Definition:Erkrankung des Innenohrs aufgrund endolymphatischen Hydrops.
Häufigkeit:In Deutschland pro Jahr geschätzt 3.200–9.000 Neuerkrankungen.
Symptome:Akute Attacken mit Drehschwindel von 20 min bis 12 h. Zusätzlich fluktuierende Hörstörung, Tinnitus und Druckgefühl im Ohr, meist unilateral.
Befunde:Während Attacke Nystagmus und Hörstörung.
Diagnostik:Nachweis des asymmetrischen Hörverlusts im Tonaudiogramm. MRT zum Ausschluss intrakranieller Neoplasien oder entzündlicher Veränderungen.
Therapie:Akuttherapie mit Antiemetika. Anfallsprophylaxe mit Betahistin. Bei therapierefraktären Beschwerden intratympanale Injektion von Kortison. Ultima Ratio operative Entlastung des Hydrops.
Allgemeine Informationen
Definition
Erstbeschreibung 1861 durch den französischen Arzt Prosper Menière1
Erkrankung des Innenohrs aufgrund eines endolymphatischen Hydrops2-3
Gekennzeichnet durch wiederkehrende Episoden der Symptomtrias, die über Minuten bis Stunden anhält:4-5
Pathophysiologisches Korrelat der Erkrankung wahrscheinlich Hydrops der Endolymphe2-3
ursächlich vermutlich vermehrte Produktion/verminderte Resorption oder Abflusshindernis der Endolymphe im Innenohr
Initial Störung des elektrophysiologischen Gleichgewichts und damit auch der Signaltransduktion im Bereich des Innenohres2
Mit Fortschreiten der Erkrankung irreversible morphologische Veränderungen und Schädigungen der Sinneszellen durch hohen Druck des „aufgeblähten" Endolymphraums1,3
Bis zu 50 % der Patient*innen leiden zusätzlich an Migräne oder Kopfschmerzen.
Von einigen Autor*innen wird Morbus Menière als cochleovestibuläre Form der Migräne verstanden, die durch Dysregulation der cochleären Mikrozirkulation ausgelöst wird.
mindestens 2 Drehschwindelanfälle mit Dauer von 20 min bis 12 h
Einseitiger neurosensorischer Hörverlust im tiefen und mittleren Frequenzbereich in mindestens einem Tonaudiogramm, das während oder nach Anfall erstellt wurde.
fluktuierende otologische Symptome (Hörverlust, Tinnitus, Druckgefühl) im betroffenen Ohr
Es gibt keine andere Diagnose, die die Symptome erklären könnte.
wahrscheinliche Diagnose
mindestens 2 Drehschwindelanfälle mit Dauer von 20 min bis 24 h
fluktuierende otologische Symptome (Hörverlust, Tinnitus, Druckgefühl) im betroffenen Ohr
Es gibt keine andere Diagnose, die die Symptome erklären könnte.
Leitsymptom anfallsartiger Drehschwindel, der mit schwankendem, häufig fortschreitendem Hörverlust und meist tiefklingendem Ohrgeräusch (Tinnitus) einhergeht.1
Typische Attacke: mindestens 20-minütig bis stundenlang schwerer Drehschwindel mit starkem Erbrechen1
Kürzere und längere Anfälle haben wahrscheinlich andere Ursachen.
Ein Hörverlust kann vor, während oder nach der Attacke auftreten und im Verlauf ausgeprägte Fluktuation zeigen.2
Klinische Untersuchung
Während der Attacke tritt Nystagmus auf.
Schwankende Hörstörungen, ggf. bei orientierendem Hörtest Seitendifferenzen feststellbar
Ansonsten meist klinisch unauffälliger Befund
Funktionsdiagnostik von Hör- und Gleichgewichtsorgan bei Spezialist*in erforderlich2
Klinische Untersuchung bei Schwindel generell
Falls Schwindel mit unklarer Ursache besteht, empfiehlt die DEGAM die folgenden Untersuchungen, von denen oft nur ein Teil notwendig ist.5
Allgemeiner Status
Blässe (Konjunktiven)
Angst/Beunruhigung
Bewegung der Patient*innen (halten sie sich fest?)
