Diabetische Ketoazidose

Zusammenfassung

  • Definition:Lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung durch Insulinmangel, insbesondere beim Typ-1-Diabetes, die sich durch Hyperglykämie, Ketose und Azidose auszeichnet.
  • Häufigkeit:In 21 % der Fälle Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes. Bei bekanntem Typ-1-Diabetes jährliche Inzidenz von etwa 5 %.
  • Symptome: Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen häufig führend. Zudem Polyurie und Polydipsie.
  • Befunde:Kußmaul-Atmung und Acetongeruch des Atems durch Ketonkörper. Zeichen der Dehydrierung, in schweren Fällen auch Bewusstseinsstörungen.
  • Diagnostik:Bestimmung von Blutzucker, pH-Wert im Blut und Ketonkörpern im Urin.
  • Therapie:Umgehende Krankenhauseinweisung zum engmaschig überwachten, langsamen Ausgleich der Hyperglykämie, Dehydrierung und Elektrolytverschiebungen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Stoffwechselentgleisung aufgrund eines absoluten oder relativen Insulinmangels mit konsekutiver Verstoffwechselung von Fettsäuren1
    • Entstehung einer ketoazidotischen Stoffwechsellage
    • typischerweise Auftreten bei Typ-1-Diabetes
  • Diabetische Ketoazidose wird im Folgenden mit DKA abgekürzt.

Klassifikation

  • Einteilung in 3 Schweregrade2
    • mild: pH-Wert < 7,3; Serumbicarbonat < 15 mmol/l
    • mäßig: pH-Wert < 7,2; Serumbicarbonat < 10 mmol/l
    • schwer: pH-Wert < 7,1; Serumbicarbonat < 5 mmol/l

Häufigkeit

  • Abhängig von der medizinischen Strukturierung und Aufklärung gibt es geografisch große Unterschiede.3
  • Deutschland
    • bei 21 % der Patient*innen mit Typ-1-Diabetes Erstmanifestation mit DKA4
      • vor allem bei Kindern < 5 Jahre
    • bei bekanntem Typ-1-Diabetes jährliche Inzidenz von etwa 5 % für DKA5-6
      • Mädchen häufiger als Jungen betroffen
      • Migrant*innen häufiger als Nicht-Migrant*innen betroffen
  • Auftreten auch bei Typ-2-Diabetes möglich, jedoch deutlich seltener als bei Typ-1-Diabetes

Pathophysiologie

  • Komplexe metabolische Störung mit Hyperglykämie, Azidose und Ketonurie7
  • Hyperglykämie
    • Auslösung der Erkrankung durch absoluten oder relativen Insulinmangel, der zu Anstieg der Hypoglykämie-gegensteuernden Hormone führt.
      • verstärkte hepatische Glukoneogenese, Glykogenolyse und Lipolyse
      • Hyperglykämie
  • Azidose und Ketonurie
    • Verbrennung freier Fettsäuren zur alternativen Energiegewinnung mit Akkumulation von sauren Metaboliten (Ketonkörpern)
      • Ketonkörper: Azeton, Beta-Hydroxybuttersäure und Azetoazetat
    • Ansammlung der sauren Ketonkörper verursacht metabolische Azidose (Ketoazidose) mit Abfall des pH-Wertes und des Bicarbonatspiegels
    • Bei Überschreiten der Nierenschwelle gelangen Ketonkörper auch in den Urin.
  • Dehydrierung
    • Hyperglykämie führt bei Überschreiten der Nierenschwelle zu Glukosurie.
      • Polyurie mit ausgeprägtem Flüssigkeitsverlust und Dehydrierung
    • Azidose verursacht Übelkeit und Erbrechen.
      • dadurch zusätzliche Störung des Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalts
  • Elektrolytstörungen
    • Kaliumverlust durch Übergang des Kaliums aus Intra- in Extrazellulärraum mit gleichzeitigem Austausch von H+-Ionen, die sich extrazellulär durch Azidose ansammeln.
      • renale Ausscheidung von Großteil des Kaliums durch osmotische Diurese
    • Hohe Serumosmolarität zieht Wasser aus Intra- in Extrazellulärraum und verursacht Hyponatriämie durch Verdünnung.
      • zusätzlich Ausscheidung von Natrium durch osmotische Diurese

Disponierende Faktoren

  • Triggerfaktoren für DKA beim Typ-1-Diabetes1
    • nicht erkannte Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes mellitus
    • Unterbrechung einer laufenden Insulintherapie
    • Unterbrechung der Insulingabe bei Insulinpumpentherapie (ggf. durch technische Fehler)
    • Akute, schwere Erkrankungen, die mit gesteigerter, kataboler Verstoffwechselung und erhöhtem Insulinbedarf einhergehen.
      • z. B. Operationen oder fieberhafte Infektionen
  • Arzneimitteleinnahme (z. B. Diuretika, Kortikosteroide)1,8
  • Bei Typ-2-Diabetes
    • schwere Infektionen
    • massiver Alkoholabusus 
    • ausgeprägter Insulinmangel
    • atypische oder euglykämische diabetische Ketoazidose bei Patient*innen unter SGLT-2-Therapie als seltene Nebenwirkung9

