Reaktion nicht vorhersehbar, bei individueller Disposition, dosisunabhängig
potenziell schwer oder gefährlich
Pathophysiologie
Immunreaktionen = Arzneimittelallergie (nur 5–10 % aller Arzneireaktionen)
Intoleranzreaktion, Enzymdefekte.
Häufigkeit
Bei ca. 5 % der medikamentös behandelten Patient*innen treten unerwünschte Arzneimittelreaktionen auf.1
Am häufigsten sind urtikarielle Intoleranzreaktionen sowie Intoleranzreaktionen mit der Ausbildung von Rhinitis- oder AsthmasymptomatikAsthma-Symptomatik. 2
Häufigste Arzneimittelgruppe, die diese Reaktion auslöst: NSAR.
Hhäufigstes Präparat: ASS; hohe Kreuzreaktivität gegenüber Diclofenac und Ibuprofen
ICPC-2
A85 Unerwünschte Wirkung eines Medikaments
ICD-10
T88.7 Nicht näher bezeichnete unerwünschte Nebenwirkung eines Arzneimittels oder einer Droge
Diagnostik
Allgemeines zur Diagnostik
Zur Klärung, ob eine allergische Reaktion auf einen Wirkstoff zu belegen ist, werden die Patient*innen einer allergologischen Abklärung zugeführt, die mit einer genauen Anamnese beginnt.3
Anhand der Anamnese werden eine klinische Einteilung, immunologische Charakterisierung und Evaluation des kausalen Zusammenhangs vorgenommen.
Falls eine arzneimittelinduzierte allergische Reaktion möglich oder wahrscheinlich erscheint, sollte eine weiterführende allergologische Diagnostik erfolgen.4
Wenn für das verdächtige Arzneimittel eine zukünftige therapeutische Notwendigkeit eher nicht gegeben ist (zumz. BeispielB. Sulfonamidantibiotika), dann kann auf eine Diagnostik verzichtet werden.4
Die weiterführende allergologische Diagnostik besteht aus inIn-vitro-Tests und Hauttestungen wie Prick-, Scratch-, Intrakutan-, und Epikutantests.3
Anschließend erfolgt gegebenenfallsggf. eine Expositionstestung.3
Goldstandard der Diagnostik, die eindeutig Allergie/Überempfindlichkeit ausschließen oder bestätigen kann.
Diagnostische Überlegungen
In der Praxis stellen sich mehrere Herausforderungen in Hinsicht auf Arzneimittelallergien.
Das Erscheinungsbild variiert, und sowohl die Grunderkrankung als auch die gleichzeitige Anwendung anderer Arzneimittel haben Auswirkungen auf das klinische Bild.
Differenzialdiagnosen
Es kann schwierig sein, eine Arzneimittelallergie von Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln, Intoleranzen (Überdosissymptome bei normaler Dosierung), Idiosynkrasie (genetisch bedingte Abweichungen bei der Metabolisierung) und anderen nicht-immunologischennichtimmunologischen Reaktionen in diesem Zusammenhang zu unterscheiden.
Mögliche Konsequenzen
Häufig liegt keine genaue Diagnose vor, und der Verdacht auf eine Allergie gegen ein Arzneimittel führt dazu, dass die behandelnden Ärzt*innen wichtige und richtige Medikamente nicht verschreiben.
Frühere Reaktionen auf ein bestimmtes Präparat führen auch zu Unsicherheit über die Verwendung verwandter Arzneimittel.
Anamnese
Familienanamnese?
Arzneimittelallergien bei Eltern, Geschwistern und bei Patient*innen selbst?
Zu den Spätreaktionen gehören das allergische Kontaktekzem (Typ-4-Allergie) und Zytopenien, die vom Typ-2-Allergie sein können (zytotoxisch).
Viele andere Manifestationen beruhen auf weitgehend unbekannten und wahrscheinlich kombinierten Mechanismen.
Kausalzusammenhang
Entscheidend bei Arzneimittelallergien ist die Bewertung, wie stark der Kausalzusammenhang zwischen der Verabreichung eines Arzneimittels und einer neu einsetzenden Reaktion ist.
