Die Größenabweichung wird auf Grundlage des Gewichts im Verhältnis zu dem im jeweiligen Gestationsalter zu erwartenden Gewicht beurteilt.1-2
AGA
normalgewichtige Kinder („appropriate for gestational age“, AGA)
SGA
zu klein für das Gestationsalter („small for gestational age“, SGA); definiert als ein Gewicht unter der zehnten Perzentile des jeweiligen Alters
LGA
zu groß für das Gestationsalter („large for gestational age“, LGA); Gewicht über der 90. Perzentile des jeweiligen Alters
IUGR
Intrauterine Wachstumsretardierung
Abnahme des fetalen Wachstum bei aufeinanderfolgenden Messungen
wird als ein Gewicht unter der zehnten Perzentile bezogen auf das Gestationsalter definiert, wobei das Wachstum des Fetus intrauterin aufgrund eines pathologischen Prozesses gehemmt wurde. Es handelt sich also um einen klinischen Begriff. SGA beruht dagegen auf einer statistischen Definition.
Häufigkeit
Eine fetale Wachstumsretardierung liegt in 3–10 % der Schwangerschaften vor.1,3
Ein zu hohes Gewicht (LGA) ist mit maternalem Diabetes und allgemein mit einem Übergewicht der Mutter assoziiert.
Diagnostische Überlegungen
Klinisch sind die Veränderungen des Symphysen-Fundus-Abstands (SFA) der wichtigste Anhaltspunkt zur Kontrolle des fetalen Wachstums.
Ein zu großer SFA kann auf eine Zwillingsschwangerschaft, eine fehlerhafte Berechnung des Entbindungstermins, einen zu großen Fetus oder ein Polyhydramnion zurückzuführen sein.
Ein zu kleiner SFA kann auf eine fehlerhafte Berechnung des Entbindungstermins, einen zu kleinen Fetus oder ein Oligohydramnion zurückzuführen sein.
Eine abgeflachte Kurve kann auf eine Wachstumsretardierung zurückzuführen sein.
Eine zu steil ansteigende Kurve kann auf eine Zwillingsschwangerschaft oder einen zu großen Fetus zurückzuführen sein.
Wachstumsretardierung
Bei einem unterdurchschnittlichen fetalen Wachstum steigt das Risiko schwerer Komplikationen bei der Geburt des Kindes. Ein erhöhtes Risiko besteht auch, wenn die Wachstumsretardierung früh in der Schwangerschaft beginnt4 und sich bereits in der Ultraschalluntersuchung in der 19.–22. SSW abzeichnet.
Aus aktuellen Forschungsergebnissen des norwegischen Geburtsregisters (Medisinsk fødselsregister, Nasjonalt folkehelseinstitutt) geht hervor, dass 12 % der Fälle fetaler Wachstumsretardierung auf das Rauchen zurückzuführen sind. Auch Bluthochdruck und ein erhöhter Hämatokritanteil können zu einer Wachstumsretardierung führen.5-6
Die fetale Wachstumsretardierung wirkt sich auf verschiedene Weise negativ auf den Fetus, die weitere Entwicklung des Kindes und den Erwachsenen aus.
Konsultationsgrund
Eine Größenabweichung wird in der Regel bei der Messung des SFA im Rahmen der Routinekontrolle erkannt.
Die Messung des SFA ist eine Methode mit relativ geringer Sensitivität. Größere Sicherheit bietet eine wiederholte Ultraschallmessung.
Mögliche Fehldiagnosen
Makrosomie bei schlecht eingestelltem Diabetes der Mutter
Zwillinge
Oligohydramnion oder Polyhydramnion
ICPC-2
A93 Unreifes Neugeborenes
A94 Perinatale Erkrankung, andere
W92 Kompliz. Entbindung, Lebendgeburt
ICD-10
P05 Intrauterine Mangelentwicklung und fetale Mangelernährung
P05.0 Für das Gestationsalter zu leichte Neugeborene
P05.1 Für das Gestationsalter zu kleine Neugeborene
P05.2 Fetale Mangelernährung des Neugeborenen ohne Angabe von zu leicht oder zu klein für das Gestationsalter
P05.9 Intrauterine Mangelentwicklung, nicht näher bezeichnet
O36 Betreuung der Mutter wegen sonstiger festgestellter oder vermuteter Komplikationen beim Feten
O36.5 Betreuung der Mutter wegen fetaler Wachstumsretardierung
O36.6 Betreuung der Mutter wegen fetaler Hypertrophie
O40 Polyhydramnion
Differenzialdiagnosen
Zu groß für das Gestationsalter (LGA-Kinder)
Meist liegt eine genetische Ursache zugrunde.
