Allgemeine Informationen
Definition
- Nierenzysten sind flüssigkeitsgefüllte Hohlräume umgeben von einer dünnen, epithelialisierten Membran1
- Häufigste Nierenfehlbildung2
- Klinisch meist unbedeutend3
- Nierenzysten müssen von der polyzystischen Nierenerkrankung unterschieden werden.
Häufigkeit
- Zunehmende Prävalenz mit dem Alter
- 20 % der 50- bis 60-Jährigen mit Nierenzysten4
- Bei ca. 40 % aller abdominellen CT-Untersuchungen Nachweis von Nierenzysten5
- Nachweis bei 50 % aller Obduktionen6
- Männer zu Frauen ca. 2:14
Ätiologie und Pathogenese
- Nierenzysten sind zumeist Entwicklungsanomalien der Tubuli, angeboren oder im Lauf des Lebens entstehend.2
- Je nach Lage werden kortikale, medulläre und parapelvine Nierenzysten unterschieden.2
- Lokalisation gehäuft am oberen Nierenpol
- Größenzunahme im Verlauf, im Mittel ca. 0,14 cm/Jahr6
- Die meisten Nierenzysten sind heutzutage Zufallsbefunde im Rahmen sonografischer Untersuchungen.
- Ein Krankheitswert von Nierenzysten ist nur bei unklarer Dignität und/oder Auftreten von Beschwerden gegeben.
- Neben gutartigen Nierenzysten gibt es maligne, zystische Nierenläsionen.7
- Durch große Zysten evtl. Kompression des Nierenhohlsystems oder anderer Organe mit Flanken- oder Abdominalschmerzen 2
- Selten Infektion von Zysten2,8
- Von den einfachen Nierenzysten abzugrenzen sind „sekundäre“ Nierenzysten bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz
und Dialysepatienten im Rahmen einer erworbenen, sekundären Zystenkrankheit.9
Disponierende Faktoren
- Höhere Wahrscheinlichkeit für Nierenzysten bei Patienten mit:4
- U14 Nierenorgane/-beschwerden
ICD-10
- N28 Sonstige Krankheiten der Niere und des Ureters, anderenorts nicht klassifiziert
- N28.1 Zyste der Niere, erworben
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Initiale Diagnose zumeist mit dem Ultraschall
- Klassische sonografische Kriterien einer benignen Nierenzyste:6
- rundlich bis ovaläre Form
- scharfe und glatte Begrenzung der Zystenwand
- echofreier Inhalt
- distale Schallverstärkung.
Differenzialdiagnosen
- Nierenzellkarzinom
- Hereditäre polyzystische Nierenerkrankungen
- autosomal-dominant
- autosomal-rezessiv
- autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)
- Nephronophthisen – verschiedene Formen
- Bardet-Biedl-Syndrom
- Hydronephrose
Anamnese
- Überwiegend asymptomatisch bei sonografischem Zufallsbefund
- Flankenschmerz?
- Schmerz zumeist dumpf und drückend2
- Fieber (infizierte Zyste)?
- Blut im Urin?
- B-Symptomatik?
- Vorerkrankungen
- Familiäre Nierenerkrankungen?
- Vorbefunde Bildgebung?
Klinische Untersuchung
- Palpable Geschwulst in der Flanke?
- Schmerzhafte Palpation?
- Klopfschmerzhaftes Nierenlager?
- Erhöhte Temperatur?
- Blutdruck?
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Sonografie
- Ultraschall mit hohem Stellenwert in der Früherkennung (und Verlaufskontrolle) in der Hausarztpraxis10
- Basis-Sonografie (B-Mode und Farbduplexsonografie) zur initialen Diagnosestellung und Beurteilung von Nierenzysten
- Das B-Bild liefert Informationen zu:4
- Größe
- Form
- Echogenität
- Beschaffenheit der Zystenwand
- Septierungen
- nodulären Weichteilkomponenten.
