Definition:Eine chronische Otitis media zeigt über mehr als 3 Monate einen nicht heilenden Trommelfelldefekt mit eitrigem Ausfluss aus dem Ohr. Beim Cholesteatom wächst Plattenepithel destruierend durch den Defekt ins Mittelohr ein.
Häufigkeit:In Deutschland besteht bei Erwachsenen eine Prävalenz von 0,45 % für Trommelfelldefekte.
Symptome:Schwerhörigkeit und persistierende Sekretion aus dem Ohr.
Befunde:Klinische Befunde sind übelriechendes Sekret, zentrale oder periphere Perforation des Trommelfells, ggf. mit sichtbarem Cholesteatom.
Diagnostik:Obligat sind Otoskopie, Audiometrie und Stimmgabelprüfung.
Therapie:Die Therapie erfolgt unter Einbeziehung von HNO-Fachärzt*innen. Initial konservativer Therapieversuch mit lokalen Antiseptika und Trockenhaltung des Ohres. Im Verlauf ggf. Trommelfellplastik und Gehörknöchelplastik nötig. Bei Cholesteatom immer operative Resektion.
Eine chronische Otitis media zeigt über mehr als 3 Monate einen nicht heilenden Trommelfelldefekt mit eitrigem Ausfluss aus dem Ohr.
Eine Sonderform ist das Cholesteatom.
Man findet beim Cholesteatom eine Knochendestruktion in den Mittelohrräumen als Folge des Einwachsens von verhornendem Plattenepithel des Trommelfells oder des äußeren Gehörgangs über einen randständigen Trommelfelldefekt.
Es gibt 2 Hauptarten der Trommelfellperforation:
zentrale Perforation
periphere Perforation (eher typisch für Cholesteatom)2
Subtypen
Benigne chronische Otitis media
trockene Trommelfellperforation ohne aktive Infektion
persistierende aktive Entzündung im Mittelohr oder in den Mastoidzellen
Häufigkeit
In Deutschland liegt die Prävalenz von Trommelfelldefekten in der erwachsenen Bevölkerung bei 0,45 %.4
Weltweit besteht eine jährliche Inzidenz von etwa 31 Mio. Fällen, von denen 22,6 % Kinder unter 5 Jahren betreffen.5
Man geht davon aus, dass in Ländern mit schlechten sozioökonomischen Bedingungen Inzidenz und Prävalenz deutlich höher sind als in Nordeuropa.3
Ätiologie und Pathogenese
Während bei der akuten Otitis media aufsteigende Infektionen aus dem Nasenrachenraum im Vordergrund stehen, ist die chronische Otitis media eine eigene Krankheitsentität als Folge anhaltender frühkindlicher Tubenventilationsstörungen, z. B. durch vergrößerte Rachenmandeln, mit fehlender oder gehemmter Mastoidpneumatisation.1
Dabei kommt es infolge eines dauerhaften Unterdrucks zu einer Trommelfellretraktion. Diese verursacht einen chronischen Entzündungsreiz, der durch die Mangelbelüftung weiter unterhalten wird.2
Im Verlauf kann es zu einer Perforation des Trommelfells kommen. Durch das Einwachsen von Epithel des Trommelfells wird ein Verschluss der Perforation verhindert.6
In der Folge können Bakterien sowohl über die Ohrtrompete als auch die Perforation ins Mittelohr eindringen. Dabei handelt es sich meist um Pseudomonaden oder Staphylokokken.7
Eine chronische Otitis media bei Erwachsenen kommt bei Personen mit perforiertem Trommelfell vor, bei denen die Perforation nicht ausheilt.
Ein Cholesteatom ist gekennzeichnet durch eine Masse aus keratinisiertem, desquamiertem Plattenepithel, das in das Mittelohr einwächst und zu einer Zerstörung der Gehörknochen und der angrenzenden knöchernen Strukturen führen kann.
Die Ursache der Cholesteatombildung ist nicht eindeutig geklärt. Wahrscheinlich hat es seinen Ursprung im Epithel am Außenrand des Trommelfells.
Prädisponierende Faktoren
Syndrome, die anatomisch bedingt zu einer Mangelbelüftung des Mittelohrs führen:2
Beim erworbenen Cholesteatom finden sich fast immer Hinweise auf rezidivierende Mittelohrentzündungen im Säuglings- und Kleinkindalter.
Im fortgeschrittenen Stadium führt das Cholesteatom zum Knochenabbau mit einer anaeroben Keimbesiedlung, die zu dem fötiden Geruch des Sekretes beiträgt und bereits in der Anamnese den Verdacht auf eine Cholesteatom zulässt.
Klinische Untersuchung
Leitlinien der DEGAM1 sowie der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde2
Die Diagnose einer chronischen mesotympanalen Otitis media (CMOM) sollte durch HNO-Fachärzt*innen gestellt werden.
