Zusammenfassung
- Definition:Das Meckel-Divertikel ist ein persistierender Rest des Ductus omphaloentericus, der sich als solitäres Divertikel am Dünndarm präsentiert.
- Häufigkeit:Ca. 2 % Bevölkerung; nur 4–6 % der Betroffenen werden symptomatisch.
- Symptome:Mögliche Symptome: Blutungen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, evtl. Symptome wie bei einer Appendizitis.
- Befunde:Bei asymptomatischen Divertikeln keine, bei symptomatischen druckschmerzhaftes oder akutes Abdomen, peranale Blutung, ggf. Blutungsschock oder Peritonitis.
- Diagnostik:Die wichtigsten Untersuchungen sind Sonografie und Laparaskopie.
- Therapie:Die symptomatische Erkrankung wird operativ behandelt – Resektion des Divertikels.
Allgemeine Informationen
Definition
- Das Meckel-Divertikel ist ein persistierender Rest des Ductus omphaloentericus, der als solitäres Divertikel am Dünndarm vorkommt.1
- Das Divertikel sitzt fast immer im distalen Ileum und kann Blutungen, Darmverschluss, Entzündung oder Perforation mit appendizitisähnlichen Symptomen verursachen.1
- Die Krankheit ist nach dem deutschen Anatom Johann F. Meckel benannt.
Häufigkeit
- Das Meckel-Divertikel gehört zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen, im Autopsiematerial liegt die Prävalenz bei 1,2 %.2
- Bei den meisten Betroffenen entwickeln sich keine Symptome.
- Alter und Geschlecht
- Wird am häufigsten bei Kindern entdeckt und behandelt, meistens vor dem 2. Lebensjahr. Selbst wenn die Erkrankung bei Jungen und Mädchen gleich häufig auftritt, so kommt es bei Jungen 2- bis 3-mal so häufig zu symptomatischen Komplikationen.3-5
- In Langzeitbeobachtungen liegt die Mortalitätsrate aufgrund von Betrachtung von Autopsiematerial bei weniger als 0,01 %.2
Klinische Anatomie
- Meckel-Divertikel bilden sich meist im distalen Ileum, ca. 45–90 cm von der Ileozökalklappe entfernt.4
- Länge ca. 5 cm (1–12 cm), Breite 1–3 cm4
- Das Divertikel ist am freien Ende geschlossen und nur in seltenen Fällen über eine Fistel mit dem Nabel verbunden, es kann aber ein fibröser Strang vorkommen, der diese Strukturen verbindet.
- Der Strang repräsentiert einen persistierenden Teil der Nabelschnur.
- Fibröse Stränge können das Divertikel auch mit dem Dünndarmmesenterium verbinden.
- Eine Strangulierung kann zum akuten Darmverschluss führen.
- Das Divertikel besteht aus allen Schichten des Dünndarms.
- Das Divertikel entsteht dadurch, dass sich der Ductus omphaloentericus nicht schließt, was normalerweise in der 5. Schwangerschaftswoche geschieht.
- Häufig enthält es heterotopes Gewebe.
Ätiologie und Pathogenese
- Angeborene Anomalie
- Lebenszeitkomplikationsrate 4–6 %6
- 40 % der Komplikationen entstehen bei Kindern unter 10 Jahren.1
- Ektopes Gewebe
- Symptomatische Komplikationen entstehen in der Regel durch ektopes Gewebe im Inneren des Divertikels.
- Kommt bei der Mehrheit der Divertikel vor.
- Magenschleimhaut (50 %)
- Pankreasgewebe (5 %)
- selten: hepatobiliäres oder duodenales Gewebe, Dickdarmschleimhaut, Endometrium oder Brunner Drüsen1
- Ulzeration der ektopen Magenschleimhaut mit Blutung oder Perforation: selten
- Blutungen
- Obstruktion
- Darmverschluss unterschiedlicher Genese ist die häufigste Komplikation bei Erwachsenen, zweithäufigste bei Kindern und kommt bei ca. 40 % aller symptomatischen Erwachsenen vor.1,4
- Divertikulitis
- bei 20 % der symptomatischen Patient*innen
- Kann klinisch nicht von einer Appendizitis unterschieden werden.4
- zweithäufigste Komplikation bei Erwachsenen1
- Führt unbehandelt oft zur Perforation mit Peritonitis.1
- Tumoren können vorkommen, sind aber sehr selten.
