Definition:Akutes Lungenversagen mit schwerer Oxygenierungsstörung unter Ausschluss einer primär kardialen Ursache.
Häufigkeit:Große Variation in der angegebenen Inzidenz, ca. 10–80 Fälle pro 100.000/Jahr.
Symptome:Die führenden Symptome sind Dyspnoe, Tachypnoe, Zyanose. Evtl. Unruhe und Verwirrtheit.
Befunde:Schwere Hypoxämie, röntgenologisch bilaterale pulmonale Infiltrate, Fehlen von Anzeichen für ein kardiogenes Lungenödem.
Diagnostik:Rö-Thorax oder CT-Thorax. Blutgasanalyse mit Messung des O2-Partialdrucks, Bestimmung des Ausmaßes der Oxygenierungsstörung anhand des PaO2/FiO2-Quotienten bei beatmeten Patient*innen. Echokardiografie zum Ausschluss einer primär kardialen Ursache.
Verlauf:Bei letalem Verlauf (ca. 30–40 %) Tod meist innerhalb der ersten 2 Wochen. Ansonsten breites Spektrum zwischen vollständiger Erholung und andauernder Gasaustauschstörung.
Allgemeine Informationen
Definition
Akutes Atemnotsyndrom (Syn. akutes Lungenversagen, Schocklunge) oder ARDS = Acute Respiratory Distress Syndrome (früher wurde auch die Bezeichnung Adult Respiratory Distress Syndrome verwendet)
Inzidenz Berlin 1995: 88,6 Fälle pro 100.000 Patientenjahre6
Zahlen aus den USA: 58,7 Fälle pro 100.000 Personenjahre7
niedrigere Inzidenz bei Kindern: 12,8 pro 100.000 Personenjahre8
ältere Zahlen aus Skandinavien: 13,5 Fälle pro 100.000/Jahr9
7 % aller Patient*innen in Intensivbehandlung entwickeln ein ARDS.5
12,5 % bei Patient*innen mit Intensivtherapie > 24 Stunden5
Ätiologie und Pathogenese
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.10
Direkte pulmonale oder indirekte extrapulmonale Noxen bewirken einen Anstieg an proinflammatorischen Mediatoren.
Durch diese Entzündungsmediatoren migrieren aktivierte neutrophile Granulozyten in das vaskuläre Endothel und alveoläre Epithel, setzen dort Proteasen, Zytokine und Sauerstoffradikale frei.
Dies führt zu einer pathologischen vaskulären Permeabilität, Schäden im Alveolarepithel und einer Nekrose der Pneumozyten.
Es folgt eine pathologische Flüssigkeitsansammlung in den Alveolen (Lungenödem).
Bildung von Mikrothromben in den kleinen Blutgefäßen
Verlust von Surfactant auf der Alveolaroberfläche
Bildung von hyalinen Membranen zwischen Alveolen und Bronchiolen
Daraus resultieren eine reduzierte Lungencompliance und ein schlechter Gasaustausch.
Im Verlauf werden das geschädigte vaskuläre Endothel und alveoläre Epithel durch Bindegewebe (Fibroblasten) ersetzt, was eine Fibrose zur Folge hat.
in Folge dauerhaft verschlechterter Gasaustausch
Auslöser eines ARDS
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
Erhöhung des PEEP bis zur optimalen Oxygenierung, evtl. Rekrutierungsmanöver
Vermeidung von Atelektasen bzw. Rekrutierung von kollabierten Lungenanteilen
Vermeiden eines zu hohen PEEP
bei zu hohem PEEP Überblähung der Lunge mit Erhöhung des Totraumvolumens, Abfall von Herzminutenvolumen und pulmonaler Perfusion4
Lagerungstherapie
Bauchlage führt bei den meisten beatmeten Patient*innen mit ARDS zu einer besseren Oxygenierung.
Bauchlage empfohlen bei Betroffenen mit moderatem bis schwerem ARDS (PaO2/FiO2 < 150 mmHg)14
Bei Patient*innen mit ARDS (PaO2/FIO2 < 150) und lungenprotektiver Beatmungsstrategie führt die frühe Anwendung prolongierter Bauchlagerung zu einer signifikanten Senkung der Letalität im Vergleich zur Rückenlagerung.14
Lungenersatzverfahren
Option bei Patient*innen mit schwerem ARDS, z. B.:
Mortalitätsrate bei Patient*innen mit ARDS 27–45 %5
27 % bei leichtem ARDS
32 % bei moderatem ARDS
45 % bei schwerem ARDS
Eine Restitutio ad integrum ist möglich.
beste Chance auf vollständige Erholung bei jungen Menschen mit posttraumatischem ARDS im Lauf der nächsten 6–12 Monate5
Bleibende respiratorische Beeinträchtigung bei ca. der 50 % der Patient*innen19
restriktive Ventilationsstörung
Diffusionsstörung
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Depression bei 25–50 % der Patient*innen19
Neurokognitive Störungen bei den meisten Betroffenen19
Insgesamt oftmals verminderte gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL) der Patient*innen über Monate und Jahre20
Vielversprechende Ansätze zur Verbesserung sind:20
konsequente Frühmobilisierung
Führung von ITS-Tagebüchern.
Verlaufskontrolle
Eine aktive Nachkontrolle der häufigen Komplikationen im Verlauf wird für die hausärztliche Versorgung angeraten.21
Empfohlen werden insbesondere Gewichtskontrollen, neurologische Untersuchungen und die Verwendung von standardisierten Fragebögen.
Insbesondere bei posttraumatischen Belastungen ist ein aktives Nachfragen unumgänglich, da hier ein Vermeidungsverhalten zur klinischen Symptomatik gehört.
Möglicherweise Verbesserung der Lebensqualität durch Etablierung von ITS-Follow-up-Kliniken20
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
Darüber informieren, dass psychische und andere Probleme bei einer so schweren Erkrankung zu erwarten sind, und dass es wichtig ist, sich aktiv Hilfe zu suchen.
Deutsche Sepsis-Gesellschaft und Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Sepsis - Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge. AWMF-Leitlinie Nr. 079-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 001-015. S2e, Stand 2015. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie. AWMF-Leitlinie Nr. 020-020. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz. AWMF-Leitlinie Nr. 020-004. S3, Stand 2015. www.awmf.org
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg
Konrad Schmidt, Dr. med., Universitätsklinikum Jena (Review)
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Akutes Lungenversagen mit schwerer Oxygenierungsstörung unter Ausschluss einer primär kardialen Ursache. Häufigkeit:Große Variation in der angegebenen Inzidenz, ca. 10–80 Fälle pro 100.000/Jahr.