Schulterschmerzen

Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2

Red Flags

Abwendbar gefährlicher Verlauf

Fieber > 38,5 °C, Schüttelfrost, ggf. akuter Verwirrtheitszustand

Z. n. Gelenkpunktionen, Operationen, operativer Gelenkersatz 

septische Arthritis

Trauma mit:

  • neurologischem Defizit
  • Fehlstellung (inkl. Fraktur)
  • deformiertem Gelenk
  • insuffizienter Durchblutung (kalt, blass)
  • Gerinnungsstörung.

Fraktur, Hämarthros, Hydrops, Gefäßverletzung, Nervenschädigung oder Nervenkompression

Entzündungszeichen:

  • Schmerzen
  • Rötung
  • Schwellung
  • Überwärmung
  • funktionelle Einschränkung.

septische Arthritis, Osteomyelitis, Tumor, Polymyalgia rheumatica/Arteriitis temporalis (oft mit Fieber)

Bewegungseinschränkung, blockiertes Gelenk

Hämarthros, Hydrops, Osteochondrosis dissecans

Intravenöser Drogenabusus

septische Arthritis

Hämophilie

Hämarthros

Allgemeine Informationen

Definition

  • Schulterschmerzen können ihren Ursprung sowohl im Schultergelenk oder Akromioklavikulargelenk als auch in schulterfernen Strukturen (u. a. Pathologien der Halswirbelsäule, internistische Erkrankungen mit Ausstrahlung in die Schulter wie z. B. Myokardinfarkt) haben.3

Häufigkeit

  • Schulterschmerzen sind die zweithäufigsten muskuloskelettalen Beschwerden, mit denen Patient*innen ärztliche Konsultation suchen (nach Rückenschmerzen).4
  • Lebenszeitprävalenz von Schulterschmerzen 70 %5
    • Die Prävalenz von insbesondere Rotatorenmanschettenläsionen steigt mit zunehmendem Alter.6
  • In der hausärztlichen Praxis finden sich am häufigsten atraumatische Schulterschmerzen in Zusammenhang mit der Rotatorenmanschette (degenerative Rotatorenmanschettenruptur und/oder Impingement-Syndrom), der Omarthrose, Tendinosis calcarea und der „Frozen Shoulder“.5

Anatomie

Gelenke

  • Glenohumeralgelenk
    • Kugelgelenk, bestehend aus rundem Humeruskopf und Gelenkpfanne (Cavitas glenoidalis) der Skapula
    • Die weite Gelenkkapsel ermöglicht zusammen mit dem Kugelgelenk einen großen Bewegungsumfang der oberen Extremität.
      • Der Nachteil ist das erhöhte Luxationsrisiko.
    • statische Stabilisatoren des Gelenks
      • Knorpellippe am Pfannenrand (Labrum)
      • Mehrere glenohumerale Bänder, die die Gelenkkapsel verstärken.
    • dynamische Stabilisatoren 
      • Die Rotatorenmanschette umgibt den Humeruskopf kragenartig und zentriert ihn mittig in der Gelenkpfanne.
      • Die lange Bizepssehne wirkt durch ihren Verlauf über den Humeruskopf ebenfalls als (wenn auch geringer) Stabilisator nach kranial.
  • Subakromialgelenk
    • Nebengelenk aus Humeruskopf, Bursa subacromialis und subdeltoidea sowie dem knöchernen Schulterdach
  • Akromioklavikulargelenk
    • Synonym: Schultereckgelenk
    • einzige knöcherne Verbindung zwischen Klavikula und Skapula
    • Überträgt sämtliche auf die obere Extremität einwirkende Kräfte auf den Körperstamm.
      • Ein Großteil der Menschen entwickelt in diesem Gelenk eine Arthrose.
  • Sternoklavikulargelenk
    • einzige knöcherne Verbindung zwischen Rumpf und Schultergürtel

Bursae

  • Klinisch am relevantesten Bursa subacromialis und subdeltoidea
  • Lokalisation: unter dem knöchernen Schulterdach
  • Hauptfunktion: Die Sehnen der Rotatorenmanschette vor Druck und Reibung an der Unterseite des Akromions zu schützen.
  • Reizzustände kommen in den Bursae relativ häufig vor und können dann durch die Schwellung zum Entstehen eines Impingement-Syndroms beitragen.