Wenn Patient*innen nur mit einem einzigen Arzneimittel behandelt werden, kann der Zusammenhang offensichtlich wirken; es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die Reaktion möglicherweise ganz andere Ursachen haben kann.
Wenn Patient*innen mit mehreren Arzneimitteln behandelt werden, muss außerdem bewertet werden, wie wahrscheinlich es ist, dass ein einzelnes Arzneimittel die aktuelle Reaktion hervorgerufen hat.
Hier ist der zeitliche Zusammenhang wichtig.
Schnelle Reaktionen, die innerhalb von 30–60 Minutenmin auftreten, nachdem das Arzneimittel gegeben wurde, können ein Erstdosisphänomen sein (Reaktion bei der ersten Verabreichung des Arzneimittels) und sind typisch für eine nicht-allergischenichtallergische Überempfindlichkeit, z. B. die Reaktion auf Kontrastmittel.
Bei immunologischen Mechanismen ist eine gewisse Zeitdauer für die Sensibilisierung vor Auftreten von klinischen Symptomen erforderlich, auch wenn diese Zusammenhänge in der Anamnese häufig nicht einfach zu ermitteln sind.
Bei späten Reaktionen kann es schwieriger sein, einen offensichtlichen zeitlichen Zusammenhang festzustellen.
DenkenDaran Sie darandenken, dass schnelle Reaktionen einen Verlauf mit zwei Spitzen haben können, mit einer Reaktion in der Spätphase 8–24 Stunden nach der Exposition.
Apparative Diagnostik
Zur Erkennung des auslösenden Arzneimittels und zur Identifizierung der Mechanismen kommen Hauttests, In-vitro-Tests und Provokationstests zum Einsatz.
Herausforderungen sind die Verfügbarkeit, die Kosten und der dokumentierte diagnostische Wert der entsprechenden Tests.
Die Diagnostik soll in der Hand von allergologisch erfahrenen Ärzt*innen oder allergologischen Zentren liegen.4
Eine DenovoDe-novo-Sensibilisierung durch einen Hauttest ist möglich, das Risiko hängt von der getesteten Substanz, der Konzentration und der Testmethode ab. Intradermaltests und Epikutantests sollen daher nur mit dem vermutlich reaktionsauslösenden Arzneistoff oder, im Falle einer Allergie, zu verwendenden Alternativmedikamenten erfolgen.4
Prick-Test
Wird bei schnellen Reaktionen eingesetzt, ggf. gefolgt von einem Intrakutantest.
Intrakutantest
Ist empfindlicher als der Prick-Test, aber auch invasiver mit erhöhtem Risiko für eine anaphylaktische Reaktion.
Patch-Test (Epikutantest)
Wird vor allem zur Untersuchung eines allergischen Kontaktekzems verwendet.
In-vitro-Tests
In-vitro-Tests können bei bestimmten Untersuchungen, vor allem bei schnellen Reaktionen, angemessen sein.
Tryptase
Bei Verdacht auf Anaphylaxie kann auf Tryptase getestet werden, einen Serum-MarkerSerummarker der Mastzellaktivierung.
Die Probe wird eine halbe bis 3 Stunden nach Einsetzen der Symptome entnommen. Um den Tryptasespiegel während der akuten Phase mit dem Normalspiegel vergleichen zu können, wird eine Nachfolgeuntersuchung in einer ruhigen Phase empfohlen.
Ein erhöhter Wert der Akutprobe mit einer Normalisierung bei der Nachfolgeuntersuchung zeigt eine Mastzell-vermitteltemastzellvermittelte Reaktion. Falls auch die Nachfolgeuntersuchung erhöhte Werte zeigt, deutet dies auf eine Mastozytose hin.
Validierte Tests zum Nachweis spezifischer IgE-Antikörper im Serum sind nur für wenige Arzneistoffe (vor allem Beta-LaktamantibiotikaLaktam-Antibiotika) verfügbar, ansonsten gibt es keine standardisierten und evaluierten In-vitro-Verfahren.4
Spezifische IgE-Antikörper
In vielen Labors wird routinemäßig eine Analyse auf spezifische IgE-Antikörper gegen Insulin und verschiedene Penicillin-Allergene angeboten.
