Definition:Durch Asbestfaserstaub verursachte nicht granulomatöse Lungenfibrose, betreffend vor allem die basalen und mittleren Lungenabschnitte, verbunden mit chronisch-entzündlichen Veränderungen.
Häufigkeit:Grobe Dosis-Wirkungs-Beziehung, bei langer Exposition Prävalenz bis zu 92 %.
Symptome:Die Latenzzeit von der Exposition bis zu klinischen Symptomen (Atembeschwerden, Reizhusten, Thoraxschmerzen) beträgt im Median 20 Jahre.
Befunde:Feinblasiges endinspiratorisches Knisterrasseln, kann aber auch bei fortgeschrittener Krankheit geringfügig sein.
Therapie:Bei Vorliegen obstruktiver Komponenten nach Leitlinie COPD, Wirksamkeit antifibrotischer Medikamente nicht geklärt; Reha-Maßnahmen empfohlen.
Allgemeine Informationen
Definition
Durch Asbestfaserstaub verursachte granulomatöse Lungenfibrose speziell der mittleren und basalen Lungenabschnitte1
Die Latenzzeit von der Exposition bis zum Auftreten klinischer Symptome kann 10–60 Jahre betragen, die durchschnittliche Latenzzeit liegt bei 15–20 Jahren.
Asbestose und benigne Pleuraveränderungen sind unter der BK-Nummer 4103 gemeinsam als Berufskrankheit anerkannt.
Häufigkeit
Die gemeldeten und anerkannten Fälle von Asbestose sind seit Ende der 1990er Jahre leicht rückläufig, während weiterhin unvermindert Fälle von Mesotheliomen und Kehlkopfkrebs gemeldet werden.
Die Herstellung und die Verwendung von Asbest sind in Deutschland seit 1993 verboten. Aufgrund bestehender Werkstoffe und der langen Latenzzeit muss aber weiterhin mit dem Auftreten von Asbestose gerechnet werden.
Im Jahr 2019 wurden 930 Fälle gemeldet, für 2021 sind 948 Fälle prognostiziert.
Ätiologie und Pathogenese
Asbest
Sammelbegriff für verschiedene Mineralfasern
Chrysotil (Weißasbest): geringe Pathogenität, Amphibole: Biopersistenz in der Lunge, hohe Pathogenität
Verschiedene Faserdicken und -längen sind unterschiedlich pathogen.
Pathogenese
Man unterscheidet in der Regel 3 Arten der Asbestexposition:
primäre Exposition: Grubenarbeiter*in
sekundäre Exposition: gewerblicher Umgang mit Asbest, z. B. in der Baubranche
tertiäre Exposition: Umweltexposition, z. B. Einatmen von mit Asbeststaub angereicherter Luft.
Asbestfasern werden beim Einatmen von Asbeststaub aufgenommen.
Große Asbestfasern werden in den oberen Atemwegen abgelegt und durch mukoziliären Transport entfernt oder phagozytiert.
Asbestfasern mit einem Durchmesser unter 3 µm werden vom Abwehrsystem nicht erkannt und erreichen tief gelegene respiratorische Bronchiolen und Alveolen, wo sie über Jahrzehnte persistieren.
Alveolitis
Die kleinen Asbestfasern verursachen direkte Verletzungen an den Epithelzellen der unteren Atemwege.
Es setzen reaktive Entzündungsreaktionen ein.
Bei größerer Exposition treten in Folge der Entzündungen progressive fibrotische Veränderungen auf.
Die Prozesse treten bilateral auf und sind am stärksten ausgeprägt in subpleuralen Zonen, insbesondere basal.
Durch die Alveolen hindurch können Asbestfasern die Pleura erreichen und hier ebenfalls gewebsschädigend wirken.
Pathophysiologie
Freisetzung von Zytokinen durch Makrophagen beim Versuch, die Asbestfasern zu phagozytieren.
Zytokine induzieren Entzündungsreaktionen, oxidative Schädigung und Kollagenanlagerungen.
Mikroskopisch variiert das Aussehen von einem leichten Anstieg an interstitiellem Kollagen bis hin zur komplett veränderten Mikroarchitektur mit umfangreicher Fibrose im fortgeschrittenen Stadium.
Zusätzlich entwickeln die Asbestfasern selbst toxische sowie kanzerogene Wirkung.
