Tuberöse Sklerose (TSC)

Zusammenfassung

  • Definition:Multiorganerkrankung mit Bildung von multiplen gutartigen Tumoren vor allem in Haut, ZNS, Lunge und Nieren. Ursache sind autosomal-dominant vererbbare Mutationen in den Genen TSC1 und/oder TSC2.
  • Häufigkeit:Prävalenz etwa 1:6.000.
  • Symptome:Große phänotypische Spannbreite. Haut und ZNS sind nahezu immer beteiligt. Epilepsie ist weit verbreitet. Psychische Entwicklungsstörung in etwa 50 % der Fälle.
  • Untersuchung:Zu den charakteristischen Hautbefunden zählen hypopigmentierte Bereiche, Angiofibrome und fibröse Plaques auf der Stirn.
  • Diagnostik:Verdachtsdiagnose auf der Basis von symptomatischen Haupt- und Nebenkriterien, Diagnosesicherung durch genetische Analyse. MRT des Zentralnervensystems, Nierenultraschall, Echokardiografie.
  • Therapie:Die Therapie dient der Unterstützung der Patient*innen. Häufig Epilepsie-Behandlung; eine Operation zur Entfernung von Tumorgewebe kann indiziert sein.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Tuberöse Sklerose ist eine angeborene, autosomal-dominant vererbte Erkrankung, deren Symptome sich an unterschiedlichen Organsystemen manifestieren können.1
  • Spontanmutationen sind zusätzlich zu ererbten Genveränderungen möglich.
  • Im Zuge dieser Erkrankung entwickeln sich gutartige Tumoren in verschiedenen Organen, meist in Haut, Gehirn, Herz, Lunge und Nieren, in verschiedenen Altersstufen der Patient*innen.
  • Häufige Symptome sind Epilepsie, Entwicklungsverzögerungen und Angiofibrome des Gesichts. Diese müssen aber nicht notwendigerweise bei allen Betroffenen auftreten.
  • Die heute gültigen Diagnosekriterien für das Syndrom wurden 2012 auf der Internationalen Konsenskonferenz für Tuberöse Sklerose in Form von Haupt- und Nebenkriterien festgelegt.2

Häufigkeit

  • Inzidenz: geschätzt zwischen 1:11.180 und 1:22.360, bezogen auf Lebendgeburten3
  • Prävalenz: etwa 1:6.000 in der Gesamtbevölkerung4

Ätiologie und Pathogenese

  • Tuberöse Sklerose wird in 30 % der Fälle autosomal-dominant vererbt und entsteht bei 70 % der Patient*innen durch Neumutationen. Sie ist eine der häufigsten monogenetisch bedingten Erkrankungen mit Bedeutung für die Kinder- und Jugendpsychiatrie.4
  • Die Erkrankung wird durch einen genetischen Defekt verursacht, der Auswirkungen auf Zelldifferenzierung, Proliferation und Migration in der frühen embryonalen Entwicklung hat.
  • Es sind Mutationen in zwei verschiedenen Genen mit der Erkrankung assoziiert:
    • TSC1-Gen
      • Wurde 1993 nachgewiesen und befindet sich auf Chromosom 9, 9q34.5
      • Kodiert für ein als Hamartin bezeichnetes Protein und hat die Funktion eines Tumorsuppressors, indem anaboles Zellwachstum verhindert wird.
      • Eine Mutation im TSC1-Gen findet sich bei ca. 31 % der Patient*innen mit tuberöser Sklerose.
    • TSC2-Gen
      • Wurde 1997 nachgewiesen und befindet sich auf Chromosom 16, 16p13.6
      • Kodiert für ein als Tuberin bezeichnetes Protein, das zusammen mit Hamartin hemmend auf das Zellwachstum wirkt.
      • Eine Mutation im TSC1-Gen findet sich bei ca. 69 % der Patient*innen mit tuberöser Sklerose.
      • Neumutationen treten fast immer im TSC2-Gen auf.
  • Der Hamartin-Tuberin-Komplex hat eine zentrale inhibierende Wirkung im mTOR-Signalweg. mTor ist ein zentraler Regulator der Differenzierung und Proliferation von Zellen und regt auch Krebszellen zum Wachstum an. Eine fehlende Hemmung durch den Hamartin-Tuberin-Komplex begünstigt daher die Entstehung von Tumoren.

