Definition:Hypertensive Gefahrensituation: stark erhöhter Blutdruck (systolisch > 180 und/oder diastolisch 110–120 mmHg) ohne klinische Zeichen eines akuten Endorganschadens. Hypertensiver Notfall (maligne Hypertonie): stark erhöhter Blutdruck (systolisch > 180 und/oder diastolisch 110–120 mmHg) mit klinischen Zeichen eines akuten Endorganschadens (Schlaganfall, intrakranielle Blutung, akute Herzinsuffizienz/Lungenödem, Enzephalopathie, akutes Koronarsyndrom, Aortendissektion, Prä-/Eklampsie).
Häufigkeit:Laut einer großen amerikanischen Studie hypertensive Gefahrensituation bei 4,6 % aller Blutdruckmessungen.
Symptome:Kopfschmerzen, Nasenbluten, Thoraxschmerzen, Dyspnoe, Schwäche, psychomotorische Agitiertheit, Neurologische Defizite, Schwindel, Parästhesien und Erbrechen können bei der hypertensiven Gefahrensituation und beim hypertensiven Notfall auftreten.
Befunde:Stark erhöhter Blutdruck (systolisch > 180 und/oder diastolisch 110–120) mit oder ohne Zeichen eines akuten Endorganschadens (s. o.).
Diagnostik:EKG, Bildgebung zum Ausschluss oder Nachweis eines akuten Endorganschadens.
Patient*innen mit maligner Hypertonie, gekennzeichnet durch schwere Hypertonie (meist Grad 3), verbunden mit charakteristischen funduskopischen Veränderungen (streifige Blutungen und/oder Stauungspapille), Mikroangiopathie und disseminierte intravasale Gerinnung, Enzephalopathie (bei etwa 15 % der Fälle), akute Herzinsuffizienz und akute Verschlechterung der Nierenfunktion.
Der Begriff „maligne“ bezieht sich auf die sehr schlechte Prognose dieser Erkrankung, falls eine Behandlung ausbleibt.
Patient*innen mit schwerer Hypertonie in Zusammenhang mit anderen klinischen Erkrankungen, die wahrscheinlich eine dringende Senkung des BP erfordern, z. B. akute Aortendissektion, akute Myokardischämie oder akute Herzinsuffizienz.
Patient*innen mit plötzlicher schwerer Hypertonie infolge eines Phäochromozytoms
Schwangere Frauen mit schwerer Hypertonie oder Präeklampsie
Häufigkeit
Bei einer großen amerikanischen Fall-Kontroll-Studie mit 1,3 Mio. Blutdruckmessungen bestand 1 hypertensive Gefahrensituation bei 4,6 % aller Blutdruckmessungen (u. a. in hausärztlichen und spezialistischen Praxen).4
Ätiologie und Pathogenese
Zur Ätiologie und Pathogenese des Bluthochdrucks im Allgemeinen siehe Artikel Arterielle Hypertonie.
Bei schwer einstellbarem Blutdruck, besonders bei Begleiterkrankungen wie Herzinsuffizienz oder KHK: Überweisung zur Kardiologie
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
Bei Schwangeren mit Hypertonus: Betreuung durch Gynäkolog*in
Bei einem hypertensiven Notfall sollte eine sofortige Klinikeinweisung in ärztlicher Begleitung erfolgen.3,5-6
Bei einer hypertensiven Gefahrensituation besteht selten die Indikation zur stationären Behandlung. 3
Bei Unsicherheit, ob ein Endorganschaden vorliegt, oder bei nicht eindeutigen Symptomen sollte ebenfalls eine Klinikeinweisung erfolgen.
Therapie
Therapieziele
Bei der hypertensiven Gefahrensituation: kontrollierte Blutdrucknormalisierung mit oral applizierten Medikamenten, Verhinderung eines hypertensiven Notfalls3
Beim hypertensiven Notfall: intensivmedizinische Blutdrucküberwachung und -therapie2, Behandlung/Minimierung von Endorganschäden in der Klinik
Zur Blutdrucksenkung bei der hypertensiven Gefahrensituation und beim hypertensiven Notfall gibt es wenig Evidenz. Die Empfehlungen basieren auf Erfahrungswerten.3,6
Bei der hypertensiven Gefahrensituation sollte eine langsame (über Stunden bis Tage) Blutdrucksenkung mit oralen Medikamenten erfolgen. Eine stationäre Einweisung bringt keinen Vorteil.2-5
Der hypertensive Notfall wird stationär behandelt.3
Kurzfristig ist eine engmaschige Kontrolle und langfristig eine Lösung/Behandlung des zugrunde liegenden Problems (z. B. Adhärenzproblem) erforderlich.2
Als Mittel der 1. Wahl empfiehlt sich in den meisten Fällen Uradipil i. v. (in Abhängigkeit vom Blutdruckverhalten 10–50 mg langsam als Bolusinjektion, initiale Dosierung 2 mg/min als i. v. Infusion, Erhaltungsdosis im Mittel 9 mg/h).
