Die Beliebtheit und die soziale Akzeptanz von Körperpiercings sind in den vergangenen Jahren gestiegen, sodass mittlerweile etwa jede 10. Person in Europa gepierct ist.1
Infolge der größeren Verbreitung steigt auch die Häufigkeit von Komplikationen.
Piercing-Materialien
Bei den meisten Piercings handelt es sich um kleine oder große Ringe sowie gebogene oder gerade Stifte mit kugelförmigen Endstücken.
Größe und Form sind abhängig von dem gepiercten Körperteil und den persönlichen Vorlieben.
Sonderformen des Piercings sind das „Pocketing“ (Anfang und Ende des Schmuckstücks liegen in der Haut) und „Transdermals“ oder „Mikrodermals“, bei denen das Piercing an einem unter der Haut liegenden Implantat befestigt ist.
Der Großteil des Piercingschmucks besteht aus Metall, in der Regel aus chirurgischem Stahl, Gold, Silber, Niobium, Titan oder verschiedenen Legierungen.
Einige dieser Materialien können Nickel enthalten, was das Risiko einer Allergie mit sich bringt.2
Prädisponierende Faktoren für Komplikationen
Bei Personen mit einer erhöhten Infektanfälligkeit oder einem erhöhten Blutungsrisiko ist auch das Komplikationsrisiko von Piercings erhöht.
Die am häufigsten auftretende Komplikation nach dem Piercing ist eine lokale Infektion der Haut oder des Knorpels, speziell nach Ohr(knorpel)- oder Bauchnabelpiercings.4
Die hygienischen Bedingungen, unter denen das Piercing durchgeführt wird, haben einen deutlichen Einfluss auf die Entstehung von Infektionen.
Bei Nicht-Ansprechen einer antibiotischen Therapie sollte eine Keimbestimmung mit Antibiogramm durchgeführt werden.
In seltenen Fällen kommt es zu systemischen Infektionen mit Endokarditis.
Das Risiko einer Erkrankung an Hepatitis B und C nach Body-Piercings ist erhöht5, in Beratungsgesprächen sollte daher auf die Bedeutung der hygienischen Standards bei der Durchführung von Piercings unter diesem Aspekt hingewiesen werden (siehe z. B. Verband professioneller Piercer).
Piercings stellen eine Verletzungsgefahr durch Hängenbleiben dar und sollten z. B. bei der Durchführung von Kontaktsportarten herausgenommen werden.6
Therapie von Komplikationen nach Piercings
Infektionen
Lokale Infektionen können mit warmen Umschlägen, antibakteriellen Seifen und/oder lokalen Antiseptika bzw. Antibiotika therapiert werden.
Die Wunddrainage sollte ermöglicht werden, sodass ggf. ein Verbleib des Schmuckstücks bzw. das Einsetzen sterilen Materials sinnvoll sein kann, um den Abfluss zu gewährleisten, insbesondere bei tieferen Stichkanälen. Evtl. kann eine chirurgische Inzision zur Drainage und Abszessprophylaxe erforderlich sein.
Bei Anzeichen einer systemischen Infektion ist eine orale Antibiotikatherapie, ggf. auch eine Überweisung oder Klinikeinweisung zur chirurgischen Therapie bzw. intravenösen Antibiotikatherapie erforderlich. Besondere Aufmerksamkeit sollte hier Patient*innen mit einem erhöhten Risiko für Endokarditiden gelten.7
Bei Haut- und Weichteilinfekten empfohlene orale Antibiotika z. B. Amoxicillin + Clavulansäure 3 x 1 g/d p. o. oder Clindamycin 3 x 300 mg/d p. o.
Kein Austausch nichtsteriler Piercingschmuckstücke
Allergien
Wenn möglich: vorab Allergietest (Epikutan-/Patchtest)
Chirurgische Exzision (i. d. R. mit adäquater Nachbehandlung, sonst Rezidivgefahr)
Neuere Ansätze kombinieren in der Keloidtherapie die chirurgische Behandlung mit einer topischen Anwendung von PRP (autologes Platelet Rich Plasma) und Bestrahlung.10
Ödeme/Hämatome nach dem initialen Piercing
Kühlen, Kompression, ggf. Entfernung des Schmuckstücks
Weitere Komplikationen
Akzidenteller (Teil-)Ausriss des Schmuckstücks
Konservative, ggf. chirurgische Wundbehandlung
In den Stichkanal disloziertes Schmuckstück
Häufig Halteplatte eines Ohrsteckers
Versuch der Bergung unter vorsichtiger Rotation, ggf. chirurgische Exzision unter Lokalanästhesie
Komplikationen nach Lokalisation
Orale Piercings
Die Lippen, die Wangen und die Mittellinie der Zunge sind beliebte Lokalisationen für orale Piercings.
