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Verletzung des medialen Kollateralbandes

Zusammenfassung

  • Definition:(Partielle) Ruptur des Ligamentum collaterale mediale bei Valgustrauma des Kniegelenks.
  • Häufigkeit:Häufigste Bandverletzung des Kniegelenks.
  • Symptome:Medialseitige Schmerzen und Instabilität des Kniegelenks.
  • Befunde:Druckschmerz über dem Bandverlauf, bei vollständiger Ruptur vermehrte mediale Aufklappbarkeit des Kniegelenks.
  • Diagnostik:Traumaanamnese, körperliche Untersuchung, ggf. Sonografie. Zum Ausschluss von Begleitverletzungen Röntgen und evtl. MRT.
  • Therapie:Konservative Therapie bei isolierter Bandverletzung, auch bei vollständiger Ruptur.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonym: Lig. collaterale mediale, tibiales Seitenband, Innenband
  • (Partielle) Ruptur des Innenbands, die bei einem Valgustrauma des Kniegelenks auftreten kann.
  • Klassifikation nach O'Donoghue1
    • Grad I: Einzelne Fasern gerissen, strukturell größtenteils intakt
    • Grad II: inkomplette Ruptur ohne pathologische Laxizität
    • Grad III: vollständige Ruptur des Bandes mit pathologischer Laxizität
  • „Unhappy Triad": Kombination aus medialer Kollateralbandverletzung, VKB-Ruptur und Verletzung des medialen Meniskus

Häufigkeit

  • Sehr häufige Sportverletzung
  • Das Innenband ist das Band des Kniegelenks, das am häufigsten verletzt wird.1
  • Bei jungen sportlichen Erwachsenen Inzidenz von 7,3 auf 1.000 Personenjahre2
  • Oft Kombination mit anderen Knieverletzungen
    • bei Verletzungen vom Grad III in 78 % der Fälle zusätzlich Verletzung des vorderen Kreuzbands und in 25 % der Fälle des medialen Meniskus1

Klinische Anatomie

  • Das mediale Kollateralband verläuft deltaförmig vom medialen Femurepikondylus zur medialen proximalen Tibia.
  • Das Kollateralband ist mit dem Innenmeniskus verwachsen, weswegen es häufig zu Kombinationsverletzungen kommt.
  • Funktion
    • seitliche Stabilisierung des Kniegelenks
    • in Streckstellung zudem Hemmung der Rotation des Kniegelenks

Ätiologie und Pathogenese

  • Valgustrauma, häufig mit einer Rotationskomponente
  • Beispiel: beim Sport gegnerischer Anprall von lateral gegen das Kniegelenk

Prädisponierende Faktoren

  • Kontaktsportarten
    • Judo, Rugby, Fußball2
    • Handball3

ICPC-2

  • L96 Akuter Kniebinnenschaden

ICD-10

  • S83.42 Distorsion des tibialen Seitenbandes (Innenband)
  • S83.44 Riss des tibialen Seitenbandes inkl. partieller oder kompletter Riss

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Adäquates Trauma mit Valgusstress
  • Mediale Knieschmerzen
  • Bei Ruptur Grad III vermehrte mediale Aufklappbarkeit des Kniegelenks

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Exakte Beschreibung des Verletzungsmechanismus3
    • Schnelligkeit und Bewegungsrichtung beim Auftreten der Verletzung
    • Vorhandensein einer starken Rotationskomponente (Cave: typisch für begleitende Kreuzbandverletzung!)
    • bei Sport: Präsenz oder Abwesenheit eines Gegnerkontakts
    • typisches Trauma für mediale Kollateralbandverletzung: Valgusstress
  • Anschließendes Aufstehen möglich? Instabilitätsgefühl?
  • Bisherige Verletzungen und Operationen am betroffenen Knie

Klinische Untersuchung

Allgemeines

  • Untersuchung im Seitenvergleich an entkleideten Patient*innen
  • Inspektion
    • Schwellung?
      • Hämarthros fast nur bei begleitender Binnenschädigung des Kniegelenks, sehr selten bei isolierter Seitenbandruptur
    • Hämatom im Verlauf des Ligaments?
  • Palpation
    • Druckschmerz über dem Bandverlauf (mediales Kniegelenk von Epicondylus femoris medialis nach distal zur medialen Tibia)
      • Flaches Band, das oft nicht eindeutig getastet werden kann.
    • „tanzende Patella" als Zeichen für Kniegelenkserguss (Hinweis für Begleitverletzungen)
  • Funktionstest
    • Dokumentation des Bewegungsumfangs 