Muskeln und Sehnen

  • Die Rotatorenmanschette wird von 4 Muskeln gebildet, die zum einen das Schultergelenk stabilisieren und zum anderen fein differenzierte Bewegungen der oberen Extremität ermöglichen. Sie verlaufen von der Skapula zum Tuberculum majus bzw. minus (M. subscapularis).
    • M. supraspinatus – v. a. Abduktion (Starterfunktion, mit zunehmender Abduktion wird vermehrt der M. deltoideus aktiv)
    • M. infraspinatus – v. a. Außenrotation
    • M. subscapularis – v. a. Innenrotation
    • M. teres major – v. a. Außenrotation
  • Am Tuberculum supraglenoidale entspringt der lange Kopf vom M. biceps brachii und zieht über den Humeruskopf Richtung Unterarm.

Ätiologie und Pathogenese

  • Bei jungen, sportlich aktiven Patient*innen meist Überlastungsschäden oder akute Verletzungen durch Trauma
  • Bei älteren Patient*innen eher degenerative Veränderungen, die zu Beschwerden führen (Omarthrose, degenerative Rotatorenmanschettenruptur durch Bagatelltrauma bei altersbedingter Sehnenverfettung).

Prädisponierende Faktoren

  • Tätigkeiten mit Überkopf-Arbeiten
    • beruflich, z. B. bei Maler*innen
    • sportliche Aktivitäten, z. B. Tennis oder Volleyball

ICPC-2

  • L08 Schultersymptomatik/-beschwerden

ICD-10

  • M25.51 Gelenkschmerz: Schulterregion (Klavikula, Skapula, Akromioklavikular-, Schulter-, Sternoklavikulargelenk)

Diagnostik

Diagnostische Überlegungen

  • Unter Berücksichtigung des Patientenalters und Vorerkrankungen kann durch die Anamnese und körperliche Untersuchung in der Regel der Schulterschmerz auf eine oder wenige Verdachtsdiagnosen eingegrenzt werden.
  • Anhand der Verdachtsdiagnose sollte die Entscheidung fallen:
    • Erkrankung, die einen konservativen Therapieversuch in Hausarztpraxis zulässt.
      • Beispiele: akute Schulterbursitis, Omarthrose, Impingement-Syndrom
    • Erkrankung, die eine weiterführende Diagnostik und Therapie durch Orthopäd*in/Unfallchirurg*in notwendig macht.
      • Beispiele: Fraktur, Schulterluxation, traumatische Rotatorenmanschettenläsion bei jungen Patient*innen
  • Überprüfung von o. g. Red Flags, um gefährliche Verläufe frühzeitig zu erkennen.

Anamnese

Generelle Fragen

  • Alter
  • Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme
  • Dominante Seite (Rechts-/Linkshänder*in?)
  • Berufliche Tätigkeit
  • Sportliche Aktivitäten
    • Aus Beruf, Sport und dominanter Seite ergibt sich in der Regel der funktionelle Anspruch der Patient*innen an ihre Schulter.

Symptombezogene Fragen

  • Beginn der Schmerzen
    • akut durch Trauma
    • subakut bei Überlastung der Schulter durch meist neu begonnende oder repetitive Tätigkeiten oberhalb des Schulterniveaus
    • schleichend über Monate bis Jahre bei degenerativen Prozessen
  • Verlauf der Schmerzen
    • abrupter Beginn, seitdem gleichbleibend oder eher abnehmend: traumatische Verletzungen
    • wellenförmiger Verlauf mit schmerzarmen und sehr schmerzhaften Phasen: degenerative Veränderungen, Omarthrose
    • stetig zunehmende Schmerzen: entzündliche Prozesse, z. B. Tendinosis calcarea
  • Lokalisation der Schmerzen
    • „Davos“-Methode („da, wo's wehtut“): Patient*in soll mit dem Zeigefinger auf schmerzhafte Stelle zeigen.
      • Punktuelles Zeigen möglich: meist nach Trauma; geschädigte Struktur kann so gut identifiziert werden, z. B. Klavikulafraktur.
      • Großes Areal, Zeigen erfolgt mit gesamter Hand: Pathologien im Glenohumeral- und Subakromialgelenk.
  • Provokation der Schmerzen
    • belastungsabhängig
      • bei sämtlichen Bewegungen, vor allem oberhalb von Schulterniveau: Omarthrose, Impingement-Syndrom
      • bei speziellen Bewegungen, z. B. Innenrotation der Schulter: V. a. Verletzungen der entsprechenden Muskeln/Sehnen der Rotatorenmanschette
    • Anlaufschmerzen: Omarthrose
    • Ruhe- oder Nachtschmerzen: Tendinosis calcarea
    • Liegen auf der Schulter schmerzbedingt nicht möglich: bei fast allen Schultererkrankungen
    • Falls Liegen auf der betroffenen Schulter ohne Probleme möglich ist: Anhalt für andere Schmerzursache, z. B. durch HWS-Pathologie.
  • Begleiterscheinungen
    • Kribbelparästhesien oder ausstrahlende Schmerzen Anhalt für HWS-Pathologie
    • Fieber oder AZ-Reduktion „Red Flags“ für abwendbar gefährliche Verläufe
  • Vorerkrankungen/-operationen der Schulter
  • Bisher durchgeführte Therapiemaßnahmen

