Zusammenfassung
- Definition:Schmerzhafte Schultersteife unbekannter Ursache.
- Häufigkeit:Lebenszeitprävalenz 2–5 %, stark gehäuft bei Diabetikern.
- Symptome:Durchlaufen von 3 Stadien (Einfrieren, Gefrorensein, Auftauen) über 1–3 Jahre.
- Befunde:Bewegungseinschränkung, insbesondere der Außenrotation („Kapselmuster“).
- Diagnostik:Weitere Untersuchungen sind in der Regel nicht erforderlich.
- Therapie:Selbstlimitierende Erkrankung. Analgesie und Physiotherapie als Therapie der Wahl.
Allgemeine Informationen
Definition
- Schmerzen im Schultergelenk mit eingeschränkter Beweglichkeit infolge von Adhäsionen zwischen Gelenkkapsel und Oberarmkopf1-2
- Synonyme
- adhäsive Kapsulitis
- „Frozen Shoulder“
- Primäre Form
- keine vorbekannten Verletzungen oder Erkrankungen der Schulter
- Sekundäre Form
- Vorausgehendes Ereignis, in dessen Anschluss die Bewegungseinschränkung begonnen hat.
- z. B. Trauma, Immobilisation, Schlaganfall, Malignom
- Vorausgehendes Ereignis, in dessen Anschluss die Bewegungseinschränkung begonnen hat.
- Fast immer kommt es zu einer Kontraktur der Gelenkkapsel, die jedoch reversibel ist.
Häufigkeit
- Dauer
- in der Regel 1–3 Jahre3
- bei manchen Patienten bis zu 10 Jahren
- Prävalenz
- Geschlecht und Alter
- Ein bilaterales simultanes Auftreten ist eher selten.7
Ätiologie und Pathogenese
- Die genaue Pathogenese ist unklar.
- Primäre adhäsive Kapsulitis
- Bei den meisten Patienten lässt sich keine Ursache ermitteln.
- Sekundäre adhäsive Kapsulitis
- posttraumatisch10
- nach Sturz auf die Schulter oder größeren chirurgischen Eingriffen am Thorax, Schultergelenk oder Nacken
- Bei Patienten unter 40 Jahren tritt diese Form selten auf.
- durch Inaktivität
- Nach der Immobilisationsphase ist das Risiko 5- bis 9-fach erhöht im Vergleich zu Normalbevölkerung.11
- posttraumatisch10
- Assoziiert mit verschiedenen Erkrankungen, u. a.:
Pathologie und Pathophysiologie
- Typischerweise werden 3 Phasen durchlaufen:14
- Phase I: Einfrieren („Freezing“)
- Phase II: Gefrorensein („Frozen“):
- Phase III: Auftauen („Thawing“):
- Schmerzen treten somit vor Entwicklung der Kontraktur auf und lassen nach, bevor sich diese zurückbildet.16
Prädisponierende Faktoren
- Diabetes mellitus5-6
- M. Parkinson12
- Hyperthyreose13
- Personen > 60 Jahre, bei denen das Schultergelenk, z. B. nach einer Fraktur des Oberarmknochens, immobilisiert wird.
- Der Erkrankung lässt sich am besten vorbeugen, indem die Beweglichkeit des Schultergelenks aufrechterhalten wird.
ICPC-2
- L92 Schultersyndrom
ICD-10
- M75 Erkrankungen der Schulter
- M75.0 Adhäsive Entzündung der Schultergelenkkapsel
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Schleichender Beginn, Verlauf über einen langen Zeitraum
- Zunehmende Schmerzen, auch nachts, die die alltäglichen Aktivitäten einschränken.17
- Allmähliche Herausbildung des „Kapselmusters“ mit typischerweise unterschiedlicher Einschränkung der Beweglichkeit in den verschiedenen Ebenen
- stärkste Einschränkung der Außenrotation, gefolgt von Abduktion7
- Die Innenrotation ist am wenigsten eingeschränkt.
