Definition:Akute und chronische Schäden im Darm nach einer Bestrahlung
Häufigkeit:Kommt gelegentlich als Komplikation bei der Bestrahlung von abdominalen Karzinomen vor.
Symptome:Die Symptome in der Akutphase sind Diarrhö, Magenschmerzen, Anorexie und Abgeschlagenheit. Chronische Schmerzen können nach etwa einem Jahr mit Malabsorption, Diarrhö, Magenschmerzen, Blutungen und Abszessbildung vorkommen.
Befunde:Der klinische Befund hängt von den aktuellen Komplikationen ab.
Diagnose:Die Diagnose wird mit Röntgen und Endoskopie bestätigt.
Bestrahlung kann akute und chronische Schäden im Darm verursachen.1-2
Duodenum, distaler Dünndarm und distales Kolon/Rektum sind am häufigsten betroffen (z. B. Strahlenproktitis).
Imperativer Stuhldrang ist ein Kardinalsymptom.
Es wird zwischen akuten und chronischen Strahlungsschäden unterschieden.
Akute Schäden treten innerhalb von sechs Wochen nach der Bestrahlung auf.
Chronische Schäden können später entstehen, meist nach ca. neun bis 14 Monaten, manchmal aber auch nach vielen Jahren.
Häufigkeit
Kommt gelegentlich als Komplikation bei der Bestrahlung von abdominalen Karzinomen vor.
Man rechnet damit, dass 5–10 % der Patienten mit Bestrahlung des Beckens eine Strahlungsreaktion bekommen.3
Ätiologie und Pathogenese
Das Epithel im Gastrointestinaltrakt hat eine hohe Proliferationsrate, wodurch es sehr anfällig für Schädigungen durch Bestrahlung und Chemotherapie ist.
Dies kann sich auf unterschiedliche Art äußern:
intestinale Pseudoobstruktion (Motilitätsstörung)
lokalisierte Darmaffektion
akute Komplikationen wie Blutung, Perforation, mechanisches Ileum.
Akute Schäden gehen häufig innerhalb von einigen Wochen wieder zurück. Chronische Veränderungen können aber Monate bis Jahre nach der Bestrahlung auftreten.2
Pathogenese
Strahlungsschäden, die erst spät auftreten, werden auf eine progressive epitheliale Atrophie und Fibrose zurückgeführt, begleitet von einer obliterierenden Endarteritiis und einer chronischen Ischämie in der Mukosa.4
Der Schaden entsteht vor allem in den mukösen Stammzellen. Das führt zu verringerten Zellreserven in den Darmzotten; die Folge sind eine dünnere Schleimhaut, kürzere Zotten und eine verringerte Absorptionsfläche.
Die Schäden können sich schon Stunden nach der Bestrahlung zeigen. Den initialen Veränderungen folgen Entzündungen, progressive okkludierende Vaskulitis, Atrophie der Mukosa und zunehmende Fibrose.5
Ulzerationen können in der Mukosa auftreten und zu einer Perforation sowie zur Fistel- und Abszessbildung progredieren.
Die zunehmende Fibrose verengt das Darmlumen, das führt zur Striktur oder sogar zur Obstruktion – mit dem Risiko einer Blutung und spontanen Perforation.2
Die chronischen Veränderungen können zur Malabsorption führen6, zu bakteriellen Wucherungen7 und/oder zur verringerten Resorption der Gallensalze (was eine Diarrhö verursacht).
Zu den Symptomen zählen Diarrhö, Verstopfung, Rektalschmerzen oder Stuhldrang sowie seltener fäkale Inkontinenz.
Disponierende Faktoren
Strahlenfeld
Strahlentyp, Dosis
Eine gleichzeitige Chemotherapie erhöht das Risiko für eine Strahlenenteritis.8
ICPC-2
A87 Komplikation medizinischer Behandlung
ICD-10
K52 Sonstige nichtinfektiöse Gastroenteritis und Kolitis
K52.0 Gastroenteritis und Kolitis durch Strahleneinwirkung
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Es gibt wenige spezifische Kriterien.
Strahlenbehandelter Patient, Klinik mit dem Verdacht auf Erkrankung, evtl. Nachweis von Schäden durch Röntgen und Endoskopie
Ziel der Untersuchung
Die Untersuchung richtet sich in erster Linie nach einem evtl. Rezidiv der Grunderkrankung. Eine abdominale MRT/CT ist häufig erforderlich.
Ein strahlengeschädigter Darm wird vermutet, wenn Malignität ausgeschlossen ist, kann aber selbstverständlich auch eine bestehende Malignität begleiten.
Differenzialdiagnosen
Grunderkrankung
Anamnese
Bestrahlung des Patienten
Informationen über Strahlenfeld und Strahlentyp geben Aufschluss über die Art des Schadens und sollten eingeholt werden.
In der akuten Phase
Der Patient leidet an Diarrhö (oft in der dritten Woche der Behandlung), Magenschmerzen, Anorexie und Abgeschlagenheit.
