Prüfungsrelevant für die Facharztprüfung Allgemeinmedizin1
Allgemeine Informationen
- Die klinische Untersuchung schließt sich an die Anamnese an und umfasst Inspektion, Palpation, den aktiven und passiven Bewegungsumfang und anschließend befundbezogen spezifische Tests.
- Die klinische Untersuchung erfolgt bei entkleidetem Oberkörper.
- Siehe auch die Artikel:
Anamnese
- Schmerzlokalisation
- Zeigen mit Finger: typisch für Pathologie im AC-Gelenk
- Zeigen mit Handfläche: typisch für Pathologie im Glenohumeralgelenk und subakromialen Raum
- Schmerzcharakter
- Ruheschmerz
- Anlaufschmerzen
- typisch für Arthrose
- nächtliche Schmerzen
- Kann Patient*in auf der betroffenen Schulter liegen, spricht dies in der Regel gegen eine Schultererkrankung, sondern eher für Halswirbelsäulenbeschwerden.2
- Ausstrahlung
- Eine dermatombezogene Ausstrahlung ist ein Anhalt für einen zervikalen Diskusprolaps.
- Instabilitätsgefühl
- (Sub-)Luxation in Vorgeschichte
- Verlauf der Beschwerden
- abrupter Beginn mit Trauma
- ggf. Unfallmechanismus
- schleichend bei degenerativen Erkrankungen
- abrupter Beginn mit Trauma
- Schmerzprovozierende Bewegungen
- klassisch für Schulterpathologie: Schmerzen bei Überkopfarbeiten2
- Weitere Gelenke schmerzhaft
- Anhalt für rheumatische Erkrankung
- Sozial- und Berufsanamnese
- dominante Seite: Links-/Rechtshänder*in
- sportliche Aktivitäten
- körperliche Belastung im Beruf
- Einschränkung durch Schulterschmerzen im Alltag
- Vorerkrankungen/Vor-OP
- Cave: Ein Pancoast-Tumor ist eine seltene Ursache für Schulterschmerzen, bei starker Rauchanamnese dran denken!
- Bisher durchgeführte Therapie und Erfolg davon
Inspektion
- Symmetrie vom Schultergürtel im Seitenvergleich
- Schultertiefstand ist ein Anhalt für Skoliose oder schmerzbedingte Fehlhaltung.
- Muskuläre Dysbalancen können auf ein funktionelles Problem hinweisen.
- Haut
- Narben: Können über eine erhöhte Hautspannung zu Fehlhaltung oder muskulären Tonuserhöhungen führen.
- Rötung: Kann auf Entzündung hindeuten.
- Muskelrelief
- Atrophien in der Fossa supraspinata (M. supraspinatus) oder infraspinata (M. infraspinatus)
- bei länger bestehenden Sehnenrupturen oder Kompression des N. suprascapularis
- Atrophie vom M. deltoideus
- bei Schädigung vom N. axillaris, z. B. bei Humerusfraktur
- bei systemischen Muskelerkrankungen, z. B. bei neuralgischer Schulteramyotrophie
- Atrophien in der Fossa supraspinata (M. supraspinatus) oder infraspinata (M. infraspinatus)
- Scapula alata
- hervorstehendes Schulterblatt, z. B. bei Schädigung vom N. thoracicus longus oder der neuralgischen Schulteramyotrophie
Palpation
- Palpation im Seitenvergleich, damit Patient*in weiß, wie sich an der gesunden Seite ein normaler Befund anfühlt.
- Durch provozierbaren Druckschmerz bekommt man Hinweise auf die beteiligten Strukturen.
- Die Palpation beginnt medial mit dem Sternoklavikulargelenk.3
- gefolgt von Klavikula
- Klavikulafraktur meist gut mit Knochenstufe palpabel
- Akromioklavikulargelenk
- laterale Unterkante Akromion
- Bursa subacromialis, Bursa subdeltoidea, Supraspinatussehne
- Processus coracoideus
- Ursprung M. coracobrachialis und kurzer Kopf des M. biceps brachii
- Ansatz des M. pectoralis minor
- Sulcus intertubercularis
- Verlauf der langen Bizepssehne
- Tuberculum majus
- Ansatz von M. deltoideus, M. supra- und infraspinatus und M. teres major
- Tuberculum minus
- Ansatz vom M. subscapularis
- gefolgt von Klavikula
Bewegungsumfang
Aktiver Bewegungsumfang
- Orientierend für die Funktion der Schulter
- Nackengriff: Hände im Nacken zusammenführen.