- Bei benignen Zysten sind farbduplexsonografisch keine Gefäße darstellbar.6
- Sichtbare Gefäße in der Zyste sind malignomverdächtig.6
Labor
- Bluttests
- Urintests
- Urinteststreifen
- Urinsediment
Diagnostik beim Spezialisten – Beurteilung der Dignität
- Die weitere fachärztliche Beurteilung umfasst die Unterscheidung in unkomplizierte bzw. komplizierte, malignitätsverdächtige Zysten.
- Die wichtigsten Bildgebungsverfahren für die weiterführende Diagnostik sind CT und kontrastmittelverstärkter Ultraschall.
- Grundlage für die Beurteilung von Zysten ist die Bosniak-Klassifikation, die ursprünglich im Rahmen der CT-Diagnostik entwickelt wurde.11
- Die Einstufung erfolgt vorwiegend durch das Ausmaß der Kontrastmittelaufnahme in Septen oder soliden Anteilen innerhalb der Zyste.9
- Einteilung der Zysten in 5 Kategorien (I, II, IIF, III und IV)
- mit zunehmender Kategorie ansteigendes Risiko für eine maligne Ursache der zystischen Läsion
- Heutzutage ist die Anwendung der Bosniak-Klassifikation auch auf der Grundlage des kontrastmittelverstärkten Ultraschalls CEUS (CEUS = Contrast-enhanced Ultrasound) möglich.6
- Vorteile des CEUS im Vergleich zu CT4
- keine Strahlenexposition
- kurze Untersuchungsdauer
- anwendbar auch bei Jodallergie
- anwendbar auch bei eingeschränkter Nierenfunktion
Bosniak-Klassifikation von Zysten durch kontrastmittelverstärkten Ultraschall (CEUS)4,6
Zysten Bosniak I
- B-Bild: scharf abgrenzbare, dünne Wand, keine Verkalkungen, keine Septen, keine nodulären/soliden Anteile
- CEUS: keine Kontrastmittelaufnahme
- Malignitätsrisiko 0 %
Zysten Bosniak II
- B-Bild: einzelne, feine Septen ≤ 1 mm, Größe der Läsion < 3 cm
- CEUS: keine Kontrastmittelaufnahme der Septen
- Malignitätsrisiko 0 %
Zysten Bosniak IIF
- B-Bild: gering wandverdickte Septen/Zystenwand, einzelne Verkalkungen
- CEUS: diskrete Kontrastmittelaufnahme der Septierungen
- Malignitätsrisiko: 5–25 %
Zysten Bosniak III
- B-Bild: multiple Septierungen/irregulär verdickte Septen/irregulär verdickte Zystenwand, irreguläre Verkalkungen
- CEUS: deutliche Kontrastmittelaufnahme von Septierungen oder Wandverdickungen
- Malignitätsrisiko: 30–100 %
Zysten Bosniak IV
- B-Bild: noduläre/solide Anteile
- CEUS: Kontrastmittelaufnahme der nodulären/soliden Anteile
- Malignitätsrisiko: 100 %
Indikationen zur Überweisung
- Bei noch unklarer Einschätzung der Dignität nach der hausärztlichen Untersuchung
Therapie
Therapieziele
- Eine nicht notwendige Behandlung bei kleinen, benignen Zysten vermeiden.
- Symptome durch Behandlung symptomatischer Zysten lindern.
- große Zysten mit Schmerzen oder Obstruktion des Nierenkelchsystems, infizierte Zysten
- Die Prognose durch Entfernung maligner Zysten verbessern.
Allgemeines zur Therapie
- Therapiemöglichkeiten bei Nierenzysten sind:
- chirurgische Exzision (evtl. vorausgegangene Biopsie) maligner Zysten6
- große, symptomatische Zysten
- Aspiration und Sklerotherapie12
- Marsupialisation8
- Drainage, antibiotische Therapie bei infizierten Zysten8
Vorgehen in Abhängigkeit von der Dignität anhand der Bosniak-Klassifikation6
- Zysten der Kategorien I und II nach Bosniak
- sichere Diagnose durch native B-Bild-Sonografie und Farbduplexsonografie möglich
- keine weitere Abklärung
- Zysten der Kategorie Bosniak IIF
- regelmäßige Verlaufskontrollen
- Zysten der Kategorie Bosniak III und IV
- weitere Abklärung durch Biopsie
- chirurgische Exzision
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Hydronephrose durch Obstruktion der Harnwege
- Infektion
- Einblutung
Verlauf und Prognose
- Die Prognose ist überwiegend gut, die meisten Zysten sind benigne.