Spezifische Funktionstest

  • Test der Seitenstabilität
  • Die Untersuchung erfolgt einmal bei gestrecktem und einmal bei 20–30 Grad gebeugtem Knie.
    • Bei gestrecktem Knie sind die Kollateralbänder maximal gespannt.
  • Durchführung
    • Patient*in entspannt in Rückenlage
    • Ausübung von Valgusstress durch Untersucher*in (Druck von lateral auf das Kniegelenk)
    • positiv: vermehrte Aufklappbarkeit im Seitenvergleich
    • Ein positiver Valgustest bei voller Extension deutet auf eine kombinierte Verletzung des medialen Kollateralbandes mit einer Verletzung des Kreuzbandes und der Gelenkkapsel hin.
  • Stabilitätstests können in der akuten Phase aufgrund der Schmerzen schwer durchzuführen und zu interpretieren sein und sind ggf. zu wiederholen.

Evtl. weitere Untersuchungen

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Sonografie 
    • schnell verfügbare Untersuchung zur Darstellung der Bandstruktur
  • Röntgen
    • zum Ausschluss von Frakturen oder knöchernen Begleitverletzungen
  • MRT
    • zum Ausschluss weiterer Kniebinnenschädigungen

Indikationen zur Überweisung

  • Eine isolierte mediale Kollateralbandverletzung wird in der Regel unabhängig vom Grad der Verletzung konservativ behandelt und kann somit auch in der Hausarztpraxis versorgt werden.
    • Eine vollständige Ruptur mit vermehrter medialer Aufklappbarkeit und/oder ein Gelenkerguss deuten auf ein schwerwiegenderes Trauma hin. In diesem Fall empfiehlt sich eine Mitbeurteilung durch Spezialist*innen, um Begleitverletzungen nicht zu übersehen.
  • Überweisung auch bei diagnostischer Unsicherheit und bei persistierender Instabilität nach > 6 Wochen

 

Checkliste zur Überweisung

Ligamentverletzung

  • Zweck der Überweisung
    • Bestätigende Diagnostik? Konservative Therapie? Operative Therapie?
  • Anamnese
    • Beginn und Dauer? Trauma? Trauma-Mechanismus?
    • Schmerzen? Schmerzauslösende Situationen? Hydrops? Gelenkblockaden?
    • Verlauf und Entwicklung? Anhaltende Beschwerden?
    • Bisher durchgeführte Therapie und Ansprechen darauf?
    • Sonstige relevante Erkrankungen?
    • Regelmäßige Medikamente?
    • Folgen: Funktionsverlust? Arbeitsunfähigkeit?
  • Klinische Untersuchung
    • Lokalisierung der Schmerzen? Schmerzempfindlicher Gelenkspalt? Schwellung? Eingeschränkte Beweglichkeit? 
    • Positive Meniskuszeichen (z. B. Thessaly, Apley-Grinding)
    • Seitenstabilität (Kollateralband)?
    • Schubladentest (Kreuzband)?
  • Ergänzende Untersuchungen
    • Sonografie
    • Röntgen
    • Evtl. MRT des Kniegelenkes? 

Therapie

Therapieziele

  • Schmerzlinderung
  • Wiederherstellung der Stabilität und Funktionsfähigkeit im Knie

Allgemeines zur Therapie

  • Isolierte Verletzungen des medialen Kollateralbandes werden konservativ behandelt.
    • Durch den breiten, fächerförmigen Verlauf des Bandes besteht eine sehr gute Selbstheilungstendenz.
  • Chirurgische Behandlung, auch bei höhergradigen Verletzungen, führt nicht zu besseren Ergebnissen als konservative Therapie.1,4

Primärversorgung

  • Akute Behandlung mit Pause, Eis, Kompression, Hochlagerung (PECH-Schema)
  • NSAR topisch oder oral zur Schmerzlinderung
  • Ggf. Unterarmgehhilfen
  • Leitliniengerechte Thromboseprophylaxe (Frühmobilisation, Anleitung zu Eigenaktivierung der Wadenmuskulatur und medikamentöse Thromboseprophylaxe)5
  • Flexible Kniegelenksorthese zur Stabilisierung6

Bei Spezialist*in

  • Bei massivem Hämarthros Punktion zur Schmerztherapie (beim Vorliegen von „Fettaugen" als Zeichen für ossäre Verletzung zeitnahe Schnittbilddiagnostik anstreben)6

