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Schwangerschaftsübelkeit (Emesis gravidarum)

Allgemeine Informationen

Definition

  • Schwangerschaftsübelkeit (Emesis gravidarum)1
    • Als Emesis gravidarum wird die Übelkeit im ersten Schwangerschaftstrimester bezeichnet, die typischerweise am Morgen auftritt und häufig mit Erbrechen, nicht jedoch mit einem reduzierten Allgemeinzustand oder einer Gewichtsabnahme einhergeht.
    • Sie gilt als normales Phänomen, das nicht mit Komplikationen für Mutter oder Kind verbunden ist.
  • Hyperemesis gravidarum
    • Diese wird als Übelkeit und Erbrechen vor der 22. SSW definiert, in deren Folge es zu einem Gewichtsverlust von mehr als 5 %, einer Ketonurie und einer Dehydrierung mit Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts kommt.2
  • Sowohl die Emesis als auch die Hyperemesis bessern sich im Laufe der Schwangerschaft. Bei manchen Patientinnen können die Übelkeit und das Erbrechen jedoch auch über 20.–22. SSW hinaus anhalten.

Häufigkeit

  • Bei 90 % aller Schwangeren tritt im Laufe der Schwangerschaft Übelkeit und/oder Erbrechen auf.
  • 35 % sind physisch oder psychisch beeinträchtigt.
  • Die Beschwerden werden zwar als „Morgenübelkeit“ bezeichnet, über 80 % der Patientinnen geben jedoch an, den gesamten Tag an Symptomen zu leiden. Lediglich bei 2 % handelt es sich um eine reine Morgenübelkeit.3
  • Von der Hyperemesis gravidarum ist etwa 1 % der Schwangeren betroffen.4

Diagnostische Überlegungen

  • Die Übelkeit kann das erste Anzeichen einer Schwangerschaft und der Grund für die Konsultation sein.
  • Sie kann jedoch auch ein Symptom einer anderen Erkrankung wie etwa einer Dyspepsie, einer Gallenwegserkrankung, einer Harnwegsinfektion oder einer Hyperthyreose sein.
  • Typischerweise setzen die normale Schwangerschaftsübelkeit und die Hyperemesis gravidarum in der 4.–7. SSW ein.
    • Bei einem späteren Zeitpunkt sollten verstärkt andere Ursachen in Betracht gezogen werden.

Konsultationsgrund

  • Die Schwangerschaftsübelkeit setzt innerhalb von 4 Wochen nach der letzten Menstruation ein und erreicht etwa in der 9. Woche ihren Höhepunkt.
    • Bei 60 % der Patientinnen besteht am Ende des ersten Trimesters keine Übelkeit mehr.
    • 87 % sind in der 20. SSW beschwerdefrei.
  • Auch die Hyperemesis gravidarum setzt für gewöhnlich in der 4.–10. SSW ein. Bei den meisten Patientinnen erreicht die Übelkeit bis zur 9. Woche ihr Maximum.

ICPC-2

  • W05 Schwangersch.-bed. Übelkeit./Erbr.

ICD-10

  • O21 Übermäßiges Erbrechen während der Schwangerschaft
    • O21.0 Leichte Hyperemesis gravidarum
    • O21.1 Hyperemesis gravidarum mit Stoffwechselstörung
    • O21.2 Späterbrechen während der Schwangerschaft
    • O21.9 Erbrechen während der Schwangerschaft, nicht näher bezeichnet

Differenzialdiagnosen

Emesis gravidarum

  • Setzt in der 4.–7. SSW ein und erreicht in der Regel bis zur 9. oder 10. Woche ihren Höhepunkt. Danach klingt sie nach und nach ab.
  • Morgens am stärksten ausgeprägt, kann jedoch über den gesamten Tag hinweg bestehen.
  • Etwa die Hälfte der Patientinnen klagt über Episoden, in denen es in Verbindung mit der Übelkeit auch zum Erbrechen kommt.
  • Die Übelkeit wird mitunter von einer unspezifischen Müdigkeit begleitet. Die Beschwerden können von Tag zu Tag variieren und mit Abgeschlagenheit einhergehen, führen jedoch nicht zu einem geschwächten Allgemeinzustand.

