Definition:Das Serotonin-Syndrom (SS) ist ein potenziell lebensbedrohlicher Symptomkomplex, ausgelöst durch einen erhöhten Serotoninspiegel im ZNS. Der erhöhte Serotoninspiegel kann auf unterschiedliche Arten entstehen, z. B. durch Drogenkonsum, Medikamenten-Interaktionen oder auch -Überdosierung (dann häufig in suizidaler Absicht).
Häufigkeit:Es liegen keine genauen Zahlen vor. V. a. bei älteren PatientenPatient*innen mit Polypharmakotherapie wahrscheinlich unterdiagnostiziert.
Symptome:Die klinische Symptomatik variiert stark. Symptome beginnen in den meisten Fällen innerhalb von 24 Stunden nach Beginn oder Dosisänderung einer Medikation bzw. einer Überdosierung. Zu den häufigsten Symptomen gehören Verwirrung, Tremor, Schwitzen, Fieber, Palpitationen und Hyperreflexie.
Untersuchung:Zu den klinischen Befunden gehören neuromuskuläre, psychische und autonome Störungen.
Diagnostik:Die Diagnose wird klinisch gestellt. Die apparative Diagnostik kann aus differenzialdiagnostischen Gründen wichtig sein.
Therapie: Die Therapie besteht aus dem Absetzen des auslösenden Arzneimittels und evtl. Gabe von Serotoninantagonisten sowie einer symptomatischen Therapie.
Das Serotonin-Syndrom ist ein potenziell lebensbedrohlicher Symptomkomplex mit übermäßiger serotonerger Aktivität, der u. a. durch eine Überdosierung von serotonergen Wirkstoffen (Medikamente, Drogen) oder eine Hemmung des Abbaus von Serotonin hervorgerufen wird.1-3
Häufig werden die Symptome nicht als solche erkannt oder falsch interpretiert, v. a. bei älteren PatientenPatient*innen mit Polypharmakotherapie.4
Für die Behandlung des Syndroms sind eine frühzeitige Diagnose, das Absetzen des auslösenden Präparats, eine optimale symptomatische Therapie und in manchen Fällen auch eine spezifische Hemmung der Serotonin-Aufnahme wichtig.
Häufigkeit
Es liegen keine genauen Zahlen vor; bei einem verstärkten Gebrauch von serotonergen Medikamenten steigt die Inzidenz jedoch an.
Viele Fälle bleiben wahrscheinlich aufgrund der stark variierenden Symptomatik unentdeckt.3,5-6
Ätiologie und Pathogenese
Die Pathogenese der Serotonin-Syndroms ist nicht vollständig geklärt; scheinbar erzeugt nur die Stimulation spezifischer Serotoninrezeptoren ein Serotonin-Syndrom.5
Man geht davon aus, dass es auf verschiedene Arten zu einer Erhöhung des Serotoninspiegels im ZNS kommt, was letztlich zu einem Überangebot von Serotonin führt und für die Symptome des Serotonin-Syndroms verantwortlich ist.3,5
Die häufigste Ursache des Serotinin-Syndroms ist Polypharmazie mit Medikamenten, die zur Hemmung der Wiederaufnahme von Serotinin führen.5
Die gefährlichste Kombination ist dabei die Kombination aus einem SSRI oder SNRI plus MAO-Hemmer bzw. die Kombination zweier MAO-Hemmer.
Das Syndrom kann jedoch auch bei Monotherapie auftreten.7
Weitere mögliche Ursachen eines Serotonin-Syndroms:
Abnahme der Verstoffwechslung von Serotonin (z. B. durch MAO-Hemmer)
erhöhte Serotonin-Synthese (z. B. durch dietätische Nahrungsergänzungsmittel wie L-Tryptophan)
erhöhte Serotonin-Freisetzung (z. B. durch Psychostimulanzien wie Amphetamine, MDMA, Kokain, aber auch Arzneimittel wie SSRI, SNRI, trizyklische Antidepressiva oder Opioide)
Aktivierung serotonerger Rezeptoren (z. B. durch LSD, Opioide oder Lithium)
Entgegen der langjährigen Annahme, dass auch die gleichzeitige Einnahme von Triptanen und SSRI/SNRI mit einem erhöhten Risiko für ein Serotonin-Syndrom einhergeht, konnte dieser Zusammenhang in einer 2018 veröffentlichten Studie nicht belegt werden.8
Die häufigsten auslösenden Mechanismen und Substanzen – serotonerge Wirkmechanismen9
Hemmung des Serotoninabbaus
MAO-Hemmer (z. B. Tranylcypromin, Moclobemid)
Medikamente, die die Wiederaufnahme von Serotonin reduzieren.
SSRI (z. B. Fluoxetin, Fluvoxamin, Sertralin, Citalopram, Paroxetin)
SNRI (z. B. Venlaflaxin)
trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Clomipramin)
Möglicherweise gibt es genetische Polymorphismen, die mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten eines Serotonin-Syndroms einhergehen – dieses Phänomen wird aktuell weiter untersucht und ist noch nicht Gegenstand des klinischen Alltags.5
ICPC-2
A85 Unerwünschte Wirk. eines Medikaments
A87 Komplikation medizin. Behandlung
ICD-10
G25.1 Arzneimittelinduzierter Tremor
X49.9! Akzidentelle Vergiftung
X84.9! Absichtliche Selbstbeschädigung
Y57.9! Komplikationen von Arzneimitteln
T88.7 Nicht näher bezeichnete unerwünschte Nebenwirkung eines Arzneimittels oder einer Droge
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Die Symptome variieren je nach Person und unterscheiden sich in ihrer Stärke.