Pathologie

  • Es kommt zu Neubildungen in verschiedenen Organsystemen, z. B. kardiale Rhabdomyome, faziale Angofibrome, zerebrale Tubera, Angiomyopilome der Nieren.
  • Die Krankheit weist daher eine große phänotypische Spannbreite auf.
  • Patient*innen mit tuberöser Sklerose entwickeln in vielen Fällen Autismus, ADHS oder andere Verhaltensstörungen sowie Epilepsie.
  • Bei einigen Betroffenen kommt es zu schwerwiegenden Organkomplikationen wie Nierenversagen, Herzrhythmusstörungen und obstruktivem Hydrozephalus.
  • Anzeichen und Symptome können sich jederzeit während der Kindheit bemerkbar machen. Bei einigen Patient*innen wird die Diagnose aus diesem Grund sehr früh gestellt, bei anderen dagegen erst im Erwachsenenalter.
  • Die Krankheit kann auch nahezu beschwerdefrei verlaufen, weshalb bei Betroffenen mit einer leichten Erkrankungsform u. U. nie eine Diagnose gestellt wird.

Prädisponierende Faktoren

  • Genetische Disposition der Erkrankung

ICPC-2

  • A90 Angeborene Anomalie NNB

ICD-10

  • Q85 Phakomatosen, anderenorts nicht klassifiziert
    • Q85.1 Tuberöse (Hirn-) Sklerose

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Hauptkriterien2
    • Angiofibrome des Gesichts oder der Stirn
    • mindestens 3 nichttraumatische unguale oder periunguale Fibrome
    • mindestens 2 weiße, hypopigmentierte Hautflecken
    • mindestens 3 Chagrin-Flecken (Bindegewebsnävi)
    • multiple noduläre Hamartome der Retina
    • tuberöse Veränderungen in der Großhirnrinde
    • subependymale Knötchen
    • subependymale Riesenzellastrozytome
    • kardiale Rhabdomyome
    • Lymphangioleiomyomatose (wabenartige Veränderungen in der Lunge)
    • Renale Angiomyolipome; wenn sowohl ein renales Angiomyolipom als auch Lymphangioleiomyomatose vorliegen, ist ein weiteres Hauptkriterium für eine zuverlässige Diagnose erforderlich.
  • Nebenkriterien2
    • mehrere, wahllos verteilte Vertiefungen im Zahnschmelz
    • Rektumpolypen von Hamartomtyp*
    • Knochenzysten**
    • radiäre Migrationslinien der weißen Hirnsubstanz**
    • gingivale Fibrome
    • Hamartome in anderen Organen als den Nieren*
    • hypopigmentierte Flecken auf der Netzhaut
    • konfettiartige Depigmentierung
    • multiple renale Zysten

* Nachweis durch mikroskopische Untersuchung

** Nachweis durch MRT/Röntgen

Diagnostische Anforderungen

  • Sichere Diagnose2
    • 2 Hauptkriterien oder
    • 1 Hauptkriterium und 2 Nebenkriterien
  • Wahrscheinliche Diagnose
    • 1 Hauptkriterium und 1 Nebenkriterium
  • Mögliche Diagnose
    • 1 Hauptkriterium oder mindestens 2 Nebenkriterien
  • Nachweis einer Mutation im TSC-1- oder TSC-2-Gen gilt als sichere Diagnose.
  • Aufgrund der ausgesprochen hohen Spannbreite an klinischen Manifestationsformen und Schweregraden kann die Diagnose der tuberösen Sklerose erschwert sein. Dies gilt vor allem bei Kindern und bei Personen mit wenig ausgeprägten Symptomen.

Differenzialdiagnosen

  • Es gibt nur wenige andere Erkrankungen mit dem gleichen Symptomenkomplex wie bei tuberöser Sklerose.
  • Aufgrund der zahlreichen unterschiedlichen Erscheinungsbilder sind jedoch im Frühstadium eine Reihe von Differenzialdiagnosen auszuschließen.