- Abduktion, Anteversion und Außenrotation im Schultergelenk
- Schürzengriff: Hände dorso-lumbal zusammenführen.
- Adduktion, Retroversion und Innenrotation im Schultergelenk
- Nackengriff: Hände im Nacken zusammenführen.
- Messung des Bewegungsausmaßes nach Neutral-Null-Methode
- Ausgangsstellung für Neutral-Null-Methode: Arm locker neben Oberkörper hängend
- 1. Wert: Bewegungsausmaß, das vom Körper wegführt.
- 2. Wert: Ausgangsstellung
- 3. Wert: Bewegungsausmaß, das zum Körper hinführt.
- Normwerte nach Neutral-Null-Methode2
- Abduktion/Adduktion: 180/0/20–40 Grad
- Abduktion bei fixiertem Schulterblatt nur 90 Grad
- Anteversion/Retroversion 150–170/0/40 Grad
- Anteversion bei fixiertem Schulterblatt nur 90 Grad
- Außenrotation/Innenrotation bei 90 Grad abduziertem Oberarm 70/0/60 Grad
- Abduktion/Adduktion: 180/0/20–40 Grad
Passiver Bewegungsumfang
- Messung des Bewegungsausmaßes nach Neutral-Null-Methode
- Normwerte wie bei aktivem Bewegungsumfang
Interpretation der Ergebnisse
- Aktive Bewegung theoretisch uneingeschränkt möglich, aber schmerzbedingter Abbruch bei Elevation und Abduktion
- Verdacht auf Bursitis oder Impingement-Syndrom
- Normales Bewegungsausmaß, aber endgradig Schmerzen
- Typisch für Tendopathien, weil die Sehnen dann maximal gedehnt bzw. komprimiert werden.
- Aktive Bewegung eingeschränkt, passive Bewegung normal
- Verdacht auf Rotatorenmanschettenläsion/Tendopathien: z. B. aktive Einschränkung der Außenrotation bei Ruptur von M. infraspinatus und M. teres major, passiv kann die Schulter jedoch bewegt werden.
- Aktive und passive Bewegung eingeschränkt
- Verdacht auf knöcherne Problematik: z. B. blockieren Osteophyten bei Omarthrose sowohl das passive als auch aktive Bewegungsausmaß.
- Differenzialdiagnose adhäsive Kapsulitis („Frozen Shoulder“): Schrumpfung der Gelenkkapsel
- Bewegungsausmaß oberhalb der Norm
- Verdacht auf Hypermobilitätssyndrom bzw. Schulterinstabilität
Spezifische Tests
- Durch die vorangegangenen Untersuchungen sollte bereits eine Verdachtsdiagnose bezüglich der betroffenen Strukturen vorhanden sein, die nun genauer untersucht werden können.
Isometrische Tests
- Gezielte Überprüfung der Muskulatur und Sehnen der Rotatorenmanschette
- Prinzip
- Patient*in soll Bewegung gegen Widerstand von Untersucher*in durchführen.
- Überprüfung der Kraft immer im Seitenvergleich
- Interpretation
- Schmerzen, jedoch volle Kraft: Tendopathie
- Schmerzen, leichte Krafteinschränkung: Partialruptur Sehne/Muskel
- kaum Schmerzen, aber deutliche Krafteinschränkung: Totalruptur
- Cave: Durch Bursitis können ebenfalls Schmerzen auftreten.
- Zuordnung Bewegung zu Muskeln
- Innenrotation: M. subscapularis
- Außenrotation: M. infraspinatus, M. teres major
- Abduktion: M. supraspinatus (Starterfunktion der Bewegung), M. deltoideus
- Flexion und Supination im Ellenbogengelenk: M. biceps brachii
Spezielle Funktionstests
- Es gibt eine Vielzahl von Funktionstests für die Schulter.