Patientinnen mit Diabetes mellitus, die schlecht eingestellt sind, bekommen unter Umständen zu große Kinder, bei denen es zu einer erhöhten subkutanen Fetteinlagerung (Makrosomie), einer Flüssigkeitsretention, einem instabilen Blutzucker, Atembeschwerden und intrakraniellen Blutungen kommen kann.
Auch bei Übergewicht der Mutter steigt die Wahrscheinlichkeit eines zu hohen Geburtsgewichts.
Bei Feten mit einem Gewicht von mehr als 4.500 g besteht ein erhöhtes Risiko von Geburtskomplikationen wie einer Hypoxie, einer Mekoniumaspiration, Frakturen und/oder Nervenschäden.
Bei den Müttern besteht ein erhöhtes Risiko von Blutungen nach der Geburt und Verletzungen des Geburtskanals.
Zu klein für das Gestationsalter (SGA-Kinder)
Genetik
Bis zu 70 % der Neugeborenen, die für das Gestationsalter zu klein sind, sind aufgrund konstitutioneller Faktoren zu klein (genetische Faktoren, Größe und Gewicht der Mutter, Geschlecht).
Erbkrankheiten, Chromosomenanomalien (bis zu 20 %) und Nierenerkrankungen spielen eine Rolle.
Medikamente (Zytostatika, Kortikosteroide), hohes maternelles Alter (>40 Jahre), Uterusanomalien und eine Mutter, die selbst ein niedriges Geburtsgewicht hatte.
Zwillinge
Nach der 20. SSW nimmt die Wachstumskurve von Zwillingen bis zur Geburt hin ab.
Bei einer monochorialen Schwangerschaft kommt es zu einer fetofetalen Transfusion mit unterschiedlichem Wachstum der beiden Feten.
Plazentainsuffizienz, Infektionen und Fehlbildungen können bereits vor der 32. Schwangerschaftswoche eine fetale Wachstumsverzögerung verursachen (frühe Wachstumsretardierung).
Polyhydramnion
Ein Polyhydramnion kompliziert 0,5–2,0 % der Schwangerschaften.
Es ist als eine Fruchtwassermenge von mehr als zwei Litern zum Termin, einem Fruchtwasserindex von über 20 cm oder im Ultraschall darstellbaren größten Fruchtwasserdepot mit einer Größe von mehr als 8 cm definiert.
Bei der Ultraschalluntersuchung ist der Fruchtwasserindex (Amniotic Fluid Index, AFI) die Methode, die am zuverlässigsten Aufschluss über die tatsächliche Fruchtwassermenge gibt. Der AFI ist vom Gestationsalter abhängig.
Mögliche Ursachen sind Fehlbildungen des zentralen Nervensystems, Fehlbildungen des Magen-Darm-Trakts (Atresien, Stenosen), multiple Fehlbildungen (Herzfehler, Zystennieren), Gefäßanomalien der Plazenta und Erkrankungen der Mutter oder des Fetus. In manchen Fällen ist keine Ursache auszumachen.
Es besteht ein erhöhtes Risiko einer Frühgeburt, respiratorischer Beschwerden bei der Mutter, eines Nabelschnurvorfalls und einer fetalen Lageanomalie bei der Geburt.