Ödem
Nach dem Stechen eines Zungenpiercings entsteht regelmäßig ein ausgeprägtes Ödem, sodass in der ersten Zeit (veranschlagte Heilungsdauer 3–5 Wochen) ein längerer Stift für die Zunge empfohlen wird als später angestrebt.11
Perforation von Blutgefäßen der Zunge beim Piercen, dadurch kann es zu Blutungen und Hämatomen kommen.
Atemwegsobstruktion
Eine seltene, aber schwere Komplikation infolge eines Piercings im Mundbereich kann eine Obstruktion der Atemwege sein, hervorgerufen durch eine Verletzung, das Anschwellen der Zunge oder eine Obstruktion durch den Schmuck selbst.
Infektionen
Lokale bakterielle Infektionen sind möglich.
Nach dem Stechen eines oralen Piercings wird die vorbeugende Anwendung eines lokalen Mittels zur Desinfektion empfohlen.12
Eine orale Phlegmone ist selten, kann aber auftreten. Sie wird mit systemischen Antibiotika und ggf. einer Drainage eines Abszesses behandelt.
Sonstige Probleme
Zahnfleischschädigungen
erhöhte Speichelproduktion
Schwierigkeiten beim Sprechen (Adaptationszeit ca. 1 Woche), unkontrolliertes Speicheln
in seltenen Fällen Schädigungen der Speicheldrüsen, Verlust des Geschmackssinns, permanent gestörte Sensorik
Absplittern von Zahnfragmenten oder Zahnbruch sind die am häufigsten auftretenden Probleme im Zusammenhang mit Zungenpiercings.13
Durch einen Wechsel zu einem kürzeren Stift kann das Risiko von Schädigungen der Zähne und des Zahnfleischs gesenkt werden.
Der Schmuck kann sich außerdem zwischen den Zähnen verfangen.
Ohrpiercing
Infektionen
Das Ohr ist das Körperteil, an dem Piercings am häufigsten zu finden sind.
In einer Befragung traten bei bis zu 35 % der Personen mit Ohrpiercing eine oder mehrere Komplikationen auf.14
Mitunter sind Infektionen nur schwer von einer allergischen Kontaktdermatitis zu unterscheiden, sofern kein purulentes Sekret abgesondert wird.4
Oberflächliche Infektionen des Ohrläppchens nehmen meistens einen gutartigen Verlauf und sprechen gut auf die lokale Behandlung, z. B. mit PVP-Jod-Lösung an. Je nach Stärke der Entzündung muss der Schmuck u. U. entfernt werden.
Ohrknorpelpiercings
Besonders häufig sind Piercings durch den Knorpel im oberen Bereich der Ohrmuschel.
Diese Piercings heilen schlecht und können schwere Infektionen hervorrufen, da der Ohrknorpel relativ avaskulär ist.
In den ersten Monaten nach dem Stechen des Piercings, insbesondere in den Sommermonaten, kann es zu einer Ohrmuschelperichondritis und einem perichondralen Abszess kommen.15
Eine Ohrmuschelperichondritis äußert sich in Form einer schmerzhaften, geröteten und heißen Schwellung der Ohrmuschel, wobei das Ohrläppchen jedoch häufig ausgespart bleibt.
Bereitet das Knicken des Knorpels starke Schmerzen, so dient dies als Merkmal zur Unterscheidung einer oberflächlichen Hautinfektion von einer tiefen perichondralen Infektion.
Aus leichteren Infektionen können sich eine Perichondritis, Abszesse oder Nekrosen mit oder ohne systemische Symptome entwickeln.16-17
Eine systemische Antibiotikatherapie mit guter Wirkung gegen Pseudomonas und Staphylokokken (z. B. Fluorchinolone)6 ist die erste Therapiemaßnahme.
Bei Abszessen muss in der Regel eine Drainage vorgenommen werden. Ist ein operatives Vorgehen notwendig, kann es sich als schwierig gestalten, ein gutes kosmetisches Ergebnis zu gewährleisten.
Bei Menschen mit einer atopischen Dermatitis oder einer Kontaktallergie gegenüber Metall besteht ein erhöhtes Risiko von leichteren Staphylokokken- oder Streptokokken-Infektionen.
Eine Überempfindlichkeit gegenüber Nickel ist eine häufige Ursache einer Kontaktdermatitis.
Durch den Verzicht auf das Metall, das die Reaktion ausgelöst hat, und die Anwendung lokaler Kortikosteroide kann die Heilung beschleunigt werden.
