Insulinome gehören zu der heterogenen Gruppe der neuroendokrinen Tumoren (NET), die hauptsächlich in den Langerhans-Inselzellen des Pankreas ihren Ursprung haben.
Häufigster neuroendokriner Pankreastumor: Ist meist gutartig (> 90 %)1, meist solitär (90 %) und oft klein (< 2 cm).2
Insulinome produzieren vor allem Insulin, aber auch andere gastrointestinale Hormone.
Episoden mit Nüchternhypoglykämie oder postprandialer Hypoglykämie können vorkommen.3
Häufigkeit
Die Inzidenz liegt bei ca. 1–3/1.000.000 Personen pro Jahr.4
Insulinome sind die häufigste Ursache für eine Nüchternhypoglykämie.
Personen mit normaler Insulinproduktion tolerieren eine verhältnismäßig ausgeprägte Hypoglykämie aufgrund der kompensatorischen Ketonproduktion.
Eine ungehemmte Insulinproduktion behindert die Ketonbildung. Patient*innen mit einem Insulinom zeigen daher schon bei einem subnormalen Glukosespiegel Symptome.
Produktion anderer Hormone
Ebenso wie andere neuroendokrine Tumoren können einzelne Insulinome außer Insulin auch andere Hormone produzieren.
Am häufigsten sind Gastrin, ACTH, Glukagon, hCG und Somatostatin.
Pathologie
Die allermeisten Insulinome sind benigne und ohne bekannte Ursache.
Sie scheinen vom duktalen/azinalen System im Pankreas zu entstehen.6
MEN Typ 1 ist eine autosomale Erbkrankheit, die durch einen Defekt im Tumor-Supressor-Gen MEN1 auf dem Chromosom 11q13 verursacht wird.
Ca. 50 % der Patient*innen MEN Typ 1 entwickeln im Lauf des Lebens einen neuroendokrinen Tumor des Pankreas.7
Weniger als 1 % der Insulinome sind ektopisch (am häufigsten in Magen, Duodenum, Meckel-Divertikel, Gallengängen und Omentum).
Disponierende Faktoren
Erbliches Vorkommen von MEN Typ 1
ICPC-2
T73 Neubild. endokrine unspez., andere
ICD-10
D13.7 Endokriner Drüsenanteil des Pankreas inkl. Inselzelltumor/Insulinom
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Ein Verdacht auf diese Diagnose stellt sich meist aufgrund der Anamnese.
Die endgültige Diagnose setzt aber voraus, dass in der gleichen Blutprobe eine Hypoglykämie, ein erhöhter Insulin- und C-Peptid-Spiegel nachgewiesen werden.
Ist nicht selten die Ursache bei Personen, bei denen Hypoglykämie festgestellt wird.
Eine exogene Insulinzufuhr wird festgestellt, wenn in der gleichen Probe ein hoher Insulinspiegel und ein supprimiertes Plasma-C-Peptid gemessen werden (C-Peptid/Insulin-Quotient < 1).
Der Missbrauch von Sulfonylharnstoffen lässt sich schwerer nachweisen, da in diesem Fall sowohl der Insulin- als auch der C-Peptid-Spiegel steigen.
Kommt hauptsächlich bei Personen mit japanischer Abstammung vor.
Eine autoimmune Hypoglykämie kann schwere neuroglykopene Symptome verursachen.
Wenn diätetische Maßnahmen zur Hypoglykämievermeidung nicht ausreichen, kann eine immunsuppressive Behandlung oder die Gabe von Somatostatinanlagoga oder Dioxazid notwendig sein.8
Andere Ursachen für Hypoglykämie können Lebererkrankungen, extrapankreatische Insulin-produzierende Tumoren und vereinzelte andere endokrine Erkrankungen sein.
Andere Pankreastumoren
Bei 60–80 % der Tumoren der Inselzellen des Pankreas handelt es sich um Insulinome. Bei der Differenzialdiagnostik müssen auch andere endokrine Tumoren in Erwägung gezogen werden.
Normalerweise entsteht eine Hypoglykämie mehrere Stunden nach der Mahlzeit (75 %). In einer retrospektiven Studie wurde jedoch festgestellt, dass ca. 20 % der Teilnehmer*innen sowohl nüchterne als auch postprandiale Symptome angaben. Bei 6 % lagen nur postprandiale Symptome vor.3
Die Hypoglykämie-Symptome treten in der Regel morgens am ausgeprägtesten auf.
Faktoren, die die Symptome verschlimmern können, sind physische Aktivität, Alkohol, das Auslassen von Mahlzeiten, Gewichtsabnahme sowie eine Behandlung mit Sulfonylharnstoffen.