Körperliche Untersuchung

Inspektion

  • Prellmarken, Hämatome, sichtbare Fehlstellungen oder Hautverletzungen nach Trauma?
  • Rötung und/oder Schwellung des Schultergelenks: Anhalt für bakterielle Arthritis
  • Schulterhochstand/-tiefstand?
    • Die Fehlhaltung kann ursächlich für Beschwerden oder auch als Schonhaltung Folge der Schulterschmerzen sein.
  • Muskeldysbalancen
    • Bei einseitigen Tätigkeiten können Muskeldysbalancen auftreten und zu Beschwerden führen.
    • Atrophien können durch länger bedingte Erkrankungen, z. B. nicht erkannte Läsionen der Rotatorenmanschette oder auch Nervenkompressionssyndrome, entstehen.
  • Skapulastand
    • Bei gestörter muskulärer Führung, z. B. durch Lähmung eines Muskels, können verschiedene Fehlstellungen der Skapula resultieren.
      • z. B. Medialstellung der Skapula bei Ausfall des M. serratus anterior/N. thoracicus longus

Palpation

  • Bei zusätzlichen Beschwerden im Hals-/Nackenbereich auch Abtasten der HWS auf beispielsweise paravertebralen Hartspann
  • Überwärmtes Gelenk Anhalt für bakterielle Arthritis
  • Nach Trauma sorgfältiges Abtasten von frakturanfälligen Strukturen:
    • Klavikula
    • Schultereckgelenk
    • Tuberculum majus
    • Humerusschaft.
  • Druckschmerz über von Patient*in gezeigter Lokalisation (Davos-Methode, siehe Anamnese) auslösbar?
    • typische Lokalisationen und potentiell affektierte Strukturen
      • subakromial: Supraspinatussehne, Bursa subacromialis
      • Tuberculum majus: Ansatz M. deltoideus sowie Mm. supraspinatus, infraspinatus und teres major
      • Tuberculum minus: Ansatz M. subscapularis
      • Sulcus intertubercularis: lange Bizepssehne 
      • Akromioklavikulargelenk: Arthrose oder Schultereckgelenksprengung (Klaviertastenphänomen)

Funktionsprüfung

  • Überprüfung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität
  • Globale Schulterbeweglichkeit, wichtig zur Beurteilung der Fähigkeit zu alltäglichen Aktivitäten
    • Nackengriff
    • Schürzengriff
  • Aktive und passive Beweglichkeit des Schultergelenks (Normalwerte nach Neutral-Null-Methode)5
    • Abduktion/Adduktion 180/0/20–40 Grad
    • Anteversion/Retroversion 150–170/0/40 Grad
    • Außenrotation/Innenrotation bei 90 Grad abduziertem Oberarm 70/0/60 Grad
    • Bei akuten Verletzungen ist die aktive Beweglichkeit in der Regel eingeschränkt, passiv aber möglich (wenn auch schmerzhaft).
    • Bei Omarthrose (Osteophyten) und „Frozen Shoulder“ (adhäsive Kapsulitis) ist auch die passive Beweglichkeit eingeschränkt.
  • Für die Überprüfung der spezifischen Strukturen bei der entsprechenden Verdachtsdiagnose (u. a. Muskeln/Sehnen der Rotatorenmanschette, lange Bizepssehne) verweisen wir auf den Artikel zur klinischen Untersuchung der Schulter.

