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Supraspinatus-Tendopathie

Zusammenfassung

  • Definition:Primär nichtentzündliche, degenerative, mechanisch bedingte Irritation der Supraspinatus-Sehne.
  • Häufigkeit:Die am häufigsten betroffene Sehne der Rotatorenmanschette.
  • Symptome:Laterale Oberarmschmerzen bei Bewegungen des Arms über Schulterniveau.
  • Befunde:In körperlicher Untersuchung „schmerzhafter Bogen“ bei 60–120 Grad Abduktion und positiver Jobe-Test.
  • Diagnostik:Mögliche Zusatzuntersuchungen können abhängig von Verdachtsdiagnose Röntgen, Ultraschall oder MRT sein.
  • Therapie:Konservative Therapie mit Verzicht auf schmerzauslösende Aktivitäten, antiphlogistischer und analgetischer Medikation (sowohl topisch wie auch ggf. systemisch), Kühlung und Übungen zur Zentrierung des Humeruskopfs und damit Platzgewinn im subakromialen Raum.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Primär nichtentzündliche, degenerative, mechanisch bedingte Irritation der Supraspinatus-Sehne
  • Synonym: Periarthropathia humeroscapularis
    • Überbegriff für Erkrankungen der periartikulären Weichteile1

Häufigkeit

  • Schulterschmerz gehört zu den dritthäufigsten muskuloskelettalen Beschwerdebildern in der Praxis.2
    • Am häufigsten von den Sehnen der Rotatorenmanschette ist die Supraspinatus-Sehne betroffen.3

Klinische Anatomie

  • Die Schulter wird maßgeblich von den verschiedenen Anteilen der Rotatorenmanschette, den Mm. subscapularis, supraspinatus, infraspinatus und teres minor zentriert und geführt.4 
  • M. supraspinatus
    • Verlauf: von Fossa supraspinata an der Rückseite der Skapula zwischen Humeruskopf und knöchernem Schulterdach hindurch zum Tuberculum majus vom Humerus
    • Innervation: N. suprascapularis aus den Segmenten C4, C5 und C6
    • Hauptfunktion: Starterfunktion der Abduktion des Arms (mit zunehmender Abduktion übernimmt M. deltoideus)

Ätiologie und Pathogenese

  • Tendopathien können sowohl durch akute Überlastung, zu große Belastung über einen längeren Zeitraum (repetitive Mikrotraumata), ein Trauma (z. B. Sturz auf die Schulter) oder auch den normalen Alterungsprozess vom Gewebe (degenerativ) verursacht werden.

Impingement der Supraspinatussehne

  • Schmerzhafte Einklemmung von Weichteilen bei Abduktion des Armes2
  • Sehr häufige Ursache für Tendopathie der Supraspinatussehne
  • Der anatomische Engpass zwischen knöchernem Schulterdach (Akromion) und Humeruskopf kann sowohl strukturell als auch funktionell so stark verschmälert sein, dass die Supraspinatussehne bei Abduktionsbewegungen rezidivierend eingeklemmt wird und sich eine Tendopathie entwickelt.
  • Beispielhafte Ursachen für strukturelle Einengung 
    • hakenförmige Konfiguration des Akromion
    • Bursitis subacromialis
  • Beispielhafte Ursache für funktionelle Einengung
    • mangelhafte Zentrierung des Humeruskopfes im Schultergelenk bei Schwäche der Rotatorenmanschette
    • dadurch Humeruskopfhochstand

Tendinosis calcarea

  • Einlagerung von Kalk in Sehnen der Rotatorenmanschette, zu 80 % in der Supraspinatussehne, aus nicht geklärter Ursache3
  • Selbstlimitierende Erkrankung, die in verschiedenen Phasen von jeweils unterschiedlicher Dauer verläuft:
    • Präkalzifikationsstadium
    • Verkalkungsstadium
    • Postkalzifikationsstadium („Remodelling“).

