Analabszess und Analfistel

Zusammenfassung

  • Definition:Analabszesse sind die akute und Analfisteln die chronische Ausprägung desselben Leidens.
  • Häufigkeit:Häufig, häufiger bei Männern.
  • Symptome:Schmerzen und Schwellungen im Analbereich. Fisteln sondern Sekret ab.
  • Befunde:Rötung, Schwellung und Überwärmung im Analbereich, gelegentlich Fieber, manchmal ist eine Fistelöffnung zu sehen.
  • Diagnostik:Erfolgt meist klinisch.
  • Therapie:Operative Behandlung.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Analabszesse (periproktitischer Abszess)
    • Abszesse im Analbereich, die von Entzündungen der Proktodealdrüsen ausgehen.
  • Analfisteln
    • Eine Analfistel ist die chronische Ausprägungsform bzw. Folge eines Analabszesses.1

Häufigkeit

  • Häufig, bei Männern häufiger als bei Frauen (3:1)
  • Inzidenz 2:10.000 Einw./Jahr2
  • Die Inzidenz ist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr am höchsten.2
  • Bei 30–40 % der Patient*innen mit Analabszessen entwickelt sich eine Fistel.3

Ätiologie und Pathogenese

Anorektaler Abszess

  • Der Analabszess entsteht vorwiegend aus einer akuten Entzündung der Proktodealdrüsen.
    • Die Proktodealdrüsen liegen auf Höhe der Linea dentata zwischen dem inneren und äußeren Schließmuskel und haben kleine Drüsengänge, die in den Analkanal münden.1
  • Das Erregerspektrum besteht i. d. R. aus einer Mischflora von Darm- und Hautkeimen.2
  • Der überwiegende Teil der Abszesse liegt oberflächlich.

Analfisteln

  • Analfisteln entstehen beinahe immer aus einem vorhandenen Analabszess.
  • Durch die Ausbreitung der Infektion bestimmt sich der spätere Fistelverlauf, deren Einteilung entsprechend ihrer anatomischen Lage in Beziehung zum Sphinkter erfolgt.
    • Parks-Klassifikation
      • intersphinktäre
      • transsphinktäre
      • suprasphinktäre und 
      • extrasphinktäre Fisteln.3
  • Der größte Teil der Fisteln verläuft inter- oder transsphinktär.

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • D95 Analfistel/perianaler Abszess

ICD-10

  • K60 Fissur und Fistel in der Anal- und Rektalregion
    • K60.3 Analfistel
    • K60.4 Rektalfistel
    • K60.5 Anorektalfistel
  • K61 Abszess in der Anal- und Rektalregion
    • K61.0 Analabszess
    • K61.1 Rektalabszess
    • K61.2 Anorektalabszess
    • K61.3 Ischiorektalabszess
  • K61.4 Intersphinktärer Abszess

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Abszess: akut zunehmender Schmerz, perianale Schwellung, ausgeprägtes Krankheitsgefühl, teilweise Fieber
  • Fisteln: Schmerzen und Sekretabsonderung

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Abszess

  • Starke Schmerzen
  • Schwellung im Analbereich
  • Allgemeines Krankheitsgefühl
  • Fieber
  • Schwierigkeiten bei der Defäkation
  • Gelegentlich Blutauflagerungen auf dem Stuhl
  • Supralevatorische (proximaler im kleinen Becken gelegene) Abszesse: eher dumpfe Schmerzen im kleinen Becken, Rückenschmerzen, Fieber, Krankheitsgefühl2

Anorektalfistel

  • Schmerzen und Sekretabsonderung aus der Fistelöffnung4

Klinische Untersuchung

  • Abszesse
    • perianale Rötung, Überwärmung und Schwellung, oft deutlich fluktuierend
    • Bei den seltenen pelvirektalen oder tiefen ischiorektalen Abszesse können diese typischen Zeichen fehlen.
  • Analfisteln
    • Die äußere Hautöffnung ist u. U. sichtbar.
    • Das innere Ostium kann meist rektoskopisch gut dargestellt werden.
  • Beim Abszess meist sehr starke Schmerzen
    • Bei eindeutiger Klinik und OP-Indikation kann auf die digital-rektale Untersuchung verzichtet werden und diese dann in Anästhesie im Rahmen des Eingriffs erfolgen.2

Ergänzende Untersuchungen

  • Labor: erhöhte Leukozytenzahl
  • Mit Nachweis eines äußeren Fistelostiums bzw. Abszesses ist die Operationsindikation gegeben.
    • dann keine weiteren Untersuchungen erforderlich, v. a. bei Ersteingriffen5

