Histamin in Nahrungsmitteln wird häufig als Auslöser für eine Vielzahl von Gesundheitsbeschwerden vermutet.1
Die wissenschaftliche Evidenz für einen Zusammenhang zwischen dem aufgenommenen Histamin und den reproduzierbaren Symptomen ist begrenzt und widersprüchlich.
Auch in der gültigen AWMF-Leitlinie werden Zweifel an der Existenz einer Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin geäußert.
Häufigkeit
Existenz einer Histaminintoleranz als eigenständiges Krankheitsbild wird in der AWMF-Leitlinie angezweifelt.1
Keine genauen Angaben zur Häufigkeit verfügbar
Ätiologie und Pathogenese
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
Histamin ist ein biogenes Amin, das im Körper aus der Aminosäure Histidin synthetisiert wird und u. a. freigesetzt aus Mastzellen als potenter Mediator allergischer Reaktionen dient.
Neben der IgE-vermittelten Histaminfreisetzung im Rahmen einer allergischen Reaktion kann es auch zu einer nichtallergischen Histaminfreisetzung durch Medikamente, Nahrungsmittel, physikalische Reize etc. kommen.
Lokale Wirkungen werden über vier Histaminrezeptoren vermittelt:
H2-Rezeptoren: Regulieren die Magensäure-Sekretion.
H3-Rezeptoren: Regulieren den Schlaf-Wach-Rhythmus.
H4-Rezeptoren: Modulieren das Immunsystem.
Im Körper freigesetztes Histamin und von außen aufgenommenes Histamin wird durch zwei verschiedene Enzyme (Histamin-N-Methyltransferase, Diaminoxidase, DAO) abgebaut.
Der Histaminabbau kann durch Alkohol vermindert werden.
Größere Mengen an Histamin können zu Intoxikationen führen:
Für Histaminmengen über 100 mg sind leichte, ab 1.000 mg schwere Intoxikationen beschrieben.
z. B. aus (verdorbenem) Fisch, wie Thunfisch oder Makrele
Folge einer Überdosierung, nicht einer Unverträglichkeit
Als Pathomechanismus für eine Reaktion auf oral aufgenommenes Histamin wurde eine Abbaustörung der DAO vermutet. Bisher fehlen dafür sichere Belege durch Studien.
Die Wirksamkeit einer Supplementation von DAO ist nicht belegt und nicht empfohlen.
Auslöser
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Die Datenlage zu den Auslösern ist inkonsistent.
Der Histamingehalt in Nahrungsmitteln schwankt stark in Abhängigkeit von Lagerdauer und Verarbeitung.
starke Variation z. B. in Käse
Beobachtungen mit oral verabreichtem Histamin nicht reproduzierbar
Bei Frauen werden prämenstruell vermehrt Beschwerden beobachtet.
Fraglich, ob eine quantitative Einordnung des Histamingehalts von Nahrungsmitteln sinnvoll ist.
Nahrungsmittel mit evtl. hohem Histamingehalt
mikrobiell produzierte Nahrungsmittel, z. B.:
lange gereifter Käse (Gouda, Cheddar, Emmentaler, Swisstaler, Parmesan, aber auch Camembert)
Sauerkraut
Rotwein und andere alkoholische Getränke (Weißwein, Bier, Champagner)
Rotweinessig.
mikrobiell kontaminierte proteinreiche Nahrung, z. B.:
Thunfisch, Makrele, Sardinen, Hering (Scromboide)
Wurst, Salami, Schinken.
Gemüse
Spinat
Aubergine
Tomatenketchup
Die Datenlage zu der Wirkung von Medikamenten auf histaminabbauende Enzyme ist inkonsistent.1
Beschrieben wurden in diesem Zusammenhang:
Acetylcystein
Metamizol
Verapamil
Metronidazol
Metoclopramid.