Hyperemesis gravidarum

  • Dabei treten Übelkeit und Erbrechen in einer so ausgeprägten Form auf, dass es in deren Folge zu einem reduzierten Allgemeinzustand, Störungen des Elektrolythaushalts und zu Gewichtsverlust kommt.
    • Die Definition des Krankheitsbildes umfasst meist Übelkeit, Erbrechen, Störungen des Elektrolythaushalts und einen Gewichtsverlust von mehr als 5 %.
  • Die Ursache ist nicht bekannt. Wahrscheinlich besteht ein Zusammenhang mit einer gesteigerten Sensitivität gegenüber dem HCG bzw. einer besonders hohen HCG-Konzentration.
  • Die Inzidenz ist bei erstmaliger Schwangerschaft, bei einer vorausgegangenen Hyperemesis, einer Mehrlingsschwangerschaft und einer Trophoblasterkrankung erhöht.
  • Bei einer vollständig ausgeprägten Hyperemesis kann eine stationäre Behandlung notwendig werden.

Weitere relevante Diagnosen

Anamnese

  • Letzte Menstruation: Berechnung des Geburtstermins
  • Klinischer Schweregrad: PUQE (Pregnancy-Unique Quantification of Emesis)
  • Entwicklung über den Tag hinweg, Dauer der Übelkeit, Schweregrad des Erbrechens, nächtliche Beschwerden?
  • Gewichtsabnahme?
  • Verminderte Leistungsfähigkeit zu Hause oder im Beruf

Klinische Untersuchung

  • Objektive Bewertung der Warnsignale; Berücksichtigung der Informationen im Mutterpass; Prüfung einer etwaigen fehlenden Gewichtszunahme oder eines Gewichtsverlusts
    • Achtung: Symphysen-Fundus-Abstand!
  • Bei reduziertem Allgemeinzustand: gründliche klinische Untersuchung
  • Untersuchung hinsichtlich einer etwaigen Dehydrierung und Abmagerung

Ergänzende Untersuchungen

  • Blutuntersuchungen: Elektrolyte (Na, K, Ca), Hb und CRP, Kreatinin, GPT
  • Urinuntersuchungen: Ketone und Albumin
  • Untersuchung des Urins im Hinblick auf eine Infektion
  • fT4 und TSH

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Hyperemesis in Verbindung mit reduziertem Allgemeinzustand, Dehydrierung und Gewichtsabnahme

Checkliste zur Überweisung

Schwere Schwangerschaftsübelkeit

  • Zweck der Überweisung
    • Bestätigung der Diagnose oder Therapie
  • Anamnese
    • Schwangerschaftswoche? Wann begann die Übelkeit? Gab es ggf. ähnliche Beschwerden in einer früheren Schwangerschaft?
    • Beeinträchtigter Allgemeinzustand, verminderte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme, nächtliche Beschwerden? Gewichtsentwicklung?
    • Sonstige relevante Krankheiten? Regelmäßige Medikamente? Familiäre Prädisposition?
    • Folgen: beruflich, sozial, weitere?
  • Klinische Untersuchung
    • Allgemeinzustand, Gewichtsabnahme, Dehydrierung?
    • SFA, RR
  • Ergänzende Untersuchungen
    • Elektrolyte, Hb und CRP; Urinteststreifen; Ketone im Urin?

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei stark beeinträchtigtem Allgemeinzustand und einer fehlenden Gewichtszunahme kann eine Einweisung indiziert sein.
  • Allein die Einweisung bei Hyperemesis gravidarum kann bereits zu einer Verbesserung des Zustands führen, vermutlich als Folge der psychologischen Faktoren in Zusammenhang mit dem Umgebungswechsel.
  • Als Behandlung erfolgt im Krankenhaus eine Zuführung von Flüssigkeit und in Ausnahmefällen eine Ernährung per Magensonde oder eine parenterale Ernährung.