Infolge der Hypoglykämie treten auch adrenerge und cholinerge Symptome auf.
Besserung der zentralnervösen Symptome nach Glukosezufuhr.5
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Die Anamnese kann hinsichtlich der Differenzialdiagnosen viele Hinweise geben.
Ggf. Nachweis eines erniedrigten Blutzuckerspiegels zum Zeitpunkt der Symptome
Diagnostik bei Spezialist*innen
Unter stationären Bedingungen wird ein standardisiertes Regime für den Nachweis von Insulinomen befolgt (Fastentest).
Einfachster und sicherster Test ist die Provokation einer Hypoglykämie durch den Fastentest stationär mit engmaschigen Blutzuckerkontrollen sowie Bestimmungen von Insulin und C-Peptid. Typisch für das Insulinom ist die fehlende physiologische Insulinsuppression bei Abfall des Blutzuckers im Hungerversuch.5
Standardisiertes Regime
Durchführung stationär
Während der Untersuchung werden Glukose, Insulin, C-Peptid und ggf. Proinsulin gemessen.
Sechsstündige (erweiterte) Glukosebelastung
Die Glukosebelastung erfolgt nach den üblichen Richtlinien, wird aber von 2 auf 6 Stunden erweitert.
3-Tage-Fastentest
Glukose und Insulin werden nach einem festgelegten Schema und bei Hypoglykämie-Symptomen gemessen.
Die Diagnose gilt als wahrscheinlich, wenn in der gleichen Probe Hypoglykämie sowie ein erhöhter Insulin- und C-Peptid-Spiegel nachgewiesen werden.
Diagnosekriterien
Blutglukosewert < 50 mg/dl (2,8 mmol/l) mit Symptomen einer Hypoglykämie
Sollte nur erfolgen, nachdem die Diagnose biochemisch bestätigt wurde, da 80 % der Insulinome < 2 cm, 30 % < 1 cm sind und damit mittels CT oder Ultraschall schwer nachzuweisen sind.
Der Zweck der bildgebenden Diagnostik bei einem Insulinom ist die Lokalisierung, nicht der Nachweis des Tumors.
selektive pankreatische Arteriografie mit intraarterieller Injektion von Kalzium (stimuliert die Insulinsekretion in neoplastischen Zellen) sowie perkutane transhepatische Pankreasvenen-Katheterisierung mit Insulinmessung
Früher oft angewendet, ist das Verfahren mittlerweile den anderen unterlegen.5
Maligne Isulinome exprimieren häufig nicht den GLP1-Rezeptor, aber den Somatostatinrezeptor Subtyp 2 (SST2).5
Bei fehlendem Nachweis des Insulinoms durch bildgebende Verfahren bleibt die intraoperative Palpation des Pankreas, ggf. kombiniert mit intraoperativem Ultraschall.
Eine adjuvante Therapie wird innerhalb von klinischen Studien empfohlen.1
Allgemeines zur Therapie
Bei benignen Insulinomen gilt eine Tumorresektion als kurative Behandlung.3
Bei metastasierten malignen Insulinomen sollte die Entfernung des Primärtumors und ein Debulking der Fernmetastasen zur Verbesserung der Hypoglykämie-Symptomatik erwogen werden.1
Die Therapie sollte interdisziplinär in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.1
Empfehlungen für Patient*innen
Bis zum Operationstermin können kohlenhydratreiche Mahlzeiten in häufigen Intervallen (2–3 Stunden) die Hypoglykämie-Episoden dämpfen.
Angeraten ist eine symptomatische Behandlung mit Diazoxid oder dem Somatostatin-Analogon Octreotid, um hypoglykämische Episoden vor dem Operationstermin zu vermeiden oder um palliativ zu behandeln.1,4
Bei der Gabe von Diazoxid sollte gleichzeitig Hydrochlorothiazid gegeben werden, um Ödeme und Hyperkaliämie zu vermeiden und die hyperglykämische Wirkung zu potenzieren.1
Bei metastasierten Insulinomen kommen infrage:
Chemotherapie
Targeted-Therapie mit Everolimus oder Sunitinib.4-5
Operative Therapie
Tumorresektion
Eine sorgfältige präoperative Überwachung des Glukosespiegels ist wichtig.
