen aszendierend. Häufigkeit:Etwa 1 von 1.000 jährlich, Frauen häufiger als Männer.