Allgemeine Informationen
Definition
- Hypoparathyreoidimus ist definiert durch die verminderte Sekretion von Parathormon aus den Nebenschilddrüsen mit konsekutiver Hypokalzämie.1-3
- primärer Hypoparathyreoidismus (selten)
- genetisch
- idiopathisch
- sekundärer Hypoparathyreoidismus
- postoperativ (Mehrzahl der Fälle)
- funktionell bei Hypomagnesiämie
- primärer Hypoparathyreoidismus (selten)
- Abzugrenzen ist der Pseudohypoparathyreoidismus durch verminderte Wirkung von Parathormon (PTH-Spiegel erhöht).
Häufigkeit
- Seltene endokrine Erkrankung (Orphan Disease)4
- Prävalenz
- Wenige epidemiologische Daten, die Gesamtprävalenz wird in internationalen Studien auf ca. 10–40/100.000 geschätzt.3
- Geschlecht
- Frauen zu Männern ca. 3:1, vermutlich aufgrund der häufigeren Schilddrüsenoperationen bei Frauen5-6
- Alter
- ca. 75
- ca. 75
- Ursachen
- überwiegend Folge von Operationen (Schilddrüse, Nebenschilddrüse), nichtchirurgische Ursachen selten4
- überwiegend Folge von Operationen (Schilddrüse, Nebenschilddrüse), nichtchirurgische Ursachen selten4
Problemstellung für die hausärztliche Praxis
Ätiologie und Pathogenese
Wirkung von Parathormon
- Das Parathormon regelt den Kalzium-, Phosphat- und Vitamin-D-Stoffwechsel.5
- Freisetzung von Kalzium aus dem Knochen
- Verringerung der Kalziumausscheidung im Urin
- Stimulation der Synthese von aktivem Vitamin D3 (Calcitriol) in der Niere, das für die Resorption von Kalzium (und Phosphat) über den Darm nötig ist.
- Erhöhung der Phosphatausscheidung im Urin
Ätiologie
- Selten genetisch bedingt, wobei die zahlreichen möglichen Defekte in 2 Gruppen aufgeteilt werden können.4,6
- isolierte Endokrinopathien (autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv)
- syndromale Erkrankungen (autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv), z. B.:
- autoimmunes polyendokrines Syndrom
- Di-George-Syndrom.
- Die überwiegende Anzahl der Fälle tritt postoperativ nach Eingriffen am Hals auf (Thyreoidektomie, Parathyreoidektomie, Neck Dissection).4,
78-810 - Überwiegend transienter Hypoparathyreoidismus nach OP mit Erholung innerhalb von 6 Monaten6
- transienter Abfall von PTH auch nach Radiojodtherapie beschrieben
79
- transienter Abfall von PTH auch nach Radiojodtherapie beschrieben
- Persistierender Hypoparathyreoidismus allgemein bei ca. 0,5–5
911 - Seltenere Ursachen für einen sekundären Hypoparathyreoidismus sind infiltrative Erkrankungen (Hämochromatose, M. Wilson), Metastasen oder eine funktionelle Ursache (Magnesiummangel).
1012
Pathogenese
- Symptome des Hypoparathyreoidismus entstehen vor allem durch die Hypokalzämie.3,5,
1012-1214- akut (Tetanie)
- Unruhe, Angst
- Parästhesien peroral/Extremitäten
- Muskelkrämpfe
- (z. B. Pfötchenstellung der Hände
- , Broncho-/Laryngospasmus
- chronisch
- Fatigue
- psychische Störungen: Angst, Depression
- Muskelkrämpfe
- QT-Verlängerung im EKG, Rhythmusstörungen
- zerebrale Krampfanfälle
- Basalganglienverkalkungen
- Katarakt
- Nierensteine, Nephrokalzinose, Niereninsuffizienz
- verlangsamter Knochenumbau, Minderung der Knochenqualität
- trockene Haut, brüchige Nägel, Haarausfall, Kandidiasis, Weichteilverkalkungen
- erhöhtes Infektionsrisiko
- insgesamt deutliche Minderung der Lebensqualität
- akut (Tetanie)
Prädisponierende Faktoren
- Risikofaktoren für die Entwicklung eines chronischen postoperativen Hypoparathyreoidismus
79- präoperativ
- weibliches Geschlecht
- Lebensalter >
- Autoimmunthyreoiditis Typ Basedow
- endokrine Orbitopathie bei Morbus Basedow
- Rezidivoperation
- vorbestehender Vitamin-D-Mangel
- intraoperativ
- geringe chirurgische Erfahrung
- anatomisch kritische Lage der Nebenschilddrüsen
- Anzahl der intraoperativ geschützten Nebenschilddrüsen
- Autotransplantation von Nebenschilddrüsengewebe
- Resektionsausmaß
- Lymphknotendissektion, ipsilateral und bilateral
- Operationsdauer >
- postoperativ
- revisionspflichtige Nachblutung
- präoperativ
ICPC-2
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E20 Hypoparathyreoidismus
- E20.0 Idiopathischer Hypoparathyreoidismus
- E20.1 Pseudohypoparathyreoidismus
- E20.8 Sonstiger Hypoparathyreoidismus
- E20.9 Hypoparathyreoidismus, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klinische Zeichen einer Hypokalzämie
- Laborkonstellation4,
1315- Kalzium i.