Prädisponierende Faktoren
Die Arbeit mit Asbest beinhaltet ein Risiko für die Verteilung von Fasern in Form von Asbeststaub und ein hohes Risiko für das Einatmen, falls keine Schutzvorkehrungen getroffen werden.2
Ältere Baustoffe (Bodenbeläge, Fassaden, Dachplatten, Schiffsbau etc. bis in die 1990er Jahre hinein) enthalten zu einem großen Prozentsatz Asbest; Verbot von Asbest Oktober 1993.
Die Konzentration von Asbestfasern in der Innenluft normaler Wohnungen ist in der Regel auch bei Vorliegen asbesthaltiger Baustoffe sehr niedrig und stellt kein Risiko für die Entwicklung von Asbestose oder Krebs dar. Sobald eine Bearbeitung einsetzt (Renovierung), werden die Fasern allerdings frei.
Es existiert ein grober Zusammenhang zwischen der akkumulierten Menge eingeatmeter Asbestfasern, der Dauer der Exposition und dem Risiko für die Entwicklung von Asbestose. Erkrankungen wurden aber auch bereits nach sehr kurzer Expositionszeit beobachtet.1
Rauchen erhöht wahrscheinlich das Risiko für die Entwicklung von Asbestose bei exponierten Personen.
Zusätzlich wird durch die Kombination von Rauchen und Asbestexposition das Risiko für ein Bronchialkarzinom um das 50- bis 90-Fache erhöht, im Vergleich zur Exposition durch nur einen der Risikofaktoren.
ICPC-2
R99 Atemwegserkrankung IKA
ICD-10
J61 Pneumokoniose, die durch Asbest und andere Mineralfasern verursacht wird, Asbestose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Asbestexposition innerhalb eines gewissen Umfangs und über einen bestimmten Zeitraum
Charakteristische Symptome und klinische Befunde nach entsprechend langer Inkubationszeit
Nachweis pulmonaler Fibrose durch Röntgen-Thorax oder HRCT (High Resolution CT) oder DLCO (CO-Diffusionskapazität)
selten Druckgefühl oder stechende Schmerzen in der Brust.
Arbeitsanamnese bei Verdacht auf Asbestose
Die Arbeitsanamnese muss alle in der Vergangenheit innegehabten Arbeitsplätze und -bedingungen umfassen, mit Angabe von Zeit und möglichen Expositionen gegenüber Asbest:
Dauer und Häufigkeit der Exposition müssen erfasst werden.
Um sich ein Bild vom Umfang der Exposition zu machen, kann es hilfreich sein, nach Irritationen der Augen und Atemwege durch Staub zu fragen und/oder inwieweit die Exposition dazu geführt hat, dass sich Staub auf den Kleidern oder im Haar abgesetzt hat.
Mögliche Asbestexposition außerhalb der Arbeitsumgebung (Renovierungsarbeiten) sollten ebenfalls abgefragt werden.
Klinische Untersuchung
Endinspiratorische basale Rasselgeräusche bei 60–80 % der Betroffenen
Pleurale Reibungsgeräusche treten auf.
Beim Pleuraerguss sind Respirationsgeräusche und entsprechende Perkussionsbefunde reduziert/aufgehoben.
Bei Asbestose kommt es normalerweise nicht zu Pfeifgeräuschen.
30–40 % der Patient*innen haben Trommelschlegelfinger, sie deuten auf eine schwere oder fortgeschrittene Erkrankung hin.
Im fortgeschrittenen Zustand sind Zyanose und Anzeichen für Herzinsuffizienz erkennbar.
Trommelschlegelfinger
Bei der Untersuchung von Patient*innen mit Verdacht auf Asbestose Abklärung von assoziierten malignen Erkrankungen, insbesondere Bronchialkarzinom
Bei Untersuchungen asbestbezogener Lungenerkrankungen sind große Röntgenaufnahmen erforderlich, von Thorax frontal, seitlich und mit Schrägprojektionen von beiden Seiten.
Schrägbilder verbessern die Sensitivität für die Feststellung von Plaques.
Wenn Pleuraplaques deutlich sind und die Kriterien bei Frontal- und/oder Seitenbildern erfüllen, sind Schrägbilder nicht unbedingt erforderlich.