Anamnese

  • Tuberöse Sklerose zeigt ein breites Spektrum an Erscheinungsbildern.
  • Neurologische (Epilepsie, Verhaltensauffälligkeiten) und dermatologische Störungen (faziale Zubildungen, charakteristische hypopigmentierte Flecken) sind mit 90–95 % am häufigsten vertreten.
  • Etwa 85 % der erkrankten Kinder und Jugendlichen erleiden ZNS-Komplikationen wie Epilepsie, kognitive Störungen, Verhaltensstörungen und Autismus.4
  • Eine intellektuelle Entwicklungsstörung wird bei ca. 50 % der Betroffenen beobachtet.
  • Da ein großer Prozentsatz auf spontane Mutationen zurückzuführen ist, liegt bei vielen Patient*innen keine familiäre Belastung vor.

Häufig auftretende Erscheinungsformen in verschiedenen Altersstufen

  • Intrauterine Phase und Neugeborene
    • Am häufigsten sind kardiale Komplikationen, Rhabdomyome.
  • Kinder
  • Kutane Manifestationen
    • Treten in allen Altersgruppen auf und äußern sich als hypopigmentierte Flecken und ausgeprägte Angiofibrome. Angiofibrome treten meist bei Kindern und Jugendlichen in Erscheinung.
  • Lungenerkrankungen
  • Lymphangiomyomatose
    • Die Symptome (Kurzatmigkeit, erschwerter Sauerstoffaustausch) machen sich meist im Alter von 30–40 Jahren und ganz überwiegend bei Frauen bemerkbar.
  • Renale Angiomyolipome
    • Können in jedem Alter auftreten.
    • Sie verursachen Flankenschmerzen, Hämaturie und retroperitoneale Blutungen.
  • Ältere Menschen
    • Häufig sind Nierenversagen, pulmonale oder kutanen Manifestationen; neurologische Symptome sind dagegen weniger ausgeprägt oder fehlen.

Klinische Untersuchung

Neurologische Beeinträchtigung

  • Bei etwa 95 % der Patient*innen, die an dem Syndrom leiden, liegen Veränderungen im zentralen Nervensystem vor.7
  • Die Erkrankung kann je nach Lokalisation der tuberösen Veränderungen, subependymalen Knötchen und etwaigen subependymalen Riesenzellastrozytomen ein breites Spektrum an neurologischen Störungen verursachen.
  • Kognitive Beeinträchtigungen äußern sich als Teilleistungsstörungen (oft in Form von Sprachstörungen), als Aufmerksamkeitsdefizit oder Verhaltensauffälligkeiten (Autismus).
  • Zerebelläre Dysfunktion, Beeinträchtigung der Kranialnerven oder der motorischen und sensorischen Funktionen usw.
  • Bis zu 80–90 % der Patient*innen entwickeln eine Epilepsie.8
    • Im ersten Lebensjahr bereits können infantile Spasmen als eines der ersten Symptome der Krankheit auftreten.
  • Eine mentale Retardierung (IQ < 70) tritt in unterschiedlichen Ausprägungen bei 50–85 % der Betroffenen auf.9
  • Subependymale Riesenzellastrozytome können mit der Zeit so groß werden, dass das Ventrikelsystem blockiert wird und sich ein Hydrozephalus entwickelt.

