Definition:Stuhlinkontinenz ist das unfreiwillige Austreten von Stuhl, meist durch altersbedingtes Nachlassen der Sphinkterfunktion. Bei Frauen häufig Folge einer Verletzung der Schließmuskulatur bei der Entbindung.
Häufigkeit:Tritt bei bis zu 10 % der älteren Menschen auf.
Symptome:Die Symptome können von Flatusinkontinenz, minimalem Austreten von Stuhl und Schwierigkeiten bei der Reinigung bis zur wiederholten Enkopresis reichen.
Befunde:Evtl. verminderter Sphinktertonus, herabgesetzter oder fehlender Analreflex, anale Erkrankungen wie Hämorrhoiden, Analekzem, Z. n. Dammriss.
Diagnostik:Anamnese, Inspektion und digitale Untersuchung von Anus und Rektum, anorektale Endosonografie, ggf. weiterführende Bildgebung.
Therapie:An erster Stelle steht die Behandlung der Inkontinenzursache, z. B. die chirurgische Versorgung eines Dammrisses. Zur symptomorientierten Behandlung chronischer Inkontinenz genügen dagegen meist allgemeine Maßnahmen wie Ernährungsumstellung, Toilettentraining, Analpflege und Physiotherapie, ggf. ergänzt durch Biofeedback und anale Elektrostimulation. Seltener sind invasive Verfahren angezeigt, wie Neurostimulation oder Implantation von Füllstoffen.
Allgemeine Informationen
Dieser Artikel umfasst Informationen zur Stuhlinkontinenz im Erwachsenenalter. Zur Stuhlinkontinenz im Kindesalter siehe Artikel Enkopresis.
Dier gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-7
Definition
Stuhlkontinenz (Definition nach WHO): Fähigkeit, Stuhlgang willentlich ort- und zeitgerecht abzusetzen.
Stuhlinkontinenz: unwillkürliches Austreten von flüssigem oder festem Stuhl aus dem Anus
Analinkontinenz: Umfasst zusätzlich den Abgang von Schleim oder Gas (Flatusinkontinenz).
Die Begriffe Stuhlinkontinenz und Analinkontinenz werden oft synonym verwendet.
Weitere Synonyme: Mastdarminkontinenz, rektale Inkontinenz
Überlaufinkontinenz: Inkontinenz als Folge einer unzureichenden Entleerung des Rektums. Dabei kann es zu Stuhlausmauerung (Fecal Impaction) oder auch zu paradoxer Diarrhö kommen.
Häufigkeit
Prävalenz
Schwierig zu ermitteln, mangels standardisierter Diagnosekriterien und Erhebungsmethoden.
2–5 % der erwachsenen Bevölkerung
bis zu 10 % aller Frauen über 20 Jahren jeden Monat mindestens einmal
bis zu 10 % der älteren Bevölkerung
Da es sich um ein tabubelegtes Thema handelt, kann die Prävalenz noch höher liegen.
Nur ein kleiner Teil aller Betroffenen nimmt ärztliche Hilfe in Anspruch.
Verhältnis Frauen zu Männer: 4/1–5/1. Mögliche Gründe dafür:
Mit jeder vaginalen Entbindung steigt das Risiko für eine anale Inkontinenz.
Flatusinkontinenz ≤ 50 %
erhöhter Stuhldrang 26 %
Inkontinenz für flüssigen Stuhl 8 %
Inkontinenz für festen Stuhl 4 %.
Bei 0,4–7 % der vaginalen Entbindungen tritt eine Ruptur des analen Schließmuskels auf.
Bei 30–60 % der Betroffenen geht diese mit einer Stuhlinkontinenz einher.
Auch nach der primären chirurgischen Versorgung von Rupturen des Grades 3–4 besteht bei mindestens 50 % dieser Frauen weiterhin Stuhlinkontinenz unterschiedlicher Ausprägungen.
K62.8 Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Anus und des Rektums
Diagnostik
Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3,5,7
Vor allem bei milder Ausprägung der Symptome, z. B. nur gelegentliche Flatusinkontinenz, können zunächst allgemeine Maßnahmen wie Änderung der Ernährungs- und Toilettengewohnheiten (s. u.) sowie der Hautpflege versucht werden. Eine weitergehende Diagnostik ist dann oft nicht notwendig.
Diagnostische Kriterien
Unwillkürlicher Austritt von Stuhl, evtl. begleitet von Schleim oder Gasen
Sofern nicht anders gekennzeichnet, basieren die Aussagen im folgenden Abschnitt auf diesen Referenzen.1,3-5,7,10
Leitlinie: Behandlung der Analinkontinenz nach vaginaler Geburt3
Aufklärung nach Dammriss
Die Patientinnen sollen über das Ausmaß der Geburtsverletzung und deren Spätfolgen aufgeklärt werden, inkl. Informationen zu:
Nachsorge
Verhaltensmaßnahmen
Hilfsangeboten.
