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Thromboseprophylaxe bei Flugreisen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Medizinische Hinweise zum Vorbeugen einer tiefen Venenthrombose (TVT) oder Lungenembolie (LE) bei Flugreisen

Zusammenfassung

  • Langdauernde Flugreisen führen zu einem gering erhöhten Risiko für das Auftreten von TVT/LE.
  • Allen Reisenden können prophylaktische Basismaßnahmen empfohlen werden.1
  • Personen mit weiteren individuellen Risikofaktoren für thromboembolische Erkrankungen haben ein höheres Risiko; für sie kann eine physikalische oder medikamentöse Prophylaxe infrage kommen.1
  • Zum Nutzen einer physikalischen oder medikamentösen Maßnahme zur Thromboseprophylaxe bezüglich der Reduktion von Lungenembolie oder TVT-assoziiertem Tod gibt es keine ausreichende Evidenz.2

Häufigkeit

  • Im Jahr 2021 starteten oder landeten auf deutschen Flughäfen insgesamt 78,6 (2020: 63,0) Mio. Passagiere.3
    • Die Zahlen sind durch die Corona-Pandemie deutlich zurückgegangen. Zum Vergleich 2016: 223,2 Mio. Passagiere.
  • Es gibt wenig gesicherte Daten über die Häufigkeit thromboembolischer Ereignisse bei Flugreisen, insgesamt ist das Erkrankungsrisiko gering.
  • Nach derzeitiger Datenlage scheint bei Reisen über 6 Stunden Dauer das Thromboserisiko etwa 2- bis 4-fach erhöht.4
  • Thrombosen bleiben häufig asymptomatisch. Eine Kohortenstudie mit 8.755 Reisenden fand ein absolutes Risiko für eine symptomatische TVT/LE von:
    • 1 Ereignis zu 4.656 Flügen (Flugdauer über 4 Stunden) bzw.
    • 1 Ereignis zu 1.264 Flügen (Flugdauer über 16 Stunden).5
  • Bei Hochrisikopatient*innen auf Langstreckenflügen waren die Inzidenzraten für tiefe Beinvenenthrombosen durch Kompressionsstrümpfe oder prophylaktische Heparinisierung deutlich niedriger als ohne Maßnahmen.
    • tiefe Beinvenenthrombose (TVT) mit bzw. ohne Kompressionsstrümpfe 0,97 % versus 5,8 %6
    • TVT mit bzw. ohne prophylaktische Heparinisierung auf 0 % versus 4,8 %7

Ätiologie und Pathogenese

  • Drei umgebungsbedingte Ursachen werden diskutiert für das gehäufte Auftreten thromboembolischer Ereignisse bei Flugreisen: Stase an den unteren Extremitäten, hypobare Hypoxie und Dehydratation.
  • Stase an den unteren Extremitäten
    • Scheint der wichtigste Risikofaktor zu sein.
    • Das lange Sitzen führt zu einer verminderten Muskelpumpfunktion, zusätzlich sind die Blutgefäße abgeknickt.
    • Es gibt Hinweise, dass Fluggäste an Fensterplätzen häufiger thromboembolische Ereignisse erleiden.8
  • Hypobare Hypoxie
    • Der Luftdruck in einer Flugzeugkabine ist leicht erniedrigt, er entspricht einem Luftdruck von ca. 2.400 m über Meereshöhe.
    • Einige Untersuchungen haben gezeigt9, dass dies zu einer Gerinnungsaktivierung führen kann.
  • Dehydratation
    • Im Flugzeug ist die Luft durchschnittlich trockener als in normalen Wohnungen.
    • Eine Dehydratation führt zu erhöhter Viskosität und zu einem erhöhten theoretischen Risiko für Blutgerinnsel. Wie relevant dieser Risikofaktor ist, wird jedoch diskutiert.

Prädisponierende Faktoren

Diagnostik

Indikationen zur Klinikeinweisung

Prophylaktische Maßnahmen

Ziele

Allgemeines zur Prophylaxe

  • Allen Reisenden kann zu allgemeinen Basismaßnahmen geraten werden. Liegen keine weiteren individuellen Risikofaktoren vor, sind physikalische oder medikamentöse Maßnahmen nicht gerechtfertigt.1
  • Neben den Basismaßnahmen kommt bei erhöhtem Thromboserisiko das Tragen von wadenlangen Kompressionsstrümpfen und/oder die Gabe von niedermolekularem Heparin (NMH) infrage.

Empfehlungen für Patient*innen

Basismaßnahmen

  • Allen Reisenden können folgende Basismaßnahmen empfohlen werden:
    • einfache Übungen zur Aktivierung der „Muskelpumpe“ wie Fußwippen
    • Übereinanderschlagen der Beine vermeiden.
    • Regelmäßig Aufstehen, im Gang auf und ab gehen.
    • Keine enge Kleidung tragen.
    • Auf ausreichende Wasserzufuhr achten, die Menge an Kaffee und Alkohol wegen der diuretischen Wirkung begrenzen.1

Kompressionsstrümpfe

  • Reisenden, bei denen individuelle Risikofaktoren (siehe Abschnitt Prädisponierende Faktoren) vorliegen, kann das Tragen von wadenlangen Kompressionsstrümpfen empfohlen werden, sofern keine Kontraindikationen bestehen.1
  • Ein Cochrane-Review kommt zu dem Schluss, dass das Tragen von Kompressionsstrümpfen zu einer Verringerung der Häufigkeit symptomloser TVT führt (hohe Evidenz).2