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Rektoskopie bei V. a. Analfistel
    • Das innere Ostium kann meist rektoskopisch gut dargestellt werden. Die Rektoskopie sollte erst in Anästhesie erfolgen, um den Patient*innen Schmerzen zu ersparen.
  • Bei supralevatorischen und Rezidivabszessen2 sowie bei komplexen Rezidivfisteln4
    • Endosonografie: wegen Schmerzhaftigkeit meist nur in Anästhesie möglich
    • MRT
  • Ileokoloskopie bei Verdacht auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung

Indkationen zur Klinikeinweisung/Überweisung

  • Bei Abszess immer Einweisung in die Chirurgie zur zeitnahen Operation
  • Bei Fistel ohne akuten Abszess Überweisung zu Chirurg*in bzw. Proktolog*in zur elektiven OP-Planung

Checkliste zur Überweisung

Analabszess, Analfistel

  • Zweck der Überweisung
    • Bestätigende Diagnostik? Therapie? Operation?
  • Anamnese
    • Wann haben die Beschwerden begonnen? Entwicklung, rezidivierend?
    • Schmerzen: Lokalisation, Intensität, Relation zur Defäkation? Nässende Fistel: Sekretaustritt?
    • Andere relevante Krankheiten? Regelmäßige Medikamente?
    • Evtl. frühere Behandlungen?
  • Klinische Untersuchung
    • Allgemeinzustand? Fieber?
    • Lokaler Status: Schwellung, Rötung? Fistel? 
    • Ggf. rektale Exploration: tastbare Schwellung, Fistel, Induration?
  • Ergänzende Untersuchungen

Therapie

Therapieziele

  • Ein Fortschreiten der Entzündung mit potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen verhindern.
  • Sanierung/Abheilung der Fisteln erreichen.
  • Schließmuskelfunktion erhalten.
  • Rezidiv verhindern.

Allgemeines zur Therapie

Abszess

  • Nofallmäßige Inzision und Drainage in Allgemein- oder Regionalsanästhesie zur Verhinderung von Komplikationen
  • Auch spontan perforierte Abszesse sollten operativ versorgt werden, um eine ausreichende Drainage zu gewährleisten.2

Analfistel

  • Konservative Behandlungsversuche, z. B. Fistelspülungen, zeigen nur in geringem Prozentsatz Heilungserfolge, sodass eine Analfistel eine OP-Indikation darstellt.
  • Ziel der operativen Versorgung
    • Abheilung der Fistel
    • möglichst geringe Rezidivrate
    • bestmögliche Erhaltung der Schließmuskelfunktion
  • Eine digitalrektale Untersuchung und Rektoskopie erfolgen i. R. des Eingriffs unter Anästhesie zur Lokalisation des Fistelostiums und Untersuchung auf Vorliegen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung.1

Empfehlungen für Patient*innen

  • Ballaststoffreiche Nahrung2
  • Schmerzstillende Medikamente
  • Tägliches Ausduschen der Wunde2

Operative Therapie

Leitlinie: Operative Therapie2,4

Analabszess2

  • Abszessentlastung durch Inzision und Drainage
    • je nach Lage des Abszesses über einen perianalen, transanalen oder transrektalen Zugangsweg
    • Wichtig ist die ausreichende Schnittführung, um zu frühes Wiederverschließen der Wunde zu vermeiden.

Analfistel: OP-Verfahren4

  • Bei Identifizierung einer Fistel gibt es 2 Möglichkeiten:
    • primäre Fistelspaltung, oberflächliche Lage der Fistel sowie entsprechende Erfahrung der Operateur*in vorausgesetzt
      • höhere Inkontinenzrate bei primärer Fistelspaltung
    • Belassen der Fistel und Sanierung in einem Zweiteingriff
      • Auch Spontanverschlüsse der Fisteln bei ausreichender Drainage sind möglich.
  • Fistelspaltung: Durchtrennung des Gewebes zwischen dem Fistelgang und dem Anoderm inkl. Sphinkteranteilen
  • Fadendrainage
    • Bei einer akuten Entzündung bzw. bei Vorliegen eines Abszesses kann zunächst eine Fadendrainage durchgeführt werden und in einem Zweiteingriff die endgültige Fistelsanierung.
  • Plastischer Fistelverschluss
    • Exzision der Fistel und Verschluss des inneren Fistelostiums mit Verschiebelappen
    • v. a. bei hohen Analfisteln
    • bessere Ergebnisse bzgl. der Inkontinenzraten
  • Fistelexzision mit direkter Rekonstruktion des Sphinkterapparates durch Naht
    • bessere Erfolgsraten bezüglich der Inkontinenz
  • LIFT-Verfahren (Ligation of the Intersphincteric Fistula Tract)
    • bei hohen Analfisteln
  • Neuere Verfahren mit Intention der Schonung des Schließmuskels
    • Fibrinkleber
    • Kollageninjektion
    • Injektion von autologen Stammzellen
    • Analfistelplug (Okklusion mit Fremdmaterial)
    • Laserverfahren
    • OTSC (Over The Scope Clip)
  • Es existieren weitere bisher noch nicht etablierte Verfahren, deren Wertigkeit noch abzuwarten ist, z. B.:
    • Die Injektion von Eigenfett (vom Bauch der Patient*innen) in die Fistel.5
    • In einer Studie konnten 21 von 27 Patientinnen mit anovaginalen Fisteln (77 %) mithilfe dieser Behandlung geheilt werden.6

