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K.-o.-Tropfen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Vergiftung durch von Dritten heimlich zugeführtes Betäubungsmittel oder andere sedierende Substanzen, mit dem Ziel, das Opfer wehrlos zu machen und im Anschluss eine Straftat auszuüben, wie z. B.:1
    • Vergewaltigung und sexuelle Belästigung
    • Diebstahl und Raub
    • Körperverletzung, Tötungsdelikte. 
  • Juristischer Begriff: K.-o.-Mittel2

Häufigkeit

  • Generelle Zunahme drogenassoziierter Sexualdelikte nach Berichten aus den USA2
  • Keine genauen Zahlen zur Häufigkeit in Deutschland verfügbar1-2
    • sehr hohe Dunkelziffer
    • Die Vorfälle bleiben häufig von Opfern unbemerkt, oder werden aus Scham oder aufgrund von Erinnerungslücken mit zeitlicher Verzögerung oder nicht zur Anzeige gebracht.
    • Der Nachweis von manchen Substanzen, besonders Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB, „Liquid Ecstasy“) ist aufgrund eines engen Nachweisfensters schwierig.
      • Nachweis im Urin max. 12 Stunden, im Blut 8 Stunden
    • Verurteilungen wegen Beibringung von K.-o.-Mitteln und Anschlussstraftaten in Europa v. a. wegen Beweisproblemen relativ selten
  • Anschlussstraftaten: Frauen sind eher Opfer von Sexualdelikten und Männer eher von Eigentumsdelikten.2-3 

Ätiologie und Pathogenese

  • Ein starkes Sedativum wird, vom Opfer unbemerkt, heimlich einem Getränk oder dem Essen zugefügt und unwissentlich eingenommen.
  • Je nach verwendetem Medikament oder Droge kommt es zu Verwirrtheit, Orientierungslosigkeit, Gedächtnislücken (Filmriss, anterograde Amnesie) und/oder Bewusstlosigkeit beim Opfer.
  • Bis zu 30 verschiedene Substanzen kommen als K.-o.-Mittel infrage.3
  • Täter*innen wählen die Substanz abhängig von der individuellen Zugänglichkeit zum Drogenmarkt, zu Medikamenten oder industriellen Lösungsmitteln.1
  • Am häufigsten sind:1-2,4
    • Alkohol
      • Täter*innen können auf die Alkoholisierung von Opfern hinwirken oder den bereits vorhandenen alkoholisierten Zustand des Opfers ausnutzen.
      • Alkohol wird als die bedeutsamste Vergewaltigungsdroge angesehen.
    • Benzodiazepine, v. a.:
      • Flunitrazepam
        • Verfärbt Flüssigkeiten, verklumpt und schmeckt bitter.
      • Bromazepam
        • zentralnervöse Dämpfung, Schwindel und Benommenheit, Muskelerschlaffung, Erinnerungslücken
      • Die Wirkung wird durch Alkohol verstärkt.
    • Hypnotika
      • Zopiclon, Zolpidem 
        • Rascher Wirkeintritt nach 10–30 min, löst Amnesien aus, kurze Halbwertszeit.
      • Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB, Liquid Ecstasy, in Wirkung und Chemie nicht vergleichbar mit Ecstasy)
        • GHB entsteht physiologisch beim Abbau von Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), Verstoffwechselung zu H2O und CO2.5
        • Zulassung zur Behandlung der Narkolepsie
          • Unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz.
        • Ist auf dem Schwarzmarkt als Partydroge als Feststoff oder farblose/gefärbte weitgehend geschmacksneutrale, leicht salzige und geruchlose Flüssigkeit erhältlich.
        • Wirkung dosisabhängig
          • 0,5–1,5 g: stimulierende Effekte, anxiolytisch, leicht euphorisierend, sozial öffnend, beeinträchtige Motorik
          • bis ca. 2,5 g: Stimmungs- und Antriebssteigerung, evtl. aphrodisierend, Amnesie5
          • > 2,5 g: Somnolenz, Brechreiz, Schwindel, Sehstörungen, Bewusstlosigkeit5 
          • ab 4 g: Atemdepression und Koma
        • Die Kombination mit Alkohol, atemdepressiv wirksamen Medikamenten oder Benzodiazepinen ist gefährlich: Aspiration und Ersticken sind möglich.
        • Wirkeintritt nach ca. 15–30 min, Wirkdauer bis zu 4 Stunden, danach rasches Erwachen und volle Orientierung3  
      • Butyro-1,4-lacton (Gamma-Butyrolacton, GBL)
        • weit verbreitetes Lösungsmittel in der Industrie (Farbentferner, Reinigungsmittel, Nagellackentferner), Reiniger im KFZ-Bereich
        • Ausgangsstoff zur Herstellung von Pharmazeutika und Chemikalien für die Landwirtschaft
        • Unterliegt nicht dem Betäubungsmittelgesetz.
        • farblose Flüssigkeit mit schwachem Eigengeruch
        • Wird im Körper zu GHB hydrolysiert (geht sehr schnell, Plasmahalbwertszeit von GBL weniger als 60 sec).
      • 1,4-Butandiol (BDO)
        • industrieller Weichmacher, Zwischenprodukt bei der Synthese von GBL
        • Wird im Körper zu GHB umgewandelt.
        • Die Wirkung setzt nach ca. 5–20 min nach oraler Aufnahme ein und hält ca. 2–3 Stunden an.
        • Ab 4 ml schlaffördernd, höhere Dosen können zu Koma und bei starker Überdosierung zum Tod führen.
      • Ketamin
        • Verschreibungspflichtig, unterliegt nicht dem Betäubungsmittelgesetz.
        • zugelassen in der Anästhesie
        • dissoziative bewusstseinsverändernden Wirkung
        • oral Verwendung als Rausch- und Partydroge
    • Antihistaminika
      • z. B. Diphenhydramin, Doxylamin
      • gute ZNS-Gängigkeit
      • wegen anticholinerger Eigenschaften und einfacher Verfügbarkeit als K.-o.-Mittel geeignet
    • sedierende Antidepressiva
      • Mirtazapin
    • Neuroleptika
      • Clozapin
    • Opiate 
    • Drogen
      • Kokain, Amphetamine, Ecstasy
      • Von den Täter*innen wird die Erschöpfungsphase nach dem Rausch abgewartet.

