Epilepsie bei Kindern

Zusammenfassung

  • Definition:Gruppe von Erkrankungen des Gehirns mit einer anhaltenden Prädisposition für das plötzliche und unvorhergesehene Auftreten epileptischer Anfälle und den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen.
  • Häufigkeit:Inzidenz kindlicher Anfälle 60–90/100.000, Prävalenz von Epilepsien 3–7/1.000.
  • Symptome:Abhängig von der Art der Epilepsie.
  • Befunde:Im anfallsfreien Intervall oft unauffällig, ggf. Entwicklungsverzögerung, mentale Retardierung, neurokutane Befunde, psychische Komorbidität.
  • Diagnostik:Detaillierte Anamnese, Oberflächen-EEG, Labordiagnostik, kranielle MRT, ggf. invasives EEG.
  • Therapie:Abhängig von der Art der Epilepsie medikamentös, epilepsiechirurgisch, mittels Vagusstimulation oder ketogener Ernährungstherapie.

Allgemeine Informationen

Definition

Epilepsie1

  • Gruppe von Erkrankungen des Gehirns mit einer anhaltenden Prädisposition für das plötzliche und unvorhergesehene Auftreten epileptischer Anfälle und den daraus resultierenden neurobiologischen, kognitiven, psychischen und sozialen Konsequenzen
  • Für die Diagnosestellung ist das Auftreten von mindestens einem Anfall erforderlich.
  • Eine Diagnosestellung ist bereits nach dem ersten Anfall möglich bei:
    • einer Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle in den nächsten 10 Jahren > 60 %
    • Vorliegen eines spezifischen – z. B. genetischen – Epilepsie-Syndroms.

Epileptischer Anfall1

  • Paroxysmale Veränderung von Bewusstsein, Psyche, Motorik, autonomer oder sensorischer Wahrnehmung, hervorgerufen durch Entladung zentraler Neurone
  • Das EEG zeigt dabei bestimmte Merkmale, nämlich eine exzessiv gesteigerte Frequenz und eine abnorme Synchronie elektrischer Hirnaktivität.
  • Die Anfallsausprägung ist meist stereotyp bei den Betroffenen, jedoch unterschiedlich von Person zu Person.

Fokale Anfälle – mit oder ohne Bewusstseinsstörung2

  • Mit motorischen Störungen bei Anfallsbeginn
    • Automatismen
    • atonische Anfälle
    • klonische Anfälle
    • epileptische Spasmen
    • hyperkinetische Anfälle
    • myoklonische Anfälle
    • tonische Anfälle
  • Mit nichtmotorischen Störungen bei Anfallsbeginn
    • autonome Anfälle
    • Arrest-Anfälle
    • kognitive Anfälle
    • emotionale Anfälle
    • sensorische Anfälle
  • Mit Übergang zu bilateralen tonisch-klonischen Anfällen
  • Mit unklarem Beginn
    • motorisch
      • tonisch-klonisch
      • epileptische Spasmen
    • nichtmotorisch
      • Verhaltensarrest
  • Unklassifizierbar

Generalisierte Anfälle2

  • Gemeinsame Merkmale
    • Primär generalisierte Anfälle sind nicht verbunden mit einem fokalen Beginn oder einer Aura.
    • Es kommt häufig zu Bewusstseinsstörungen.
  • Mit motorischen Störungen
    • tonisch-klonische Anfälle
    • klonische Anfälle
    • tonische Anfälle
    • myoklonische Anfälle
    • myoklonisch-tonisch-klonische Anfälle
    • myoklonisch-atonische Anfälle
    • atonische Anfälle
    • epileptische Spasmen
  • Mit nichtmotorischen Störungen
    • typische Absencen
    • atypische Absencen
    • myoklonische Absencen
    • Absencen mit Lidmyoklonien

Häufigkeit

  • 5 % aller Kinder haben im Laufe der Kindheit und 3 % aller Menschen im Laufe des Lebens einen zerebralen Anfall, oft im ersten Lebensjahrzehnt.3-4
    • Meist sind das einmalige Anfallsereignisse, etwa Fieberkrämpfe oder andere symptomatische Anfälle infolge einer akuten Erkrankung.
  • Inzidenz kindlicher Anfälle 60–90/100.000 pro Jahr1
  • Höchste Inzidenz im 1. Lebensjahr mit 202/100.000 pro Jahr3
  • Prävalenz 3–7/1.0001
  • 59 % fokal, 29 % generalisierte Epilepsien1
  • Das Risiko für das Auftreten einer Epilepsie ist im 1. Lebensjahr am größten.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Ätiologie multifaktoriell
  • Die gängige Einteilung in „genetisch“, „strukturell-metabolisch“ und „unklar“ spiegelt die Ätiologie nur teilweise wider, häufig liegt eine Kombination aus exogenen, hirneigenen und genetischen Ursachen vor.3
  • Genetisch
    • monogene oder durch mehrere genetische Faktoren bedingt
    • häufige identifizierte chromosomale Aberrationen1
      • 15q13.3 Mikrodeletionssyndrom
      • 18q-Syndrom
      • Duplikation/Inversion Chromosom 15 (INV-DUP (15)) oder isodizentrisches Chromosom 15 (IDIC (15))
      • Deletion 1p36
      • Angelman-Syndrom
      • Down-Syndrom (Trisomie 21)
      • Klinefelter-Syndrom (XXY)
      • Miller-Dieker-Syndrom (DEL 17p)
      • Pallister-Killian-Syndrom (partielle Tetrasomie 12p)
      • Ring-Chromosom 14-(r14) Syndrom
      • Ring-Chromosom 20-(r20) Syndrom
      • Trisomie 12p
      • Wolf-Hirschhorn-Syndrom (DEL 4p)
    • spezifische Mutationen, z. B.:1
      • KCNQ2-und KCNQ3-Mutationen bei ca. 40 % der von Neugeborenenkrämpfen Betroffenen
      • KCNT1-Defekte bei etwa der Hälfte aller von malignen migrierenden Partialanfällen des Säuglingsalters Betroffenen
  • Strukturell1,3
    • Traumata
    • Hirntumoren
    • neurokutane Syndrome
    • Hypertension und vaskuläre Erkrankungen
    • Malformationen im ZNS
    • Entwicklungsstörungen des ZNS
    • nach Hypoxie, Hirnblutung, Infektion
  • Metabolisch1
  • Unklar

Pathomechanismus

  • Paroxysmale Entladung von Neuronen mit exzessiv gesteigerter Frequenz und anomaler Synchronie3
  • Die klinischen Symptome sind abhängig von der Lage und Ausdehnung der Funktionsstörung (lokal vs. generalisiert).