Differenzialdiagnosen
- Sehnenerkrankung der Schulter
- Chronische Bursitis im Schulterbereich
- Polymyalgia rheumatica
- Folge einer vorangegangenen Fraktur
- Monarthritis (rheumatoide Arthritis, RA)
- Zervikale Ursachen (C4/C5)
Anamnese
- Die Symptome und Zeichen von Kapsulitis und Tendopathien überschneiden sich.
Klinischer Verlauf
- Wie oben beschrieben, werden 3 Phasen durchlaufen:
- „Einfrieren“ mit diffusen Schulterschmerzen
- „Gefrorensein“ mit deutlicher Funktionseinschränkung und Abnahme der Schmerzen
- „Auftauen“ mit Rückgewinn der Beweglichkeit.
Klinische Untersuchung
- Prüfung und Dokumentation der aktiven und passiven Beweglichkeit der Schulter
- Seitenvergleich
- Typischer Befund = „Kapselmuster“
- Die passive Außenrotation ist schmerzhaft und am stärksten eingeschränkt (+++).
- Die Unterschiede der Außenrotation im Seitenvergleich sind in der Regel am einfachsten zu detektieren, auch bei mildem Befund im Initialstadium der Erkrankung.
- Die passive Abduktion ist schmerzhaft und eingeschränkt, aber weniger stark als die passive Außenrotation (++).
- Die passive Innenrotation ist schmerzhaft und eingeschränkt, aber weniger stark als die passive Abduktion (+).
- Die passive Außenrotation ist schmerzhaft und am stärksten eingeschränkt (+++).
- Untersuchung der Halswirbelsäule
- Dermatom C5 ähnliches Schmerzareal wie bei Kapsulitis
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Bei Verdacht auf Polymyalgia rheumatica mit beidseitigen Schulterschmerzen BSG kontrollieren (Sturzsenkung?).
Diagnostik beim Spezialisten
- Bildgebung zum Ausschluss anderer Ursachen, insbesondere nach Trauma
- Röntgen
- Ausschluss Fraktur
- kein spezifischer Befund für Kapsulitis, Bilder in der Regel unauffällig
- MRT
- Ausschluss Tendinopathien oder Bursitis
- Kann eine Verdickung der Gelenkkapsel darstellen.18
Indikationen zur Überweisung
- Bei Zweifeln in Bezug auf die Diagnose Überweisung an eine Orthopädin/einen Orthopäden.
- Bei starken Beschwerden über mehrere Monate zur Evaluation eines arthroskopischen Kapselrelease
Therapie
Therapieziele
- Schmerzen lindern.
- Die Schulterfunktion wiedererlangen.
Allgemeines zur Therapie
- Eine Kapsulitis verläuft in den meisten Fällen selbstlimitierend.
- Ein Konservatives Vorgehen wird empfohlen.15
- > 90 % der Patienten werden im Verlauf schmerzfrei und mit gewinnen ihre Beweglichkeit zurück.7
- Die Wahl der Behandlungsmethode hängt von folgenden Faktoren ab:
- Schweregrad der Beschwerden
- Stadium der Erkrankung.
- Physiotherapie und selbstständige Mobilisierungsübungen für zu Hause werden in jedem Stadium empfohlen.4
- Zur Schmerzlinderung NSAR und Kortison oral oder intraartikulär
Empfehlungen für Patienten
- Patienten sollten den Arm innerhalb des schmerzfreien Bereichs in Bewegung halten.
Medikamentöse Therapie
Kortisoninjektionen
- Kurzfristige Schmerzlinderung, die für etwa 6 Wochen anhält, aber in Langzeit-Wirkung Placebo nicht überlegen ist.19-21
- Intraartikuläre und subakromiale Infiltration mit vergleichbarem Effekt22
- Der Infiltrationsort ist wahrscheinlich nicht entscheidend.
- Optimale Dosierung: 20 mg Triamcinolon23
Orale Kortisoneinnahme
- Indikation: Deutliche Funktionseinschränkung > 2 Monate, starke Schmerzen6
- Cave: bei Patienten mit Diabetes mellitus strenge Nutzen-Risiko-Abwägung!