ICPC-2

  • T89 Diabetes 1  
  • T90 Diabetes 2  

ICD-10

  • E10.1 Diabetes mellitus, Typ 1 : Mit Ketoazidose
  • E11.1 Diabetes mellitus, Typ 2 : Mit Ketoazidose

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • DKA biochemisch definiert durch:1
    • Blutglukose > 250 mg/dl (> 13,9 mmol/l) und
    • Ketonämie und/oder Ketonurie und
    • arteriellen pH < 7,35 oder
    • venösen pH < 7,3 und Serum-Bikarbonat < 270 mg/dl (< 15 mmol/l).

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Triggerfaktoren für DKA vorhanden?
    • akute Erkrankung, z. B. Infektion, Fieber, Operation 
    • Änderungen der Insulintherapie, Probleme mit Insulinpumpe
  • Die Ausprägung der klinischen Symptome korreliert mit dem Schweregrad der Ketoazidose.1

Klinische Untersuchung

  • Bewusstseinszustand
    • Variiert von wach über verwirrt bis komatös.8
  • Atmung
    • Hyperventilation zur respiratorischen Kompensation der metabolischen Azidose: Kussmaul-Atmung mit tiefen Atemzügen
    • Azetongeruch im Atem (fruchtig, obstartig)
  • Dehydrierung
  • Elektrolytstörungen

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis 

  • Blutglukose
  • Ketonkörper im Urin
    • Cave: Möglichkeit falsch negativer Ergebnisse (niedrige Sensitivität)!

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Menschen mit Typ-1-Diabetes und klinischem Verdacht auf mittlere oder schwere diabetische Ketoazidose sollen umgehend stationär eingewiesen werden.1
    • Bei Verdacht auf leichte Ketoazidose kann in Abhängigkeit der Möglichkeiten und Adhärenz der Betroffenen auch eine ambulante Behandlung stattfinden.

Therapie

Therapieziele

  • Durch Zufuhr von Insulin und Flüssigkeit Ketoazidose, Dehydrierung und Elektrolytstörungen langsam korrigieren.
    • Verhinderung eines Hirnödems durch zu schnellen Ausgleich.

Allgemeines zur Therapie

Leitlinie: Therapie des Typ-1-Diabetes1

Therapieprinzipien

  • Kreislaufstabilisierung mit initialer Volumengabe von 1 l in der ersten Stunde mit isotoner Lösung (0,9 % NaCl)
  • Dann langsamer Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich in Abhängigkeit von Alter, Größe, Gewicht und etwaigen Begleiterkrankungen (Gesamtflüssigkeitszufuhr kann bis zu 6 l/24 h und mehr bei ≥ 70 kg schweren Patient*innen betragen)
  • Substitution von Kalium bereits im Normbereich in Abhängigkeit vom Schweregrad der Ketoazidose durch Zugabe von 40 mval Kaliumchlorid pro 1.000 ml NaCl 0,9 %
  • Langsame Normalisierung der Blutglukose durch „Niedrig-Dosis-Insulin“ 
  • Ausgleich von Azidose und Ketose (Gabe von Bicarbonat nur bei pH-Wert < 7,0 und dann bis zu einer Korrektur bis 7,1)
  • Vermeidung von Therapiekomplikationen (Hypokaliämie, Hirnödem)
  • Diagnose und Therapie der auslösenden Ursachen der DKA

Monitoring

  • Die Überwachung von Menschen mit Typ-1-Diabetes, die wegen einer diabetischen Ketoazidose behandelt werden, soll unter intensivmedizinischen Bedingungen erfolgen.
    • Während der Behandlung der schweren Ketoazidose sollen klinische Beurteilung und Monitoring mindestens stündlich erfolgen.

Erste Hilfe außerhalb des Krankenhauses

  • Schnelle Organisation eines Krankentransports
  • Legen eines großen Venenzugangs und Infusion mit isotoner Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %)

Prävention

  • Informationen und Schulung zur Erkennung der DKA und Eigenbehandlung10

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • DKA kann sich innerhalb von weniger als 24 Stunden dramatisch entwickeln. 8

Komplikationen

  • Hirnödem
    • seltene, aber lebensgefährliche Komplikation
      • häufigste Todesursache bei Patient*innen mit Diabetes mellitus unter 24 Jahren11-12
    • gehäuft bei jüngeren Patient*innen8,13
    • Ätiologie1
      • bei zu schnellem Ausgleich der Hypovolämie bzw. der Hyperglykämie mit Verschiebung osmotisch aktiver Substanzen nach intrazellulär
    • Symptome1
    • Monitoring1
      • engmaschige Erhebung des neurologischen Status (Pupillenweite, Pupillenlichtreflex, Reflexstatus, Atemfrequenz/-muster)
    • Diagnostik14
      • CT oder MRT: u. a. verschmälerte Ventrikel
    • Therapie1
      • Gabe von Mannitol oder hyberbarer Kochsalzlösung
  • Elektrolytentgleisungen

