Definition:Polyätiologische epileptische Enzephalopathie mit Manifestation zwischen 2. und 8. Lebensmonat, die meist zerebral geschädigte Kinder betrifft.
Häufigkeit:Inzidenz 2–5/10.000 Neugeborene.
Symptome:Definiert durch serielle epileptische Spasmen mit symmetrischen oder asymmetrischen Beuge-, Streck- oder Beuge-Streckspasmen sowie typische EEG-Befunde mit Hypsarrhythmie und fast immer gekennzeichnet durch psychomotorische Retardierung.
Befunde:Psychomotorische Retardierung, neurologische Ausfälle, neurokutane Symptomatik, ggf. auch unauffälliger klinischer Befund im anfallsfreien Intervall.
Therapie:Medikamente der 1. Wahl sind ACTH, Glucocorticoide oder Vigabatrin.
Allgemeine Informationen
Definition
West-Syndrom – Synonyme: infantile Spasmen – besonders im englischen Sprachraum geläufig, Blitz-Nick-Salaam(BNS)-Epilepsie1
Seltene polyätiologische altersabhängige epileptische Enzephalopathie mit Manifestation zwischen 2. und 8. Lebensmonat
Definiert durch „serielle epileptische Spasmen mit symmetrischen oder asymmetrischen Beuge-, Streck- oder Beuge-Streckspasmen“ sowie typische EEG-Befunde mit Hypsarrhythmie1 und fast immer gekennzeichnet durch psychomotorische Retardierung2
Elektroklinisches Syndrom mit charakteristischer Kombination aus Anfallsmuster, EEG-Befund und Ätiologie sowie häufig psychomotorischer Retardierung7
Serien von axialen Spasmen mit symmetrischen oder asymmetrischen Beuge- und/oder Streckspasmen, teils sehr diskret und dann nur mittels EEG während des Anfalls nachweisbar
Hypsarrhythmie im EEG
Initial bestehende psychomotorische Retardierung ist nicht Teil der Definition, liegt jedoch bei 90 % zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits vor.3
Differenzialdiagnosen
Zusammenzucken bei Erschrecken/Startle-Reaktion
ähnlich wie Blitz-Anfälle
irritable Säuglinge
Gutartige Myoklonien des Säuglings (nicht-epileptisch)
Durchführung einer detaillierten Anamnese durch einen erfahrenen Arzt mit Betroffenen, Familie und ggf. Personen aus dem weiteren Umkreis
Initial oft nur wenige Anfälle, sodass eine Diagnosestellung schwierig sein kann, evtl. Verwechslung mit Koliken oder gastroösophagealem Reflux9, gezieltes Abfragen der Symptomatik ist wesentlich für frühe und korrekte Diagnosestellung.
Anamnestische Frühsymptome sind Entwicklungsregression (statomotorisch, affektiv), leerer Blick, Stereotypien, auffälliges Gähnen, Wechsel von motorischer Unruhe und völliger Ruhe3, teils andere Anfälle vorausgehend (Neugeborenenkrämpfe, fokalmotorische Anfälle, große Anfälle)
Allgemeine Anamnese
Schwangerschaft
Neonatalperiode
neurologische Entwicklung
Familienanamnese
Medikamente
Unfälle/Stürze
Operationen
Anfallsanamnese (Symptomatik wird teils nicht erkannt und muss gezielt abgefragt werden)
auslösende Faktoren
Zeitpunkt
Beschreibung
Aura
subjektive Erlebnisse des Kindes während des Anfalls
Zyanose
Auswertung von Videoaufnahmen (Handykameraaufnahmen der Eltern sind wertvoll)
Klinische Untersuchung
Vollständige körperliche Untersuchung
Hinweis auf neurokutane Erkrankungen
Hinweis auf syndromale Erkrankungen
Hinweis auf Stoffwechseldefekt
Neurologischer Status
bei > 90 % der Kinder bereits intial Verzögerung der psychomotorischen Enttwicklung
variable neurologische Ausfallerscheinungen
Nach Möglichkeit entwicklungsneurologische und psychologische Diagnostik
Anfallsformen
Blitzkrämpfe mit Myoklonien der Extremitäten, Arme und Beine werden nach vorn oder Beine gebeugt und Arme nach oben geworfen und der Kopf und Rumpf dabei gebeugt, extrem kurze Dauer.
Nick-Krämpfe mit Beugung des Kopfes, extrem kurze Dauer
Salaam-Krämpfe mit tonischen Beugeanfällen von Kopf, Rumpf, Extremitäten, teils mit Kreuzen der Arme vor der Brust
Anfallsformen symmetrisch oder asymmetrisch, teils sehr diskret und nur mittels EEG während des Anfalls nachweisbar
Auftreten in Serien von je 10–30 Sekunden über mehrere Minuten, besonders nach dem morgendlichen Aufwachen
Vorhergehende Aura mit Weinerlichkeit/Unruhe der Kinder
Interiktuales Schreien
Selten Andauern tonischer Beugeanfälle über Stunden, teils große Anfälle, in 25 % fokalmotorische Anfälle
Na, K, Mg, Glukose, neurometabolische Basisdiagnostik, ggf. Drogenscreening als Initialdiagnostik
Prolactin innerhalb 1 h nach Anfall (normal bei Absencen und dissoziativen Anfällen, erhöht bei generalisierten und teils auch fokalen Anfällen, hypoxischem Ereignis und Synkopen)
„Ziel der Therapie ist die rasche Anfallsfreiheit für BNS-Anfälle und das Sistieren der Hypsarrhythmie im Wach- und Schlaf-EEG als Voraussetzung für die bestmögliche Entwicklung des Kindes.“1
„Bei gesicherter Diagnose soll die Therapie umgehend begonnen werden“ (mittel).