- Parathormon erniedrigt oder inadäquat niedrig-normal
- Kalzium i.
Differenzialdiagnosen einer Hypokalzämie
- Hyperventilation
- Pseudohypoparathyreoidismus
- Vitamin-D-Mangel
- Magnesiummangel
- Niereninsuffizienz
- Renal-tubuläre Erkrankungen
- Akute Pankreatitis
- Sepsis, Critical Illness
- Osteoblastische Metastasen
- Tumorlysesyndrom
- Medikamenteninduziert (Phenytoin, Bisphosphonate u.
Anamnese
- St.
- Familienanamnese
- Tetaniesymptome
- Neuropsychologische Störungen: Lethargie, Konzentrationsschwäche, Angstzustände
- Nierensteine
- Hautveränderungen: trockene Haut, Juckreiz, brüchige Nägel, Weichteilkalzifikationen, Kandidiasis, Haarausfall
- Sehstörungen (Katarakt)
- Palpitationen
Klinische Untersuchung
- Zeichen erhöhter neuromuskulärer Erregbarkeit
- positives Chvostek-Zeichen (durch Beklopfen des Nervus facialis vor dem Ohr ipsilaterale Kontraktion der Gesichtsmuskulatur)
- positives Trousseau-Zeichen (durch Aufpumpen einer Blutdruckmanschette für 3
- Haut
- zervikale Operationsnarbe, trockene Haut, spröde Nägel, Weichteilkalzifikationen, Kandidiasis, Haarausfall
- Herz
- Arrhythmie
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Labor
- Siehe Tabelle Bewertung einer Hypokalzämie, Laborbefunde.
1214 - Blut
911- Kalzium
- Phosphat
- Magnesium
- Kreatinin
- Vitamin D3 (25-Hydroxy-Cholecalciferol)
- Parathormon
- Urin
- Kalzium im 24-Stunden-Sammelurin
EKG
- Evtl. verlängertes QT-Intervall, Rhythmusstörungen
Sonografie
- Nachweis von Nierensteinen, Nephrokalzinose
Diagnostik bei Spezialist*innen
Ophthalmologische Untersuchung
- Nachweis einer Katarakt
Knochendichtemessung
- Eine Knochendichtemessung braucht nicht routinemäßig durchgeführt zu werden.4
Schädel-CT
- Bei neurologischen Störungen zum Nachweis einer Basalganglienverkalkung
79
Genetische Untersuchung
- Bei familiärem Auftreten
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Therapie
Therapieziele
- Symptome und Zeichen einer Hypokalzämie vermeiden.2
- Insgesamt
MineralstoffwechselsMineralstoffwechsel normalisieren zur Vermeidung von langfristigen Schäden und Komplikationen.2
Allgemeines zur Therapie
- Hypoparathyreoidismus ist die einzige endokrine Erkrankung, bei der ein Mangel nicht primär durch Hormonsubstitution behandelt wird.14
- Seit 2017 ist ein rekombinantes Parathormon zugelassen, allerdings nur für Patient*innen, die unter Standardtherapie nicht adäquat eingestellt werden können.
1416
- Seit 2017 ist ein rekombinantes Parathormon zugelassen, allerdings nur für Patient*innen, die unter Standardtherapie nicht adäquat eingestellt werden können.
- Behandelt werden sollten Patient*innen mit chronischem Hypoparathyreoidismus mit Hypokalzämie-Symptomen und einem albuminkorrigierten Serumkalziumspiegel <
- Asymptomatischen Patient*innen soll eine Behandlung angeboten werden, wenn albuminkorrigiertes Kalzium zwischen 2,0
- Asymptomatischen Patient*innen soll eine Behandlung angeboten werden, wenn albuminkorrigiertes Kalzium zwischen 2,0
- Die aktuellen europäischen Leitlinien empfehlen folgende allgemeine Ziele bei der Steuerung der Therapie (wobei der Evidenzgrad gering ist):4,8
- Kalzium i.
- Die 24-Stunden-Kalziumausscheidung sollte im Normbereich liegen.
- Phosphat i.
- Das Kalzium-Phosphat-Produkt sollte unter 4,4
- Es soll ein adäquater Vitamin-D-Spiegel angestrebt werden.
- Die Behandlung sollte individuell erfolgen und auf das allgemeine Wohlbefinden und die Lebensqualität fokussiert sein.
- Kalzium i.
Medikamentöse Therapie
- Üblicherweise wird mit einer Kombination möglichst niedriger Dosen von oralem Kalzium und aktivem Vitamin D behandelt.5
- nur im Ausnahmefall mit Kalzium allein therapierbar
1517
- nur im Ausnahmefall mit Kalzium allein therapierbar
- Natives Vitamin D nur bei leichteren Formen, für die ausgeprägten Formen werden die aktiven Vitamin-D-Präparate benötigt.
