BBB MK 09.04.2019 Anwendungsbeschränkung für Chinolone
U-MK 23.05.2018
CCC MK 02.10.2018, LL genauer eingebaut nach Leser-Anfrage
BBB MK 13.01.2022 neue LL, umfassend revidiert und umgeschrieben.
BBB MK 10.07.2019, Divertikulitis zu einem Extra-Artikel abgespalten (nach DEGAM-Evaluation)
chck go 18.5. MK 17.11.16 Diagnostik zum Spezialisten, MK 20.02.17: AB-Therapie nach D LL, N entfernt
Multiple Ausstülpungen der Darmschleimhaut
Divertikel
Divertikelblutung
Kolondivertikel
Sigmadivertikel
SUDD
SCAD
Zusammenfassung
Definition:Multiple Ausstülpungen der Darmschleimhaut. Ursachen: Darmwandschwäche, gestörte Darmmotilität, ballaststoffarme Ernährung und genetische Prädisposition.
Häufigkeit:Steigt mit zunehmendem Alter an, ist aber schwer zu ermessen, da die Divertikulose meist asymptomatisch verläuft, vermutlich zwischen 28–45 %.
Symptome:Meist asymptomatisch (75–80 %). Stuhlveränderungen, linksseitige kolikartige Unterbauchschmerzen, die sich nach Abgang von Stuhl oder Blähungen bessern. Bei Divertikelblutung Abgang von hellrotem Blut.
Befunde:Meist keine typischen Befunde.
Diagnostik:Koloskopie.
Therapie:Normalerweise keine Behandlung nötig; Aufklärung der Patient*innen. Bei Blutung in 10 % Blutstillung nötig, meist endoskopisch.
Allgemeine Informationen
Definition
Diese Referenzen beziehen sich auf den gesamten Abschnitt.1-2
Divertikulose
erworbene Ausstülpungen der Mukosa und Submukosa durch muskelschwache Lücken der Kolonwand; häufig im Sigma, aber auch im deszendierenden Kolon lokalisiert
asymptomatisch, per se keine Erkrankung
Divertikelkrankheit
bei Symptomen, einer Entzündung und/oder Komplikationen
bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit (SUDD) Schmerzen mit Bezug auf das divertikeltragende Segment
Kann mit segmentaler Kolitis (SCAD) assoziiert sein (seltene endoskopisch sichtbare inflammatorische Schleimhautläsionen).
Diese Referenz bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.1
Altersverteilung der Divertikulose
Für westliche Industrienationen werden folgende Prävalenzen angegeben:
ca. 13 % für Personen unter 50 Jahren
ca. 30 % für Personen zwischen 50 und 70 Jahren
ca. 50 % für Personen zwischen 70 und 85 Jahren
ca. 66 % für Personen älter als 85 Jahre.
Die Prävalenz der Divertikulose bzw. der Divertikelkrankheit nimmt mit dem Alter stark zu, bei aktuell stärkerer Zunahme der Inzidenz in jüngeren Altersgruppen.
Die Hospitalisierungsrate aufgrund einer Divertikelkrankheit (Divertikulitis, Blutungen) nimmt mit dem Lebensalter zu.
Geschlechtsverteilung bei der Divertikulose: Die Daten sind inhomogen.
Geografische Unterschiede bei der Divertikulose/Divertikulitis
hohe Prävalenz in den westlichen Industrienationen
in den westlichen Industrienationen Zunahme der Hospitalisierungsrate in den letzten Jahrzehnten
Die rechtsseitige Divertikulose unterscheidet sich von der linksseitigen Divertikulose durch geografische Verteilung, klinische Symptomatik und Verlauf (rechtsseitige Divertikel gehäuft bei Menschen asiatischer Abstammung).
80 % der Divertikulose-Betroffenen haben Symptome i. S. einer symptomatischen unkomplizierten Divertikelkrankheit (SUDD).
Bei der Divertikulose und der Divertikelkrankheit liegt häufig eine Verdickung der Darmwandmuskulatur vor.