Medikamentöse Prophylaxe

  • Eine zusätzliche medikamentöse Prophylaxe ist zu erwägen bei hohem individuellem Risiko (siehe Abschnitt Prädisponierende Faktoren).
  • In der 2008 veröffentlichten Konsenserklärung internationaler Gefäßexpert*innen10 gehören dazu folgende Risikofaktoren:
    • anamnestisch TVT/LE
    • Krebserkrankung oder andere schwerwiegende Grunderkrankung
    • Immobilisation (z. B. Gipsverband)
    • kürzlich zurückliegende größere Operation.
  • Eine medikamentöse Prophylaxe kann außerdem infrage kommen bei besonders langer Flugdauer, bei schweren Formen der Thrombophilie, bei Kontraindikationen gegen das Tragen von Kompressionsstrümpfen.
  • Empfohlen wird die Subkutangabe von niedermolekularem Heparin.
    • z. B. Enoxaparin 40 mg, Dalteparin 5000 IE oder Tinzaparin 4500 IE, jeweils 1 x s. c. 2–3 Stunden vor der Abreise
  • Ein unkritischer Einsatz von NMH kann aufgrund der bekannten potenziellen Nebenwirkungen nicht empfohlen werden.
  • Kontraindikationen der Therapie mit NMH beachten.
  • Für die Gabe von NMH prophylaktisch bei einem Langstreckenflug gibt es formal keine Zulassung, der Einsatz ist „off label“.
  • Zum Einsatz von neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) liegen bisher keine randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) für diese Indikation vor.11-12

Prognose

  • Ganz allgemein besteht nur ein sehr geringes Risiko für eine Thromboembolie in Verbindung mit Flugreisen.
  • Das Risiko steigt mit der Reisedauer.
  • Das Gefahr ist am größten für Personen, die schon früher eine Thrombose oder eine Lungenembolie hatten, und für Personen, bei denen aufgrund anderer Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien besteht.

Verlaufskontrolle

  • Wenn nach einer längeren Flugreise Schwellungen im Unterschenkel auftreten, besteht der Verdacht auf eine Thrombose.
  • Plötzlicher Husten und plötzliche Atemnot während oder kurz nach einer längeren Flugreise ist verdächtig für eine Lungenembolie.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen aufklären?

  • Insgesamt sehr geringes Risiko für eine TVT/Embolie auf Flugreisen
  • Beratung zu Einnahme von Flüssigkeit, Aktivität und Bewegung
  • Besondere Maßnahmen bei Personen mit erhöhtem Risiko für Thromboembolien

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. AWMF-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). AWMF-Leitlinie Nr. 003-001, Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org
  2. Clarke MJ, Broderick C, Hopewell S, Juszczak E, Eisinga A. Compression stockings for preventing deep vein thrombosis in airline passengers. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 4. Art. No.: CD004002. www.cochranelibrary.com
  3. Deutscher ReiseVerband (DRV). Zahlen und Fakten 2022. www.drv.de
  4. Johnston RV, Hudson MF. Travelers' thrombosis. Aviation, Space and Environmental Medicine 2014. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Kuipers S, Cannegieter SC, Middeldorp S et al. The absolute risk of venous thrombosis after air travel: a cohort study of 8.755 employees of international organisations. PLoS Med 2007; 4: e290. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Belcaro G, Cesarone MR, Nicolaides AN, et al.: Prevention of venous thrombosis with elastic stockings during long-haul flights: the LONFLIT 5 JAP study. Clin Appl Thromb Hemost 2003; 9: 197–201. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Cesarone MR, Belcaro G, Nicolaides AN, et al.: Venous thrombosis from air travel: the LONFLIT3 study: prevention with aspirin vs low-molecular-weight heparin (LMWH) in high-risk subjects: a randomized trial. Angiology 2002; 53: 1–6. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Schreijer AJ, Cannegieter SC. The effect of flight-related behaviour on the risk of venous thrombosis after air travel. Br J Haematol 2009; 144: 425-429. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Schreijer AJ, Cannegieter SC Meijers JC et al. Activation of coagulation system during air travel: a crossover study. Lancet 2006; 367: 832-8. PubMed
  10. Schobersberger W, Toff WD, Eklöf B et al. Traveller's thrombosis: International consensus statement. VASA 2008; 37: 311-317. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Chamnanchanunt S, Rojnuckarin P. Direct Oral Anticoagulants and Travel-related Venous Thromboembolism. Open Med (Wars) 2018 Nov 27;13:575-582. www.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Wendt S, Beier D, Paquet D, Trawinski H, Fuchs A, Lübbert C:. Medical advice for travelers. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 349–56. www.aerzteblatt.de

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
blodpropp; venetrombose
Tiefe Venenthrombose; TVT; Lungenembolie; LE; Stase der unteren Extremitäten; Hypobare Hypoxie; Dehydration; Kompressionsstrümpfe
Thromboseprophylaxe bei Flugreisen
UB 31.07.2020 Text gegendert
BBB MK 13.04.2022 revidiert, gekürzt, aktualisiert. check, Aktual.GO 3.2., MK 24.04.17
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Medizinische Hinweise zum Vorbeugen einer tiefen Venenthrombose (TVT) oder Lungenembolie (LE) bei Flugreisen Langdauernde Flugreisen führen zu einem gering erhöhten Risiko für das Auftreten von TVT/LE.
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