Bei pektanginösen Beschwerden insbesondere bei akutem Koronarsyndrom und/oder Lungenödem sollte Nitroglyzerin als i. v. Infusion gewählt werden (33–133 µg/min bzw. 2–8 mg/h, Erhaltungsdosis 0,5–8 mg/h).
Zusätzlich werden Schleifendiuretika empfohlen (z. B. Furosemid als i. v. Bolus).
Bei therapieresistenten hypertensiven Notfällen kann die i. v. Gabe des ACE-Hemmers Enalaprilat (0,625–1,25 mg Bolus über 5 min, Erhaltungsdosis 1,25–2,5 mg alle 6 Stunden) oder des sehr kurz wirksamen und damit gut steuerbaren Betablockers Esmolol (0,5–1,0 mg/kg als Bolus; 50–300 µg/kg/min über i. v. Infusion) erfolgen.
Bei sehr schweren Fällen ist die Gabe von Nitroprussid-Natrium als i. v. Infusion möglich (0,2–10 µg/kg/min, steigern um 0,2 µg/kg/min alle 3–5 Minuten – keine längere Anwendung wegen Cyanidintoxikation, ggf. zusätzliche Gabe von Natriumthiosulfat).
Bei bestehender Agitiertheit, Unruhe oder Alkoholentzugssyndrom ist die i. v. Gabe des zentralen Sympatholytikums Clonidin (75–150 µg i. v. über 10 min) eine sinnvolle Möglichkeit (Vorsicht bei älteren Patient*innen > 65 Jahre, ggf. niedrigere Dosierung wählen!).
Nicht empfohlen werden die sublinguale Applikation unretardierter Kalziumkanalblocker (wie z. B. Nifedipin) in Form von Tropfen, Spray, Phiolen o. Ä. wegen der nachweislich schlechten Steuerbarkeit, der massiven Sympathikusaktivierung und der Gefahr eines zu raschen und vor allem unkontrollierbaren Blutdruckabfalls mit der Folge zerebraler und kardialer Ischämien.
Eine hypertensive Gefahrensituation lässt sich in der Regel gut im ambulanten Setting beherrschen. Eine Klinikeinweisung ist normalerweise nicht nötig und bringt den Patienten keinen zusätzlichen Nutzen.
Es gibt wenige Daten zum Verlauf der Hypertonie nach hypertensiver Gefahrensituation. Laut einer größeren amerikanischen Studie weisen rund 2/3 aller Patient*innen 6 Monate nach einem solchen Ereignis noch keine angemessene Blutdruckkontrolle auf.4
Die Prognose eines hypertensiven Notfalls hängt von Begleiterkrankungen und der Art und des Ausmaßes der Endorganschädigung ab.
Verlaufskontrolle
Regelmäßige Blutdruckmessungen und Überprüfung der Medikation
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Stand 2018. Pocket-Leitlinie: Management der arteriellen Hypertonie. leitlinien.dgk.org
2018 ESC/ESH Clinical Practice Guidelines for the Management of Arterial Hypertension. Stand 2018. www.escardio.org
Literatur
Lohnstein M, Eras J, Hammerbacher C. Der Prüfungsguide Allgemeinmedizin - Aktualisierte und erweiterte 3. Auflage. Augsburg: Wißner-Verlag, 2018.
Kochen MM. Hypertensiver Notfall? Hypertensive Krise? (Hypertensive Urgency? Hypertensive Emergency?) DEGAM-Benefit . Z Allg Med 2018; 94: 197-9. www.online-zfa.de
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Stand 2018. Pocket-Leitlinie: Management der arteriellen Hypertonie. leitlinien.dgk.org
Patel KK, Young L, Howell EH, Hu B, Rutecki G, Thomas G, Rothberg MB. Characteristics ans Outcomes of Patients Presenting With Hypertensive Urgency in the Office Setting. JAMA Intern Med 2016; 176(7): 981-8. doi:10.1001/jamainternmed.2016.1509 DOI
Henny-Fullin K, Buess D, Handschin A, Leuppi J, Dieterle Te. Hypertensive Krise. Therap Umschau 2015; 72: 405-11. doi:10.1024/0040-5930/a000693 DOI
2018 ESC/ESH Clinical Practice Guidelines for the Management of Arterial Hypertension. Stand 2018. www.escardio.org
Autorin
Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München