Thrombophilie ist ein zusammenfassender Begriff für eine angeborene oder erworbene Hyperkoagulabilität mit einem erhöhten Risiko für venöse Thrombembolien.1
Ätiologie
Hereditäre Ursachen für eine Thrombophilie
Eine Reihe von genetisch bedingten Konzentrations- oder Funktionsstörungen des Gerinnungssystems werden mit einer Thrombophilie in Verbindung gebracht, zu den klinisch bedeutsamen zählen:2-4
APC-Resistenz (Resistenz gegen aktiviertes Protein C durch Faktor-V-Leiden-Genmutation)
erhöhte Plasmaspiegel von Faktor VIII (vermutlich hereditär).
Erworbene Ursachen für eine Thrombophilie
Zahlreiche Erkrankungen, äußere Umstände oder Medikamente können zu hyperkoaguablen Zuständen mit vemehrtem Auftreten von Thrombosen führen, z. B.:1-2,5-6
Kombinierte Ursachen für eine Thrombophilie (hereditär/erworben)
Im Einzelfall ist das Thromboserisiko durch das gemeinsame Vorkommen verschiedener Ursachen weiter erhöht:
Kombination hereditärer Faktoren, z. B. ist die Faktor-V-Mutation nicht selten assoziiert mit anderen hereditären Defekten wie Mangel an Antithrombin/Protein C/Protein S oder Prothrombinmutation G20210A.7
Kombination hereditärer mit erworbenen Faktoren, z. B. vorbestehende hereditäre Thrombophilie bei TumorpatientenTumorpatient*innen8
Häufigkeit
Hereditäre Veränderungen
Prävalenz von Thrombophilien in der europäischen Bevölkerung2
Antiphospholipid-AK kommen bei 1–2 % der Allgemeinbevölkerung und 5–15 % der PatientenPatient*innen mit venösen Thrombembolien vor.10
Risikoerhöhung durch hereditäre Thrombophilien
Erstmanifestation
Hereditäre Thrombophilien begünstigen die Erstmanifestation einer venösen Thromboembolie.3
Auch wenn das absolute Risiko im Allgemeinen als gering einzuschätzen ist, kann im Einzelfall das Risiko stark erhöht sein, z. B. bei homozygoten Trägernger*innen einer APC-Resistenz.9
Abhängig vom einzelnen Defekt existiert eine große Spannbreite der Erhöhung des relativen Risikos, es können „starke“ von „schwachen“ Thrombophilien abgegrenzt werden.6
Das relative thrombotische Risiko für verschiedene Defekte beträgt:2
APC-Resistenz homozygot: 50–100
Antithrombinmangel: 20–50
APC-Resistenz + Prothrombinmutation: 20
Protein-S-Mangel: 5–12
Protein-C-Mangel: 7–10
APC-Resistenz heterozygot: 5–10
persistierend erhöhter Faktor VIII: 5
Prothrombinmutation G20210A heterozygot: 3.
Zu berücksichtigen ist, dass die Defekte mit besonders hohem Risiko eher selten, die Veränderungen mit niedrigem relativem Risko hingegen in der Bevölkerung häufig vorhanden sind.11
Rezidivrisiko bei hereditärer Thrombophilie
Nur gering erhöhtes Rezidivrisiko für Thrombembolien durch die häufigen Ursachen heterozygote Faktor-V-Leiden-Mutation und heterozygote Prothrombin G20210A- Mutation3
Deutlich erhöhtes Rezidivrisiko durch die selteneren, schweren Mangelzustände an Antithrombin, Protein C oder Protein S3
Ffür die seltenen homozygoten Mutationen von Faktor-V und Prothrombin keine validen Daten zum Rezidivrisiko3
Rezidivrisiko bei erworbener Thrombophilie
Beim Antiphospholipid-Syndrom deutlich erhöhtes Rezidivrisiko3
ICPC-2
B04 Blutsymptomatik/Beschwerden
B29 Beschwerden Lymph-/lmmunsystem, andere
ICD-10
D68.6 Sonstige Thrombophilien
D75 Sonstige Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe
I80 Thrombose, Phlebitis und Thrombophlebitis
I87 Sonstige Venenkrankheiten
Differenzialdiagnosen
APC-Resistenz (Resistenz gegen aktiviertes Protein C, Faktor-V-Leiden-Mutation)
Antiphospholipid-AK sind eine heterogene Gruppe von Antikörpern gegen Phospholipid-Proteinkomplexe.