Es soll darüber aufgeklärt werden, dass Symptome einer analen Inkontinenz u. U. erst nach einer langen Latenzzeit auftreten.
Nachsorge nach Dammriss Grad III und IV
Eine gynäkologische oder koloproktologische Nachuntersuchung soll nach etwa 3 Monaten erfolgen.
Physiotherapie zur Kräftigung des Beckenbodens soll erfolgen.
Bei persistierenden Beschwerden trotz Ausschöpfung aller konservativen Therapieoptionen soll die Patientin an ein Zentrum mit entsprechender Expertise (Endoanalsonografie, konservative und operative Therapieoptionen) überwiesen werden.
Therapie
Bei analer Inkontinenz aufgrund eines Dammrisses Grad III oder IV ist die sog. Triple Target Therapy (Kombination aus amplitudenmodulierter Mittelfrequenzstimulation und Elektromyografie-Biofeedback) einer Standard-Stimulationstherapie mit Elektromyografie-Biofeedback überlegen.
Empfehlungen bei Folgegeburten
Allen Patientinnen mit Z. n. Dammriss Grad III/IV, insbesondere bei persistierenden Symptomen einer Stuhlinkontinenz oder reduzierter Sphinkterfunktion (...), sollte in Folgeschwangerschaften eine elektive Sectio caesarea angeboten werden.
Therapieziele
Linderung der Beschwerden, möglicherweise Heilung
Regelmäßige Darmentleerungen (mindestens jeden 2. Tag)
Normalisierung der Stuhlkonsistenz
Allgemeines zur Therapie
Die Behandlung ist in der Regel konservativ, operative Maßnahmen sind nur selten angezeigt.
Vorschlag für eine stufenweise Behandlungsstrategie
Gastrokolischen Reflex ausnützen: Abführen nach einer Mahlzeit.
Für vollständige Entleerung der Ampulle sorgen (Ampullencheck 10 min nach Defäkation).
ggf. digitales Ausräumen.
Ggf. Mittel gegen Durchfall: z. B. Loperamid (Näheres siehe Artikel Chronische Diarrhö)
Physiotherapie nach fachlicher Anleitung
Beckenboden- und Sphinktertraining
evtl. Ergänzung durch:
rektale Ballontechniken
Biofeedback
anale Elektrostimulation.
Analtampons: Können von Vorteil sein, werden aber von vielen Betroffenen nicht dauerhaft akzeptiert. Die Akzeptanz variiert u. a. mit der Form des Hilfsmittels.11
Invasive Therapie, z. B.:
Sakralnervenstimulation
Einbringen nichtresorbierbarer Füllstoffe (Silikon, Hyaluronsäure) in den Sphinkter
als Ergänzung: Weizenkleie, Plantagosamen oder Psyllium
Behandlungsbeispiele: Flohsamenschalen: 10 g in Flüssigkeit gelöst, 2 x tgl. (nicht dokumentiert)
Loperamid
vor allem für Betroffene mit Stuhldrang und Austreten von weichem oder flüssigem Stuhl
Dosierung: 2−4 mg, 3- bis 4-mal tgl.
Lokale Therapie?
Ein Gel mit Phenylephrin (Alphamimetikum) wird derzeit geprüft. Der Wirkstoff erhöht den Tonus des inneren Sphinkters bei gesunden Proband*innen, aber die bisherigen randomisierten Studien sind mit methodischen Mängeln behaftet und die Ergebnisse widersprüchlich.10
Einläufe und Abführmittel?
Bei Überlaufinkontinenz ist es notwendig, den Darm vor dem Einsatz anderer Therapiemaßnahmen einmal vollständig zu entleeren.
Das Verfahren ist relativ einfach, kostengünstig und nichtinvasiv.
Dabei wird eine Analsonde mit einem Elektromyometer verbunden, das Veränderungen der elektrischen Muskelaktivität im Sphinkter in Ruhe und unter Anspannung misst.
Die betroffene Person kann damit üben, die Schließmuskulatur willentlich zu kontrahieren und zu entspannen.
Es nicht sicher, ob die Methode anderen konservativen Behandlungen überlegen ist. Langzeitdaten gibt es nur wenige und lückenhafte.
Kontraindikationen: entzündliche oder vernarbende Erkrankungen des Rektums
Bei reduziertem Ruhedruck aufgrund einer Schwäche des M. sphinkter ani internus besteht vermutlich nur geringe Aussicht auf einen Behandlungserfolg.
Bei diesen nichtinvasiven Verfahren werden über eine intra- oder perianale Sonde elektrische Impulse an die Schließmuskulatur abgegeben.
Durch die passiv ausgelösten Muskelkontraktionen wird die Sphinktermuskulatur gestärkt und deren Innervation gebahnt.