Die Symptome lassen nach einer Weile nach und hören meist zwei bis sechs Wochen nach Ende der Bestrahlung auf.9-10
Chronische Schmerzen
Treten häufig acht bis zwölf Monate nach der Bestrahlung auf.
Spätfolgen können Malabsorption, Diarrhö, Magenschmerzen, Blutungen und Abszessbildung sein.11
Intestinale Pseudoobstruktion
Kann Teile oder den gesamten Dünndarm treffen.
Tritt häufig in Form von wiederholten Anfällen mit Übelkeit und Erbrechen über mehrere Stunden oder Tage auf, unterbrochen von symptomfreien Intervallen.
Starke Anfälle unterscheiden sich nicht von Ileus.
Patienten haben aufgrund von bakteriellen Wucherungen häufig einen mangelnden Ernährungsstatus, Malabsorption und Maldigestion.
Lokalisierte Darmaffektion
Eine lokale Schädigung im Duodenum kann zu einer verringerten Magenentleerung mit frühem Sättigungsgefühl, Übelkeit und Erbrechen in Verbindung mit der Nahrungsaufnahme führen.
Ein lokalisierter ilealer Schaden kann von Gallensäure- und Vitamin-B12-Malabsorption mit Diarrhö als wichtigsten klinischen Symptomen begleitet sein.
Atemtest zum Nachweis von bakteriellen Wucherungen (Xylose/Wasserstoff-Atemtest)
Röntgen Dünndarm mit Sonde
intestinale Pseudoobstruktion
Das Röntgen zeigt dilatierte Dünndarmschlingen, evtl. mit Flüssigkeitsspiegel. Das Kontrastmittel fließt häufig langsam, ohne dass es ein mechanisches Hindernis gibt.
Obere und niedere Endoskopie mit Duodenal- und Ileumbiopsie
Spezialuntersuchungen wie Magenentleerung, Dünndarmmotilität, Darmflora und Absorption im Dünndarm
5-HIAA und VMS können indiziert sein.
Therapie
Therapieziel
Die akuten Komplikationen überleben.
Symptome lindern.
Allgemeines zur Therapie
Die Vorbeugung ist entscheidend. Wenn dennoch Beschwerden auftreten, sollte die Behandlung so konservativ wie möglich sein.11
Drei Hauptansätze:
medikamentöse Behandlung
operativer Eingriff
Ernährung/Substitution.
Die wissenschaftliche Dokumentation der Wirkung der unterschiedlichen Ansätze ist unzureichend.
Vollständige parenterale Ernährung kann zeitweise notwendig werden. Einzelne Patienten mit strahleninduzierter Enteropathie leiden nach der Operation am Kurzdarmsyndrom.
Medikamentöse Therapie
Bei bakteriellen Wucherungen
Metronidazol 3 x 200 mg über acht bis zehn Tage, evtl. ergänzt mit Oxytetracyclin 3 x 250 mg
Wird bei Bedarf wiederholt.
Eine feste Langzeitbehandlung bringt selten dauerhaft gute Ergebnisse.
Bei unangenehmer Diarrhö
Cholestyramin 4 g 3- bis 4-mal täglich kann versucht werden.
Wenn die Malabsorption von Gallensäure eine wichtige Ursache ist, wird die Behandlung zu einer deutlichen Besserung innerhalb von drei bis vier Tagen führen.
Loperamid hat bei vielen Patienten eine symptomatische Wirkung bei Diarrhö.
Wird nach Bedarf nach klinischer Wirkung dosiert.
NB! Bei Patienten mit ausgesprochener Hypomotilität kann sich der Zustand verschlimmern.
Hyperbare Sauerstofftherapie
Die Behandlung in der Druckkammer stimuliert die Kollagenproduktion und Angiogenese und führt zu einer Verbesserung der lokalen Mikrozirkulation.3
Bei zwei von drei Patienten verbessert sich der Zustand, und ca. die Hälfte der Patienten berichtet von einer deutlichen Besserung der Symptome nach drei Wochen Behandlung.
Operative Therapie
Bei einzelnen Patienten können Spezialuntersuchungen lokalisierte Pathologien aufdecken, die sich für eine zielgerichtete Operation eignen.
Das Risiko bei einer Operation ist allerdings hoch. Chronische Strahlungsschäden bedeuten eine verringerte Zirkulation im betroffenen Darmsegment. Wenn es die verbleibende Darmlänge erlaubt, sollte eine Resektion der strahlengeschädigten Umgebung vorgenommen werden.
Man sollte gesunde Enden bei der Anastomose anstreben.
Eine ileozökale Resektion sollte einer Ileumresektion vorgezogen werden.
Ein stenotischer Abschnitt distal sollte ausgeschlossen werden.
Eine Operation sollte erst erwogen werden, wenn der Patient nach optimaler medikamentöser Behandlung und Ernährungsergänzung/Beratung weiterhin an Gewicht verliert und belastende Symptome hat.