Dermatologische Befunde

  • Angiofibrom1
    • klassische Hautveränderung bei tuberöser Sklerose, kutanes Hamartom
    • Die Läsionen beginnen oft als gelb-rote Papeln. 
      Adenoma sebaceum.jpg
      Adenoma sebacaeum
    • Angiofibrome des Gesichts treten bei etwa 75 der Patient*innen auf und sind oft durch eine symmetrische, schmetterlingsförmige Verteilung über Nase und Wangen gekennzeichnet (Adenoma sebaceum).10
    • Sie treten ab dem Kleinkindalter in Erscheinung. Sie sind ca. 1–4 mm groß, ihre Größe nimmt kontinuierlich zu, insbesondere in der Pubertät.
    • Je nachdem, ob die bindegewebige oder die vaskuläre Komponente dominiert, sind sie gelblich-weiß oder rosarot.
    • Mit der Zeit verändern sie sich zu erythematösen, papulonodulären Hautläsionen, die an der Oberfläche leicht zu bluten beginnen.
  • Hypopigmentierte Flecken
    • Bei über 90 % der Betroffenen. Sie treten am ganzen Körper, vorwiegend an Rumpf, Gesäß und Extremitäten auf; seltener im Gesicht.11
    • Die Flecken sind bereits bei der Geburt vorhanden.
    • Anzahl, Größe und Form variieren, und sie sind im Allgemeinen deutlich umschrieben. Aufgrund der schwachen Pigmentierung im 1. Lebensjahr kann zur Sichtbarmachung ultraviolettes Licht (Wood-Lampe) zum Einsatz kommen.
    • Die Flecken können mit der Zeit verschwinden.
    • Einige haben ein konfettiähnliches Erscheinungsbild. Sie werden als kleine, weiße Flecken mit symmetrischer Verteilung an den Extremitäten beschrieben.
  • Periunguale oder gingivale Fibrome
    • Fibrome im Nagelbett oder unter den Nägeln, mit einer Größe von wenigen Millimetern bis zu 1 Zentimeter
    • Sie werden oft von längs verlaufenden Rillen oder Rändern in den Nägeln begleitet.
    • Zahnmedizinisch feststellbar sind gingivale Fibrome und Schmelzdefekte. Nadelstichförmige Vertiefungen im Zahnschmelz sind charakteristisch für Patient*innen mit TS.
  • Chagrin-Flecken
    • verdickte, solide Bereiche mit subkutanem Bindegewebe im unteren Rücken, Dermis
    • Die darüber liegende Haut hat oft ein orangefarbenes Kolorit.
    • Häufig jucken die Flecken.
    • Chagrin-Flecken sind nicht selten mit Dysraphie, Knochenläsionen oder Kompression von Nervenstrukturen assoziiert.

Kardiale Beeinträchtigungen10

  • Sind in der Regel in der Zeit nach der Geburt und in der frühen Kindheit besonders ausgeprägt.
  • 50–60 % der Kleinkinder mit tuberöser Sklerose leiden unter kardialen Beeinträchtigungen.
  • TSC ist die häufigste Ursache für fetale Herztumoren.
  • Sehr häufig werden Rhabdomyome beobachtet.
    • Es handelt sich dabei um gutartige Tumoren, die fokal oder diffus in Erscheinung treten und anderes Gewebe infiltrieren.
    • Sie können eine Verengung der Herzkammern oder Herzklappenfehler nach sich ziehen.
    • Diffus wachsende Rhabdomyome können die Kontraktilität herabsetzen und zu Kardiomyopathien führen.
    • Die meisten Rhabdomyome verschwinden spontan während der ersten zwei Lebensjahre, es können jedoch kleine Bereiche mit Tumorgewebe zurückbleiben.
    • Wenn solche Bereiche das Reizleitungssystem in Mitleidenschaft ziehen, besteht lebenslang eine Neigung zu unterschiedlichen Formen der Arrhythmie.

Ophthalmologische Befunde12

  • Die Häufigkeit ophthalmologischer Auffälligkeiten beträgt 50–80 %.
  • Vor allem retinale Hamartome und Astrozytome, die mit der Zeit verkalken können, werden häufig beobachtet.
  • Mögliche Komplikationen: Papillenödem, Visusverlust, Gesichtsfeldeinschränkungen

Lungenerkrankungen

  • Eine symptomatische Lungenbeteiligung tritt fast ausschließlich bei Patientinnen über 30 Jahren auf. Es gibt 3 Haupttypen von Lungenerkrankungen:
    1. multifokale mikronoduläre Pneumozytenhyperplasie (MNPH)
      • Hyperplasie der Typ-II-Pneumozyten
      • Es können knotige Verdichtungen in der Thorax-CT festgestellt werden.
      • MNPH verläuft asymptomatisch und tritt auch bei Männern auf.
    2. Lungenzysten: Solitäre Zysten sind meist asymptomatisch, im Fall einer Ruptur können sie jedoch einen Pneumothorax verursachen. Mehrere Lungenzysten können die Lungenfunktion beeinträchtigen.
    3. Lymphangioleiomyomatose (LAM)13
      • Es handelt sich um eine meist schwerwiegende Erkrankung, die langsam fortschreitet.
      • Es kommt zu einer abnormen Proliferation der glatten Muskelzellen, durch die Bronchiolen, Gefäße und Lymphstrukturen in Mitleidenschaft gezogen werden.
      • Im Laufe der Zeit verringert sich Lungenelastizität, die Vitalkapazität geht zurück und das Restvolumen steigt.
      • Anschließend kommt es zu pulmonaler Hypertonie, Cor pulmonale und Ateminsuffizienz.