Prognose

  • Bei zügiger Intervention in der Regel gut, aber später können Rezidive auftreten, wenn die Patient*innen die Bedeutung einer strengen Stoffwechselkontrolle unterschätzen.10
  • Hirnödem mit Mortalität von rund 25 %, und von denen, die überleben, wird ungefähr 1/4 unter erheblichen Spätfolgen leiden.15

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Patient*innen mit Typ-1-Diabetes mellitus sollen über Teststreifen zur Messung der Ketonkörper im Urin oder im Blut verfügen und im Umgang mit diesen sowie der Interpretation der Messwerte geschult werden.1
  • Einhaltung der empfohlenen Insulindosierung
    • Insulindosierung bei Infektionen erhöhen.
    • Aufklärung über Insulinanpassung insbesondere bei jüngeren Personen, die allein wohnen.
  • Klassischer Fall Gastroenteritis
    • Infekt kann durch Stresshormone bereits höhere Blutzuckerspiegel verursachen.
    • Da die Personen nicht essen, reduzieren sie aber häufig die Insulindosen oder unterlassen es, sie zu erhöhen.
    • Im Verlauf Verwechslung der Symptome der DKA mit denen der Gastroenteritis, sodass die DKA nicht erkannt wird.
  • Aufklärung von Patient*innen mit Insulinpumpen über die Gefahr einer Ketoazidose bei Katheterverschlüssen oder anderen technischen Defekten.1

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Leitlinie Nr. 057-013. S3, Stand 2018. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Therapie des Diabetes mellitus Typ 1. AWMF Leitlinie 057-013. S3. Stand 2018. www.awmf.org
  2. Wolfsdorf JI, Glaser N, Agus M, et al. ISPAD Clinical Practice Consensus Guidelines 2018: Diabetic ketoacidosis and the hyperglycemic hyperosmolar state. Pediatr Diabetes 2018; 19(27): 155-177. edisciplinas.usp.br
  3. Neu A, Datz N. Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie. Berlin: Springer, 2019. link.springer.com
  4. Neu A, Hofer SE, Karges B, et al. Ketoacidosis at Diabetes Onset Is Still Frequent in Children and Adolescents. Diabetes Care 2009; 32(9): 1647-8. care.diabetesjournals.org
  5. Fritsch M, Rosenbauer J, Schober E, Neu A, Placzek K, Holl RW. German Competence Network Diabetes Mellitus and the DPV Initiative. Predictors of diabetic ketoacidosis in children and adolescents with type 1 diabetes. Experience from a large multicentre database. Pediatr Diabetes 2011;12(4 pt 1):307–312. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Karges B, Rosenbauer J, Holterhus PM, et al. Hospital admission for diabetic ketoacidosis or severe hypoglycemia in 31 330 young patients with type 1 diabetes. European Journal of Endocrinology 2015; 173(3): 341-50. eje.bioscientifica.com
  7. Wilson JF. In clinic. Diabetic ketoacidosis Ann Intern Med 2010;152(1):ITC1-1-ITC1-15. www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Kitabchi AE, Umpierrez GE, Miles JM, Fisher JN. Hyperglycemic crises in adult patients with diabetes. Diabetes Care 2009; 32:1335-43 www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Kopf S. Atypische diabetische Ketoazidose bei Patienten mit Typ-2-Diabetes unter SGLT-2-Therapie. Diabetes aktuell 2020; 18(1): 30-33. www.thieme-connect.com
  10. Freeland BS. Diabetic ketoacidosis. Diabetes Educ 2003; 29: 384-95. PubMed
  11. Henriksen OM, Røder ME, Prahl JB, Svendsen OL. Diabetic ketoacidosis in Denmark incidence and mortality estimated from public health registries. Diabetes Res Clin Pract 2007;76(1):51-56. PubMed
  12. Kitabchi AE, Umpierrez GE, Miles JM, Fisher JN. Hyperglycemic crisis in adult patients with diabetes. Diabetes Care 2009;32(7):1335-43. PubMed
  13. Edge JA, Hawkins MM, Winter DL et al. The risk and outcome of cerebral oedema developing during diabetic ketoacidosis. Arch Dis Child 2001; 85: 16-22. PubMed
  14. Glaser NS, Wootton-Gorges SL, Buonocore MH, et al. Frequency of sub-clinical cerebral edema in children with diabetic ketoacidosis. Pediatr Diabetes 2006;7:75-80. PubMed
  15. Cummings E, Lawrence S, Daneman D. Cerebral edema (CE) in pediatric diabetes ketoacidosis (DKA) in Canada. Diabetes 2003; 52: A400. www.cpsp.cps.ca

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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