Dies sollte durch binokularmikroskopische Untersuchung geschehen.
Bei ungünstigen anatomischen Bedingungen, die eine vollständige Übersicht über das Trommelfell verhindern, kann eine Staboptik eingesetzt werden.
Nicht-HNO-Ärzt*innen, die bei otoskopischer Betrachtung einen länger als 4 Wochen persistierenden Trommelfelldefekt sehen, oder wegen eingeschränkter Beurteilbarkeit (z. B. aufgrund starker Sekretion) das Trommelfell nicht beurteilen können, sollten die Patient*innen an eine HNO-Praxis überweisen.
Zur Inspektion des Gehörganges sollte die Ohrmuschel nach hinten oben gezogen und obliterierende Zerumenpfropfen entfernt werden. Eine freie Sicht sollte allerdings nicht erzwungen werden.
Es werden immer beide Trommelfelle untersucht und verglichen. Dabei ist zur Beurteilung auf eine gute Ausleuchtung zu achten.
Grundsätzlich sollte das vermutlich gesunde Ohr zuerst untersucht werden (besonders bei Kleinkindern, Kooperation!); insbesondere, wenn der Ohrtrichter nicht gewechselt wird, um eine mögliche Keimverschleppung zu vermeiden.
Stimmgabelprüfungen und Tonschwellenaudiometrie sollen als obligate Diagnostik bei Verdacht auf eine CMOM durchgeführt werden, sofern die Patient*innen körperlich und geistig dazu in der Lage sind.
Sonderfall Cholesteatom
Bei einer peripheren Perforation sollten nach einem Cholesteatom gesucht werden. Dieses ist häufig als weißgelber Klumpen zu sehen, der einem festsitzenden Schorf ähnelt.
Cholesteatom
In einigen Fällen kann ein Cholesteatom ohne Operationsmikroskop schwer nachzuweisen sein.
Hier gehört zur obligaten Diagnostik neben der Anamnese die Erhebung des HNO-Status mit Ohrmikroskopie und Nasenracheninspektion, Tubenfunktionsprüfung, Hörprüfung und Gleichgewichtsungersuchung.8
Mikrobiologische Abstriche sollten bei Otorrhö, die sich durch lokale Maßnahmen der Gehörgangsreinigung und Medikamentenapplikation nicht bessert, durchgeführt werden.
So können Erreger identifiziert und eine konservative Antibiotikatherapie durch Antibiogramm spezifiziert werden.
Zeigt das Bild einer Mittelohrschwerhörigkeit auf dem erkrankten Ohr, d. h. in der Regel wird bei der Prüfung nach Weber in das erkrankte Ohr lateralisiert und die Prüfung nach Rinne ist auf dem erkrankten Ohr negativ.
Zur Bestimmung der Cholesteatomausdehnung, möglicher Knochendestruktionen und der Operationsplanung ist bei erworbenen Cholesteatomen eine bildgebende Diagnostik nützlich (Röntgenaufnahme nach Schüller, CT).
Indikationen zur Überweisung
Aufgrund der Überschneidung der Symptomatik zu anderen Ohrerkrankungen soll eine Hals-Nasen-Ohren-fachärztliche Untersuchung erfolgen.2
Checkliste zur Überweisung
Chronische Mittelohrentzündung
Zweck der Überweisung
Diagnostik? Therapie? Sonstiges?
Anamnese
Seit wann besteht die Erkrankung? Entwicklung? Beide Ohren?
Säuberung des Gehörganges, wobei möglichst geringe mechanische Manipulationen erfolgen sollen.
Anschließend Applikation von lokalen Antiseptika (z. B. Wasserstoffperoxid) und/oder lokalen Antibiotika (insbesondere Ofloxacin oder Ciprofloxacin).
Bei ausbleibendem Erfolg systemische antibiotische Therapie nach Antibiogramm unter Berücksichtigung möglicher gravierender Nebenwirkungen wie einer Ototoxizität.
Frühzeitig die Kooperation mit HNO-Kolleg*innen anstreben, da meist eine operative Intervention notwendig wird.
Cholesteatom: Grundsätzlich sollte jedes Cholesteatom operiert werden (gemeinsame Behandlung mit HNO-Ärzt*innen).
Zumeist mit autologem Material, das unmittelbar am operierten Ohr entnommen wird, z. B. mit Faszie des Musculus temporalis, Perichondrium, Knorpel.
Gehörknöchelchenersatz
bei destruierter Ossikelkette
Vollständige Entfernung eines möglichen Cholesteatoms
Empfehlungen für Patient*innen
Das Ohr sollte trocken gehalten werden.
Manipulationen im Ohr („Stochern") durch die Patient*innen sollten unterlassen werden.