Rehabilitation

  • Rehabilitationstraining als Heimübungen oder unter physiotherapeutischer Anleitung
    • Bewegungsübungen des Kniegelenks ohne Gewichte schnell beginnen.
    • im Verlauf Stabilitäts-, Propriozeptiv- und Funktionstraining 
      • insbesondere Kräftigung des M. vastus medialis des M. quadriceps femoris
  • Ablauf des Rehabilitationsprogramms1
    • Einsatz von Unterarmgehhilfen, bis schmerzfreies Gehen möglich ist.
    • Lauftraining kann begonnen werden, sobald Gehen mit Vollbelastung des Körpergewichts ohne Instabilitätsgefühl möglich ist.
    • Sobald Kurvenlaufen und abrupte Richtungswechsel schmerzfrei und ohne Instabilitätsgefühl möglich sind, kann mit sportartspezifischen Übungen begonnen werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Durchschnittliche Ausfallzeit bezüglich sportlicher Aktivitäten 3 Wochen2
    • bei vollständiger Ruptur in der Regel mindestens 6 Wochen Ausfallzeit1
  • Belastungsschmerzen können auch noch nach einigen Monaten auftreten.

Komplikationen

  • Chronische Instabilität

Prognose

  • Die Prognose ist gut. 
  • Abhängig vom Verletzungsgrad ist ein voll belastbares Kniegelenk nach wenigen Wochen (Grad I) bis einigen Monaten (Grad III) zu erwarten.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Eine chirurgische Therapie verbessert nicht die Prognose. Therapie der Wahl bei einer isolierten Innenbandverletzung ist die konservative Behandlung.
  • Eine zu frühe Rückkehr zu sportlichen Aktivitäten kann zu einer Reruptur führen.
    • Rückkehr zum Sport erst bei völligem Stabilitätsgefühl im Kniegelenk
  • Propriozeptive Übungen und Kräftigung der Oberschenkelmuskulatur können präventiv Folgeverletzungen am Kniegelenk verhindern.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Kniegelenk mit Meniskus
Kniegelenk mit Meniskus

Quellen

Leitlinien

  • Arbeitsgem. der Wiss. Medizin. Fachgesellschaften. Prophylaxe der venösen Thromboembolie. AWMF-Leitlinie Nr. 003-001. S3, Stand 2015 (abgelaufen). www.amwf.org

Literatur

  1. DeBeardino TM. Medial collateral knee ligament injury. Medscape, last updated May 31, 2017. emedicine.medscape.com
  2. Roach CJ, Haley CA, Cameron KL, et al. The epidemiology of medial collateral ligament sprains in young athletes. Am J Sports Med 2014; 42(5): 1103-9. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Seil R, Nührenbörger C, Lion A, et al. Knieverletzungen im Handball. Sports Orthopaedics and Traumatology Sport-Orthopädie - Sport-Traumatologie 2016; 32(2): 154-64. www.sciencedirect.com
  4. Miyamoto RG, Bosco JA, Sherman OH. Treatment of medial collateral ligament injuries. J Am Acad Orthop Surg 2009 Mar;17(3):152-61. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  5. AWMF Arbeitsgem. der Wiss. Medizin. Fachgesellschaften. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie. AWMF-Leitlinie 003-001, Stand 2015 www.awmf.org
  6. Schuster P, Schlumberger M. Handlungsalgorithmus: Kniegelenksdistorsion. Knie Journal 2020; 2: 140-42. link.springer.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
S8342 Distorsion; S8344 Riss
sideligament; Kollateralligamentskade, medial; skade ligament; kollateralligament
L96
Mediale Verletzung des Kollateralbandes; Ruptur des Ligamentum collaterale mediale; Tibiales Seitenband; Innenband; Meniskusverletzung; Kreuzbandverletzung; Gelenkkapselverletzung; Knieschmerzen; Valgustrauma am Knie; Knie-Orthese; Seiteninstabilität; Knieverletzung
Verletzung des medialen Kollateralbandes
U-NH 23.11.17
Revision at 12.07.2013 08:44:09: Revidert i henhold til Lægehåndbogen. Moderate endringer. chck go 9.8. Lit. muss aktualisiert werden
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Definition:(Partielle) Ruptur des Ligamentum collaterale mediale bei Valgustrauma des Kniegelenks. Häufigkeit:Häufigste Bandverletzung des Kniegelenks. Symptome:Medialseitige Schmerzen und Instabilität des Kniegelenks.
Orthopädie/Unfallchirurgie
Kollateralbandverletzung, mediale
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