Es gibt Hinweise darauf, dass bei der Divertikulose und der Divertikelkrankheit
Veränderungen des Gehalts, der Zusammensetzung und Verknüpfung von Bindegewebsfasern sowie ein gestörter Metabolismus der bindegewebigen Matrix vorliegen.
eine enterische Neuropathie vorliegt, die durch strukturelle Veränderungen des enterischen Nervensystems und Störungen im enterischen Neurotransmittersystem gekennzeichnet ist.
Passend zu den neuropathischen und myopathischen Veränderungen der Darmwand finden sich zumindest bei einem Teil der Patient*innen mit Divertikulose und Divertikelkrankheit Störungen der Motilität und Sensitivität des Kolons.
Neben Umweltfaktoren spielt auch eine genetische Prädisposition eine wichtige Rolle.
Das intestinale Mikrobiom scheint für die Entstehung von Divertikeln keine Rolle zu spielen, jedoch könnte es für die Progression zur Divertikelkrankheit einen pathogenen Kofaktor darstellen.
Derzeit ist unbekannt, ob eine mukosale/subklinische Entzündung (Low Grade Inflammation) eine pathogene Rolle bei der Divertikulose spielt bzw. ob sie sich zur Divertikulitis weiterentwicklen kann.
Die Entstehung von Divertikeln und der Verlauf der Divertikelkrankheit wird durch nicht beeinflussbare pathogenetische Faktoren und durch beeinflussbare Risikofaktoren bestimmt.
Treten meist ohne das Vorliegen einer Divertikulitis auf und sind oft im Sigma lokalisiert.
Blutungsquelle sind intramurale Äste der Marginalarterie im Bereich des Divertikelhalses, die aufgrund mechanischer Einwirkungen rupturieren.
arterielle Divertikelblutungen (35 %) und Angiodysplasien (21 %)
Pathologie der Divertikulose
Dickdarmdivertikel entstehen in typischen parallelen Reihen zwischen den Taeniae coli als Folge einer Muskelwandschwäche. Dies geschieht bevorzugt an den Durchtrittstellen der Blutgefäße (Vasa recta) in die Schleimhaut.
Bei Herniation liegen die Vasa recta auf der Divertikelaußenseite exponiert und können verletzt werden.
Divertikel haben normalerweise einen Durchmesser von 5–10 mm, sie können aber auch breiter als 2 cm werden.
Häufig sind die Divertikel im Sigma und im Colon descendens (90 %) zu finden, seltener in höheren Darmabschnitten (15 %). Das gilt vor allem, im Gegensatz zu Asien, für Europa und die USA3 und für Patient*innen unter 60 Jahren.4
Prädisponierende Faktoren
Diese Referenz bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.1
Divertikulose
nicht beeinflussbare Faktoren
Alter (Zunahme der Prävalenz der Divertikulose mit dem Alter)
Der Zusammenhang zwischen Reizdarmsyndrom und symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit (SUDD) ist kontrovers.1-2
SUDD kann nicht sicher vom Reizdarmsyndrom differenziert werden.
Laut Leitlinie kann die Abgrenzung zum Reizdarm gelingen durch definierte lokale auf ein Divertikel tragendes Kolonsegment projezierbaren Druckschmerz im Gegensatz zur nicht klar lokalisierten Symptomatik beim Reizdarm.1
Altersspektrum bei SUDD und Reizdarm unterschiedlich, Reizdarmsymptomatik eher bei jüngeren Patient*innen (20–30 Jahre)
bei SUDD minimal erhöhte Entzündungsmarker (Calprotectin) im Stuhl
Symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD) ist durch Schmerzen gekennzeichnet, die einen Bezug auf das divertikeltragende Segment haben (betrifft 20 % der Betroffenen mit Divertikulose).
Flatulenz oder Stuhlentleerung bringen Erleichterung.