Disponierende Faktoren

  • Ungünstige Arbeitsgewohnheiten, wie z. B. schwere und einseitige Überkopfarbeiten
  • Sportarten mit Armbewegungen über Schulterniveau, z. B. Wurfsportarten, (Kraul-)Schwimmen, Gewichtheben, Tennis
  • Anatomische Varianten wie z. B. ein hakenförmiges oder weit nach lateral ragendes Akromion

ICPC-2

  • L92 Schulter-Syndrom

ICD-10

  • M75.1 Läsionen der Rotatorenmanschette (u. a. Supraspinatus-Syndrom)
  • M75.3 Tendinitis calcarea im Schulterbereich
  • M75.4 Impingement-Syndrom der Schulter

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Schmerzen in der Schulter bei Abduktion („Painful Arc“ bei 60–120 Grad Abduktion)
  • Positiver Jobe-Test (siehe Abschnitt Klinische Untersuchung)
  • Ggf. Darstellung von Sehnenveränderungen per Sonografie oder MRT

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Generelle Fragen

  • Berufliche Tätigkeit
  • Sportliche Aktivität
  • Dominante Seite
    • Aus diesen Angaben ergibt sich in der Regel der funktionelle Anspruch an die Schulter und somit das Therapieziel.

Spezifische Fragen

  • Schmerzbeginn
    • akut: Trauma
    • subakut: meist Überbelastung, repetitive Mikrotraumata
    • schleichend: in der Regel degenerativ
  • Klassische Symptomatik
    • Schmerzen bei Abduktion des Arms/Überkopfarbeiten
    • Schmerzlokalisation im lateralen Oberarm
      • Ausstrahlung Richtung Nacken oder Ellenbogen möglich
  • Vorerkrankungen/Operationen der Schulter
  • Grunderkrankungen, insbesondere mit möglichen Gelenkbeschwerden
  • Bisher durchgeführte Therapie

Klinische Untersuchung

Inspektion

  • Rötung oder Schwellung als Anhalt für Arthritis
  • Atrophien der Schultergürtelmuskulatur
  • Handhaltung bei entspannt hängendem Arm
    • Bei Rotatorenmanschettenruptur sind häufig die Außenrotatoren betroffen, sodass der Innenrotator (M. subscapularis) überwiegt und die Hand innenrotiert ist.
  • Schulterschiefstand
    • Kann sowohl Schonhaltung durch Schmerzen als auch eine potenzielle Ursache für Schulterschmerzen durch dauerhafte Fehlstellung, z. B. bei Skoliose, sein.
  • Stellung und Bewegungsmuster der Skapula bei Armbewegungen
    • Skapula alata als Anhalt für neurologische Störung, z. B. Schädigung N. thoracicus longus
    • asymmetrische Bewegung bei Muskeldysbalancen/-läsionen

Palpation

  • Meist Druckschmerz subakromial sowie am Tuberculum majus (Ansatz der Supraspinatussehne) auslösbar
  • Überwärmung als Anhalt für akute Entzündung

Generelle Funktionstests

  • Aktives und passives Bewegungsausmaß beider Schultergelenke
    • Elevation und Abduktion meist schmerzbedingt eingeschränkt
    • sog. schmerzhafter Bogen („Painful Arc“), d. h. bei Abduktion des Armes besteht ein schmerzhafter Abschnitt bei etwa 60–120 Grad.

Spezifische Tests der Supraspinatussehne

  • Drop-Arm-Zeichen
    • Positiv: Patient*in ist nicht in der Lage, die Abduktion aktiv zu beginnen bzw. den passiv durch Untersucher*in in die Abduktion geführten Arm aktiv zu halten.
  • Jobe-Test 
    • Arm von Patient*in wird durch Untersucher*in in 90-Grad-Abduktion und 30-Grad-Horizontalflexion gebracht.
    • Innenrotation des Arms, sodass der Daumen Richtung Boden zeigt.
    • Anschließend übt Untersucher*in von kranial Druck auf Unterarm von Patient*in aus.
    • Positiv: Schmerzauslösung oder Unfähigkeit von Patient*in, Arm in Position zu halten.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Labor
    • nur bei Verdacht auf Arthritis (Inflammationsparameter) oder ursächliche Grunderkrankung (z. B. rheumatoide Arthritis)

Diagnostik bei Spezialist*innen

Röntgen

  • Bei Verdacht auf Omarthrose, Fraktur oder Tendinosis calcarea
  • Zudem Humeruskopfhochstand darstellbar

Ultraschall

  • Sehr gut einsetzbare, kostengünstige Untersuchung zur Beurteilung der Sehne sowie der Bursae

MRT

  • Sollte aufgrund der hohen Kosten nur bei therapeutischer Konsequenz (OP-Indikation?) eingesetzt werden.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei anhaltenden Beschwerden trotz konservativer Therapie
  • Bei V. a. Ruptur der Supraspinatussehne zur Klärung einer möglichen OP-Indikation

Therapie

Therapieziele

  • Schmerzen lindern.
  • Schulterfunktion wiederherstellen.