Prädisponierende Faktoren

  • Epileptische Anfälle sind bei jüngeren Kindern häufiger. Das Gehirn ist unreif, entwickelt sich schnell und hat eine niedrigere Anfallsschwelle.
  • Erkrankungen mit Fieber lassen die Anfallsschwelle sinken.
  • Individuelle Anfallstrigger (Schlafmangel, Alkohol, Flackerlicht)

ICPC-2

  • N88 Epilepsie

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20215
  • G40 Epilepsie
    • G40.0 Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome mit fokal beginnenden Anfällen
    • G40.1 Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit einfachen fokalen Anfällen
    • G40.2 Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplizierten fokalen Anfällen
    • G40.3 Generalisierte idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome
    • G40.4 Sonstige generalisierte Epilepsie und epileptische Syndrome
    • G40.5 Spezielle epileptische Syndrome
    • G40.6 Grand-Mal-Anfälle, nicht näher bezeichnet (mit oder ohne Petit-Mal)
    • G40.7 Petit-Mal-Anfälle, nicht näher bezeichnet, ohne Grand-Mal-Anfälle
    • G40.8 Sonstige Epilepsie
    • G40.9 Epilepsie, nicht näher bezeichnet
  • G41 Status epilepticus
    • G41.0 Grand-Mal-Status
    • G41.1 Petit-Mal-Status
    • G41.2 Status epilepticus mit komplexfokalen Anfällen
    • G41.8 Sonstiger Status epilepticus
    • G41.9 Status epilepticus, nicht näher bezeichnet

Altersunabhängige Anfälle

Traumatisch bedingte Anfälle1,3

  • Frühestanfall/Sofortanfall
    • sofort nach Ereignis
    • selten
    • Ätiologie unklar, möglicherweise ist sogar der Anfall Ursache des Traumas.
    • gute Prognose, kein erhöhtes Epilepsie-Risiko
    • DD Synkope mit hypoxisch bedingten Hirnstammsymptomen
  • Frühanfall
    • 5–7 Tage nach dem Ereignis, bei 60 % innerhalb von 24 h nach Trauma (Indikation zur Überwachung von Kleinkindern nach Schädeltrauma)
    • meist fokal, 1/3 generalisiert
    • Risiko für die Entwicklung einer posttraumatischen Epilepsie 20–30 %, meist innerhalb von 2 Jahren nach dem Ereignis
  • Posttraumatische Epilepsie
    • nach Abklingen der Akutsymptomatik

Status epilepticus1,3

  • Definition
    • tonisch-klonischer Anfall > 5 min oder fokaler Anfall mit Bewusstseinseinschränkung > 10 min1, Sonderfall Absenceepilepsie > 10–15 min
  • Ätiologie
    • 26 % akute Pathologie (Blutung, Infektion)
    • 33 % länger bestehende Schädigung/Fehlbildungen
    • 22 % febriler Status (Fieberkrampf > 30 min)
    • 15 % unklar
  • Diagnostik/Ursache
    • 6 % Elektrolytentgleisung
    • 32 % zu niedrige Serumspiegel von Antiepileptika
    • 3,6 % Intoxikationen
    • 4,2 % angeborene Stoffwechselstörungen
    • 43 % epilepsietypische Potenziale im EEG
    • 8% pathologische Bildgebung
  • Komplikationen
    • Langzeitschäden sind anzunehmen bei Anfallsdauer > 30 min für tonisch-klonische und > 60 min bei fokalen Anfällen.

 Neugeborene

Neugeborenenkrämpfe3

  • 0,5 ‰ aller Reifgeborenen haben einen Anfall in den ersten 4 Lebenswochen.
  • Meist hirnorganisch bedingt (Hypoxie, Blutung, Infarkt, Infektion, Fehbildung etc.), DD Elektrolytstörungen
  • Symptome
    • heterogene und teils sehr diskrete Anfallssymptomatik mit Blickdeviation, Nystagmen, Myoklonien der Augenlider, plötzlichen Tonusänderungen, Apnoe o. a.
    • EEG bei jüngeren Kindern weniger differenziert, klassische epilepsietypische Potenziale können fehlen.
    • polygrafische (videogestützte) EEG-Diagnostik wesentlich
  • Verlauf und Prognose
    • Mortalität 20–30 % bei symptomatischen Neugeborenenkrämpfen, neurologische Residuen bei 40 %, bei 25 % mit hirnorganischer Genese entwickelt sich Epilepsie.

Benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe3

  • Autosomal-dominant vererbt, Penetranz von ca. 85 %
  • Nachweis verschiedener molekulargenetischer Defekte in Kalium- und Ionenkanälen
  • Symptome
    • klonische oder tonische Anfälle mit oder ohne EEG-Veränderungen bei Reifgeborenen
  • Verlauf und Prognose
    • meist Spontanremission innerhalb von 1–6 Wochen
    • 15 % haben später weitere Krampfanfälle.

Benigne idiopathische, nicht-familiäre Neugeborenenkrämpfe3

  • 4–20 % aller Neugeborenenkrämpfe
  • Symptome
    • Anfälle immer fokal oder multifokal klonisch, teils als Status
    • Auftreten zwischen 4.–6. Lebenstag bei Reifgeborenen
    • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
  • Verlauf und Prognose
    • Spontanremission innerhalb von Tagen
    • erhöhtes Risiko für weitere Anfallstypen und Entwicklungsverzögerung im Verlauf