Prävention
Sanierung von Infektionen der oberen Atemwege, vor allem bei Nebenhöhlenentzündungen und Entzündungen im Mund- und Rachenraum.
Zur Prävention der akuten Otitis media und insbesondere deren Wiederkehren wird im Wesentlichen die Vermeidung der Risikofaktoren angeführt.1
Zigarettenrauch in der Raumluft vermeiden.
Flaschenfütterung und Schnullern vermeiden.
Stillen wird als risikomindernd erachtet.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Abgesehen von wenigen Ausnahmen geht eine akute Otitis media mit guter Tubenfunktion (und pneumatisiertem Mastoid) nicht in eine chronische Otitis media über.1
Eine zentrale Perforation führt zu wechselnden Beschwerden, am häufigsten jedoch zu einer Sekretion in Verbindung mit einer Infektion der oberen Atemwege.
Eine periphere Perforation prädisponiert für die Entwicklung eines Cholesteatoms und einer „aggressiven“ Form der chronischen Mittelohrentzündung.
Weltweit versterben jährlich 21.000 Menschen an den Komplikationen einer Mittelohrentzündung.5
Prognose
Die schlechteste Prognose liegt vor bei peripheren Perforationen mit einer möglichen Entwicklung eines Cholesteatoms.8
Die Prognose hängt davon ab, ob der Abbau von Knochengewebe frühzeitig gestoppt werden kann, bevor schwere Komplikationen auftreten.
Die Nachsorge sollte in der HNO-Praxis erfolgen.
Der Trommelfellersatz in der Hand erfahrener Ohrchirurg*innen hat unabhängig von Material und Technik eine Erfolgsquote von über 90 %.2
In Entwicklungsländern ist eine chronische suppurative Otitis mit Hörverlust ein sich erheblich auswirkender Faktor bei Lernschwierigkeiten und schlechten schulischen Leistungen.3
Die weltweite Prävalenz von relevanter Schwerhörigkeit durch eine chronische Otitis media beträgt etwa 3:1.000.5
Verlaufskontrolle
Nachsorge in der HNO-Praxis
Ggf. in Hausarztpraxis, aber dann in Zusammenarbeit mit HNO-Kolleg*in.
Das Ziel ist, das Ohr trocken zu halten, Sekretion, Infektion und Cholesteatombildung zu verhindern.
Ein Cholesteatom sollte, auch postoperativ durch ein verbliebenes Rezidivrisiko, unter regelmäßiger ohrenärztlicher Kontrolle bleiben.8
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. Chronisch mesotympanale Otitis media. AWMF-Leitlinie Nr. 017-074. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Ohrenschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-009. S2k, Stand 2014. (abgelaufen). www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. Cholesteatom. AWMF-Leitlinie Nr. 017-006. S1, Stand 2014. (abgelaufen). www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Ohrenschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-009. S2k. Stand 2014. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. Chronisch mesotympanale Otitis media. AWMF Leitlinie Nr. 017-074. S2k. Stand 2020. www.awmf.org
Kaftan H, Noack M, Friedrich N, et al. Kaftan H, Noack M, Friedrich N, Völzke H, HosemannW (2008) Prävalenz chronischer Trommelfellperforationen in der erwachsenen Bevölkerung. HNO 2008; 56: 145-50. www.springermedizin.de
Monasta L, Ronfani L, Marchetti F et al. Burden of Disease Caused by Otitis Media: Systemativ Review and Global Estimates. PLoS ONE 2012; 7(4): e36226. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Seibert JW, Danner CJ. Eustachian tube function and the middle ear. Otolaryngol Clin North Am 2006; 39: 1221. PubMed
Ricciardiello F, Cavaliere M, Mesolella M, Iengo M. Notes on the microbiology of cholesteatoma: clinical findings and treatment. Acta Otorhinolaryngol Ital 2009; 29: 197. PubMed
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Giles M, Asher I. Prevalence and natural history of otitis media with perforation in Maori schoolchildren. J Laryngol Otol 1991; 105: 257-60. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Maharjan M, Kafle P, Bista M, Shrestha S, Toran KC. Observation of hearing loss in patients with chronic suppurative otitis media tubotympanic type. Kathmandu Univ Med J (KUMJ) 2009; 7: 397. PubMed
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
BBB MK 22.02.2021 umgeschrieben.
Revision at 14.07.2015 11:11:13:
En del nye referanser.
Revision at 14.11.2011 20:29:07:
Total oppgradering; MK 12.12.16
Definition:Eine chronische Otitis media zeigt über mehr als 3 Monate einen nicht heilenden Trommelfelldefekt mit eitrigem Ausfluss aus dem Ohr. Beim Cholesteatom wächst Plattenepithel destruierend durch den Defekt ins Mittelohr ein.