Allgemeines zur Therapie

  • Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die konservative Therapie das 1. Mittel der Wahl. So können 80–90 % der Patient*innen subjektiv zufriedengestellt werden.5
    • Die Therapieprinzipen bestehen aus:
      • Vermeidung schmerzhafter Bewegungen
      • Kühlung 
      • analgetischer und antiphlogistischer Medikation, sowohl topisch als auch ggf. systemisch 
      • (ggf. physiotherapeutisch assistierter) Kräftigung der Rotatorenmanschette.
  • Eine exakte Diagnose ist für die Einleitung der konservativen Behandlung zunächst nicht erforderlich.1

Empfehlungen für Patient*innen

  • Arbeiten und Aktivitäten vermeiden, die die Schmerzen verschlimmern.
  • Beim Sport sollte die Belastung der verletzten Sehne in Quantität und Intensität für einen gewissen Zeitraum reduziert werden, danach folgt eine schrittweise zunehmende Belastung.
  • Eine Immobilisierung der Schulter sollte unbedingt vermieden werden.
    • Regelmäßige Bewegung führt dazu, dass das eher bradytrophe Gewebe der Sehnen besser durchblutet und mit Nährstoffen versorgt wird und sich besser regenerieren kann.
    • Zudem neigt die Gelenkkapsel der Schulter schnell zu einer Schrumpfung mit folgender Einsteifung des Gelenks.

Medikamentöse Therapie

NSAR

  • Schmerzlindernde und entzündungshemmende Medikamente wie orale oder topische nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) können indiziert sein.
    • z. B. Ibuprofen 600 mg p. o. 1–0–1 für 3–5 Tage und/oder Diclofenac-Salbe 1 x tgl. auf das schmerzende Areal

Kortison

  • Die Sehnen sollten nicht mit Kortison infiltriert werden, da es zu Sehnenrupturen kommen kann.
  • Begleitende Busitiden sprechen jedoch oft gut auf eine Kortikosteroidinjektion an.6-7
    • Hierdurch auch indirekt Besserung der Supraspinatus-Tendopathie, da nach Abschwellen der Bursa mehr Platz im subakromialen Raum besteht.

Weitere Therapien

  • Kühlung
    • Beispielsweise 3 x tgl. mit Eiswürfel schmerzhaftes Areal massieren, bis die Eiswürfel geschmolzen sind (Cave: Eiswürfel vorab antauen lassen, um Hautschädigungen durch die Kälte zu vermeiden!)
  • Kräftigung der Rotatorenmanschette
    • Um den Humeruskopf im Schultergelenk zu zentrieren und einen Humeruskopfhochstand zu vermeiden.
    • Beispielhafte Übungen
      • Patient*in stehend, Waschlappen in Hand
      • Aufstützen auf die Tischfläche und rotierende Putzbewegungen auf der Tischoberfläche
      • Die Richtung alle 20 sec wechseln, insgesamt 3 x in jede Richtung.
      • 3–5 Durchgänge pro Tag
    • alternative Übung mit ringförmigem Theraband („Loop“)
      • Kräftigung der Außenrotatoren: Beide Arme 90 Grad im Ellenbogen anwinkeln, seitlich am Körper angelegt. Loop mit beiden Händen greifen und Arme langsam gleichzeitig nach außen rotieren. 10–20 Wiederholungen 3–5 x am Tag.
      • Kräftigung des Innenrotators (M. subscapularis): Loop an Türklinke aufhängen. Patient*in stellt sich seitlich zur Tür, Ellenbogen 90 Grad gebeugt, Arm an Körper anliegend. Die zur Tür gewandte Hand greift den Loop und rotiert anschließend im Schultergelenk nach innen (Richtung Bauch).
  • Pendelübungen des herabhängenden Armes1
    • Leichtes Gewicht (z. B. Wasserflasche) in die Hand nehmen und 1 min hin und her pendeln, um den Humeruskopf nach kaudal zu mobilisieren. 3 Durchgänge pro Tag.
  • Tapeverband
    • Für einen unterstützenden Tapeverband gibt es keine evidenzbelegte Wirksamkeit, jedoch berichten einige Patient*innen über eine Schmerzlinderung und erleichterte Armabduktion.
    • Für die Anlage eines Tapeverbands siehe den Artikel Tapeverband.