Säuglinge

West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie)3

  • 8 % aller kindlichen Epilepsien, Inzidenz von 24–42 Fällen pro 100.000 Geburten, erhöhte Häufigkeit bei Kindern mit Down-Syndrom
  • 2.–8. Lebensmonat, Jungen sind häufiger als Mädchen betroffen.
  • Multifaktoriell bedingt, meist auf Grundlage zerebraler Schädigungen, bei neurometabolischen Erkrankungen (in 7 % mit tuberöser Sklerose assoziiert)
  • Symptome
    • Blickdeviation, Nicken des Kopfes, Salaam-Bewegung des Körpers und der Arme (Kind senkt den Kopf, den Körper und die Hüfte, die Arme werden nach vorne gestreckt)
    • Auftreten in Serie, oft während des Einschlafens und beim Essen
    • deutliche Entwicklungsretardierung in 90 %
  • EEG
    • typische Hypsarrhythmie: anhaltende Sequenz unregelmäßig hoher, langsamer Deltawellen mit desynchron eingestreuten Spikes und/oder Sharp Waves
  • Verlauf und Prognose
    • Letalität bis 3. Lebensjahr 30 %
    • Prognose bestimmt durch zugrunde liegende Hirnschädigung
    • häufig Entwicklung anderer Epilepsien wie Lennox-Gastaut-Syndrom (in 50 %)

Ohtahara-Syndrom

  • Schwere strukturelle Hirnschäden, Assoziation mit Gendefekten in STXBP1 und PLC-Beta1
  • Charakteristische tonische Anfälle
  • Kontinuierliches Burst-Suppression-Muster im EEG sowohl im Wachzustand als auch während des Schlafs

Kinder ab 6 Monaten

Fieberkrampf3

  • Kinder von 6 Monaten bis 5 Jahren, Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
  • Kumulative Inzidenz bis 5. Lebensjahr etwa 3 %
  • In 20–25 % der Fälle familiäre Häufung
  • Einfacher Fieberkrampf: < 15 min, 1 x innerhalb von 24 h, generalisiert tonisch-klonisch, sonst komplizierter Fieberkrampf
  • Diagnose Fieberkrampf ist nicht bei Infektionen des ZNS zu stellen.
  • Symptome
    • Auftreten bei schnell ansteigendem Fieber
    • meist generalisiert tonisch-klonisch
      • Dauer 10 min
      • in Einzelfällen 30–60 min postiktale Müdigkeit
      • evtl. Todd-Parese nach protrahierten Anfällen
  • Verlauf und Prognose
    • Wiederholungsrisiko besteht während der Dauer des Infekts und generell bis etwa um das 5. Lebensjahr, dann Spontanremission
    • Epilepsie-Risiko bis zum 7. Lebensjahr 3–4 %
    • Kinder von Betroffenen haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Fieberkrämpfen (9 %) und sonstigen Anfallsformen (22 %).

Epilepsien mit Absencen1,3

  • Anteil von 10-12 % an allen kindlichen Epilepsien
  • Genetische Disposition, in 25 % der Fälle primär generalisierte Anfälle in der Familie
  • Kognitiv altersentsprechend entwickelte Kinder im Alter von 2–15 Jahren sind betroffen, mit zunehmendem Alter und im Säuglingsalter seltener.
  • Formen
    • frühkindliche Absencen
      • 2.–4. Lebensjahr, meist sind Jungen betroffen.
      • Auftreten mit Grand mal oder myoklonisch-astatischen Anfällen oder als reine Absencen
      • leichte Entwicklungsretardierung
      • Prognose ungünstiger als bei älteren Kindern, Rezidivneigung, Risiko der Reduktion der kognitiven Leistungsfähigkeit
    • Absence-Epilepsie des Schulalters (Pyknolepsie)
      • meist altersentsprechend entwickelte Mädchen im Alter von 5–8 Jahren
      • > 100 Anfälle am Tag
      • bei adäquater Therapie günstige Prognose, sonst in 1/3 Persistenz bis ins Erwachsenenalter und bei 1/3 Entwicklung zu Grand-mal-Epilepsien
    • juvenile Absencen-Epilepsie
      • 9.–15. Lebensjahr, Jungen und Mädchen gleichhäufig, meist altersentsprechend entwickelt
      • hohes Risiko für Grand-mal-Anfälle
      • kurze Absencen, oft in der Aufwachphase, teils mit Myoklonien
      • Prognose eher ungünstig mit Neigung zu häufigen Grand-mal-Anfällen
  • Symptome
    • primär generalisierte Anfälle
    • Absencen können häufig auftreten und dauern meist 5–15 sec an.
    • Bei 50 % der Kinder sind die Abwesenheitsepisoden mit leichten klonischen Komponenten wie Blinzeln oder einer leicht atonischen Komponente wie Kopfnicken verbunden.
    • Bei 50–80 % treten auch generalisierte tonisch-klonische Anfälle beim Aufwachen auf.
    • Kinder weisen vegetative und psychische Labilität auf, haben Neigung zu Kopfschmerzen, Migräne, Erbrechen, sind leicht störbar und haben eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne, teils Rechenschwäche oder andere Teilleistungsstörungen.
  • EEG
    • Zeigt Ausbrüche mit einer 3 Hz „Spike-Wave“-Aktivität bei einer ansonsten unauffälligen Hintergrundaktivität.
  • Verlauf und Prognose
    • In der Pubertät gehen 15 % der Fälle in eine myoklonische Epilepsie über.
    • Epilepsie kann mit kognitiven Beeinträchtigungen und/oder Lernstörungen verbunden sein.
    • Fast immer geht die Epilepsie spontan in eine Remission über.
    • In Studien mit kurzem Follow-up (5–8 Jahre) liegt die Remission bei 78 %, aber die Anzahl an Remissionen nimmt mit der Länge des Follow-up ab. 25–40 % der Patient*innen haben als Erwachsene eine Epilepsie mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.

Lennox-Gastaut-Syndrom3

  • Seltene Epilepsieform, Beginn im Vorschulalter (2–7 Jahre)
  • 3–5 % aller kindlichen Epilepsien
  • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, meist hirngeschädigte Kinder (Dysgenesien, tuberöse Sklerose, neurometabolische Erkrankungen) mit mentalen Retardierungen in > 90 %
  • In  20 % der Fälle vorausgehendes West-Syndrom
  • Symptome
    • heterogene Anfallstypen (meist asymmetrisch, tonisch (tonische Stürze), astatisch, myoklonisch, fokal, tonisch-klonisch, atypische Absencen oder komplex partielle Anfälle), meist kleinere generalisierte Anfälle, nachts Anfallserien mit sehr diskreter Symptomatik, tagsüber tonische Stürze
  • EEG
    • Zeigt eine pathologisch langsame Hintergrundaktivität und eine langsame generalisierte epilepsieförmige Aktivität (< 3 Hz).
  • Verlauf und Prognose
    • ungünstige Prognose, besonders bei Entwicklung aus West-Syndrom
    • in 50 % der Fälle medikamentöse Anfallskontrolle
    • Häufig auftretende und lange Staten führen zu Demenz.