Für Untersuchungen auf spezifische IgE-Antikörper gegen speziellere Antigene sollte eine Anfrage beim Labor erfolgen.
Andere Medikamente
Erheblich weniger Erfahrungen bestehen mit der Untersuchung allergischer Reaktionen auf andere Arzneimittel.
Bei einem Verdacht auf Anaphylaxie während der Narkose kann Kontakt mit dem nächsten Allergiezentrum aufgenommen werden.
Basophilen-Aktivierungstests
Können bei schwerwiegenden schnellen allergischen Reaktionen angebracht sein, weil sie kein Risiko für dendie Patient*innen mit sich bringen.
Die Untersuchung von Arzneimittelallergien soll standardisierten Protokollen folgen und beinhaltet die Anamnese sowie Haut- und In-vitro-Tests.
Wenn die ersten Tests negativ sind, können Provokationstests in Erwägung gezogen werden, falls die Patient*innen keine Anaphylaxie oder schwere Hautreaktionen hatten.
Provokationstests können peroral oder seltener parenteral durchgeführt werden. Oft wird mit einer niedrigen Dosis begonnen und schrittweise bis zur vollen therapeutischen Dosis erhöht.
Provokationstests können das einzige Verfahren sein, mit dem der Kausalzusammenhang zwischen einer Reaktion und einem bestimmten Arzneimittel sicher bestätigt werden kann.
Provokationen bergen Risiken schwerer Nebenwirkungen. Sie dürfen nicht durchgeführt werden, wenn es zu einer Anaphylaxie, schweren Hautreaktionen oder anderen schweren Reaktionen gekommen ist.
Aus dem gleichen Grund dürfen Provokationstests nur von erfahrenen Allergolog*innen durchgeführt werden, die jederzeit mögliche Komplikationen eingreifen können.
Richtiges und wichtiges Arzneimittel würde dadurch den Patient*innen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Allgemeines zur Therapie
Bei bestätigter Arzneimittelallergie/-unverträglichkeit4
Dokumentation (Allergiepass)
Karenz
ggf. Desensibilisierung
Bei ausgeschlossener Arzneimittelallergie/-unverträglichkeit (Provokationstest negativ)
Aufklärung der Patient*innen
Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen
Ärzt*innen sind verpflichtet, die ihnen aus ihrer ärztlichen Behandlungstätigkeit bekannt werdenden unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft mitzuteilen. Informationen und Meldebogen finden Sie bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Quellen
Literatur
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Pharmakovigilanz. Arzneiverordnung in der Praxis, Band 32, A. Auflage, 2005 www.akdae.de
Zuberbier T. Arzneimittelreaktion: Allergie vs. Intoleranz gegenüber Wirkstoffen. Drug Res 2020; 70(1): 15. www.thieme-connect.com
Neumann JM. Dissertation: Auswertung zur klinischen Relevanz von allergologischen Testungen bei Unverträglichkeitsreaktionen auf Arzneimittel. Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Mannheim. 2018. archiv.ub.uni-heidelberg.de
Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e.V. (DGAKI), Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel, Allergologische Diagnostik, AWMF Leitlinie Nr. 061 - 021, Stand 31.12.2014. (abgelaufen). www.awmf.org
Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt
BahleHeidrun, Dra. medM. Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
Günter Ollenschläger, Prof. Dr. Dr. med., Professor für Innere Medizin, Uniklinikum Köln
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1 Grundsätzlich können unerwünschte Arzneireaktionen in Typ-A- und Typ-B-Reaktionen eingeteilt werden:
Typ-A-Reaktion (80 % aller Arzneireaktionen)
Reaktion vorhersehbar und dosisabhängig
selten schwer oder gefährlich
Pathophysiologie: pharmakologischer Effekt, Toxizität, Interaktion
Typ-B-Reaktion (20 % aller Arzneireaktionen)
Reaktion nicht vorhersehbar, bei individueller Disposition, dosisunabhängig
potenziell schwer oder gefährlich
Pathophysiologie
Immunreaktionen = Arzneimittelallergie (nur 5–10 % aller Arzneireaktionen)
Intoleranzreaktion, Enzymdefekte.