Die Diagnose wird gestellt anhand der Symptome, der Befunde sowie der zugrunde liegenden relevanten Pharmakotherapie.
Mithilfe der Hunter-Kriterien kann der Verdacht erhärtet werden.3,5
Vor allem zu Beginn einer serotonergen Medikation oder bei Dosisänderung sollte auf mögliche Symptome eines Serotonin-Syndroms verstärkt geachtet werden.
Üblicherweise entsteht das Syndrom, nachdem zwei oder mehr serotonerge Arzneimittel kombiniert wurden; das Syndrom kann jedoch auch bei Monotherapie auftreten.
Die meisten Fälle bei Erwachsenen treten im Zusammenhang mit einer kürzlich begonnenen oder geänderten Pharmakotherapie auf.
Bei Kindern und Jugendlichen tritt das Syndrom in der Regel nach einer Überdosis, häufig in suizidaler Absicht, auf.1
Bei einigen PatientenPatient*innen treten Symptome bereits wenige Minuten nach der Einnahme der Arzneimittel auf.
In den meisten Fällen treten Symptome 6–24 Stunden nach Medikationsbeginn oder Überdosierung auf.7
28 % der PatientenPatient*innen zeigen bereits innerhalb der ersten Stunde nach Einnahme Symptome, 61 % innerhalb von 6 Stunden.10
Es ist zu bedenken, dass das Syndrom auch durch rezeptfreie Medikamente, illegale Drogen und Nahrungsergänzungsmittel ausgelöst werden kann.11-13
Andere Symptome können disseminierte intravaskuläre Koagulation, Hyperreflexie, Ataxie, Multiorganversagen, Myoklonus, okulärer Klonus und Krämpfe sein.
In schweren Fällen kann es zu einer Trübung des Bewusstseins kommen, die Pupillen zeigen sich erweitert und häufig lichtstarr.
Bei Verdacht auf ein Serotonin-Syndrom sollte eine Einweisung in ein Krankenhaus erfolgen, damit eine frühzeitige adäquate Therapie eingeleitet werden kann.
Therapie
Therapieziele
Symptome lindern.
Komplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
Für die Behandlung des Syndroms ist Folgendes wichtig:
frühzeitige Diagnose
Absetzen des auslösenden Präparats
optimale symptomatische Therapie
in bestimmten Fällen auch die spezifische Hemmung der Serotoninaufnahme.
Die Behandlungsintensität hängt vom Schweregrad des Syndroms ab.14
In leichten Fällen sind die Symptome von kurzer Dauer (24–72 Stunden), und das Absetzen der serotonergen Medikation ist in Kombination mit weiterer Beobachtung oft ausreichend.
Bei mittelschweren bis schweren Fällen, gekennzeichnet durch Hypertonie, Hyperthermie, autonome Instabilität oder progressive Verhaltensänderungen, ist ein längerer stationärer Aufenthalt erforderlich.13,15
Eine symptomatische, evtl. spezifische medikamentöse Therapie kann indiziert sein.
Aufgrund der Gefahr gefährlicher Arrhythmien und Komplikationen wie z. B. Rhabdomyolyse oder Multiorganversagen ist eine intensivmedizinische Überwachung bei schweren Symptomen erforderlich.
intravenöse Behandlung mit Benzodiazepinen
Starke und anhaltende Muskelrigidität und Hyperthermie sollten aktiv behandelt werden.
Empfohlen werden Sedierung, Muskelrelaxation und Intubation.
Da die Hyperthermie v. a. durch erhöhte Muskelaktivität zu erklären ist, kommen Antipyretika nicht zum Einsatz.
Zur Kühlung eignet sich daher eine Sedierung zur Reduktion der Muskelaktivität und aktive Kühlmechanismen (Coolpacks, Ventilatoren, etc.).
Prävention
Vorsicht bei der Kombination mehrerer serotonerger Medikamente
PatientenPatient*innen sollten über mögliche Nebenwirkungen serotonerger Medikamente ausführlich aufgeklärt werden, um mögliche Symptome eines Serotonin-Syndroms frühzeitig zu erkennen.3
Kontraindiziert ist die Kombination von MAO-Hemmern mit Serotonin-Agonisten (z. B. SSRI, Clomipramin) wegen der Gefahr des Serotonin-Syndroms.
Soll ein SSRI, SNRI oder Clomipramin auf einen MAO-Hemmer umgestellt werden, wird ein Sicherheitsabstand von 2 Wochen empfohlen.
Bei Umstellung von Fluoxetin auf einen MAO-Hemmer sollte der Sicherheitsabstand 5 Wochen betragen.17
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Bei den meisten PatientenPatient*innen kommt es innerhalb von 24 Stunden nach einer Medikamenteneinstellung oder Überdosierung zu Symptomen.7
Nach Absetzen des auslösenden Arzneimittels erholen sich ca. 70 % der PatientenPatient*innen innerhalb von 24 Stunden komplett.
40 % benötigen intensivmedizinische Überwachung, 25 % werden intubationspflichtig.5
Bei einer frühzeitigen und adäquaten Therapie tritt schnell Besserung ein.
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AutorenAutor*innen
Laura Morshäuser, Ärztin, Freiburg im Breisgau
OlavDie Thorsenursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, spesialist allmennmedisin, Klubbgaten legesenter, Stavangerhttps://legehandboka.no/).
Definition:Das Serotonin-Syndrom (SS) ist ein potenziell lebensbedrohlicher Symptomkomplex, ausgelöst durch einen erhöhten Serotoninspiegel im ZNS. Der erhöhte Serotoninspiegel kann auf unterschiedliche Arten entstehen, z. B. durch Drogenkonsum, Medikamenten-Interaktionen oder auch -Überdosierung (dann häufig in suizidaler Absicht).