- Gute Schmerzlinderung und Verbesserung der Funktion für etwa 6 Wochen, jedoch anschließendes Nachlassen des Effekts24
- Typisches Schema, abhängig von Patientenrisiko ggf. zusätzlich Protonenpumpeninhibitor7,24
- Tag 1–7: 40 mg Prednisolon
- Tag 8–14: 30 mg Prednisolon
- Tag 15–18: 20 mg Prednisolon
- Tag 19–21: 10 mg Prednisolon
- Tag 22: Beenden der Prednisolon-Einnahme
- Während der Einnahme wird eine Pausierung der Physiotherapie empfohlen.
Weitere Medikamente
- NSAR: geringe Schmerzlinderung25
- weniger Nebenwirkungen als Kortison, daher bei milder Symptomatik zu empfehlen
Physiotherapie
- In allen Stadien empfohlen7
- Leichtes Bewegungstraining, um die noch vorhandene Beweglichkeit und Muskelkraft zu erhalten.
- Über die Schmerzgrenze hinausgehende Übungen und Bewegungen können den Verlauf der Erkrankung erschweren und die Schmerzen erheblich verstärken.
- Manual- und physiotherapeutische Interventionen in Kombination mit einem Heimprogramm sind mittel- und langfristig gleich wirksam wie Narkosemobilisationen und Kapselrelease.15
- Gilt bezüglich Schmerzen, Beweglichkeit und Behinderung im Alltag.
Operatives Vorgehen
- Da die Erkrankung in der Regel selbstlimitierend verläuft, sollte eine Operation vermieden werden.15
- Eine Operation kann bei manchen Patienten zu einer Verschlechterung und zu Komplikationen führen, wie z. B. Reflexdystrophie und Wiederauftreten der Kapsulitis.
- Nur bei absolut therapierefraktären Patienten Indikation zur Operation7
- Operation der Wahl: arthroskopisches Kapsel-Release26
- erstmals in den frühen 1990er-Jahren beschrieben27-30
- Kombination mit Skalenus-Block, um direkt postoperativ mit schmerzfreier Mobilisierung beginnen zu können.
- Narkosemobilisation
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die 3 Stadien werden in einem Zeitraum von 1–3 Jahren durchlaufen.
- In den ersten Monaten nehmen Schmerzen und Steifigkeit zu.
- Die Schmerzen treten über einen Zeitraum von 6–12 Monaten auf, werden dann von der Steifigkeit und schließlich von einer schrittweisen Verbesserung und Normalisierung abgelöst.
Komplikationen
- Ausbildung einer sympathischen Reflexdystrophie
- Chronische Schmerzen
- Persistierende Funktionseinschränkung
- Eine durch Kortisoninjektion ausgelöste bakterielle Arthritis ist sehr selten.
Prognose
- Obwohl sich die Erkrankung über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken kann, ist die Prognose gut.
- Nach etwas mehr als 4 Jahren bleiben nur 6 % der Patienten mit einschränkenden Schmerzen oder Bewegungslimitierung.31
Verlaufskontrolle
- Regelmäßige Dokumentation des Bewegungsausmaßes
- Bei absolut therapierefraktären Patienten Überweisung an Orthopädie zur Evaluation eines arthroskopischen Kapselrelease
- Die Krankschreibung ist abhängig von der körperlichen Tätigkeit im Beruf.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Bewegung nur innerhalb des schmerzfreien Bereichs
- Häufig herrscht große Angst vor einer dauerhaften Versteifung des Arms.
- Patienten sollten daher wissen, dass die meisten Betroffenen vollständig beschwerdefrei werden, die Heilung aber ihre Zeit braucht.
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
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Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Tomas Lihagen, leg sjukgymnast, Örebro Rehabcenter
- Stig Fossum, fysioterapeut, specialkompetens inom muskel- och skelettsjukdomar, Moholt Fysioterapi, Trondheim
- Pål Kristensen, specialist i allmänmedicin, Ranheim legesenter, Trondheim