Disponierende Faktoren

  • Ausgehen ohne Begleitperson
  • Starker Alkoholkonsum
  • Freiwilliger Drogenkonsum
  • Das Getränk wird unbeobachtet stehen gelassen.
  • Getränke von unbekannten Personen annehmen.

ICPC-2

  • Z25 Körperl. Misshandlung/sex. Missbrauch

ICD-10

  • T40.6 Vergiftung durch Sonstige und nicht näher bezeichnete Betäubungsmittel

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Bericht über ungewöhnliche Symptome wie Verwirrtheit, Schwindel, Filmriss, Bewusstlosigkeit, die nicht mit der evtl. konsumierten Alkoholmenge in Einklang zu bringen sind.
  • Erwachen in ungewöhnlicher Situation, Hinweise auf eine Straftat
    • entkleidet, genitale Verletzungen, Spuren von Körpersekreten/Sperma
    • Fehlen von Handtasche, Geldbeutel, Schlüsseln
  • Laborchemischer Nachweis eines Sedativums/Narkotikums in Blut, Urin, ggf. auch Haarprobe

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • An was kann sich die Patientin/der Patient erinnern?
  • Wo wurde der vergangene Abend verbracht?
  • Wie viel Zeit ist seit dem Vorfall vergangen?2
  • Welche Getränke, welche Speisen, wie viel Alkohol und ggf. welche Drogen hat die betroffene Person konsumiert?
    • Hat ein Getränk oder eine Speise plötzlich unangenehm/bitter geschmeckt oder war verfärbt?2
  • Kam der Patientin/dem Patienten eine andere Person oder eine Situation verdächtig oder unangenehm vor?
  • Wurde ein Getränk oder ein anderes Lebensmittel unbeaufsichtigt stehen gelassen oder ein Getränk oder Lebensmittel von einer unbekannten Person angenommen?
    • Wer hat Getränke/Speisen serviert?2
  • Symptome der Intoxikation1-2,4
    • Schwindel
    • Verwirrtheit
    • Benommenheit, Schläfrigkeit, Bewusstseinsstörung („Zustand wie in Watte gepackt“)
    • Bewusstlosigkeit
    • anterograde Amnesie, Filmriss (besonders bei Benzodiazepinen und GHB)
    • Kontrollverlust, Verlust der Muskelkontrolle, Gangstörung
    • Enthemmung
    • Übelkeit, Erbrechen
    • Mundtrockenheit
  • Aufwachsituation
    • Ein plötzliches Erwachen nach Stunden mit Filmriss kann ein Hinweis auf GHB sein.1
    • zuhause
    • in fremder Umgebung
  • Verletzungen
    • Genitalbereich: Hinweis auf Vergewaltigung?
      • Zur Diagnostik bei Vergewaltigung siehe Artikel Sexualisierte Gewalt.
      • Aufgrund der Bewusstseinstrübung/Bewusstlosigkeit können charakteristische Abwehrverletzungen fehlen.4
    • Kopf, Extremitäten, Gesicht: Hinweis auf Gewalteinwirkung oder Unfall?
  • Raub oder Diebstahl?