- 0,5–1,9 % der komplizierten Meckel-Divertikel
- Karzinoide, mesenchymale Tumoren oder Karzinome1
ICPC-2
- D81 Angeborene Anomalie des Verdauungssystems
ICD-10
- Q43 Sonstige angeborene Fehlbildungen des Darmes
- Q43.0 Meckel-Divertikel
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klinisch ist eine Komplikation bei Meckel-Divertikel nicht von anderen Ursachen eines akuten Abdomens oder einer GI-Blutung zu unterscheiden.
- Bei Symptomen wie Blutung, Darmverschluss, Peritonitis und/oder Perforation sollte an ein Meckel-Divertikel gedacht werden.3
Differentialdiagnosen
- Akute Appendizitis
- Gastrointestinale Blutung anderer Ursache
- Ileus anderer Ursache
- Akutes Abdomen anderer Ursache
- Darminvagination anderer Ursache
Anamnese
- Alter
- 40 % aller komplizierten Meckel-Divertikel kommen bei Kindern unter 10 Jahren vor. Die meisten Kinder sind jünger als 2 Jahre.1
- Symptome
- oft asymptomatisch7
- Blutungen
-
- Die Blutung kann zwischen melänaähnlicher, langsamer Blutung und „roter“ Meläna variieren.
- Verschluss/Ileus
- Symptome eines mechanischen Dünndarmileus mit Erbrechen, kolikartigen Schmerzen und Distension, evtl. Stuhlverhalt
- bei Dünndarminvagination bei Kindern
- in 5–6 % der Fälle durch ein Meckel-Divertikel verursacht
- plötzlich einsetzende krampfartige Bauschmerzen
- ggf. himbeergeleeartiger Stuhlgang5
- Infektion/Divertikulitis
- Bei Entzündung ähneln die Symptome einer Appendizitis mit akuten Bauchschmerzen, Übelkeit und Temperaturanstieg.8
Klinische Untersuchung
- Kann Befunde wie bei Blutung, Ileus und Appendizitis aufweisen.
- Bei kräftiger Blutung können die Betroffenen hämodynamisch instabil werden.
- Bei Invagination: ggf. tastbare Walze5
- Die meisten Meckel-Divertikel bleiben symptomlos.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Labor: Blutbild, CRP
- Sonografie
- zur Differenzialdiagnostik bei akuten Bauchschmerzen
- bei Kindern Mittel der 1. Wahl zur Diagnostik akuter Bauchschmerzen
- bei Invagination: Kokardenphänomen, Target-Zeichen, Zeichen einer Enteritis und freie Flüssigkeit
-
- sehr hohe Sensitivität (98–100 %) und Spezifität (88–100 %) bei geübten Untersucher*innen5
Diagnostik im Krankenhaus
- Endoskopie
- Gastroskopie und Koloskopie, um andere Blutungsursachen auszuschließen.
- Kapselendoskopie zur Dünndarmdiagnostik
- Doppel-Ballon Enteroskopie zur Dünndarmdiagnostik1
- Technetium-99m Pertechnetat-Szintigrafie
- Nachweis von ektoper Magenschleimhaut8
- in der Akutdiagnostik meist nicht verfügbar
- Mesenteriale Angiografie
- Kann v. a. bei aktiver Blutung zur Lokalisierung der Blutungsquelle indiziert sein.1
- Abdomen-CT
- bei bisher nicht gesicherter Diagnose, zur Differenzialdiagnostik eines akuten Abdomens
- Explorative Laparoskopie
- sowohl zur Diagnostik als auch zur Therapie
- invasives Verfahren
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Bei Appendizitis-Symptomen, akuten Bauchschmerzen mit Hinweis auf Peritonitis, Ileus oder Anzeichen einer akuten intestinalen Blutung sofortige stationäre Einweisung
Therapie
Therapieziele
- Das Risiko für eine Komplikation sollte möglichst gering gehalten werden; dabei gilt abzuwägen, in welchen Fällen das Belassen eines zufällig entdeckten Divertikels eine geringere Komplikationswahrscheinlichkeit hat als die Resektion.
Allgemeines zur Therapie
- Symptomatische Meckel-Divertikel sollten operativ entfernt werden.1
- Zufällig i. R. einer Bildgebung entdeckte Meckel Divertikel erfordern keine Behandlung.1
- Für intraoperativ zufällig entdeckte Meckel-Divertikel wird in bestimmten Risikosituationen die Resektion empfohlen:
- Alter < 40 Jahre
- Länge > 2 cm
- Divertikel mit schmalem Hals
- Divertikel mit fibrösem Band
- Wenn es vermutlich ektopes Magengewebe enthält.