Darstellung der Symptomatik (dramatisierend: psychogene Ursachen) Medikamentenanamnese und mögl. Einflüsse
Intoxikationen
Kreislauf
Blutdruck (ggf. Schellong-Test)
Herzauskultation
ggf. Karotis-Druck-Versuch unter EKG-Monitoring durch Geübte
ggf. Pulsstatus bei Armheben (Subclavian Steal Syndrom)
HWS
Myogelosen
zervikaler Schwindel
Neurologische Untersuchung
Reflexstatus, Sensibilität an Beinen (plus Stimmgabel)
Tonaudiogramm zum Nachweis einer einseitigen Schallempfindungsstörung der tiefen und mittleren Frequenzen3
Hörvermögen fluktuierend, deswegen möglichst während oder zeitnah eines Anfalls
MRT
Bei asymmetrische Hörminderung MRT des Felsenbeins und Kleinhirnbrückenwinkels zum Ausschluss eines Vestibularis-Schwannoms oder anderer Erkrankungen der Hörbahn2
Untersuchung der Bogengänge (u. a. thermische und rotatorische Prüfung) und Otolithen (neurophysiologische Prüfung mittels „vestibulär evoziertem myogenem Potenzial")3
Indikationen zur Überweisung
Bei V. a. M. Menière empfiehlt die DEGAM immer eine Überweisung an Spezialist*in (HNO).5
Checkliste zur Überweisung
Morbus Menière
Zweck der Überweisung
Diagnostik? Therapie? Sonstiges?
Anamnese
Seit wann besteht die Erkrankung? Entwicklung? Häufigkeit der Anfälle? Betroffene Seite(n)?
Andere relevante Krankheiten? Familiäre Disposition?
Regelmäßig einzunehmende Medikamente?
Konsequenzen: Arbeit, soziales Umfeld, Isolation?
Klinische Untersuchung
Ggf. Beobachtung während der Anfälle: Nystagmus?
Hörtest
Ergänzende Untersuchungen
Audiometrie
MRT
Therapie
Therapieziele
Symptome lindern.
Neuen Anfälle vorbeugen.
Allgemeines zur Therapie
Therapeutisches Stufenschema von allgemeinen aufklärenden Maßnahmen über medikamentöse Therapie bis hin zu operativen Maßnahmen2
Aufklärung
Ausreichendes Wissen der Patient*innen über präventive Maßnahmen, Symptome, Akutmaßnahmen im Anfallsgeschehen und längerfristige Therapieoptionen fördert die Selbstständigkeit und Krankheitsbewältigung.2
Optimierung anfallsauslösender Faktoren
Interindividuell bestehen verschiedene anfallsauslösende Faktoren, die aufgespürt und optimiert werden sollten.2
Druckverminderung im Bereich des Endolympheraums durch Dekompression, Schlitzung (klassische Saccotomie) oder Schlitzung mit Einlage einer Drainage am Saccus endolymphaticus
Dekomprimierende Maßnahmen mit Erfolgsrate von etwa 80 % (bezogen auf Reduktion des Schwindels) und niedrigem Risiko für Komplikationen wie Gehörverlust15
Ablative Eingriffe
Ablative Eingriffe heilen den Schwindel durch Zerstörung des Vestibularorgans auf der betroffenen Seite, jedoch besteht ein hohes Risiko für eine Schädigung der Chochlea.15
kein Einsatz bei Patient*innen mit erhaltener Hörfunktion
heutzutage nur noch selten durchgeführt
z. B. vestibuläre Neurektomie oder Labyrinthektomie
Verbessert nachweislich Gehör und Funktion bei Patient*innen mit fortgeschrittenem Morbus Menière.