Nierenbeeinträchtigung14

  • Angiomyolipom (AML)15
    • Bis zu 80 % der Patient*innen leidet unter AML.
    • Sie können in Form mehrerer kleiner Läsionen oder als große, einzelne Tumoren auftreten.
    • Große AML bereiten häufig Beschwerden, insbesondere in Form von Flankenschmerzen.
    • Eine gefürchtete Komplikation ist die retroperitoneale Blutung.
  • Isolierte Nierenzysten
    • Entwickeln sich bei 20 % der männlichen und 10 % der weiblichen Patienten.
    • Sie bleiben in der Regel asymptomatisch.
  • Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung
    • Tritt bei 2–3 % der Patient*innen auf.
    • Die Erkrankung bereitet häufig schon früh im Leben Beschwerden und äußert sich in Form von Hypertonie, Hämaturie und Nierenversagen.
  • Nierenzellkarzinom
    • Die Erkrankung wird etwas häufiger bei Patient*innen mit tuberöser Sklerose beobachtet als in der Allgemeinbevölkerung.
  • Von den kompletten Gendeletionen ist in der Hälfte neben dem TSC2-Gen zusätzlich das chromosomal benachbarte PKD1-Gen für die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) betroffen. Patient*innen mit diesem TSC2/PKD1 Contiguous Gene Syndrome weisen sowohl klinische Merkmale einer TSC als auch einer ADPKD mit früher Manifestation von Nierenzysten auf.

Weitere Befunde

  • Asymptomatischen Leberzysten
  • Sklerotische, hypertrophe Knochenläsionen
  • Die Inzidenz von arteriellen Aneurysmen ist bei Menschen mit tuberöser Sklerose etwas erhöht.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Blutbild, Leber- und Nierenwerte
  • Urinanalyse
  • Blutdruck
  • EKG
    • Sollte grundsätzlich bei allen Patient*innen mit tuberöser Sklerose alle 2–3 Jahre bis zur Pubertät durchgeführt werden, um etwaige Reizleitungsstörungen und Herzrhythmusstörungen rechtzeitig festzustellen.
  • Ultraschalluntersuchung der Nieren
    • Nachweis und Kontrolle der Entwicklung von Nierenzysten und Angiomyolipom
    • insbesondere bei der Planung von chirurgischen Eingriffen ratsam
  • Die weitere Abklärung bei Verdacht auf tuberöse Sklerose fällt in den Bereich von Spezialist*innen.

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Echokardiografie
    • zum Nachweis von kardialen Auffälligkeiten, z. B. Rhabdomyomen
  • CT oder MRT des Gehirns
    • Nachweis von Ausmaß und Lokalisation von tuberösen Veränderungen in der Hirnrinde
    • Tuberöse Veränderungen bestehen bereits bei der Geburt, sie nehmen nicht an Größe und Anzahl zu.
    • Subependymale Riesenzellastrozytome können identifiziert und überwacht werden, bevor sie zu obstruktivem Hydrozephalus führen.
  • Thorax-CT
    • Sollte bei Patientinnen etwa ab dem Alter von 18–20 Jahren durchgeführt werden.
  • EEG
    • Ist bei Patient*innen mit Verdacht auf Epilepsie angezeigt.
  • Gentests
    • Für den Nachweis von tuberöser Sklerose stehen gegenwärtig keine kommerziellen Gentests zur Verfügung.
  • Augenärztliche Untersuchung
    • Beurteilung des Augenhintergrunds

Genetische Untersuchung

  • Eine genetische Beratung und Testung wird bei Eltern durchgeführt, wenn eine Mutation beim Kind nachgewiesen wurde.
  • Geschwister, von denen man annimmt, dass sie gesund sind, können sich nach einer Beratung ab einem Alter von 16 Jahren testen lassen. Die Untersuchung von Geschwisterkindern, die jünger als 16 Jahre alt sind, erfolgt nur bei Vorliegen klinischer Verdachtsmomente für tuberöse Sklerose.
  • Bei nachgewiesener Mutation bei einem Elternteil oder Geschwisterkind besteht die Möglichkeit der Pränataldiagnostik.