Bei der EMG-gesteuerten Variante löst die willkürliche Anspannung der Sphinktermuskulatur die elektrischen Impulse aus.
Die Sphinkterkontraktion wird dadurch unterstützt und die Propriozeptoren senden einen stärkeren Reiz an das Zentralnervensystem.
Dadurch werden neurophysiologische Bahnungs- und psychologische Lernprozesse angestoßen, die es der betroffenen Person nach und nach ermöglichen, auch ohne technische Unterstützung kräftige Kontraktionen des Schließmuskels zu generieren.
Ein Effekt kann vermutet werden, ist mit den bisherigen Studien aber nicht zweifelsfrei belegt.
Die Triple Target Therapy (Drei-Ziele-Therapie) kombiniert EMG-Biofeedback und Elektrostimulation.
Drei Ziele:
Koordinationstraining durch EMG-Biofeedback
Konditionierung des Musculus puborectalis
Stimulation des Musculus sphincter ani internus.
Die Methode hat sich in ersten randomisiert kontrollierten Studien sowohl im Vergleich mit alleinigem Biofeedback als auch mit alleiniger Elektrostimulation als wirksamer erwiesen.
Analtampons
Bevor eine Stomaoperation in Erwägung gezogen wird, kann die Verwendung eines Analtampons (Anal Plug) versucht werden.
Der Tampon aus Watte oder Polyurethanschaum wird in komprimiertem Zustand eingeführt und dehnt sich dort aus. Vor Gebrauch ist der Tampon so groß wie ein Zäpfchen. Der Tampon wird mithilfe eines 10 cm langen Rückholbändchens entfernt, das hinten fixiert wird.
Verhindert den Abgang von Stuhl und Gasen.
Viele Betroffene beenden die Verwendung des Analtampons, da sie sich mit einem Fremdkörper im Analkanal unwohl fühlen.
Die Methode erfordert Motivation und Geduld seitens der betroffenen Person sowie eine einfühlsame, fachgerechte Anleitung.
Operative Therapie
Implantation von Füllstoffen in den Sphinkter
Der Füllstoff wird unter die Mukosa injiziert.
Das Verfahren wird als einfach durchzuführen und gut verträglich beschrieben.
Eine große randomisierte Studie belegt die Wirksamkeit eines Füllstoffs aus dextranomeren Mikrosphären in stabilisierter Hyaluronsäure.14
Bei 52 % der Behandlungs- und 31 % der Placebo-Gruppe ging die Zahl der Inkontinenzepisoden um mindestens die Hälfte zurück.
Sakralnervenstimulation bei morphologisch intaktem Sphinkter15
Möglicherweise geeignet bei Stuhlinkontinenz aufgrund einer Sphinkterschwäche
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt. AWMF-Leitlinie Nr. 015-079. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegiologie. Neurogene Darmfunktionsstörung bei Querschnittlähmung. AWMF-Leitlinie Nr. 179-004. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
Literatur
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Milsom I, Altman D, Cartwright R, et al. Epidemiology of Urinary Incontinence (UI) and other Lower Urinary Tract Symptoms (LUTS), Pelvic Organ Prolapse (POP) and Anal Incontinence (AI). In: Abrams P, Cardozo L, Khoury S, Wein A ( Hrsg.). Incontinence 5 th Edition 2013, 5th International Consultation on Incontinence, Paris 2012: 17-107.
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American College of Gastroenterology. ACG Clinical Guideline: Management of Benign Anorectal Disorders. Am J Gastroenterol 2014; 109: 1141-57. wwwpubmed.naturencbi.comnlm.nih.gov
Chassagne P, Landrin I, Neveu C, et al: Fecal incontonence in the institutionalized elderly: incidence, risk factors, and prognosis: Am J Med 1999 Feb;106(2):185-90. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
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Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020. www.dimdi.de
Norton CC, Cody JD. Biofeedback and/or sphincter exercises for the treatment of faecal incontinence in adults. Cochrane Database Syst Rev 2012; 7, CD002111. www.cochranelibrary.com
Schwandner T et al. Drei-Ziele-Behandlung vs. niederfrequente Elektrostimulation bei analer Inkontinenz. Dtsch Arztebl Int 2011; 108: 653-60. www.aerzteblatt.de
Graf W, Mellgren A, Matzel KE, et al. Efficacy of dextranomer in stabilised hyaluronic acid for treatment of faecal incontinence: a randomised, sham-controlled trial. Lancet 2011; 377: 997-1003. PubMed
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Stuhlinkontinenz ist das unfreiwillige Austreten von Stuhl, meist durch altersbedingtes Nachlassen der Sphinkterfunktion. Bei Frauen häufig Folge einer Verletzung der Schließmuskulatur bei der Entbindung.