Üblicherweise wird präoperativ eine 10-prozentige Dextrose-Lösung verabreicht.
beim wahrscheinlich benignen Insulinom Enukleation oder limitierte Pankreasresektion1
Ein laparoskopisches oder Roboter-assistiertes Vorgehen ist möglich.5
In Einzelfällen ist alternativ auch eine endoskopsiche ultraschallgesteuerte Radiofrequenzablation möglich.5
bei potenziell malignem Insulinom formale Pankreasteilresektion mit Lymphadenektomie1
Der Einsatz von Ultraschall während der Operation erleichtert die Lokalisierung, vor allem weil ein Teil der Insulinome die gleiche Konsistenz wie normales Pankreasparenchym aufweist.
Bei besonderen Lokalisationen oder multiplen Tumoren kann es erforderlich sein, größere Teile des Pankreas zu entfernen oder eine vollständige Whipple-Operation durchzuführen.5
Bei maligenen Insulinomen und vollständig resezierbarem Primärtumor oder nicht auffindbarem Primärtumor sollten resektable Metastasen entfernt werden.1
Ein Tumordebulking ist bei einem metastasierten Krankheitsbild zur Symptomkontrolle indiziert.1
Patient*innen mit MEN 1 leiden aufgrund des Hyperparathyreoidismus häufig an Hyperkalzämie. In diesen Fällen muss vor der Insulinomresektion eine Parathyreoidektomie durchgeführt werden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Der Zeitraum vom Symptombeginn bis zum Diagnosezeitpunkt variiert von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahrzehnten.
Ca. 5 % der Patient*innen, die eine kurative Behandlung auf ein benignes Insulinom erhalten haben, entwickeln später ein Rezidiv.
Die Prognose ist bei einem Rezidiv nicht so günstig wie beim ersten Auftreten.
Komplikationen
Unbehandelt können Insulinome zu schwerer Hypoglykämie und irreversiblen Hirnschäden führen.
Je nach Studie variieren postoperative Morbidität und Mortalität.
Lokale Komplikationen dominieren, u. a. Fistelbildung, Abszesse und Pankreatitis.
Wurde ein großer Teil des Pankreas entfernt, können die Patient*innen Diabetes mellitus entwickeln.
Prognose
Die Einteilung der Tumoren nach TNM/UICC-Klassifikation bzw. nach der WHO-Klassifikation für NET des Pankreas nach dem Ki67-Index erlaubt eine Prognoseabschätzung.5
Die Prognose ist sehr gut nach einer vollständigen Resektion des benignen Insulinoms.
In einer Studie aus Finnland war die Lebenserwartung bei gutartigen Insulinomen nicht gegenüber der Normalbevölkerung gemindert, bei metastasierter Erkrankung betrug das mittlere Überleben 3,4 Jahre.11
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Neuroendokrine Tumore. AWMF-Leitlinie Nr. 021-026. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Neuroendokrine Tumore. AWMF-Leitlinie Nr. 021 - 026, Stand 2018. www.awmf.org
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Autor*innen
Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
Birgit Wengenmayer, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Freiburg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Zusammenfassung
Definition:Insulinome sind neuroendokrine Pankreastumoren, die hauptsächlich in den Langerhans-Inselzellen ihren Ursprung haben.
Häufigkeit:Seltene Erkrankung.
Symptome:Häufige Anfangssymptome sind Diplopie, Visustrübung, Kopfschmerz, Palpitationen und Schwäche infolge einer Hypoglykämie.
Befunde:Klinische Befunde sind Anzeichen für eine Hypoglykämie wie Verwirrtheit, Ängste, Stupor, Krämpfe, Koma.
Diagnostik:Als Labortests werden Glukose, Insulin, C-Peptid und Proinsulin empfohlen.
Therapie:Bei benignen Insulinomen gilt eine Tumorresektion als kurative Behandlung.
D137
hypoglykemi; Insulinom; hypoglycemi; multippel endokrin neoplasi; men
T73
MEN; Nüchtern-Hypoglykämie; Hypoglykämie; Multiple endokrine Neoplasie; MEN Typ 1; neuroendokriner Tumor; Nüchternhypoglykämie; Fastentest; Pankreaskarzinom; Pankreastumoren; Pankreas-Tumoren; Multiple endokrine Neoplasie; NET
Insulinom
CCC MK 09.05.2022 SI-Einheiten ergänzt nach Leserhinweis.
BBB MK 26.04.2022 umfassend revidiert, Therapie umgeschrieben.
DDD MK 10.01.2019, komplett überprüft, kaum Änderungen,
Check GO 27.1.
Definition:Insulinome sind neuroendokrine Pankreastumoren, die hauptsächlich in den Langerhans-Inselzellen ihren Ursprung haben. Häufigkeit:Seltene Erkrankung. Symptome:Häufige Anfangssymptome sind Diplopie, Visustrübung, Kopfschmerz, Palpitationen und Schwäche infolge einer Hypoglykämie.