Landau-Kleffner-Syndrom (epileptische Aphasie)3

  • Idiopathische Partialepilepsie, Überlappung mit Rolando-Epilepsie und Pseudo-Lennox-Syndrom
  • Bislang gesunde Kinder im Alter von 4–10 Jahren
  • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
  • Symptome
    • teilweise oder komplette auditive Agnosie aufgrund kortikaler Verarbeitungsstörung auditorischer Signale, in der Folge Dysphasie bis hin zur Aphasie, Verhaltensstörungen
    • fokale oder generalisierte Anfälle (wie bei Rolando-Epilepsie)
  • EEG
    • multifokale epilepsieförmige Aktivität in den Temporalregionen ohne klare Seitendominanz
    • während des Tiefschlafs häufige, manchmal kontinuierliche „Spike-Wave“-Aktivität
  • Verlauf und Prognose
    • heterogene Verläufe von kurzen, milden bis hin zu langen und progredienten Formen
    • Rezidivneigung
    • oft Residuen der Sprachstörung

Gutartige Epilepsie mit zentrotemporalen Sharp Waves (Rolando-Epilepsie)1,3

  • Neben der Absence-Epilepsie eine der häufigsten Epilepsien des Kindesalters (8–23 %)
  • Altersentsprechend entwickelte Kinder von 2–10 Jahren, Manifestation meist zwischen 5.–9. Lebensjahr
  • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
  • Vor Manifestation in der Anamnese vermehrt Fieberkrämpfe und Neugeborenenkrämpfe
  • Ursachen
    • genetisch, Gen unbekannt, vermutlich hereditäre Hirnreifungsstörung
    • in 20–30 % positive Familienanamnese für Epilepsien
  • Symptome
    • Beginn oft mit Missempfindung im Gesichtsbereich
    • sensomotorische Herdanfälle im Kopfbereich, tonische oder klonische Anfälle im Gesichtsbereich, Sprechstörung (auch postiktal anhaltend), ggf. Beteiligung der Muskulatur von Pharynx und Larynx, dann Würgen, Stöhnen
    • etwa 75 % der Anfälle während des Schlafes
    • Übergang in sekundäre generalisierte, tonisch-klonische Anfälle möglich
    • 2/3 der Betroffenen haben überwiegend generalisiert tonisch-klonische Anfälle.
  • EEG
    • Sharp Waves, meist zentrotemporal, Lokalisation wechselnd
  • Verlauf und Prognose
    • Spontanremission bis zur Pubertät
    • in 5 % der Fälle große Anfälle im späteren Verlauf

Jugendliche und junge Erwachsene

Juvenile Absencen-Epilepsie

Juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom)3

  • Generalisiertes idiopathisches Epilepsie-Syndrom, 5–15 % aller Epilepsien
  • Sonst gesunde Personen von 12–25 Jahren
  • Symptome
    • symmetrische Myoklonien des Schultergürtels, meist am Morgen (Symptomatik wird teils nicht wahrgenommen und erfordert aktives Erfragen; typisch: Zahnbürste fällt aus der Hand, Beschreibung als Zucken, elektrischer Schlag o. Ä.)
    • teils mit Absencen oder morgendlichen tonisch-klonischen Anfällen (in 80–95 %, Aufwach-Epilepsie) auftretend
    • Assoziation mit Schlafmangel, Alkoholkonsum, Menstruation oder Stress
  • EEG
    • Zeigt unauffällige Hintergrundaktivität mit eingestreuten generalisierten „Polyspike-and-Slow-Wave“-Komplexen.
    • Manchmal (38 %) ist die „Spike-Wave“-Aktivität asymmetrisch, und bei 10 % ist ein interiktales EEG unauffällig.
  • Verlauf und Prognose
    • Bei einer juvenilen myoklonischen Epilepsie kommt es selten zu einer Remission. Oft ist eine lebenslange Behandlung notwendig. Bei adäquater Therapie ist die Prognose jedoch trotzdem günstig.

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Registrierung eines Anfalls mittels EEG (gelingt selten)1
  • Nachweis epilepsietypischer Potenziale im EEG1
    • 24 h nach einem Anfall ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten.
    • Cave: 3 % aller Kinder haben epilepsietypische Potenziale im Ruhe-EEG ohne Vorliegen einer Epilepsie!
    • Ein fehlender Nachweis epilepsietypischer Potenziale schließt die Diagnose nicht aus.

Differenzialdiagnosen

Von Epilepsiesyndromen abzugrenzen1

Mögliche Ursachen epileptischer Anfälle

Anamnese

  • Detaillierte Anamnese mit Betroffenen, Familie und ggf. Personen aus dem weiteren Umkreis (Schule, Freundeskreis etc.)
  • Allgemeine Anamnese
    • Schwangerschaft
    • Neonatalperiode
    • neurologische Entwicklung
    • Familienanamnese
    • Medikamente
    • Unfälle/Stürze
    • Operationen
  • Anfallsanamnese (Symptomatik wird teils nicht erkannt und muss gezielt abgefragt werden)

Auslösende Faktoren

  • Zeitpunkt
  • Beschreibung
  • Aura
  • Subjektive Erlebnisse des Kindes während des Anfalls
  • Zyanose
  • Auswertung von Videoaufnahmen
    • Auch von den Eltern angefertigte Videos können wertvoll sein.