Tritt im Rahmen einer primären (in mehr als 50 % der Fälle isoliertes Syndrom) oder sekundären (v. a. bei Systemischem Lupus erythematodes) Autoimmunerkrankung auf.13-15
Gehäuftes Auftreten von venösen und arteriellen Thrombosen sowie Schwangerschaftskomplikationen bei Mutter und Kind (gehäufte Aborte)
Diagnosestellung bei Vorliegen von mindestens 1 klinischen und 1 Laborkriterium:
klinischeKlinische Kriterien
thrombotisches Ereignis
intrauteriner Tod bei morphologisch normalem Fetus in oder nach der 10. Schwangerschaftswoche
Frühgeburt vor der 34. Schwangerschaftswoche aufgrund von Eklampsie oder Plazenta-Insuffizienz
3 oder mehr Aborte vor der 10. Schwangerschaftswoche
Laborkriterien
Nachweis von Lupus-Antikoagulans im Plasma in 2 oder mehreren Untersuchungen im Abstand von mindestens 12 Wochen
erhöhter Anti-Cardiolipin-Titer bei 2 oder mehreren Untersuchungen im Abstand von mindestens 12 Wochen
erhöhter Anti-Beta-2-Glycoprotein-Antikörper-Titer bei 2 oder mehreren Untersuchungen im Abstand von mindestens 12 Wochen
Diagnostik
Grundsätzliche Überlegungen zur Thrombophilie-Diagnostik
Eine Diagnostik auf Thrombophilie wird derzeit häufiger vorgenommen, als dies durch vorhandene Daten und Empfehlungen gerechtfertigt ist.6
Tatsächlich beeinflusst eine Thrombophilie-Diagnostik nur in relativ wenigen Fällen die Entscheidung über die Antikoagulationsdauer nach venöser Thrombembolie.3
Ein genetisch determiniertes Thromboserisiko manifestiert sich im Allgemeinen bis ca. zum 50. Lebensjahr, in höherem Lebensalter (wenn die Mehrzahl der Thrombosen auftritt) ist eine Thrombophilie nur von geringer Bedeutung.3
Klinische Faktoren sind im Allgemeinen wichtiger als Laborparameter für die Festlegung der Antikoagulationsdauer.16
PatientenPatient*innen mit venöser Thrombembolie sollten daher nicht unselektiert getestet werden.17
Abklärung ist sinnvoll, wenn durch das Ergebnis das therapeutische Vorgehen beeinflusst wird.3
Im Einzelfall kann das Wissen um eine Thrombophilie für die PatientenBetroffenen hilfreich bei der Krankheitsverarbeitung sein.6
Insbesondere ist im Allgemeinen von einer Testung gesunder Personen abzuraten, da3
die therapeutischen Konsequenzen derzeit unklar sind.
Verunsicherung und Angst bei einem positiven Test ausgelöst werden können.
Indikationen zur Diagnostik
Derzeit gibt es keinen internationalen Konsens, wann eine Thrombophilie-Diagnostik durchgeführt werden sollte.
In folgenden Situationen sollte eine Thrombophilie-Diagnostik erwogen werden:2,18
unprovozierte Thrombosen, insbesondere in jüngeren Jahren
Keine Bestimmung weiterer Marker, da deren Relevanz nicht belegt ist.