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Der folgende Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2,4
  • Die meisten der o. g. Substanzen im Blut sind mehrere bis 24 h nachweisbar (manche bis 2 Tage), im Urin inklusive von Metaboliten wenige Tage, in Haarproben Wochen bis wenige Monate.
  • GHB
    • max. Plasmakonzentration nach 20–45 min; HWZ ca. 30 min
    • Nachweis im Blut bis 8 h, im Urin max. 12 h möglich
    • Problem
      • GHB ist eine körpereigene Substanz, Nachweis nur bei Konzentrationen, die signifikant höher sind als der stoffwechselbedingte Referenzbereich.
      • Der Nachweis im Urin beweist eine Substanzaufnahme.
  • Bei Verdacht auf Vergiftung durch K.-o.-Tropfen 
    • schnellstmögliche (innerhalb von 24 h, vor der körperlichen Untersuchung) Sicherung von Proben
    • gekühlte Lagerung des Materials
      • Blut: 10 ml (kein Zitrat), am besten mehrere Serum-Röhrchen (keine Gel-Monovetten)
      • Urin: 100 ml
    • Datum und Uhrzeit vermerken.
    • Versiegelung und dokumentengerechte Beschriftung, z. B. in einem Briefumschlag

Diagnostik bei Spezialist*innen (Institut für Rechtsmedizin)

  • 4 Wochen bis Monate nach dem Vorfall1-2,4
    • Haarprobe (bleistiftdicke Haarsträhne)
    • Nachweis von GHB problematisch (endogenes GHB ebenfalls im Haar nachweisbar)

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf K.-o.-Tropfen-Intoxikation Überweisung an rechtsmedizinisches Institut, möglichst mit telefonischer Voranmeldung; Liste Rechtsmedizinischer Institute
    • Mitgabe des gekühlten Probematerials
    • GHB wird nicht im herkömmlichen Drogenscreening erfasst, muss extra angefordert werden.4
  • Auch zur Spurensicherung bei V. a. Gewaltverbrechen, wie Vergewaltigung, Körperverletzung
  • Ggf. Mitbetreuung durch Spezialist*innen für Gynäkologie, Psychiatrie/Psychotherapie
  • Versorgung größerer Verletzungen in Chirurgie

Therapie

Therapieziele

  • Hilfe und medizinische sowie soziale Versorgung für Betroffene
  • Schutz vor weiteren Übergriffen
  • Verhinderung von gesundheitlichen und psychischen Folgen des Verbrechens

Allgemeines zur Therapie

Empfehlungen für Patient*innen

  • Bundesweite Angebote
    • bundesweites Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 08000 116 016, 24 h erreichbar
    • Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Angebote vor Ort: www.frauennotrufe.de

Medikamentöse Therapie

Schweige- und Meldepflicht

  • Ärzt*innen sind berechtigt, Polizei bzw. Staatsanwaltschaft auch ohne Einwilligung und Wissen von Betroffenen einzuschalten.6
    • Grundsätzlich sollte trotzdem eine Entbindung von der Schweigepflicht eingeholt werden.
    • „Rechtfertigender Notstand“ erlaubt es Ärzt*innen, ein Geheimnis auch ohne Schweigepflichtentbindung preiszugeben, wenn nur dadurch Unheil von der betroffenen Person abgewendet werden kann.
  • In Deutschland besteht auch nach schwerer Gewaltanwendung – wie Schuss- oder Stichverletzungen, Vergewaltigung oder Kindesmisshandlung – keine Meldepflicht.6
    • Nur wenn das Verbrechen noch bevorsteht oder droht, besteht eine Pflicht zur Information von Polizei bzw. Staatsanwaltschaft.