Oligohydramnion
Ein Oligohydramnion ist als eine Fruchtwassermenge von weniger als 200 ml zum Termin definiert. In Bezug auf den Ultraschall gibt es verschiedene Definitionen, u. a. dass ein Oligohydramnion vorliegt, wenn keine Fruchtwasserdepots mit einer vertikalen Größe von mindestens 2 cm nachweisbar sind oder ein Fruchtwasserindex von weniger 5 cm vorliegt.
Mögliche Ursachen sind Kreislaufstörungen des Fetus, die zu einer verminderten Urinproduktion führen, Nierenfehlbildungen oder ein Blasensprung.
In der Folge kann es beim Fetus zu einer beeinträchtigten Lungenreifung und (traumatischen) Fehlstellungen des Muskel-/Skelettsystems kommen.
Hämoglobin: Erhöhte Werte (über 13,5 g/dl in SSW 30) deuten auf eine mangelhafte physiologische Hämodilution hin, was den Verdacht einer verminderten Blutversorgung des Uterus und der Plazenta begründet.
Urinkultur, asymptomatische Bakteriurie kann mit Wachstumsretardierung einhergehen.
Andere Untersuchungen
Beim Gynäkologen sollten ein Ultraschall und eine CTG-Aufzeichnung erfolgen.
Auf Grundlage des Kopfumfangs, des Abdominalumfangs und der Femurlänge des Kindes im Ultraschall wird das Gewicht geschätzt.7
Die Messung des Abdominalumfangs des Kindes bietet die höchste Sensitivität.8
Bei Verdacht auf eine Wachstumsretardierung ermöglichen wiederholte Ultraschallmessungen eine genauere Beurteilung des Zustands des Fetus.
Mithilfe der Ultraschalluntersuchung in der Frühschwangerschaft können Mehrlingsschwangerschaften frühzeitig entdeckt und der Geburtstermin besser berechnet werden, was wiederum die Anzahl der Geburtseinleitungen aufgrund von Terminüberschreitungen reduziert.9
Im Fall einer Wachstumsretardierung sind auch Messungen des Blutflusses vorzunehmen.
Maßnahmen und Ratschläge
Überweisungen
Bei Verdacht auf eine Wachstumsretardierung sollten Sie die Patientin ggf. an einen spezialisierten Facharzt überweisen.
Liegt das berechnete Gewicht des Kindes über der 95. Perzentile, kann eine Einleitung der Geburt vor dem Termin indiziert sein.10
Checkliste zur Überweisung
Fetales Wachstum und Größenabweichung
Zweck der Überweisung
Bestätigende Diagnostik? Therapie? Sonstiges?
Anamnese
Gestationsalter? Ein Verdacht auf eine Größenabweichung ist durch eine Kurve der Symphysen-Fundus-Messungen zu belegen.
Zu großer SFA: Zwillingsschwangerschaft, fehlerhafte Berechnung des Entbindungstermins, zu großer Fetus oder Polyhydramnion? Zu kleiner SFA: fehlerhafte Berechnung des Entbindungstermins, zu kleiner Fetus oder Oligohydramnion? Kann eine abgeflachte Kurve auf eine Wachstumsretardierung zurückzuführen sein?
Schreiben Sie die Patientin bei gesicherter und erheblicher Wachstumsretardierung umgehend krank und weisen Sie sie zur weiteren Untersuchung und ggf. zur Entbindung in ein Krankenhaus ein.
Maßnahmen und Empfehlungen
Die Patientin sollte mit dem Rauchen aufhören!
Bei Vorliegen eines Oligohydramnions kann durch die zusätzliche Aufnahme von Flüssigkeit die Fruchtwassermenge nachweislich erhöht werden11, es ist jedoch nicht geklärt, welche klinischen Auswirkungen dies hat.
Maßnahmen bei einer Wachstumsretardierung
Kortikosteroide
Bei zu früh geborenen Kindern kann es nach der Geburt zu einem Atemnotsyndrom oder Hirnblutungen kommen. Deshalb sollten der Mutter bei einer drohenden Frühgeburt und einer geplanten Entbindung vor der 34. SSW in einem Abstand von 24 Stunden zwei Dosen Kortikosteroide verabreicht werden.