Klinische Untersuchung bei Spezialist*innen für Kinderheilkunde und/oder -neurologie

  • Vollständige körperliche Untersuchung
  • Fieber, Infektionszeichen
  • Neurologischer Status
  • Ggf. postiktale Veränderungen im EEG
  • Postiktale Paralyse
  • Syndromale Stigmata, insbesondere Hinweis auf neurokutane Erkrankungen
  • Hepatosplenomegalie als Hinweis auf Stoffwechseldefekt
  • Entwicklungsverzögerung6

Labordiagnostik bei Spezialist*innen für Kinderheilkunde, Kinderneurologie und ggf. Humangenetik

Blutentnahme1

  • Basisdiagnostik bei Neugeborenen und Säuglingen nach dem ersten Anfall
    • Na, Ca, Mg, Glukose
    • Neurometabolische Basisdiagnostik erwägen.
  • Basisdiagnostik nach erstem epileptischem Anfall bei älteren Kindern, besonders bei postiktal eingeschränkter Vigilanz oder Reaktivität
    • Na, Ca, Glukose
    • Drogenscreening
  • Plasmaspiegelbestimmung von Antiepileptika
    • bei Rezidiv nach Anfallsfreiheit
    • bei Nebenwirkungen, unzureichender Wirkung, Polytherapie, weiteren Erkrankungen, nach Eindosierung (mindestens 5 Halbwertszeiten abwarten), Dosis- oder ausgeprägter Gewichtsänderung
  • Erfassung organspezifischer Antiepileptika-Nebenwirkungen
    • z. B. bei klinischem Verdacht auf Elektrolytstörungen
    • Vor Therapiebeginn und 4 Wochen danach: Blutbild, GOT, GPT, Bilirubin, Amylase, Quick, PTT. Wiederholung bei klinisch unauffälligen Personen mit pathologischen Laborwerten: 3-mal im Abstand von ≤ 2 Wochen, danach monatlich bis zu Monat 6
    • vor Operationen: neben den genannten Gerinnungsparametern zusätzlich Blutungszeit und Diagnostik Willebrand-Syndrom (Weil Antiepileptika wie Valproat im Verdacht stehen, die sehr seltene erworbene Form dieser Erkrankung zu begünstigen.)
  • Bei entwicklungsretardierten Kindern zusätzlich: möglichst umfassender Ausschluss einer Stoffwechselstörung
    • mindestens mit: Laktat, BGA, Harnsäure, Ammoniak, Blutzucker, Acylcarnitine, Aminosäuren im Plasma, organische Säuren im Urin
    • Genetische Abklärung zum Ausschluss einer POLG1-Mutation erwägen.
  • Evtl. zur Diagnosesicherung epileptischer Anfall
    • Prolactin innerhalb 1 h nach Anfall (im Referenzbereich bei Absencen und dissoziativen Anfällen, erhöht bei generalisierten und teils auch fokalen Anfällen, hypoxischem Ereignis und Synkopen)
    • Kreatinkinase erhöht nach generalisiertem Anfall

Liquordiagnostik

  • Bei Verdacht auf ZNS-Entzündung (z. B. Meningitis, Autoimmunenzephalitis)
  • Bei komplexen Fieberkrämpfen
  • Bei Kindern < 6 Monate

Genetik

  • Chromosomenanalyse, klassische Karyotypisierung, FISH, SNP-Array, gezielte Einzelgendiagnostik, Next-Generation-Sequencin (NGS)
  • Bei unklarer Ätiologie zu erwägen.
  • Besonders bei zusätzlicher mentaler Retardierung, syndromalen Stigmata/phänotypischen Auffälligkeiten

Stoffwechseldiagnostik

  • Bei klinischen Hinweisen, z. B. im Basislabor
  • Bei unklarer Ätiologie
  • Bei Therapieresistenz der Anfälle

Autoimmundiagnostik

  • Bei entsprechendem Verdacht (ausführliche Auflistung siehe Leitlinie1)
  • Antineuronale Antikörper (neuronale Zelloberflächen-Antigene)
  • Onkoneuronale Antikörper (intrazelluläre neuronale Antigene)
  • Nicht spezifisch gegen neuronale Strukturen gerichtete Antikörper

Apparative Diagnostik

EEG1

  • Wachableitung, Schlafableitung (im Kindesalter besonders wichtig), Schlafentzugs-/Schlafableitungen, Langzeitableitungen/24-Stunden-EEG, Videotelemetrie/Polygrafie
  • Auswertung durch Spezialist*innen
    • mindestens 20 min (bei Neugeborenen nach Möglichkeit 60 min), dabei Hyperventilation und/oder Fotostimulation (Aktivierungsmethoden) und Schlafphase
    • Hyperventilation wegen der dadurch induzierten Vasokontriktion zerebraler Gefäße kontraindiziert bei:
  • Invasive Ableitung nur vor geplanter Epilepsie-Chirurgie
  • Nachweis epilepsietypischer Potenziale am wahrscheinlichsten innerhalb 24 h nach dem Anfall

Bildgebung1

  • MRT
    • Diagnostik der 1. Wahl
    • Nachweis von Dysplasien, Sklerosen, Malformationen etc.
    • Indikation
      • bei allen neu aufgetretenen Epilepsien (fakultativ bei typischer Absence-Epilepsie des Schul- und Jugendalters, juveniler myoklonischer Epilepsie, Rolando-Epilepsie)
      • bei atypischen Verläufen der genannten Epilepsie-Syndrome
      • bei mehrere Stunden anhaltenden postiktalen neurologischen Defiziten (Todd-Parese) oder anhaltend gestörter Vigilanz
      • Bei kognitiven, motorischen oder anderen neurologischen Auffälligkeiten unklarer Ätiologie zu erwägen.
      • bei Anfall mit fokaler Symptomatik
      • bei Kindern < 1 Jahr
      • bei EEG ohne Anzeichen für Rolando-Epilepsie oder primär generalisierte Epilepsie
      • bei therapierefraktärer Epilepsie
      • zur Progredienzkontrolle bei bekanntem Fokus
      • zur prächirurgischen Diagnostik
  • CT
    • geringere Auflösung als MRT
    • in Akutsituationen (rasch und ohne Sedierung durchführbar)
    • zum Nachweis von kleinen Blutungen und Verkalkungen
  • Sonografie des Schädels
    • bei noch offener Fontanelle evtl. als primäre Bildgebung, ggf. mit MRT zu einem späteren Zeitpunkt
  • Ggf. funktionelle MRT, PET oder SPECT zur prächirurgischen Diagnostik

Indikationen zur Überweisung

  • Überweisung an neuropädiatrische Fachärzt*in bei Verdacht auf Epilepsie
  • Akuttherapie und Klinikeinweisung bei Status epilepticus
  • Klinische Überwachung bei Fieberkrampf

Therapie

Therapieziele

  • Anzustreben sind:7
    • Anfallsfreiheit oder Verringerung der Anfallshäufigkeit
    • nach Möglichkeit Vermeidung, ggf. Inkaufnahme von geringen Nebenwirkungen
    • Prävention von Komplikationen
    • Ermöglichung einer regelrechten Entwicklung
    • Verbesserung der Lebensqualität.