- Hier ist eine Auswahl für die Hausarztpraxis, die die häufigsten Schulterpathologien abdeckt.
Painful Arc – Impingement
- Durchführung: Patient*in abduziert Arm langsam, so weit es geht.
- Positiv: Auftreten von Schmerzen bei 60- bis 120-Grad-Abduktion
- Interpretation: Anhalt für Impingement-Syndrom, Bursitis subacromialis, Tendopathie der Supraspinatussehne
Hyperadduktionstest – ACG-Arthrose
- Durchführung: Elevation des Patientenarms auf 90 Grad, anschließend wird die Hand zur gegenüberliegenden Schulter geführt.
- Positiv: Schmerzauslösung im Akromioklavikulargelenk (ACG)
- Interpretation: Anhalt für ACG-Arthrose
Impingement-Test nach Neer
- Durchführung: Patientenarm gestreckt und in maximaler Pronation. Mit einer Hand Skapula fixieren, mit anderer Hand Arm maximal antevertieren.
- Positiv: Schmerzprovokation subakromial
- Interpretation: Anhalt für Impingement-Syndrom, Bursitis und evtl. lange Bizepssehne
Impingement-Test nach Hawkins3
- Durchführung: Patientenarm auf 90 Grad antevertieren, dann 90-Grad-Flexion im Ellenbogengelenk. Anschließend Patientenarm ruckartig innenrotieren.
- Positiv: Schmerzprovokation subakromial
- Interpretation: Anhalt für Impingement-Syndrom
Jobe-Test – Supraspinatussehne
- Durchführung: Untersucher*in hebt gestreckten Patientenarm auf 90-Grad-Abduktion und bewegt ihn in Transversalebene 30 Grad nach vorne. Pronation, sodass Daumen zum Boden zeigt. Untersucher*in übt von kranial Druck gegen den Unterarm Richtung Boden aus, Patient*in soll Armposition halten.
- Positiv: Schmerzen, Unfähigkeit, Armposition zu halten.
- Interpretation: Läsion/Tendopathie der Supraspinatussehne
Drop-Arm-Test – Rotatorenmanschettenläsion4
- Durchführung: Gestreckter Patientenarm wird auf 90-Grad-Abduktion angehoben und Patient*in wird aufgefordert, Arm selbstständig in dieser Position zu halten.
- Positiv: Absinken des Arms (leiches Absinken bereits ausreichend)
- Interpretation: Rotatorenmanschettenläsion, bei vollständigem Herunterfallen Anhalt für Rotatorenmanschettenmassenruptur
Palm-up-Test – lange Bizepssehne4
- Durchführung: Untersucher*in hebt gestreckten Patientenarm auf 90-Grad-Abduktion und bewegt ihn in Transversalebene 30 Grad nach vorne. Anschließend Supination, sodass die Handfläche nach oben zeigt. Untersucher*in übt von kranial Druck gegen den Unterarm Richtung Boden aus, Patient*in soll Armposition halten.
- Positiv: Schmerzen, Unfähigkeit, Armposition zu halten.
- Interpretation: Läsion der langen Bizepssehne, SLAP-Läsion (Schädigung vom Labrum glenoidale)
Illustrationen
Quellen
Literatur
- Lohnstein M, Eras J, Hammerbacher C. Der Prüfungsguide Allgemeinmedizin - Aktualisierte und erweiterte 3. Auflage. Augsburg: Wißner-Verlag, 2018.
- Pfeiffer M, Eibl P, Schuh A. So untersuchen Sie die Schulter richtig — Teil 1. MMW - Fortschritte der Medizin 2019; 161: 57-59. link.springer.com
- Friedrich MJ, Wirtz DC, Rößler PR. Klinische Basisuntersuchung der Schulter. Z Orthop Unfall 2018; 156(4): 449-51. www.thieme-connect.com
- Pfeiffer M, Eibl P, Schuh A. So untersuchen Sie die Schulter richtig — Teil 2. MMW - Fortschritte der Medizin 2019; 161: 59-61. link.springer.com
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).