Verlaufskontrolle
- In Abhängigkeit von der Bosniak-Klassifikation:
- Bosniak I: keine Verlaufskontrolle notwendig6
- Bosniak II: keine Verlaufskontrolle notwendig6
- Bosniak IIF: regelmäßige bildgebende Verlaufskontrollen empfohlen (F steht für für Follow-up)6
- Bosniak III und IV: normalerweise unmittelbare Exzision, bei Patienten mit schweren Komorbiditäten/reduzierter Lebenserwartung evtl. Verlaufskontrolle nach 6 und 12 Monaten, anschließend jährlich mit Neuentscheid über das weitere Vorgehen5
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Nierenzysten sind im Allgemeinen ein harmloser Zufallsbefund.
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Sonografie: Nierenzyste und Nephrolithiasis (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg).
Sonografie: Größere Nierenzyste zum unteren Pol, Nierenparenchymbrücken (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg).
CT: Linksseitige Nierenzyste
Quellen
Literatur
- Vester U, Kranz B, Bergmann C. Von Nierenzysten und Zystennieren. URO-News 2010; 14: 40-46. doi:10.1007/BF03369501 DOI
- Stiefelhagen P. Was drückt da auf die Niere?. MMW - Fortschritte der Medizin 2013; 155: 34. doi:10.1007/s15006-013-0281-x DOI
- Wüthrich R. Nierenzysten Zystennieren. Nephrologe 2010; 5: 363. doi:10.1007/s11560-010-0467-5 DOI
- Müller-Peltzer K, Negrão de Figueiredo G, Schwarze V, et al. Sichere Diagnostik zystischer Nierenläsionen. Radiologe 2018; 58: 887–893. doi:10.1007/s00117-018-0444-y DOI
- Scharitzer M, Tamandl D, Ba-Ssalamah A. Zufallsbefunde von Niere, Nebenniere, Adnexen, Gastrointestinaltrakt, Mesenterium und Lymphknoten. Radiologe 2017; 57: 279–285. doi:10.1007/s00117-017-0236-9 DOI
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- Stock F, Kübler H, Holzapfel K. Zufallsbefund zystische Nierenläsion. MMW - Fortschritte der Medizin 2017; 6: 60. doi:10.1007/s15006-017-9486-8 DOI
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- Bosniak, MA. The Bosniak Renal Cyst Classification: 25 Years Later. Radiology 2012; 262: 781-5. PubMed
- Brunken C, Pfeiffer D, Tauber R. Langzeitergebnisse nach perkutaner Sklerosierung von Nierenzysten mit Polidocanol. Urologe 2002; 41: 263-266. www.researchgate.net
Autoren
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Steinar J. Karlsen, tidligere klinikksjef og professor dr. med., Oslo Urologiske Universitetsklinikk, Aker universitetssykehus helseforetak og Universitetet i Oslo
- Steinar Hunskår, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Seksjon for allmennmedisin, Universitetet i Bergen
- Tor Erik Widerøe, professor, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, og overlege ved Seksjon for nyresykdommer, Regionsykehuset i Trondheim
Nierenzyste; Bosniak-Klassifikation; Nierencyste; Nieren-Zyste; Nierenfehlbildung; Flankenschmerz; Zyste in den Nieren
Definition:Nierenzysten sind flüssigkeitsgefüllte Hohlräume, umgeben von einer dünnen, epithelialisierten Membran. Häufigkeit:Die Prävalenz steigt mit dem Alter, Auftreten bei 20 % der 50- bis 60-Jährigen.