Zeitpunkt der Thrombophilie-Diagnostik
Die Bestimmung einiger Thrombophilie-Parameter kann durch eine frische Thrombose oder die Einnahme von Antikoagulanzien beeinflusst werden, dies ist bei der Wahl des Zeitpunkts zu berücksichtigen.2
Die Diagnostik auf Faktor-V-Leiden- und Prothrombinmutation kann jederzeit durchgeführt werden.2
Bei frischer Thrombose kann es zu einem vorübergehenden Absinken von Protein C, Protein S und Antithrombin kommen.2
Ggf. müssen diese Parameter zu einem späteren Zeitpunkt nochmals kontrolliert werden.3
Eine spätere Diagnostik sollte frühestens 2 Monate nach Thrombose durchgeführt werden.2
Bei Diagnostik zu einem späteren Zeitpunkt sollte eine Antikoagulation kurz unterbrochen werden:3
bei Therapie mit NOAK (neue orale Antikoagulanzien) und normaler Nierenfunktion 2 Tage Pause
bei Therapie mit Vit-K-Antagonist 10–14 Tage Pause (bei angenommenem erhöhtem Rezidivrisiko ggf. Bridging mit niedermolekularem Heparin ohne Beeinflussung der Thrombophilie-Parameter)
Kontrazeption und Thrombophilie
Das bei Thrombophilie erhöhte Thromboserisiko wird durch die Einnahme oraler Kombinationspräparate zur Kontrazeption weiter erhöht.19
Kontrazeptiva neuerer Generation können zu einer erworbenen APC-Resistenz führen.20
Hinsichtlich eines Thrombophilie-Screenings vor Kontrazeption zeigen internationale Leitlinien allerdings keine Übereinstimmung.6
Zumeist ist eine genaue Eigen- und Familienanamnese für die Beurteilung des Risikoprofils und die Wahl der Antikonzeption ausreichend.6
Dabei sollten vor allem auch sonstige für eine Thrombembolie prädisponierende Faktoren erhoben werden (siehe hierzu auch Artikel Tiefe Venenthrombose und Lungenembolie)
Durch die DGGEF (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin) wird ein generelles Thrombophilie-Screening vor oraler Kontrazeption nicht empfohlen.18
Es sollte nur durchgeführt werden bei positiver Familienanamnese und/oder Eigenanamnese für Thrombembolien.18
Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V. (DGA). Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 065-002. Stand 2015. www.awmf.org
AWMF Arbeitsgem. der Wiss. Medizin. Fachgesellschaften. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). AWMF-Leitlinie Nr. 003-001. Stand 2015. www.awmf.org
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Literatur
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AutorenAutor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
OddDie Kildahlursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-AndersenHandbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, overlege, drhttps://legehandboka. medno/)., Medisinsk avdeling, Universitätssykehus Nord-Norge, Harstad sykehus
D686; D75; I80; I87
B04; B29
Thrombophilie; hereditäre Thrombophilie; erworbene Thrombophilie; Thrombose; Venenthrombose; Thrombembolie; TVT; Tiefe Venenthrombose; Lungenembolie; Protein C; Protein-C-Mangel; Protein S; Protein S-Mangel; Faktor VIII; Antithrombin; Antithrombin-Mangel; APC-Resistenz; Faktor-V-Leiden-Mutation; Prothrombinmutation; Antiphospholipid-Antikörper; Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom; Antikonzeption; Antikonzeptiva
Thrombophilie
BBB MK 18.11.2019, stark überarbeitet, Schwerpunkt auf Praxisrelevanz und praktisches Vorgehen (Kardiologe, Intensivmediziner).
chck go 2.8.
Thrombophilie ist ein zusammenfassender Begriff für eine angeborene oder erworbene Hyperkoagulabilität mit einem erhöhten Risiko für venöse Thrombembolien.1 Eine Reihe von genetisch bedingten Konzentrations- oder Funktionsstörungen des Gerinnungssystems werden mit einer Thrombophilie in Verbindung gebracht, zu den klinisch bedeutsamen zählen:2-4
APC-Resistenz (Resistenz gegen aktiviertes Protein C durch Faktor-V-Leiden-Genmutation)
Antithrombinmangel
Protein-C-Mangel
Protein-S-Mangel
Prothrombinmutation G20210A (erhöhte Prothrombinkonzentration)
erhöhte Plasmaspiegel von Faktor VIII (vermutlich hereditär).