Prävention

  • Aufklärung und Information über die Gefahr
    • Keine Drinks von Fremden annehmen, Getränke nicht unbeaufsichtigt lassen.5
  • Kommerziell erhältliche Getränkeschnelltests bergen das Risiko falsch negativer Ergebnisse und untersuchen nur eine bzw. sehr wenige Substanzen.1  
  • Bereitstellung von Informationsmaterialien

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Mögliche Rechtsfolgen bei Einsatz von K.-o.-Mitteln sind:2
    • § 179 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen)
    • § 177 StGB (Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung)
    • § 224 StGB (Gefährliche Körperverletzung)
    • § 250 StGB (Schwerer Raub).
  • Komplikationen4
    • einer GHB-Beibringung
      • Bradykardie, Hypotonie, Hypothermie, Krämpfe
    • einer GBL-Beibringung
      • Atemdepression bis hin zum Atemstillstand
      • Koma, Tod

Verlaufskontrolle

  • Abhängig von Tathergang und Art des Übergriffes/der Straftat

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

WEISSER RING e. V.

Quellen

Literatur

  1. Bicker W. „K.O.-Tropfen“: Eine forensisch-toxikologische Betrachtung. Deliktszenarien, Substanzen, Wirkungen, Beweismittel, chemische Analytik, toxikologische Beurteilung, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (3), 13-26, 2015. www.bmi.gv.at
  2. Madea B, Mußhoff F. K.-o.-Mittel: Häufigkeit, Wirkungsweise, Beweismittelsicherung. Dtsch Arztebl Int 2009; 160(20): 341-7. doi:DOI: 10.3238/arztebl.2009.0341 DOI
  3. Siegmund-Schultze N. Verdacht auf K.O.-Tropfen? Dann sollten Ärzte rasch Blut, Urin und Haare analysieren. Ärztezeitung.de. 23.06.2008 (letzter Zugriff: 23.06.2022) www.aerztezeitung.de
  4. Amedes integrated diagnostics. Ärztliche Information. K.o.-Mittel-Beibringung und möglicher sexueller Übergriff - was tun?. (letzter Zugriff am 07.04.2022) www.amedes-group.com
  5. Landesärztekammer Baden-Württemberg. Merkblätter zu Suchtmedikamenten. GBL/GHB - noch der neue Kick? (letzter Zugriff am 07.04.2022) www.aerztekammer-bw.de
  6. Ärztekammer Nordrhein, Ärztekammer Westfalen-Lippe, Institut für Rechtsmedizin des Klinikums der Universität zu Köln, Koordinationsstelle »Frauen und Gesundheit« NRW, FFGZ Hagazussa e.V., Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst NRW (lögd), Psychotherapeutenkammer NRW. Diagnose: Häusliche Gewalt, Leitfaden. 2005. www.aekno.de

Autorin

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin
T406
Z25
K.O.-Tropfen; K.-o.-Mittel; Knock-Out Drugs; Date Rape; GHB; Gamma-Hydroxy-Butyrat; Gamma-Hydroxy-Buttersäure; Gamma-Hydroxybuttersäure; Vergewaltigung; Vergewaltigungsdroge; Sexualdelikt; sexueller Übergriff; sexualisierte Gewalt; Haaranalyse; Drogenscreening; Benzodiazepin; Drug Faciliated Sexual Assault (DFSA); Drug Facilitated Crimes (DFC); 1,4-Butandiol; Butyro-1,4-lacton; Liquid Ecstasy; Liquid E; Liquid X; Fantasy; Liebesdroge; drogenassoziierte Straftat
K.-o.-Tropfen
CCC MK 11.07.2022 Link zu Informationen auf muenchen.de.
AAA MK 07.04.2022 neuer Artikel
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Vergiftung durch von Dritten heimlich zugeführtes Betäubungsmittel oder andere sedierende Substanzen, mit dem Ziel, das Opfer wehrlos zu machen und im Anschluss eine Straftat auszuüben, wie z. B.:1 Vergewaltigung und sexuelle Belästigung Diebstahl und Raub Körperverletzung, Tötungsdelikte. 
Erste Hilfe/Notfallmedizin
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