Teilnahme am Straßenverkehr
Patient*innen darüber informieren, dass sie während der Schwindelattacken nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, also keine Fahreignung besteht.2
Fahreignung nur gegeben, wenn Schwindelattacken längerfristig kontrolliert sind oder sich durch deutliche Prodromi rechtzeitig ankündigen.2
Erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen, insbesondere Depression, im Vergleich zu der gesunden Bevölkerung17
Prognose
Bei ca. 50 % der Patient*innen innerhalb von 2 Jahren Spontanremission, bei mehr als 70 % nach 8 Jahren18
Bei frühzeitiger Diagnose stehen, abhängig von der Krankheitsschwere, unterschiedliche Therapiemaßnahmen zur Verfügung, mit der in der Regel gute Ergebnisse erzielt werden können.
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Schwindel, akut in der Hausarztpraxis. AWMF Leitlinie Nr. 053-018. S3, Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org
Literatur
Schaaf H. Morbus Menière. Berlin, Heidelberg: Springer, 2017. link.springer.com
Episodische Schwindelformen, Teil I: Morbus Menière. Widmann M, Ihler F. MMW - Fortschritte der Medizin 2021; 163: 46-49. link.springer.com
Yann L, Raphael M. Morbus Menière. Swiss Med Forum 2019; 19: 742-7. medicalforum.ch
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Schwindel, akut in der Hausarztpraxis. AWMF Leitlinie Nr. 053-018. S3. Stand 2015. (abgelaufen). www.awmf.org
Karl F. Masuhr, Florian Masuhr, Marianne Neumann : Duale Reihe Neurologie, 7 Auflage, 2013.
Klockars T, Kentala E. Inheritance of Meniere's disease in the Finnish population. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2007; 133:73-7. PMID: 17224529 PubMed
Yeo NL, White MP, Ronan N, et al. Stress and Unusual Events Exacerbate Symptoms in Menière's Disease: A Longitudinal Study. Otol Neurotol 2018; 39(1): 73-81. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Lopez-Escamez JA, Carey J, Chung WH, et al. Diagnostic criteria for Menière's disease. J Vestib Res 2015; 25(1): 1-7. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Aliud Pharma. Fachinformation Dimenhydrinat. Stand 2014. Letzter Zugriff 25.10.2021. fachinformation.srz.de
Stadapharm. Fachinformation Betahistin. Stand 2014. Letzter Zugriff 25.10.2021. fachinformation.srz.de
Murdin L, Hussain K, Schilder AGM. Betahistine for symptoms of vertigo. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016. Issue 6. Art. No.: CD010696. DOI 10.1002/14651858. CD010696.pub". www.cochranelibrary.com
Patel M, Agarwal K, Arshad Q, et al. Intratympanic methylprednisolone versus gentamicin in patients with unilateral Meniere`s disease: a randomised, double-blind, comparative effectiveness trial. Lancet 2016; 388(10061): 2753-2762. pmid:27865535 PubMed
Harcourt JP, Lambert A, Wong PY, et al. Long-Term Follow-Up of Intratympanic Methylprednisolone Versus Gentamicin in Patients With Unilateral Menière's Disease. Otol Neurotol 2019; 40(4): 491-6. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Fife TA, Lewis MP, May JS, Oliver ER. Cochlear Implantation in Ménière's Disease. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2014; 140: 535-9. doi: 10.1001/jamaoto.2014.550. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Tyrrell J, White MP, Barrett G, et al. Mental Health and Subjective Well-being of Individuals With Ménière's: Cross-sectional Analysis in the UK Biobank. Otol Neurotol 2015; 36(5): 854-61. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Minor LB, Schessel DA, Carey JP. Ménière's disease. Curr Opin Neurol. 2004; 17):9-16. PMID: 15090872 PubMed
Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
BBB MK 26.10.2021 umfassend revidiert und umgeschrieben.
02.03.16. Betydelig endring. Fjernet mange referanser, og noen nye. Ingen store faglige endringer. Revision at 04.11.2013 11:37:10:
Revidert. Små endringer. MK 19.01.17
Definition:Erkrankung des Innenohrs aufgrund endolymphatischen Hydrops. Häufigkeit:In Deutschland pro Jahr geschätzt 3.200–9.000 Neuerkrankungen. Symptome:Akute Attacken mit Drehschwindel von 20 min bis 12 h. Zusätzlich fluktuierende Hörstörung, Tinnitus und Druckgefühl im Ohr, meist unilateral.