Entbindung
Liegt in der 34.–37. SSW bei normalem Blutfluss und ohne Präeklampsie eine Wachstumsretardierung vor, wird mit der Entbindung häufig bis nach der 37. SSW gewartet.
Liegt jedoch gleichzeitig eine Präeklampsie oder eine starke Wachstumsretardierung mit beeinträchtigtem Blutfluss vor, ist häufig eine Einleitung der Geburt vor der 37. Woche indiziert.
Weitere mögliche Indikationen sind ein fetaler Wachstumsstillstand, pathologische CTG- oder Dopplerbefunde, eine geringe Fruchtwassermenge oder der Zustand der Mutter.
Maßnahmen bei einem zu hohen Gewicht des Kindes
Einer randomisierten Studie zufolge kann bei Kindern mit einem geschätzten Gewicht über der 95. Perzentile durch eine Einleitung der Geburt zwischen SSW 37+0 und 38+6 das Risiko einer Schulterdystokie und von Nervenschäden verringert werden.10
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patientin informieren?
Der Konsum von Zigaretten kann beim Kind zu einem gehemmten Wachstum führen.
Ein hoher Alkoholkonsum verursacht eine Wachstumsretardierung.
Welche schriftlichen Patienteninformationen gibt es dazu?
Lin CC, Santolaya-Forgas J. Current concepts of fetal growth restriction: part I. Causes, classification, and pathophysiology. Obstet Gynecol 1998; 92: 1044-55. PubMed
Westergaard HB, Langhoff-Roos J. Doppler ultrasonography in singleton pregnancies at risk of intrauterine growth retardation - a national estimate. Acta Obstet Gynecol Scand 2002; 81(6): 534-9. PubMed
Rasmussen S, Kiserud T, Albrechtsen S. Foetal size and body proportion at 17?19 weeks of gestation and neonatal size, proportion, and outcome. Early Human Development 2006; 82: 683-90. PubMed
Rasmussen S, Irgens LM. The effects of smoking and hypertensive disorders on fetal growth. BMC Pregnancy and Childbirth 2006; 6: 16. PubMed
Mook-Kanamori DO, Steegers EA, Eilers PH, Raat H, Hofman A, Jaddoe VW. Risk factors and outcomes associated with first-trimester fetal growth restriction. JAMA 2010; 303: 527-34. PubMed
Whitworth M, Bricker L, Mullan C. Ultrasound for fetal assessment in early pregnancy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 7. Art. No.: CD007058. DOI: 10.1002/14651858.CD007058.pub3. DOI
Lin CC, Santolaya-Forgas J. Current concepts of fetal growth restriction: part II. Diagnosis and management. Obstet Gynecol 1999; 93: 140-6. PubMed
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Boulvain M, Senat M-V, Perrotin F, et al. Induction of labour versus expectant management for large-for-date fetuses: a randomised controlled trial. Lancet 2015. doi:10.1016/S0140-6736(14)61904-8 DOI
Hofmeyr GJ, Gülmezoglu AM, Novikova N. Maternal hydration for increasing amniotic fluid volume in oligohydramnios and normal amniotic fluid volume. Cochrane Database of Systematic Reviews 2002, Issue 1. Art. No.: CD000134. DOI: 10.1002/14651858.CD000134. DOI
Autoren
Julia Trifyllis, Dr. med., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W.
Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Trondheim
Rikke Nue Møller, Vicechefjordemoder, Center for føtalmedicin og ultralyd
Peter Damm, klinisk professor, overlæge, dr.med., Obstetrisk klinik, Rigshospitalet
Per Bergsjø, professor emeritus, dr. med., Universitetet i Bergen. Spesialist i kvinnesykdommer og fødselshjelp, forsker ved Nasjonalt folkehelseinstitutt, Oslo
Die Größenabweichung wird auf Grundlage des Gewichts im Verhältnis zu dem im jeweiligen Gestationsalter zu erwartenden Gewicht beurteilt.1-2 AGA
normalgewichtige Kinder („appropriate for gestational age“, AGA)
Schwangerschaft/Geburtshilfe
Fetales Wachstum und Größenabweichung
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