1517 - Unterschiede zwischen unterschiedlichen Vitamin-D-Präparaten hinsichtlich Galenik, Wirkeintritt und Tagesdosis
1517- Cholecalciferol (Vit D3): relative Potenz 1, Wirkeintritt nach Wochen, Tagesdosis 0,2–2,5
- Alfacalcidol (1-alpha-Hydroxy-Vitamin-D3): relative Potenz 1.000, Wirkeintritt je nach Präparat nach 1–7 Tagen, Tagesdosis 1–3
- Calcitriol (1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3): relative Potenz 1.000–1500, Wirkeintritt je nach Präparat nach 1–3 Tagen, Tagesdosis 0,5–2
μg A.T.10 (Dihydrotachysterol):relative Potenz 2,5, Wirkeintritt je nach Präparat nach 4–21 Tage, Tagesdosis 0,375–0,75μg
- Cholecalciferol (Vit D3): relative Potenz 1, Wirkeintritt nach Wochen, Tagesdosis 0,2–2,5
MedikamentEine medikamentöse Kalziumgabe ist sinnvoll, um ein ausreichendes Angebot sicherzustellen.1517- kalziumreiche Kost – insbesondere Milch – wegen des hohen Phosphatanteils weniger empfehlenswert
1517 - 0,5–1,0
abdominellenabdomineller Beschwerden)1517 - Bei Magnesiummangel Gabe von z.
täglichtgl.79 - Bei Hyperkalziurie kann der Einsatz von Thiaziden sinnvoll sein.4
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Auch unter Therapie kann es zu Komplikationen und Komorbiditäten kommen.2,4-5,
79- Nephrolitiasis
- Nephrokalzinose
- Verschlechterung der Nierenfunktion
- Katarakt
- Krampfanfälle
- Basalganglienverkalkung
- neuropsychiatrische Störungen
- Infektionen
Verlauf und Prognose
- Normalisierung der postoperativ erniedrigten PTH-Ausschüttung bei 2/3 der Patient*innen innerhalb 4–6 Wochen, bei mehr als 90
79 - Die Inzidenz von Nierensteinen, Nephrokalzinose und Niereninsuffizienz ist auch unter Therapie erhöht.
1012 - Muskelbeschwerden, Fatigue sowie Angst- und depressive Störungen treten gehäuft auf.4
- Patient*innen mit chronischem Hypoparathyreoidismus haben eine insgesamt niedrigere Lebensqualität.3
Verlaufskontrolle
- Alle 3–6 Monate unter stabiler Substitutionstherapie4-5
- Nach einer Therapieänderung sollte das Monitoring wöchentlich oder alle 2 Wochen erfolgen.4-5
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinie
- Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED). Hypoparathyreoidismus und Pseudohypoparathyreoidismus. AWMF
.Nr. 174-005. S1, Stand20162022. www.awmf.org - European Society of Endocrinology. Treatment of chronic hypoparathyroidism in adults. Stand 2015. www.eje.bioscientifica.com
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED). Hypoparathyreoidismus. AWMF Leitlinie
.Nr. 174-005. S1.20162022. www.awmf.org - Brandi M, Bilezikian J, Shoback D, et al. Management of Hypoparathyroidism: Summary Statement and Guidelines. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101: 2273–2283. doi:10.1210/jc.2015-3907 DOI
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- Bollerslev J, Rejnmark L, Marcocci C, et al. European Society of Endocrinology Clinical Guideline: Treatment of chronic hypoparathyroidism in adults. Eur J Endocrinol 2015; 173: G1–G20. doi:10.1530/EJE-15-0628 DOI
- Siggelkow H. Hypoparathyreoidismus – Unterfunktion der Nebenschilddrüsen. CME-kurs.de. Zugriff 03.10.21. www.cme-kurs.de
- Abate E, Clarke B. Review of Hypoparathyroidism. Front Endocrinol 2017; 7: 172. doi:10.3389/fendo.2016.00172 DOI
- Allemeyer E, Kossow M, Riemann B, et al. Ambulante Versorgungsqualität für den permanenten postoperativen Hypoparathyreoidismus. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: e130-e137. doi:10.1055/a-0860-6137 DOI
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- Petersenn S, Bojunga J, Brabant G, et al. Hypoparathyreoidismus – ein unterschätztes Problem?
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- Vagts D, Kaltofen H, Emmig U, et al. Hypoparathyreoidismus. eMedpedia. Zugriff 03.10.2021. www.springermedizin.de
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- Pharmazeutische Zeitung. Parathyroidhormon Natpar®. Letzte Aktualisierung 17.05.19. Zugriff 03.10.21, www.pharmazeutische-zeitung.de
- Siggelkow H. Standardtherapie und Ausblick bei der Behandlung des Hypoparathyreoidismus. Endokrinologie Informationen Sonderheft 2017: 11–14. docplayer.org
Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).