Eine typische Asbestose ist auf dem Röntgenbild als klein gefleckte und streifenförmige Verdichtungen zu erkennen, die sich vorzugsweise in den unteren Teilen der Lunge befinden.2
Interlobäre Pleuraspalten als Folge von Pleurareaktionen können deutlicher hervortreten.
Röntgenuntersuchungen des Thorax haben eine Sensitivität von 85–90 % und eine Spezifizität von 90–95 % für den Nachweis einer Lungenerkrankung bei Patient*innen mit Asbestose.5
Hochauflösendes CT
Um die Sensitivität zum Nachweis von Fibrose zu erhöhen, kann die HRCT (High Resolution CT) angezeigt sein, speziell in Fällen, in denen die Lungenfunktion reduziert ist und/oder deutliche Symptome vorliegen, ohne dass beim normalen Röntgen eine Fibrose nachgewiesen wird.4
Nachweis von pleuralen Plaques indiziert eine erhebliche Asbestexposition.2
CO-Diffusionskapazität
Bei Verdacht auf Fibrose, die sich nicht durch eine normale Röntgenuntersuchung nachweisen lässt, kann die CO-Diffusionskapazität (DLCO) in einem respirationsphysiologischen Labor untersucht werden.
Die Untersuchung ist sensitiv zum Nachweis einer diffusen interstitiellen Lungenfibrose.5
Die Diffusionskapazität ist bei 80–90 % der Patient*innen mit Asbestose reduziert.
Bronchoskopie
Kann in Fällen indiziert sein, in denen ein Bronchialkarzinom vermutet wird, ist aber normalerweise für die Diagnose Asbestose nicht erforderlich.6
Indikationen zur Überweisung
Bei Bedarf für zusätzliche Untersuchung und Behandlung
Therapie
Therapieziele
Symptome lindern und Lebensqualität verbessern.
Allgemeines zur Therapie
Es gibt zurzeit keine Behandlung, die den natürlichen progredienten Verlauf der Asbestose beeinflusst.2
Es ist kein Medikament mit belegter Wirkung verfügbar.
Neuere medikamentöse Ansätze wie z. B. die Therapie mit Pirfenidon und Nintedanib werden in Studien getestet.7
Sauerstoffbehandlung ist bei fortgeschrittener Krankheit angezeigt.
Trommelschlegelfinger (mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Erich Ramstöck)
Quellen
Leitlinien
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V., Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten. AWMF-Leitlinie Nr. 002-038. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
R Ehrlich, R Lilis, E Chan, W J Nicholson, I J Selikoff. Long term radiological effects of short term exposure to amosite asbestos among factory workers. Br J Ind Med 1992; 49(4): 268-275. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V., Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten. AWMF-Leitlinie Nr. 002-038. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
Rosenman KD. Asbestosis. BestPractice, last updated April 22, 2013. bestpractice.bmj.com
Levin SM, Kann PE, Lax MB. Medical Examination for Asbestos-Related Disease. Am J Ind Med 2003; 37: 6-22. PubMed
American Thoracic Society. Diagnosis and initial management of nonmalignant diseases related to asbestos. Am J Respir Crit Care Med 2004; 170: 691-715. PubMed
Ross RM. The clinical diagnosis of asbestosis in this century requires more than a chest radiograph. Chest 2003; 124: 1120-8. PubMed
Update der AWMF-S2k-Leitlinie Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Erkrankungen 2021 www.asu-arbeitsmedizin.com
S. Dalichau, T. Möller. Nachhaltigkeit in der ambulanten pneumologischen Rehabilitation bei Patienten mit Asbestose. Pneumologie 2020; 74(04): 201-209. doi:10.1055/a-1068-6926 DOI
Holland A, Hill C. Physical training for interstitial lung disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008;(4):CD006322. Cochrane (DOI)
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dortmund. Merkblätter und wissenschaftliche Begründungen zu den Berufskrankheiten der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), zuletzt aktualisiert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. Dezember 2014. Zugriff 24.1.2017. www.baua.de
DGVU Formtexte für Ärzte: Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit. www.dguv.de
Autor*innen
Dirk Wetzel, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Zierenberg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Durch Asbestfaserstaub verursachte nicht granulomatöse Lungenfibrose, betreffend vor allem die basalen und mittleren Lungenabschnitte, verbunden mit chronisch-entzündlichen Veränderungen.