Indikationen zur Überweisung

  • Alle Patient*innen mit Verdacht auf tuberöse Sklerose sollten für die weitere Untersuchung an Spezialist*innen (Neuropädiater*innen, Dermatolog*innen, TSC-Zentrum) überwiesen werden.
  • Um Karies vorzubeugen und die Entwicklung etwaiger Fibrome zu überwachen, sollte frühzeitig eine zahnmedizinische Kontrolle mit engmaschigem Follow-up erfolgen. Schmelzveränderungen sind sorgfältig auf Karies zu untersuchen und ggf. zu behandeln.

Therapie

Therapieziele

  • Verbesserung der Lebensqualität, Symptombekämpfung, Vermeidung von Komplikationen 

Allgemeines zur Therapie

  • Entwicklung einer maßgeschneiderten Therapie unter Einbeziehung aller Aspekte der Erkrankung und der Abstimmung zwischen Hausärzt*innen und unterschiedlichen Spezialist*innen16
  • In der Regel ist ein Einsatz von Antiepileptika erforderlich.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Einzelne Studien deuten darauf hin, dass sich eine Ernährung mit einem relativ hohen Fettgehalt, eine sog. ketogene Diät, bei Patient*innen mit häufigen epileptischen Anfällen positiv auswirken kann.

Medikamentöse Therapie

  • Antiepileptika
    • Bei tuberöser Sklerose ist die angemessene Kontrolle der Anfälle häufig erschwert.
    • Nicht selten müssen mehrere Medikamente, auch in Kombination, ausprobiert werden.
  • Das Rapamycin-Derivat Everolimus (EVE) als selektiver Inhibitor der Serin-/Threonin-Kinase mTOR kann die fehlende regulierende Funktion des TSC-Proteinkomplexes auf den mTOR-Signalweg zumindest teilweise restituieren. 18–60 % der therapieresistenten Epilepsien im Zuge der tuberösen Sklerose sprechen auf Everolimus an.17 Nebenwirkungen des immunsuppressiv wirkenden Mittels sind zu bedenken.
  • U. U. ist eine medikamentöse Therapie zur Behandlung von Nierenversagen, Bluthochdruck und Herzinsuffizienz angezeigt.

Weitere Therapiemöglichkeiten

  • Angiofibrom: topische Anwendung von Rapamycin (mTOR-Inhibitor)18
  • Neuropsychiatrische Behandlung der sog. TSC-Associated Neuropsychiatric Disorders (TAND)
  • Bei schwer behandelbarer Epilepsie oder drohendem Hydrozephalus aufgrund von Riesenzellastrozytom ist ein neurochirurgischer Eingriff in Erwägung zu ziehen.
  • Lymphangioleiomyomatose (LAM): deutliche Verbesserung der 10-Jahres-Überlebensrate durch den Einsatz von mTOR-C1-Inhibitoren, vereinzelt Lungentransplantation
  • Nierentransplantation bei polyzystischer Nierenerkrankung
  • Große Angiomyolipome (AML) sollten behandelt werden.
    • Gewöhnlich wird die selektive Embolisation bevorzugt, da eine chirurgische Resektion mit einem erhöhten Blutungsrisiko aus den dysplastischen Gefäßen verbunden ist.
  • Ein zahnmedizinischer Follow-up ist bei dieser Diagnose unerlässlich.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlaufskontrolle

Komplikationen

  • Neurologische Komplikationen
  • Nierenkomplikationen
    • ebenfalls häufig
    • Große Angiomyolipome können nicht selten retroperitoneale Blutungen oder Nierenversagen nach sich ziehen.
  • Kardiale Komplikationen
  • Schwere Lungenerkrankungen
    • insbesondere bei Frauen im 3. Lebensjahrzehnt
  • Narbenbildung im Gesicht

Prognose

  • Die Prognose schwankt mit dem Schweregrad des Krankheitsbildes.
  • Das Einsetzen von Epilepsie vor dem 12. Lebensmonat, insbesondere in Form von infantilen Krämpfen und einer anhaltenden epileptischen Aktivität während der Kindheit ist mit einer schlechteren Prognose verbunden.
  • Eine gute Anfallskontrolle scheint sich günstig auf die Prognose für das mentale Funktionsniveau auszuwirken.19-20
  • Viele tuberöse Veränderungen im Gehirn gehen Hand in Hand mit neurologischen Problemen19-21, wobei eine Mutation in TSC2 offensichtlich mit schwerwiegenderen Symptomen einhergeht.19-22
  • Allerdings wird selbst innerhalb der gleichen Familie mit einer bekannten Mutation eine erhebliche phänotypische Spannbreite beobachtet. Bei erblich bedingter tuberöser Sklerose liegt meist eine Mutation in TSC1 vor.