Weitere Untersuchungen bei Spezialist*innen

Diagnostische Infiltration

  • Injektion von Lokalanästhetikum (und ggf. Glukokortikoid) in potenziell schmerzverursachende Struktur, z. B. Bursa
    • bei anschließender Beschwerdefreiheit starker diagnostischer Hinweis

Bildgebung

  • Röntgen
    • bei V. a. knöcherne Veränderungen, z. B. Fraktur oder Omarthrose
    • bei V. a. Tendinosis calcarea zur Darstellung der röntgendichten Kalkdepots
  • CT
    • bei komplexen Frakturen
  • Sonografie
    • Darstellung der Weichteile, u. a. Bursae, lange Bizepssehne im Sulcus intertubercularis und Ansätze der Rotatorenmanschetten
      • vollständiger Einblick in Gelenk nicht möglich, ggf. ergänzt durch MRT
  • MRT
    • Darstellung intraartikulärer Weichteile, z. B. Labrum, Bursae, lange Bizepssehne und Rotatorenmanschette

Differenzialdiagnosen

Traumatisch bedingte Schulterschmerzen

Schulterschmerzen ohne Trauma

Indikation zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Überweisung an Orthopäd*in bei:
    • Unsicherheiten bezüglich der Diagnose
    • Erkrankung, die die Alltagsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit stark einschränkt.
      • Da die Funktion des Arms eine sehr wichtige Rolle für uns Menschen einnimmt, sollte bei starken Einschränkungen zeitnah eine fachärztliche Beurteilung erfolgen.
    • therapierefraktären Schmerzen unter konservativer Behandlung.
  • Überweisung an Unfallchirurg*in bei:
    • frischem Trauma und V. a. relevante Verletzung von Strukturen im Schulterbereich.
  • Einweisung in Krankenhaus

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Viele Erkrankungen der Schulter sind selbstlimitierend und können konservativ in der Hausarztpraxis versorgt werden.
  • Die exakte Diagnose (welche Sehne oder welcher Schleimbeutel ist überlastet und gereizt?) ist meistens nicht so relevant, da die Therapieprinzipien bei vielen Krankheitsbildern ähnlich sind:
    • Verzicht auf schmerzauslösende Bewegungen
    • Kühlen der Schulter
      • 3–4 x am Tag für jeweils 15–20 min
    • antiphlogistische und analgetische Therapie
      • Topisch durch Diclofenac-Schmerzgel, schmerzendes Areal 1 x am Tag großflächig einreiben.
      • systemisch durch NSAR, z. B. Ibuprofen 600 mg 1–0–1 für 5 Tage
  • Ist die Schulterfunktion stark eingeschränkt, soll jedoch eine zeitnahe Überweisung an Spezialist*in erfolgen, um die Alltags- und Erwerbsfähigkeit nicht zu gefährden.
  • Bei den initial im Artikel genannten Red Flags soll eine sofortige Vorstellung bei Spezialist*in oder in der Notaufnahme erfolgen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Schultergelenk, Skelett
Schultergelenk, Skelett
 
Muskeln an Rücken, Schulter und Nacken
Muskeln an Rücken, Schulter und Nacken

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Rotatorenmanschette. AWMF-Leitlinie-Nr. 033-041. S2e, Stand 2017. (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

  1. Schaufelberger M, Meer A, Furger P, Derkx H et al.. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
  2. Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
  3. Gleich J, Fleischhacker E, Siebenbürger G, et al. Diagnostik und Therapie bei Schulterschmerzen. MMW - Fortschritte der Medizin 2019; 161: 62-73. link.springer.com
  4. Burbank KM, Stevenson JH, Czarnecki GR, Dorfman J. Chronic shoulder pain: Part II. Treatment. Am Fam Physician 2008; 77: 493-7. PubMed
  5. Kleine L, Schönrock H, Schmickal T, et al. Schultererkrankungen. CME 2021; 18: 45-58. link.springer.com
  6. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Rotatorenmanschette. AWMF-Leitlinie-Nr.033 - 041. Stand 2017. (abgelaufen). www.awmf.org

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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