ICPC-2
A86 Toxischer Effekt nichtmedizinischer Substanz
ICD-10
T61 Toxische Wirkung schädlicher Substanzen, die mit essbaren Meerestieren aufgenommen wurden
Leitlinie: Empfohlenes Vorgehen bei Verdacht auf Histaminunverträglichkeit1
Es gibt bisher keine objektiven Parameter, die das Vorhandensein einer Unverträglichkeit gegenüber exogen zugeführtem Histamin untermauern.
Unterstützend: Ernährungs- und Symptomtagebuch führen.
Die individuelle Verträglichkeit histaminreicher Nahrungsmittel kann mittels 3-stufiger Ernährungsumstellung evaluiert werden (ggf. Umsetzung von Medikamenten).
gemüsebetonte Mischkost mit Beschränkung der Zufuhr an biogenen Aminen, insbes. der Histaminzufuhr
Nährstoffoptimierung
Veränderung der Mahlzeitenzusammensetzung
Prinzipien der leichten Vollkost
Testphase (bis zu 6 Wochen): Erweiterung der Nahrungsmittelauswahl unter Berücksichtigung individueller Einflussfaktoren (Medikamente, Menstruation, Stress etc.)
gezielte Wiedereinführung verdächtiger Nahrungsmittel unter Beibehaltung der optimierten Verdauungsvoraussetzungen
strikte Diätvorgaben „aufweichen“
Ermittlung der individuellen Histaminverträglichkeit
Dauerernährung: dauerhafte, bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr, hohe Lebensqualität
Individuelle Ernährungsempfehlungen auf Basis optimierter Verdauungsvoraussetzungen, die sich an der individuellen Histaminverträglichkeit unter der Berücksichtigung exogener Einflussfaktoren orientieren.
Bei fehlender Besserung weitere diagnostische Abklärung, je nach Leitsymptom (z. B. Gastroenterologie, Neurologie)
Bei Besserung ggf. titrierte Provokation mit Histaminhydrochlorid zur Festlegung der individuellen Dosis aufsteigender Dosierung in 2-Stunden-Abständen (z. B. 0,5 mg/kg KG, 0,75 mg/kg KG, 1,0 mg/kg KG)
Die titrierte Histaminprovokation soll unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, da systemische Reaktionen auftreten können. Diese in der Regel kurzfristig auftretenden Symptome können durch die Gabe von Antihistaminika beherrscht werden.
Diagnostische Untersuchungen ohne Aussagekraft (nicht empfohlen)
Bestimmung der Diaminoxidase(DAO)-Aktivität im Serum
Histamin-Pricktest nach 50 min zur Beurteilung einer Histaminabbaustörung (Histamin-50-Test) ablesen.
Enzymaktivitäten im Darm messen.
Histamin im Stuhl
Histamin im Plasma
Methylhistamin im Urin
Indikationen zur Überweisung
Normalerweise nicht nötig
Ggf. zur titrierten Histaminprovokation
Therapie
Therapieziele
Durch ernährungstherapeutische Beratung vermeiden, dass Eliminationsdiäten zu einer unnötigen Einschränkung des Speiseplans und dadurch der Lebensqualität führen.1
Allgemeines zur Therapie
Eine Behandlung ist meist nicht erforderlich. Die Symptome sistieren normalerweise spontan.
Der Anfall geht dann in der Regel innerhalb von 30 min vorüber.
Situationen mit starken Belastungen kann parenteral oder oral ein Antihistaminikum verabreicht werden.
Ranitidin darf in der gesamten EU nicht mehr vertrieben werden, wegen Verunreinigungen mit dem kanzerogenen Nitrosamin Nitrosodimethylamin.4
Cimetidin und Famotidin sind in Deutschland kaum mehr in Gebrauch.
Medikamentöse Therapie
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
Antihistaminika (trotz fehlender doppelblind-placebokontrollierter prospektiver Studien zur Wirksamkeit von H1- und H2-Rezeptorblockern bei einer Unverträglichkeit von exogen zugeführtem Histamin)
im Rahmen akuter Belastungen (massive Diätfehler, z. B. bei Feierlichkeiten oder Scromboidvergiftung, z. B. mit Makrele oder Thunfisch), zur Behandlung einzelner Symptome, z. B.:
Flush: H1-Blocker, z. B. Cetirizin 10 mg 1 x/d (off label)
Denkbares pragmatisches Vorgehen: Patient*innen mit vermuteter Histaminunverträglichkeit über einen definierten Zeitraum mit H1/H2-Rezeptorblockern behandeln, um zu überprüfen, ob sich das Beschwerdebild verändert.