Medikamentöse Therapie

  • Eine ergänzende Therapie mit Antibiotika bleibt Ausnahmefällen vorbehalten (z. B. pararektale Ausdehnung, Immunsupression oder septische Begleitreaktionen).2,4

Postoperatives Management

  • Sekundäre Wundheilung durch Granulation der Wunde vom Wundgrund her
  • Die äußere Drainageöffnung sollte nicht vorzeitig verkleben.
    • regelmäßiges Austasten der Wunde
    • regelmäßiges Ausspülen der Wunde mit Leitungswasser2
  • Trockener Verband, keine wiederholte Tamponade
  • Stuhlregulierung mit Ballaststoffen, ausreichend Flüssigkeit, evtl. Stuhlweichmacher
    • z. B. indische Flohsamenschalen: Mukofalk 2 x tgl. 1 Beutel in reichlich Wasser gelöst

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Bei zeitnaher Abszesseröffnung und ausreichender Drainage gute Prognose
  • Sekundäre Wundheilung meist problemlos
  • Durch Verletzung des Sphinkterapparats, v. a. bei wiederholten Eingriffen, kann es zu Stuhlschmieren und Sekretabgang bis hin zur Inkontinenz kommen.

Komplikationen

  • Sepsis
  • Nekrotisierende Fasziitis/Fournier-Gangrän: selten
  • Inkontinenz: je größer das Ausmaß der operativen Intervention desto höher das Inkontinenzrisiko4
  • Narbige Zerstörung des Schließmuskels bei ausbleibender Behandlung1
  • Malignombildung in lang bestehenden Fistelgängen: selten

Prognose

  • Die bei weitem häufigsten unkomplizierten Fistelformen und Abszesse mit oberflächlicher Lage heilen in der Regel problemlos.
  • Rezidive in 2,5–57 % d. F.7
  • Rezidivrisiko erhöht bei:
    • hohen transsphinkären Fisteln
    • fehlendem Auffinden des inneren Ostiums
    • komplexen Verzweigungen der Fisteln.7
    • iatrogen: unzureichende Drainage
  • Das Inkontinenzrisiko ist höher bei komplexen Fisteln, Rezidiveingriffen und Durchtrennung von Anteilen des Sphinkterapparates.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Video

Illustrationen

Analabszess
Analabszess
Analfistel
Analfistel

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Analabszess. AWMF-Leitlinie Nr. 088-005, Stand 2016. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Kryptoglanduläre Analfisteln. AWMF-Leitlinie Nr. 088-003, Stand 2016. www.awmf.org

Literatur

  1. Schmidt WU, Hesterberg R: Proktologie. In: Becker H, Markus PM (Hrsg.): Allgemeinchirurgie - Common Trunk. 3. Auflage, Elsevier, München 2015. S.324-329.
  2. Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Analabszess. AWMF-Leitlinie Nr. 088-005, Stand 2016. www.awmf.org
  3. Leske D, Hoffmann J. Häufige Erkrankungen des Anorektums. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage 2016. Thieme-Verlag. S.2427
  4. Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Kryptoglanduläre Analfisteln. AWMF-Leitlinie Nr. 088-003, Stand 2016. www.awmf.org
  5. De Weerd L, Weum S, Norderval S. Novel treatment for recalcitrant rectovaginal fistulas: fat injection. Int Urogynecol J 2015; 26(1): 139-44. pmid:25199495 PubMed
  6. Norderval S, Lundby L, Hougaared H, et al. Efficacy of autologous fat graft injection in the treatment of anovaginal fistulas. Tech Coloproctol 2018 Jan; 22(1): 45-51. pmid:29285682 PubMed
  7. Mei Z, Wang Q, Zhang Y, Liu P, Ge M, Du P, Yang W, He Y. Risk Factors for Recurrence after anal fistula surgery: A meta-analysis. Int J Surg. 2019 Sep;69:153-164. www.sciencedirect.com

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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