Allgemeines zur Therapie

  • Therapieoptionen umfassen medikamentöse Therapie, Epilepsie-Chirurgie, Neurostimulation, ketogene Diät
  • Kein Ansprechen nach korrektem Einsatz von 2 Antiepileptika gilt als pharmakoresistent.
  • Die Behandlung ist immer individuell und sollte fachärztlich und interdisziplinär (Entwicklungsneurologie, Kinderepileptologie) durchgeführt und begleitet werden.
  • Die Wirksamkeit eines Medikamentes ist individuell für die betroffene Person und den Epilepsietyp zu testen.
  • Sehr gute Compliance bei der Medikamenteneinnahme ist notwendig.
  • Anpassung des Lebensstils ist oft erforderlich (Vermeidung von Schlafmangel, unregelmäßigem Lebensrhythmus, Alkohol, Flackerlicht oder ähnlichen individuell anfallsauslösenden Faktoren).

Medikamentöse Therapie – Antiepileptika

  • Wirksamkeit der Medikamente auf:
    • Natriumkanäle (Carbamazepin, Oxcarbazepin, Eslicarbazepinacetat)
    • Kalziumkanäle (Ethosuximid, Mesuximid)
    • γ-Aminobuttersäure (Tiagabin, Stiripentol)
    • Glutamat (Perampanel).
  • Neurotransmitterfreisetzung (Levetiracetam, Brivaracetam)
    • Carboanhydrasehemmung (Sultiam, Azetazolamid)
    • kombinierte Mechanismen (Valproat, Topiramat, Zonisamid, Felbamat)  
  • Nebenwirkungen
    • Schwindel, Sehstörungen, Müdigkeit (dosisabhängig)
    • Verhaltensauffälligkeiten (Phenobarbital, Valproat, Gabapentin, Topiramat, Levetiracetam, Zonisamid)
    • kognitive Beeinträchtigungen (Phenobarbital, Phenytoin, Topiramat, Zonisamid)
    • Störungen der Knochenmarkfunktion (Carbamazepin, Ethosuximid, Felbamat, Lamotrigin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Valproat)
    • Störungen der Leberfunktion (Carbamazepin, Ethosuximid, Felbamat, Gabapentin, Levetiracetam, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Vigabatrin, Valproat)
    • Stevens-Johnson-Syndrom (Lamotrigin, besonders in Kombination mit Valproat)
    • irreversible Gesichtsfelddefekte (Vigabatrin)
    • aseptische Meningitis (Lamotrigin)
    • Teratogenität (besonders Valproat)
  • Derzeit sind etwa 20 Antiepileptika in Deutschland zugelassen, davon nicht alle für das Kindesalter und nur wenige als Kombinationstherapie.
  • Anzunehmende synergistische Wirkungen von Valproat + Lamotrigin, Valproat + Carbamazepin, Phenobarbital + Phenytoin, Carbamazepin + Gabapentin. Beispiele Monotherapie:3
    • Lamotrigin bei fokalen und generalisierten Anfällen ab 12 Jahren und Lennox-Gastaut-Syndrom ab 2 Jahren, Therapie der Wahl bei typischen Absencen
    • Levetiracetam ab 16 Jahren bei fokalen Anfällen
    • Topiramat ab 2 Jahren bei fokalen und generalisierten Anfällen, breit einsetzbares Antiepileptikum
    • Sultiam bei Rolando-Epilepsie (wenn Therapie notwendig). Beispiele Kombinationstherapie (immer nur bei fehlender Wirksamkeit einer Monotherapie):3
      • Lamotrigin als Zusatztherapie bei generalisierten und fokalen Anfällen ab 2 Jahren (+ Valproat)
      • Valproat, Ethosuximid und Lamotrigin in Kombination bei Absencen
      • Valproat + Lamotrigin bei Janz-Syndrom

Antiepileptika und Schwangerschaft8

  • Keine grundsätzliche Kontraindikation für den Einsatz von Antiepileptika mit teratogenem Potenzial bei Mädchen im gebärfähigen Alter
  • Einsatz von Valproat nur bei Unwirksamkeit anderer Antiepileptika
  • Nach Möglichkeit Vermeidung von Polytherapie, da hier erhöhtes Fehlbildungsrisiko
  • Fertilität im Vergleich zu gesunden Frauen bis auf 1/3 vermindert9
  • Einnahme von Antiepileptika zur Verhinderung unkontrollierter Anfälle während der Schwangerschaft empfohlen
  • Mehrzahl der Schwangerschaften und Geburten bei Frauen mit Epilepsie komplikationslos
  • Anfallsfrequenz während der Schwangerschaft unverändert in 2/3, reduziert in 16 % und gesteigert in 17 % der Fälle (Verlauf abhängig von eingesetztem Antiepileptikum)
  • Fehlbildungsrisiko dosisabhängig bei Lamotrigin, Valproat, Carbamazepin
  • Fehlbildungsrate am höchsten bei Valproat (Dosis > 1.500 mg, Risiko 24,2 %)
  • Günstiges Risikoprofil bei Levetiracetam (1,6 %) und Lamotrigin (Dosis < 300 mg, Risiko 2 %)
  • Einnahme von 5 mg Folsäure täglich im Zeitraum vor Konzeption bis Ende 1. Trimenon empfohlen
  • Stillen grundsätzlich empfohlen, Kontrolle auf Überdosierungserscheinungen, ggf. Serumspiegelkontrolle

Antiepileptika und hormonelle Kontrazeption10

  • Günstig sind Niedrigdosispräparate (Minipille), da generell keine Auswirkungen auf Anfallsschwere oder -häufigkeit anzunehmen sind (Ausnahme Lamotrigin, hier wechselseitige Reduktion der Wirksamkeit von kontrazeptivem und antiepileptischem Effekt, Anwendung von Gestagen-Monopräparat empfohlen).
  • Hormonelle Kontrazeption nicht wirksam bei:
    • Carbamazepin
    • Felbamat
    • Phenobarbital
    • Phenytoin
    • Primidon.
  • Mögliche Beeinträchtigung der Wirksamkeit hormoneller Kontrazeption bei:
    • Ethosuximid
    • Topiramat
    • Oxcarbazepin
    • Lamotrigin.
  • Keine Beeinträchtigung hormoneller Kontrazeption bei:
    • Gabapentin
    • Pregabalin
    • Vigabatrin
    • Levetiracetam
    • Valproinsäure
    • Zonisamid.