Eine frühzeitige und effektive Behandlung ermöglicht eine bessere Prognose hinsichtlich einer guten kognitiven Entwicklung.
„Die Eltern sollen ausführlich über die Erkrankung, über Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente und über Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten für Kind und Familie informiert werden. Hierfür sind wiederholte Gespräche in verständlicher Sprache erforderlich, und es soll ausreichend Gelegenheit bestehen, Fragen und Ängste der Eltern zu besprechen. Es wird empfohlen, eine in der Epileptologie geschulte Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin hinzuzuziehen und die Möglichkeit zur Verordnung von Sozialmedizinischer Nachsorge zu prüfen.“
Medikamentöse Behandlung
Der Therapieerfolg soll für die Medikamente der ersten Ordnung jeweils nach 14 Tagen klinisch und elektroenzephalografisch (Wach- und Schlaf-EEG) evaluiert werden (schwach).
Kinder mit einer BNS-Epilepsie sollten primär mit ACTH, Glukokortikoiden oder Vigabatrin behandelt werden (hoch).
Eine generelle Priorität für eines der Medikamente ergibt sich aus der Studienlage nicht. Bei unbekannter Ätiologie ergibt sich möglicherweise eine Priorität für ACTH oder Glucocorticoide gegenüber Vigabatrin.
Eine evidenzbasierte Empfehlung für ein bestimmtes Therapieschema kann nicht gegeben werden.
Als Expertenmeinung (EK4) wird folgendes Therapieschema für praktikabel gehalten:
Prednisolon 40–60 mg/Tag p. o.: Dauer jeweils 2 Wochen + 2 Wochen schrittweise Beendigung
Depot ACTH (Tetracosactide): 40 IE i. m. für 2 Wochen, jeweils alle 2 Tage + 2 Wochen schrittweise Beendigung über Prednisolon p. o.
Bei Kindern mit Tuberöser-Sklerose-Komplex soll Vigabatrin als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden (hoch).
Sultiam, Topiramat, Valproat, Zonisamid oder Benzodiazepine können eingesetzt werden, wenn Medikamente der 1. Wahl wirkungslos waren. Auch eine ketogene Diät kann in Betracht gezogen werden (schwach).
Bei Kindern, die nicht auf eine medikamentöse Therapie ansprechen, sollte früh die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Vorgehens, insbesondere bei sichtbaren fokalen ZNS-Läsionen, geprüft werden (schwach).
Studien und Fallserien zu Sultiam, Benzodiazepinen, Immungobulinen, Levetiracetam, Topiramat, Valproat, Pyidoxin, Pyridoxalphosphat und Zonisamid haben keine ausreichende Evidenz oder eine zu geringe Wirksamkeit, um eine Therapieempfehlung der engeren Wahl auszusprechen. Eine Wirksamkeit ist im Einzelfall möglich bzw. nicht ausgeschlossen, ein Therapieversuch kann bei Therapieresistenz in Betracht gezogen werden.
Weitere Therapien
Chirurgische Resektion der fokalen kortikalen Dysplasie und Hemisphärektomie sind mögliche Option bei therapieresistenten Verläufen.1,5
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
Variabel ausgeprägte Entwicklungsretardierung in 90 % der Fälle
Durch hirnorganische Störungen bedingte Komplikatioen und neurologische Ausfälle
Zugrunde liegende zerebrale Schädigung bestimmt die Prognose, früher Therapiebeginn ist wesentlich für ihre Optimierung.3,9
In 50 % der Fälle Übergang zum Lennox-Gastaut-Syndrom10 (dann besonders schlechte Prognose) oder eine andere Epilepsie, jedoch nie zu primär generalisierten Anfällen3
Gesellschaft für Neuropädiatrie. Blitz-Nick-Salaam Epilepsie (West-Syndrom): Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 022-022. S3, Stand 2014. www.awmf.org
Gesellschaft für Neuropädiatrie. Diagnostische Prinzipien bei Epilepsien des Kindesalters. AWMF-Leitlinie Nr. 022-007. S1, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
Gesellschaft für Neuropädiatrie. Blitz-Nick-Salaam Epilepsie (West-Syndrom): Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 022-022, Stand 2014. www.awmf.org
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Neubauer BA, Hahn A. Dooses Epilepsien im Kindes- und Jugendalter. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag , 2014.
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Napuri S, LE Gall E, Dulac O et al.. Factors associated with treatment lag in infantile spasms. Dev Med Child Neurol 2010; 52: 1164-6. onlinelibrary.wiley.com
Lombroso CT. A prospective study of infantile spasms: clinical and therapeutic correlations. Epilepsia 1983; 24: 135-58. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autoren
Anne Strauß, Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
Kurt Østhuus Krogh, spesialist i barnesykdommer, Barne- og ungdomsklinikken, St. Olavs Hospital, Trondheim
Definition:Polyätiologische epileptische Enzephalopathie mit Manifestation zwischen 2. und 8. Lebensmonat, die meist zerebral geschädigte Kinder betrifft. Häufigkeit:Inzidenz 2–5/10.000 Neugeborene.