Operative Therapie

  • Bei sportlich aktiven, jungen Patient*innen mit guter Sehnenqualität wird eine Sehnenruptur in der Regel arthroskopisch genäht.
    • Bei älteren Patient*innen mit geringem Funktionsanspruch sollte eine operative Rekonstruktion kritisch diskutiert werden.
  • Bei nicht ausreichendem Ansprechen der konservativen Therapie über einen Zeitraum > 3 Monate kann eine operative Erweiterung des subakromialen Raumes (durch z. B. Bursektomie, Abtragen von Osteophyten) erwogen werden.2

Prävention

  • Durch Modifizierung des Trainings oder Anpassung der beruflichen Tätigkeit (z. B. nicht ausschließlich Überkopfarbeiten) lässt sich in der Regel ein Rezidiv oder das Auftreten von Supraspinatus-Tendopathien vermeiden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Bei akuter Tendopathie ist die Prognose gut, und die meisten Patient*innen sind nach 1–2 Wochen wieder vollständig aktiv.
  • Eine chronische Tendopathie kann über Jahre andauern, dabei variiert der Grad der Beschwerden, oft mit einer Verschlechterung nach ungewohnter Belastung.

Komplikationen

  • Chronische Beschwerden mit Einschränkung bei Aktivitäten des täglichen Lebens, wie z. B. Haare kämmen.
  • Sehnenruptur bei weiterer Belastung der vorgeschädigten Sehne
    • in der Folge oft Humerushochstand mit konsekutiver Omarthrose (Defektarthropathie)4

Prognose

  • Bei der großen Mehrheit der Patient*innen verbessert sich der Zustand durch die konservative Behandlung, und sie werden beschwerdefrei.
    • Eine konsequente Therapie mit Verzicht auf die schmerzauslösenden Bewegungen ist sehr wichtig, um eine Chronifizierung zu vermeiden.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Durch eine gewissenhafte Durchführung der empfohlenen Therapiemaßnahmen sind die meisten Patient*innen innerhalb weniger Wochen wieder schmerzfrei.
  • Eine Immobilisierung der Schulter sollte unbedingt vermieden werden.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Schultergelenk Knochenaufbau.jpg
Schultergelenk
Supraspinatussehne
Supraspinatussehne

Quellen

Literatur

  1. Mader FH, Riedl B. Allgemeinmedizin und Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer, 2018. link.springer.com
  2. Garving C, Jakob S, Bauer I, et al. Impingementsyndrom der Schulter. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 765-76. www.aerzteblatt.de
  3. Gleich J, Fleischhacker E, Siebenbürger G, et al. Diagnostik und Therapie bei Schulterschmerzen. MMW - Fortschritte der Medizin 2019; 161: 62-73. www.aerzteblatt.de
  4. Kasten P, Lützner J. Tendinopathie der Sportlerschulter. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. Jahrgang 61, Nr. 4, 2010. www.occ-tuebingen.de
  5. Bischoff H-P, Heisel J, Locher H. Praxis der konservativen Orthopädie Thieme- Verlag Stuttgart. 1. Auflage: 2007. S. 369ff
  6. Hay EM, Thomas E, Paterson SM, Dziedzic K,Croft PR. A pragmatic randomized controlled trial of local steroid injection and physiotherapy for the treatment of new episodes of shoulder pain in primary care. Ann Rheum Dis 2003; 62: 394-99. PubMed
  7. van der Windt DAWM, Bouter LM. Physiotherapy or corticosteroid injection for shoulder pain? Ann Rheum Dis 2003; 62: 385-87. PubMed

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
M751; M753; M754
senebetennelse i skulderen
L92
Schulter-Tendopathie; Painful Arc; Supraspinatus-Tendopathie; Infraspinatus-Tendopathie; Subscapularis-Tendopathie; Bizeps-Tendopathie; Impingement-Syndrom; Tendinitis calcarea; Tendinosis calcarea; Drop-Arm-Zeichen; Schulterschmerzen; Jobe-Test; NSAR; Kortison; Supraspinatustendopathie
Supraspinatus-Tendopathie
BBB MK 21.03.2022 umfassend revidiert, gekürzt und umgeschrieben. MK 10.02.17
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Definition:Primär nichtentzündliche, degenerative, mechanisch bedingte Irritation der Supraspinatus-Sehne. Häufigkeit:Die am häufigsten betroffene Sehne der Rotatorenmanschette.
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