Maßnahmen

  • Bei einer normalen/physiologischen Schwangerschaftsübelkeit sollte der Schwerpunkt auf der Aufklärung, Beratung und Beruhigung liegen. Medikamente kommen erst danach bei Bedarf infrage.
  • Es liegen kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über den Nutzen von Empfehlungen vor, die nichtmedikamentöse Maßnahmen betreffen.1
  • Indizierte Maßnahmen bei Schwangerschaftsübelkeit, bei der keine Einweisung notwendig ist:
    • Anpassung der Ernährungsgewohnheiten: Es sollten häufig, auch bereits vor dem Auftreten eines Hungergefühls, Mahlzeiten eingenommen werden.
    • Speisen vermeiden, die Übelkeit auslösen oder verschlimmern: starke Gerüche, fettiges Essen, gebratenes Essen, stark gewürzte Speisen.
    • Einigen Frauen scheint proteinhaltiges und gesalzenes Essen besser zu bekommen.
    • Flüssigkeit scheint besser vertragen zu werden, wenn sie kalt, klar und kohlensäurehaltig ist (evtl. saure Getränke), und insbesondere wenn die Aufnahme in kleinen Portionen zwischen den Mahlzeiten erfolgt.
  • Eine Krankschreibung kann indiziert sein.

Medikamentöse Therapie

  • Übelkeit und Erbrechen sind bei Schwangeren in der Regel vorübergehend, und eine medikamentöse Behandlung ist meist nicht erforderlich.
  • Wissenschaftliche Dokumentation5
    • Es liegen kaum Studien vor, die sich speziell mit der Wirkung bei Schwangerschaftsübelkeit beschäftigen.
    • Es gibt keine Studien, in denen die verschiedenen Antihistaminika miteinander verglichen werden, oder in denen ein systematischer Vergleich unterschiedlicher Dosierungen erfolgt.
    • Aus klinischen Studien ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Antihistaminika der ersten oder zweiten Generation teratogen wirken.
  • Ist eine medikamentöse Behandlung erforderlich, werden international Antihistaminika empfohlen.5
    • Promethazin 25 mg: 1‒2 x 1 Tbl. Wird in Deutschland nur bei sehr strenger Indikationsstellung empfohlen.
    • Meclozin 25 mg: 1‒2 x 1 Tbl. In Deutschland nicht für Schwangerschaftserbrechen zugelassen.
    • mögliche Alternative: Dimenhydrinat
    • Es gibt keine Belege für eine teratogene Wirkung. Als Nebenwirkungen können Müdigkeit und Schläfrigkeit auftreten.
    • Es wird empfohlen, die Dosierung so gering wie möglich anzusetzen und die Einnahme so bald wie möglich wieder einzustellen.
  • OndasetronOndansetron (off label): Nur nach sehr strenger Indikationsstellung, es liegen kaum diesbezügliche Studien vor.
    • Wegen gehäufter orofazialer Fehlbildungen (Lippen-Kiefer-Gaumenspalte) sollte das Mittel nicht im ersten Trimenon der Schwangerschaft eingenommen werden.6
    • Näheres dazu im Artikel Hyperemesis gravidarum
  • Pyridoxin (Vitamin B6)
    • Vitamin-B6-Tabletten 40 mg: 2–3 x 1 Tbl.
    • Die Präparate sind bei Übelkeit nachweislich wirksamer als Placebo, nicht jedoch bei Erbrechen, und ihre Anwendung ist in der Schwangerschaft gefahrlos möglich.67
  • Ingwer kann ebenfalls wirksam sein.67-89
    • Die vorhandene Dokumentation deutet auf eine Wirkung hin, qualitativ gute Belege fehlen jedoch.
  • Bei stationär aufgenommenen Patientinnen mit Hyperemesis werden mitunter Metoclopramid und Glukokortikoide eingesetzt.
    • Aufgrund der neurologischen Nebenwirkungen wird jedoch eine Anwendung von max. 5 Tagen empfohlen.

Sekundärbehandlung

  • Eine mögliche und häufig angewendete alternative Behandlungsmethode bei Schwangerschaftsübelkeit besteht in der Akupressur eines Punktes am Handgelenk (CP6).
    • In einer norwegischen Studie gaben 71 % der Patientinnen eine Verbesserung durch Akupressur und 59 % eine Verbesserung durch Placebo an, d. h. es besteht kein signifikanter Unterschied.
    • Eine Übersichtsarbeit deutet darauf hin, dass die Akupunktur keine Wirkung zeigt, und zwar weder die CP6- noch die traditionelle Akupunktur.67

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patientinnen informieren?