Medikamenteneinnahme (erhöhtes Perforationsrisiko unter NSAR, Kortikosteroiden, Immunsuppression und Opiaten; erhöhtes Blutungsrisiko unter Thrombozytenaggregationshemmern, NSAR und Antikoagulanzien)
Divertikulose kann mit segmentaler Kolitis (SCAD) assoziiert sein (selten).
asymptomatisch oder Hämatochezie (frisches Blut im Stuhl), Diarrhö oder abdominelle Schmerzen
Divertikelblutung
Schweregrad der Blutung
Farbe des Blutes (hellrot)
Risikofaktoren für prolongierte Blutungen und Rezidivblutungen (arterielle Hypertonie, Thrombozytenaggregationshemmung, Antikoagulanzien- und NSAR-Einnahme)
Meist schmerzlos
Blutungen setzen plötzlich und ohne vorherige Symptome ein.
Klinische Untersuchung
Diese Referenz bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.1
Divertikelkrankheit
Meist kein klinischer Befund; evtl. Schmerz- und Druckempfindlichkeit im linken Unterbauch
Blutungen
Beurteilung des Schockindexes
Anämiezeichen
Kardiovaskuläre Risikofaktoren und andere Komorbiditäten
Palpation des Abdomens
Rektale Untersuchung
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Divertikelkrankheit
Labor
Calprotectin bei symptomatischer Divertikulose diskret erhöht, aber unspezifisch; nicht zum Nachweis einer SUDD geeignet, evtl. zur Abgrenzung von einem Reizdarmsyndrom
Diagnostik bei Spezialist*innen
Divertikulose
Koloskopie
Divertikulose häufig Zufallsbefund bei Koloskopie wegen einer anderen Fragestellung
sichere Diagnosestellung und Gewebeentnahmen möglich
Symptomfreie Divertikel können okkulte Blutungen verursachen, andere Blutungsquellen sollen ausgeschlossen werden.
Bei unterer gastrointestinaler Blutung mit hämodynamischer Instabilität sollte begleitend zur Stabilisierung des Kreislaufs nach Ausschluss einer anorektalen und gastralen Blutungsquelle (Proktorektoskopie, Gastroskopie) eine Koloskopie innerhalb von 12 Stunden nach Aufnahme erfolgen.
Bei hämodynamisch stabilen Patient*innen soll eine Koloskopie innerhalb von 12–24 Stunden erfolgen.
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
Patient*innen mit einer hämodynamisch relevanten Divertikelblutung und/oder mit Risikofaktoren für eine prolongierte oder starke Blutung sollten stationär aufgenommen werden.
Checkliste zur Überweisung
Divertikelkrankheit
Zweck der Überweisung
Bestätigung der Diagnose?
Anamnese
Beginn und Dauer? Verlauf? Wurde die Diagnose bereits früher gestellt: wann und wie? Bereits früherer Krankenhausaufenthalt aufgrund von Komplikationen?
Evtl. andere diagnostische Befunde, z. B. Endoskopie, CT, Ultraschall?
Therapie
Therapieziele
Divertikulose
Über die Erkrankung aufklären.
Divertikelkrankheit
Symptome und Komplikationen reduzieren.
Divertikelblutung
Blutung stoppen und Kreislaufversagen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
Diese Referenz bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.1
Divertikelkrankheit
Eine akute unkomplizierte Divertikelkrankheit (CDD Typ 1a und 1b) soll primär konservativ behandelt werden.
Keine ausreichende Evidenz für die Empfehlung einer ballaststoffreichen Diät oder von Ballaststoffsupplementen in der Therapie der symptomatisch unkomplizierten Divertikelkrankheit (SUDD).
Empfehlung zu einer ballaststoffreichen Kost aufgrund allgemeingültiger Ernährungsempfehlungen
Divertikelblutung
Die Therapie hängt vom Umfang der Blutung und evtl. Begleiterkrankungen ab.
endoskopische Blutstillung, ggf. Laparotomie
Flüssigkeits- und Blutzufuhr, Sauerstoffgabe
Empfehlungen für Patient*innen
Divertikelkrankheit
Empfehlung zu einer ballaststoffreichen Kost aufgrund allgemeingültiger Ernährungsempfehlungen1
Medikamentöse Therapie
Divertikelkrankheit
Indikation: Behandlung von Symptomen, besonders der Schmerzen
Mesalazin (oral, off label, keine Dosisangabe in der Leitlinie)1
Mesalazin kann laut Leitlinie zur Behandlung von akuten Episoden der unkomplizierten Divertikelkrankheit (CDD Typ 1a) erwogen werden.