Vorgehen bei Erstbehandlung

  • Monotherapie, Eindosierung auf erste adäquate Dosis
  • Wenn Therapieziel nicht erreicht, Dosissteigerung, Abbruch oder Medikamentenwechsel
  • Wenn Therapieziel nach erster Dosissteigerung nicht erreicht, Steigerung auf Maximaldosis, Abbruch oder Medikamentenwechsel
    • Maximaldosis: Nebenwirkungsgrenze, maximale Serumkonzentration bezüglich Langzeittoxizität, höchste sinnvolle Dosis für entsprechendes Körpergewicht erreicht
  • Kombination mit zweitem Antikonvulsivum bei wirksamer, aber nicht weiter steigerbarer Ersttherapie

Therapie des Fieberkrampfs11

  • Diazepam rektal
    • 5 mg bei Kindern < 15 kg
    • 10 mg bei Kindern > 15 kg
    • ggf. 2. Gabe gleicher Dosierung bei Anfallspersistenz
  • Midazolam bukkal
    • 2,5 mg für Alter von 6 Monate bis 1 Jahr
    • 5 mg für 1–5 Jahre
    • ggf. 2. Gabe gleicher Dosierung bei Anfallspersistenz
  • Midazolam i. v.
    • 0,1–0,2 mg/kg KG (2 mg/min)
  • Lorazepam i. v.
    • 0,05 mg/kg KG (2 mg/min)
  • Diazepam i. v.
    • 0,25 mg/kg KG (5 mg/min)

Behandlung eines Status epilepticus im ambulanten Setting3

  • Clonazepam i. v.
    • Säuglinge 0,01–0,07 mg/kg KG
    • Klein- und Schulkinder 0,01–0,05 mg/kg KG
  • Diazepam i. v.
    • Säuglinge 0,3–0,5 mg/kg KG
    • Klein- und Schulkinder 0,2–0,4 mg/kg KG
  • Diazepam rektal
    • bis ca. 15 kg KG: 5 mg
    • über ca. 15 kg KG: 10 mg
  • Midazolam buccal
    • Buccal 0,2–0,5 mg/kg KG (ab 6 Monaten ambulante Gabe möglich; maximale Dosis 10 mg)
  • Lorazepam (nicht zur Statusunterbrechung zugelassen)
    • bis ca. 20 kg KG: 1 mg
  • Siehe auch Artikel Status epilepticus.
  • Anhaltende epileptische Anfälle oder wiederholte Anfälle, ohne dass die Betroffenen sich zwischen den Anfällen erholen.
  • Generalisierte tonisch-klonische Anfälle (am häufigsten) erfordern eine sofortige stationäre Behandlung.
  • Blutzuckerspiegel bestimmen, um eine Hypoglykämie auszuschließen.
  • Atemwegsobstruktionen und Selbstverletzungen vorbeugen.

Behandlungsresistente Epilepsie 

  • Bei einem unzureichenden Ansprechen auf die medikamentöse Therapie kann die Anfallshäufigkeit bei Kindern und Erwachsenen, bei denen die Epilepsie erstmals in der Kindheit auftrat, durch eine ergänzende Behandlung mit einem Cannabinoid-haltigen Arzneimittel reduziert werden, wobei Nebenwirkungen vermehrt auftreten (Ia).12

Epilepsie-Chirurgie

  • Die wichtigsten Aspekte sind:3,7,9
  • Einsatz bei pharmakoresistenten Epilepsien (2 Medikamente ausdosiert)
  • Ist bei 10–15 % der Betroffenen mit pharmakoresistenten Epilepsien indiziert.
  • Anfallsfreiheit wird in 70 % der Fälle erreicht.
  • Insbesondere bei jüngeren Kindern günstige Effekte auf die Entwicklung
  • Umfassende prächirurgische Diagnostik ist wesentlich:
    • Anamnese, Semiologie
    • Oberflächen-EEG
    • MRT
    • invasives EEG
    • funktionelle Bildgebung
    • neuropsychologsiche Tests.
  • Kurative OP-Verfahren
    • Läsionektomie und Topektomie (kurativ)
    • Lobektomie
    • Hemisphärektomie
    • multiple subpiale Transsektionen
  • Palliative OP-Verfahren
    • Kallosotomie
    • Vagusnervstimulation
      • indiziert bei Pharmakoresistenz und erfolgloser bzw. aussichtsloser Epilepsie-Chirurgie
      • Der Nervus vagus wird mittels einer am linken N. vagus eingebrachten Elektrode alle 5 min stimuliert.
      • Die Anfallsfrequenz verringert sich um > 50% in 35–60 % der Fälle.
      • Wirkt stimmungsaufhellend, keine relevanten Nebenwirkungen, paralleler Einsatz zu Antiepileptika möglich.

Ketogene Ernährungstherapie (KET)

Leitlinie: KET bei Epilepsien im Kindesalter13

> 70 % Anfallskontrolle (KET empfehlen) bei:

  • Angelman-Syndrom
  • Dravet-Syndrom
  • Epilepsie mit myoklonisch-atonen Anfällen (Doose-Syndrom)
  • Febrile Infection-Related Epilepsy Syndrome (FIRES)
  • Pharmakoresistente Epilepsien einschließlich super-refraktärer Status epilepticus
    • einzige Indikation für Formula-Nahrung über PEG-Sonde
  • Komplex-1 Mitochondriopathien
  • Ohtahara-Syndrom
  • Tuberöse Sklerose Komplex
  • West-Syndrom

Ca. 50 % Anfallskontrolle (KET erwägen) bei:

  • Absencen
  • CDKL5-assoziierte epileptische Enzephalopathie
  • ESES (Epilepsie mit kontinuierlichen Spike-Wave-Entladungen im
    Schlaf)
  • Juvenile Myoklonus-Epilepsie
  • Kortikale Malformationen
  • Lafora-Krankheit
  • Landau-Kleffner-Syndrom
  • Lennox-Gastaut-Syndrom
  • Rett-Syndrom
  • Säuglingsepilepsie mit wandernden fokalen Anfällen
  • Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)
  • Besonders wirksam bei spezifischen Epilepsiesyndromen (s. o.)
  • Kohlenhydratarme, fettreiche, protein- und kalorienbilanzierte Ernährung (Verhältnis Fett zu Nicht-Fett = 4:1)
  • Individuelle Erstellung des Diätplans, Beginn unter stationären Bedingungen
  • Wirkmechanismus unklar
  • Ansprechen nach frühestens 8 Wochen, Durchführung für mindestens 1 Jahr
  • Bei älteren Kindern und bei Jugendlichen oft unzureichende Compliance
  • Inkonsistente Daten zum Einfluss der KET auf das kardiovaskuläre Risiko

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Sehr variabel in Abhängigkeit von Epilepsietyp, Anfallshäufigkeit und -länge, Therapieansprechen, Komorbiditäten, Alter
  • Bei adäquat ausgewählter und durchgeführter Ersttherapie werden 50 % aller Kinder mit Epilepsie anfallsfrei, weitere 25 % mit einem zweiten Medikament, bei allen weiteren kommt es in 38 % der Fälle zu Anfallsfreiheit über mehr als einem Jahr im Verlauf, bei 2/3 der Betroffenen treten Anfallsrezidive auf.
  • 60 % der pharmakoresistenten Epilepsien können epilepsiechirurgisch erfolgreich behandelt werden.

Komplikationen

  • Entwicklungsstörungen
  • Störungen der Kognition
  • Psychische Begleiterkrankungen (auch durch Medikamente bedingt)
  • Medikamentennebenwirkungen
  • Anpassung/Einschränkung der Alltagsgewohnheiten ist oft erforderlich.3,9
    • Vermeidung von Schlafmangel, unregelmäßigem Lebensrhythmus
    • ggf. Anlassung der Medikation bei langen Flugreisen
    • Einschränkung des Koffein- und Alkoholkonsums, Vermeidung von hochprozentigen alkoholischen Getränken
    • kein Drogenkonsum (hier oft gleichzeitig schlechte Compliance)
    • ggf. kein Führerschein
    • kontrollierte Familienplanung und Kontrazeption
    • ggf. Einschränkung von Schul- und Berufswahl
    • ggf. Vermeidung Flackerlicht oder ähnlichen individuell anfallsauslösenden Faktoren (anfallsauslösendes Risiko von Computer- und Fernsehbildschirmen scheint sehr gering zu sein).

Prognose

  • Sehr variable Prognose, abhängig von Alter, Art der Epilepsie, Anfallshäufigkeit und -länge, Therapieansprechen, Komorbiditäten

Verlaufskontrolle

  • Individuell, in der Regel in einer pädiatrischen Epilepsie-Sprechstunde

Patienteninformationen

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Weitere Informationen und Patientenorganisationen

Illustrationen

Hirnrinde Übersicht medial Mittenansicht
Hirnrinde Übersicht medial Mittenansicht
Hirnrinde Übersicht lateral Seitenansicht
Hirnrinde Übersicht lateral Seitenansicht

Quellen

Leitlinien

  • Gesellschaft für Neuropädiatrie. Diagnostische Prinzipien bei Epilepsien des Kindesalters. AWMF-Leitlinie Nr. 022-007. S1, Stand 2017. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Neuropädiatrie. Ketogene Diäten. AWMF-Leitlinie Nr. 022-021. S1, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Gesellschaft für Neuropädiatrie. Diagnostische Prinzipien bei Epilepsien des Kindesalters. AWMF-Leitlinie Nr. 022-007, S1, Stand 2017. www.awmf.org
  2. Fisher RS, Cross JH, French JA et al. Operational classification of seizure types by the International League Against Epilepsy: Position Paper of the ILAE Commission for Classification and Terminology. Epilepsia 2017; 58: 522-530. doi:10.1111/epi.13670 DOI
  3. Neubauer BA, Hahn A. Dooses Epilepsien im Kindes- und Jugendalter. Berlin Heidelberg: Springer Verlag , 2014.
  4. Brandt C, Informationszentrum Epilepsie (ize) der Dt. Gesellschaft für Epileptologie e.V.: Epilepsie in Zahlen. Informationsblatt 006; Stand März 2016. www.izepilepsie.de
  5. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 04.05.2021. www.dimdi.de
  6. Lopes AF, Simões MR, Monteiro JP, Fonseca MJ, Martins C, Ventosa L, et al. Intellectual functioning in children with epilepsy: Frontal lobe epilepsy, childhood absence epilepsy and benign epilepsy with centro-temporal spikes. Seizure. 2013 Aug 12. pdfs.semanticscholar.org
  7. Bast T. Moderne Epilepsiebehandlung bei Kindern. Monatsschr Kinderheilkd 2017; 165: 519-537. doi:10.1007/s00112-017-0275-3 DOI
  8. Gutwinski A, Bengner M, Cakiroglu H et al. Schwangerschaft und Epilepsie. Familienplanung ohne Angst. Pädiatrie 2017; 29 (3): 20-22. link.springer.com
  9. Hahn A, Langner C. Epilepsien bei Jugendlichen. In: Stier B., Weissenrieder N., Schwab K. (eds) Jugendmedizin. Berlin, Heidelberg: Springer, 2018.
  10. Delisle B. Individuelle Lösungen bei der Kontrazeption. Pädiatrie 2017; 29 (1): 26-33. www.semanticscholar.org
  11. Borggräfe I, Heinen F, Gerstl L. Fieberkrämpfe Diagnostik, Therapie und Beratung. Monatsschr Kinderheilkd 2013; 161: 953-962. doi:10.1007/s00112-013-2991-7 DOI
  12. Stockings E, Zagic D, Campbell G, et al. Evidence for cannabis and cannabinoids for epilepsy: a systematic review of controlled and observational evidence. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2018 Mar 6; pii: jnnp-2017-317168: Epub ahead of print. pmid:29511052 PubMed
  13. Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP). Ketogene Diäten. AWMF-Leitlinie Nr. 022-021; S1, Stand 2021. www.awmf.org

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Anne Strauß, Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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