Bei einer Krebsoperation im Becken, bei der eine postoperative Bestrahlung notwendig sein kann, sollte man versuchen, den Dünndarm aus dem Becken auszulagern, z. B. indem das Omentum majus heruntergezogen wird.
Prävention
Anwendung von Techniken, die die Strahlenbelastung des gesunden Gewebes minimieren.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Akute Strahlungsschäden gehen in der Regel vorüber und verschwinden nach ca. zwei bis sechs Monaten von selbst.
Komplikationen
Akute Komplikationen
Blutungen
Perforation
Mechanischer Ileus
Spätere Komplikationen nach der Bestrahlung
Schrittweise abnehmende Kreislauffunktion über Jahre, die zu Infektionen, Wundbildung und Atrophie der Schleimhaut führen kann.3
Strahlenbedingte Enteritis kann mehrere Jahre nach der Bestrahlung vorkommen mit typisch häufigem und dünnflüssigem Stuhlgang sowie Blutungen aus dem Darm.
Prognose
Chronische Veränderungen sind andauernd und häufig progredierend.
Die Bestrahlung des Beckens zur Krebsbehandlung bei Kindern bedeutet ein erhöhtes Risiko für ein kolorektales Karzinom im erwachsenen Alter.
Patienteninformationen
Welche schriftlichen Patienteninformationen liegen vor?
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie. Supportive Maßnahmen in der Radioonkologie. AWMF-Leitlinie Nr. 052-014, Stand 2015
Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Klinische Ernährung in der Onkologie. AWMF-Leitlinie Nr. 073-006, Stand 2015
Literatur
Babb, RR. Radiation proctitis: A review. Am J Gastroenterol 1996; 91: 1309. PubMed
Czito BG, Meyer JJ, Willett CG. Gastrointestinal toxicity of radiation therapy. UpToDate, last updated March 16, 2010. UpToDate
Aanderud L, Thorsen E, Brattebø G, Forland M, Kristensen G. Hyperbar oksygenbehandling ved strålereaksjoner. Tidssk Nor Lægeforen 2000; 120: 1020-2. PubMed
Saclarides TJ. Radiation injuries of the gastrointestinal tract. Surg Clin North Am 1997; 77: 261. PubMed
Hasleton PS, Carr N, Schofield PF. Vascular changes in radiation bowel disease. Histopathology 1985; 9: 517. PubMed
Husebye E, Hauer-Jensen M, Kjørstad K, Skar V. Severe late radiation enteropathy is characterized by impaired motility of proximal small intestine. Dig Dis Sci 1994; 39: 2341. PubMed
Wedlake L, Thomas K, McGough C, Andreyev HJ. Small bowel bacterial overgrowth and lactose intolerance during radical pelvic radiotherapy: An observational study. Eur J Cancer 2008; 44: 2212. PubMed
Gunnlaugsson A, Kjellén E, Nilsson P, Bendahl PO, Willner J, Johnsson A. Dose-volume relationships between enteritis and irradiated bowel volumes during 5-fluorouracil and oxaliplatin based chemoradiotherapy in locally advanced rectal cancer. Acta Oncol 2007; 46: 937. PubMed
Hauer-Jensen M. Late radiation injury of the small intestine. Clinical, pathophysiologic and radiobiologic aspects. A review. Acta Oncol 1990; 29: 401. PubMed
Czito BG, Meyer JJ, Willett CG. Gastrointestinal toxicity of radiation therapy. UpToDate, last updated April 2012 . UpToDate
Roberts I. Diagnosis and management of chronic radiation enteritis. UpToDate, last updated May 14, 2014. UpToDate
Denton A, Forbes A, Andreyev J, Maher EJ. Non surgical interventions for late radiation proctitis in patients who have received radical radiotherapy to the pelvis (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 1, 2002. Oxford: Update Software, The Cochrane Library
Autoren
Günter Ollenschläger, Prof. Dr. Dr. med., Internist, Uniklinikum Köln
Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, redaktør NEL
Strålskadad tarmK52; strahlenschäden am darm; Darm-StrahlenschädenK520
Strålskadad tarm; strahlenschäden am darm; Darm-Strahlenschäden
Strålskadad tarm; strahlenschäden am darm; Darm-StrahlenschädenA87
Darm-Strahlenschäden; Darmschäden nach einer Bestrahlung; Strahlenproktitis; Imperativer Stuhlgang; Abominale Karzinome; Abdominalkarzinom; Intestinale Pseudoobstruktion; Motilitätsstörung; Lakalisierte Darmaffektion; Mechanisches Ileum; Obliterierende Endarteritiis; Ischämie der Mukosa; Muköser Stammzellschaden; Strahlenenteritis; Darmperforation; Strahlengeschädigter Darm
Definition:Akute und chronische Schäden im Darm nach einer Bestrahlung Häufigkeit:Kommt gelegentlich als Komplikation bei der Bestrahlung von abdominalen Karzinomen vor.