  • Darüber, dass die Schwangerschaftsübelkeit ein normales Symptom darstellt, und dass sie bei den meisten Betroffenen etwa nach der 12. bis 15. SSW abklingt.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Herrell HE. Nausea and vomiting of pregnancy. Am Fam Physician. 2014 Jun 15;89(12):965-970. PubMed
  2. Quinlan JD, Hill DA. Nausea and vomiting of pregnancy. Am Fam Physician 2003; 68: 121-8. PubMed
  3. Lacroix R, Eason E, Melzack R. Nausea and vomiting during pregnancy: A prospective study of its frequency, intensity, and patterns of change. Am J Obstet Gynecol. 2000;182(4):931–937.
  4. Vikanes ÅV, Grjibovski A, Vangen S, Magnus P. Variations in prevalence of hyperemesis gravidarum by country of birth: a study of 900,074 births in Norway, 1967-2005. Scand J Public Health 2008; 36:135-42. PMID: 18519277 PubMed
  5. Matthews A, Dowswell T, Haas DM, et al. Interventions for nausea and vomiting in early pregnancy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2010; 9: CD007575. doi:10.1002/14651858.CD007575.pub2 DOI
  6. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Rote-Hand-Brief zu Ondansetron: Erhöhtes Risiko orofazialer Fehlbildungen bei der Anwendung im ersten Trimenon der Schwangerschaft. Berlin, 1.10.2019. www.bfarm.de
  7. Matthews A, Haas DM, O'Mathúna DP, Dowswell T, Doyle M. Interventions for nausea and vomiting in early pregnancy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 3. Art. No.: CD007575. DOI: 10.1002/14651858.CD007575.pub3 DOI
  8. Vutyavanich T, Kraisarin T, Ruangsri RA. Ginger for bausea and vomiting in pregnancy: a randomized, double-masked, placebo-controlled trial. Obstet Gynecol 2001; 97: 577-82. PubMed
  9. Smith C, Crowther C, Willson K, et al. A randomized controlled trial of ginger to treat nausea and vomiting in pregnancy. Obstet Gynecol 2004; 103: 639-45. PubMed

Autoren

  • Julia Trifyllis, Dr. med., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W.
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL
  • Per Bergsjø, professor emeritus, dr. med., Universitetet i Bergen. Spesialist i kvinnesykdommer og fødselshjelp, forsker ved Nasjonalt folkehelseinstitutt, Oslo
o21 sterke svangerskapsbrekninger; o21.0 ukompliserte svangerskapsbrekninger; o21.1 svangerskapsbrekninger med metabolske forstyrrelser; o21.2 svangerskapsbrekninger i annen halvdel av svangerskapet; o21.9 uspesifiserte svangerskapsbrekninger
w05 kvalme, brekninger før fødseli svangerskapet; w05 kvalme, brekninger før fødsel/i svangerskapet; w05 kvalme/brekninger i svangerskap
Schwangerschaftserbrechen; hyperemesis gravidarum; Erbrechen; Morgenübelkeit; Übelkeit am Morgen; PUQE; Pregnancy-Unique Quantification of Emesis
Schwangerschaftsübelkeit (Emesis gravidarum)
AAA MK 02.10.2019, Rote Hand-Brief zu Ondansetron (TH).
teXT jt; cHECK GO, 27.1. MK 14.03.2018 (Q)
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Schwangerschaftsübelkeit (Emesis gravidarum)1 Als Emesis gravidarum wird die Übelkeit im ersten Schwangerschaftstrimester bezeichnet, die typischerweise am Morgen auftritt und häufig mit Erbrechen, nicht jedoch mit einem reduzierten Allgemeinzustand oder einer Gewichtsabnahme einhergeht. Sie gilt als normales Phänomen, das nicht mit Komplikationen für Mutter oder Kind verbunden ist.
Schwangerschaft/Geburtshilfe
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