Verlaufskontrolle

  • Das Ausmaß des Follow-ups richtet sich nach dem Schweregrad und dem Erscheinungsbild der Erkrankung.
  • Alle Betroffenen sollten sich jährlich einer Routineuntersuchung in der Hausarztpraxis und bei Spezialist*innen unterziehen.
    • Die routinemäßige Überwachung von Kindern erfolgt durch (neuro)pädiatrische Spezialist*innen. Erwachsene müssen u. U. mehrere unterschiedliche Fachärzt*innen konsultieren.
  • Einzelne Symptome und Befunde können potenziell lebensbedrohlich sein und/oder sind behandelbar und erfordern aus diesem Grund engmaschige Kontrollen. Dies betrifft vor allem kardiale, zerebrale und renale Geschehen sowie den Follow-up einer begonnenen Epilepsie-Therapie.
  • Eine kardiale Beteiligung bei Neugeborenen und Kleinkindern wird durch Kinderkardiolog*innen überwacht.
  • Die lebenslange Ultraschallkontrolle der Nieren sowie MRT des Gehirns bis ins 3. Lebensjahrzehnt sollte z. B. jährlich/alle 3 Jahre durchgeführt werden oder nach Rücksprache mit Spezialist*innen.
    • Die Indikation ist gegenüber der Belastung, die solche Untersuchungen für Patient*innen mit Entwicklungsstörungen und Autismus mit sich bringen, abzuwägen und wird in Absprache mit den Angehörigen gestellt.
  • Die in der CT des Gehirns festgestellten, typischen Befunde reichen zur Sicherung der Diagnose nicht aus, die CT-Untersuchungen können jedoch in die Verlaufskontrolle einbezogen werden.
  • Eine routinemäßige Überwachung bei Ophtalmolog*innen ist nicht erforderlich. Bei Bedarf werden die Hausärzt*innen konsultiert.
  • Der Dialog zwischen Hausarztpraxis und fachärztlicher Versorgung trägt entscheidend zu einer erfolgreichen Verlaufskontrolle bei.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie Patient*innen informieren?

  • Eine umfassende Information der Patient*innen bzw. ihrer Eltern über die Erkrankung ist unerlässlich.
  • Informationen über die wichtigsten Komplikationen, u. a. Epilepsie, Anzeichen einer intrakraniellen Hypertension und Nierenversagen.
  • Bei gesunden Eltern mit einem Kind mit tuberöser Sklerose besteht ein ca. 2-prozentiges Risiko, dass weitere Kinder ebenfalls erkrankt sind.
  • Das Vererbungsrisiko von tuberöser Sklerose auf die Kinder beträgt 50 %.
  • Wichtig ist darüber hinaus die zahnmedizinische Versorgung.

Patienteninformationen in Deximed

Patientenverbände

Illustrationen

Läsionen bei tuberöser Sklerose: Angiofibrom in der Frühphase.
Läsionen bei tuberöser Sklerose: Angiofibrom in der Frühphase
Angiofibrome des Gesichts: symmetrische, schmetterlingsförmige Ausbreitung über Nase und Wangen, Angiofibrom in der Spätphase.
Angiofibrome des Gesichts: symmetrische, schmetterlingsförmige Ausbreitung über Nase und Wangen, Angiofibrom in der Spätphase
Tuberöse Sklerose: Periunguale Fibrome
Tuberöse Sklerose: Periunguale Fibrome
Tuberöse Sklerose. Hypopigmentierte Flecken finden sich bei über 60 % der Patient*innen.
Tuberöse Sklerose. Hypopigmentierte Flecken finden sich bei über 60 % der Patient*innen.
Adenoma sebaceum.jpg
Adenoma sebacaeum (Quelle: Sand M, Sand D, Thrandorf C. Cutaneous lesions of the nose. Head Face Med 2010. pmid:20525327)

Quellen

Literatur

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Autor*innen

  • Dirk Wetzel, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Zierenberg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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