Starke Schwellung und Entzündung
In manchen Fällen kommt es zu seiner so starken Schwellung, dass der Ohrring entfernt werden muss.
Die Einstichstelle kann anschließend offen gehalten werden, indem ein Ring aus einem Teflon-Katheter eingesetzt wird, bis die umliegende Haut verheilt ist.
Auch Nylon-Nahtmaterial kann verwendet werden, um das Loch offen zu halten.
Eingewachsener Ohrring
Diese Komplikation kann bei Personen mit dicken Ohrläppchen auftreten, bei denen das Loch mit einer „Pistole“ gestochen wurde.15
Um den Ohrring zu lokalisieren und zu entfernen, kann eine kleine Inzision unter lokaler Anästhesie notwendig sein. Evtl. ist auch ein lokales oder systemisches Antibiotikum erforderlich.
6–8 Wochen nach der Rückbildung der lokalen Schwellung und Schmerzempfindlichkeit kann der Ohrring meist wieder eingesetzt oder evtl. ein neues Loch gestochen werden.4
Trauma
Traumata sind ein relativ häufiger Grund für Komplikationen.
In Verbindung mit Stürzen, Unfällen, der Ausübung von Kontaktsportarten, Gewalt oder einem unbeabsichtigten Ziehen am Ohrring kann es zu Lazerationen kommen.
Derartige Wunden sollten stets gereinigt und innerhalb von 12–24 Stunden chirurgisch versorgt werden.
Ein einfacher Riss im Ohrläppchen kann unter lokaler Betäubung genäht werden.
Schließt sich das Loch, kann in einem nicht vernarbten Bereich des Ohrläppchens nach etwa 3 Monaten ein neues Loch gestochen werden.18
Druckgeschwür
Druckgeschwüre können infolge des Schlafens mit Ohrschmuck entstehen.
Prävention
Sämtlicher Ohrschmuck sollte vor der Ausübung von Kontaktsportarten herausgenommen oder mit Pflastern abgeklebt werden, um sich selbst und andere zu schützen.19
Nasenpiercing
Das Loch für ein Nasenpiercing kann entweder durch die Nasenflügel oder durch das knorpelige Septum gestochen werden.
Septumpiercings werden in der Regel im unteren knorpelfreien Teil des Septums gestochen.
Blutungen und Hämatome
Das Durchstechen von Knorpelgewebe kann Blutungen hervorrufen und zur Bildung septaler Hämatome führen, die meist noch durch eine Infektion kompliziert werden.
Weitere Komplikationen
kosmetische Defekte infolge einer Perichondritis und einer Nekrose der Knorpelwand
Infolge der Reibung von Kleidung und eng sitzenden Gürteln und der daraus resultierenden Hautmazeration kann es zu einer verzögerten Heilung und einem erhöhten Infektionsrisiko kommen.20-21
Durch die korrekte Positionierung des Schmucks und die Vermeidung einer starren Befestigung lassen sich diese Risiken vermindern.
Oberflächliche Bauchnabelpiercings neigen dazu, in Richtung der Hautoberfläche zu wandern.
Mamillenpiercing
Die Heilung dieser Piercings nimmt viel Zeit in Anspruch, und es können auch viele Monate später (5–12 Monate)22 Infektionen und Brustabszesse beobachtet werden.23-24
Es ist möglich, dass das Piercen der Mamillen die Laktation beeinträchtigt, z. B. in Form einer Blockierung der Milchgänge durch Narbengewebe.
Intimpiercing
Piercing bei Männern
Mögliche Lokalisationen sind die Eichel, die Harnröhre, die Vorhaut und der Hodensack.
Bei Piercings in der Eichel kann der Urinfluss gestört sein.
Piercings durch die Harnröhre und die Eichel sind mit einer Paraphimose assoziiert.25
Piercing bei Frauen
Mögliche Lokalisationen sind die Klitoris, die Labia minora, die Labia majora und das Perineum.
Die Piercings können Blutungen, Infektionen, allergische Reaktionen sowie eine Keloid- und Narbenbildung verursachen.26
Trägt einer oder tragen beide Partner*innen ein Intimpiercing, besteht ein erhöhtes Risiko, dass während des Geschlechtsverkehrs das Kondom reißt oder sich das Diaphragma verschiebt.27
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Autor*innen
Dirk Wetzel, Dr. med., Allgemeinarzt, Zierenberg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Die Beliebtheit und die soziale Akzeptanz von Körperpiercings sind in den vergangenen Jahren gestiegen, sodass mittlerweile etwa jede 10. Person in Europa gepierct ist.1