- bei Zeichen von Inflammation/Verdickung.1,4
- Bei Erkrankungen, die ein erhöhtes Komplikationsrisiko bei OP mit sich bringen, wie M. Crohn, Colitis ulcerosa oder Peritonitis, sollte ein unauffälliges Meckel Divertikel nicht entfernt werden.4
- Bei Ileus und Entzündung wird die richtige Diagnose selten vor der Operation gestellt.
- Die meisten Personen mit Schmerzen und Druckschmerz werden wegen Verdacht auf akute Appendizitis operiert, bei ungefähr der Hälfte liegt zum Zeitpunkt der Operation eine Perforation des Divertikels vor.
Operative Therapie
- Indikationen
- Gastrointestinale Blutung, bei der kein anderer Fokus nachgewiesen wurde.
- Entzündung/Perforation
- Ileus
- intraoperativ zufällig entdeckte asymptomatische Meckel-Divertikel bei bestimmten Risikokonstellationen (s. o.)
- Technik
- Eine Laparaskopie ist ein sicheres und effektives Verfahren.7,9-10
- breitbasiges Divertikel
- Resektion inkl. Segmentresektion des Ileums und End-zu-End-Anastomose
- schmalgestieltes Divertikel
- Keilresektion
- Wenn das schmalgestielte Divertikel laparoskopisch entfernt wird, kann es mit Endo GIA, fortlaufender Naht oder EndoLoop entfernt werden.
- Blutungen
- Exzision des Divertikels und segmentale Resektion des Ileum transversum11
- Ileus
- Exzision des Divertikels und Entfernen des adhäsiven Bands.11
- Auch die endoskopische Therapie mittels Doppel-Ballon-Enteroskopie ist möglich.
- zur Blutstillung bei blutenden Divertikeln
- endoskopische Vollwandresektion bei invertierten Divertikeln1
Prävention
- Intraoperativ entdeckte, asymptomatische Meckel-Divertikel sollten zur Prävention von Komplikationen bei bestimmten Risikokonstellationen (Alter < 40 Jahre, Länge > 2 cm, Divertikel mit schmalem Hals, Divertikel mit fibrösem Band, bei ektopem Magengewebe, bei Zeichen von Inflammation/Verdickung) entfernt werden.1,4
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Infektiöse Komplikationen aufgrund von Perforation und Ileus
- Invagination bei Kindern
- Blutung mit hämodynamischer Instabilität
- Nach Resektion asymptomatischer Meckel-Divertikel beträgt die Morbidität 2 %, die Rate postoperativer Komplikationen 2 % und die Mortalität 1 %; bei symptomatischen Divertikeln höher.4
Prognose
- Bei adäquater Behandlung symptomatischer Patient*innen ist die Prognose ausgezeichnet.11
- Das Lebenszeitrisiko von asymptomatischen Personen, ein symptomatisches Meckel-Divertikel zu entwickeln, wird mit 4–6 % angegeben.6
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH). Invagination. AWMF-Leitlinie Nr. 006-027. S1, Stand 2021. www.awmf.org
Literatur
- Kuru S, Kismet K. Meckel's diverticulum: clinical features, diagnosis and management. Rev Esp Enferm Dig. 2018 Nov;110(11):726-732. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Zani A, Eaton S, Rees CM, Pierro A. Incidentally Detected Meckel Diverticulum. To resect og not to resect?. Systematic review. Annals of Surgery 2008; 247: 276-81. PubMed
- Sagar J, Kumar V, Shah DK. Meckel's diverticulum: a systematic review. J R Soc Med 2006; 99:501. PubMed
- Kuwajerwala NK. Meckel diverticulum. Medscape, last updated Apr 16, 2021 emedicine.medscape.com
- Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie. Invagination. AWMF-Leitlinie Nr. 006 - 027, Stand 11/2021. www.awmf.org
- Zani A, Eaton S, Rees CM, Pierro A. Incidentally detected Meckel diverticulum: to resect or not to resect? Ann Surg 2008; 247:276. PubMed
- Hosn MA, Lakis M, Faraj W, Khoury G, Diba S. Laparoscopic approach to symptomatic meckel diverticulum in adults. JSLS. 2014 Oct. 18(4). pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Green BT, Rockey DC. Acute gastrointestinal bleeding. Semin Gastrointest Dis 2003;14:44-65. PubMed
- Chan KW, Lee KH, Mou JW, et al. Laparoscopic management of complicated Meckel's diverticulum in children: a 10-year review. Surg Endosc 2008:22;1509-1512. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Zitsman JL. Pediatric minimal-access surgery: update 2006. Pediatrics 2006;118:304-308. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Tavakkoli A. Meckel's diverticulum. BestPractice, last updated May 21, 2019. bestpractice.bmj.com
Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).