Eine intermittierende Gabe von Mesalazin kann zur symptomatischen Verbesserung und zur Verhinderung symptomatischer Episoden bei chronischer unkomplizierter Divertikelkrankheit gegeben werden.
Die segmentale Kolitis assoziiert mit Divertikulose (SCAD) kann mit Mesalazin behandelt werden.
Eine Therapie der akuten und chronischen unkomplizierten Divertikelkrankheit mit Rifaximin oder mit Probiotika kann nicht empfohlen werden.1
Interventionelle oder operative Therapie
Divertikelblutung
Häufigste Quelle für Blutungen aus dem Kolon
In über 90 % sistieren Divertikelblutungen spontan.
Die restlichen 10 % können lebensbedrohlich sein und müssen interventionell oder operativ behandelt werden.
Eine identifizierbare (definitive) Divertikelblutung bei der Koloskopie stellt eine Indikation zur endoskopischen Blutstillung dar.
Bei Patient*innen mit anhaltender Blutung oder bei klinisch relevantem Blutungsrezidiv nach initialer endoskopisch erreichter Hämostase soll eine endoskopische, eine operative oder eine radiologisch-interventionelle Therapie erfolgen.
Bei Patient*innen mit rezidivierender, hämodynamisch wirksamer Divertikelblutung und der Notwendigkeit der lebenslangen Antikoagulation kann es indiziert sein, im Intervall elektiv eine partielle Kolektomie durchzuführen.
In der besonderen und bedrohlichen Situation, dass bei schwerer aktiver Blutung weder endoskopisch noch angiografisch eine Blutungslokalisation gelingt, ist eine chirurgische Exploration, ggf. mit Kolektomie (Absetzung am terminalen Ileum und im oberen Rektumdrittel) gerechtfertigt.
Bei einer eindeutig lokalisierbaren, rezidivierenden oder unstillbaren Divertikelblutung kann eine segmentale Resektion durchgeführt werden.
Regelmäßige körperliche Aktivität, Erhalt von Normalgewicht und ballaststoffreiche Kost, reich an Obst, Gemüse und Zerealien können zur Primärprophylaxe der Divertikulose empfohlen werden.
Verzehr von rotem Fleisch sollte eingeschränkt werden.
kein Zusammenhang mit dem Verzehr von Nüssen, Körnern, Mais und Popcorn oder Kaffeekonsum
Regelmäßige Einnahme von Kortikosteroiden, Opioiden, postmenopausaler Hormonsubstitution und NSAR (nicht Coxibe) ist mit einem erhöhten Risiko für Divertikelkrankheit und Divertikulitis assoziiert.
Die Risikoassoziation für Paracetamol bezieht sich vor allen Dingen auf Divertikelblutungen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Die Divertikulose bleibt bei 75–80 % der Patient*innen asymptomatisch.3
In über 90 % sistieren Divertikelblutungen spontan.1
Die restlichen 10 % können lebensbedrohlich sein und müssen interventionell oder operativ behandelt werden.
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e. V. (DGAV). Divertikelkrankheit/Divertikulitis. AWMF-Leitlinie Nr. 021-020. S3, Stand 2021. www.awmf.org
European Society of Coloproctology: guidelines for the management of diverticular disease of the colon. 07 July 2020. onlinelibrary.wiley.com
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e. V. (DGAV). Divertikelkrankheit/Divertikulitis. Stand 2021. AWMF-Leitlinie Nr. 021-020 www.awmf.org
European Society of Coloproctology: guidelines for the management of diverticular disease of the colon. 07 July 2020. onlinelibrary.wiley.com
Stollman N, Raskin JB. Diverticular disease of the colon. Lancet 2004; 363: 631-9. PubMed
Farrell RJ, Farrell JJ, Morrin MM. Diverticular disease in the elderly. Gastroenterol Clin North Am 2001;30: 475-96. PubMed
Autor*innen
Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).