Prävention
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
Äußerst begrenzte Datenlage zur Wirkung histaminarmer Diäten
nur Beobachtungsstudien, keine RCT
Hinweise, dass einzelne Patient*innen profitieren.
Individuelle symptomorientierte Ernährungstherapie nach den vorgenannten Kriterien
Der Histamingehalt von Nahrungsmitteln unterliegt, auch bei gleicher Sortenwahl, je nach Reifegrad, Lagerdauer oder bestimmten Verarbeitungsprozessen starken Schwankungen und erschwert damit die Diagnosestellung und Beratung.
Wenn die individuelle Diät nicht gewährleistet werden kann (z. B. auf Reisen), kann die prophylaktische Einnahme von H1-Antihistaminika und ggf. auch von H2-Antihistaminika erwogen werden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Die akuten Symptome halten in der Regel weniger als 6 Stunden an.
Komplikationen
Tiefgreifende diätetische Einschränkungen (Eliminationsdiäten) aus Angst und Unsicherheit
Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e. V. Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. AWMF-Leitlinie Nr. 061-030. S1, Stand 2021. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e.V. Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. AWMF-Leitlinie Nr.061 - 030, Stand 2021. www.awmf.org
Zopf Y, Baenkler H-W, Silbermann A, Hahn EG, Raithel M. Differentialdiagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(21): 359-70. doi:10.3238/arztebl.2009.0359 DOI
Mainz L et al. Die verschiedenen Gesichter der Histaminintoleranz. Dtsch Arztebl 2006; 103(51–52): A 3477–83. www.aerzteblatt.de
Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Zusammenfassung
Definition:Unspezifische Symptome nach Aufnahme von Nahrungsmitteln mit hohem Gehalt an biogenen Aminen oder Histamin.
Häufigkeit:Unklar.
Symptome:Unterschiedliche Reaktionen: Periorale Schwellungen, brennendes Gefühl im Oropharynx, Flush, Urtikaria, Juckreiz, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Meteorismus, nasale Obstruktion, Fließschnupfen, Schwindel und Kopfschmerzen bis hin zu Hypotonie, Arrhythmien, und Asthmaanfällen sind beschrieben.
Befunde:Evtl. diffuses Erythem, konjunktivale Injektion, bis hin zu Tachykardie, Bronchospasmus, Hypotonie, Angioödem, Urtikaria.
Diagnostik:Die Diagnose erfolgt über den Ausschluss von Differenzialdiagnosen. Eine Ernährungsumstellung kann bei der Diagnosesicherung helfen.
Therapie:Ernährungsberatung zur Vermeidung einer zu strengen Eliminationsdiät. Die Akutbehandlung kann in der Gabe von H1- oder H2-Antihistaminika bestehen. Bei milden Symptomen erfolgt keine medikamentöse Therapie.
L50; L508; L53; L530; T61; T611
Histaminforgiftning
A86
Hoher Histamingehalt in Nahrungsmitteln; Histaminvergiftung; Histidin; Biogene Amine; Tyramin; Tryptamin; Serotonin; Überempfindlichkeitsreaktion auf Histamin; Histamin-Last; Histamin-N-Methyltransferase; Diaminoxidase; DAO; Ernährungstagebuch
Histaminintoleranz
BBB MK 26.05.2020 Ranitidin vom Markt
Giftnotrufzentrale 8.1.19
BBB MK 29.03.2022 revidiert, an neue LL angepasst. Roter Kasten entfernt (keine Vergiftung.
chck fo 15.7., MK 17.05.2017, komplett überarbeitet, LL in Text.
Definition:Unspezifische Symptome nach Aufnahme von Nahrungsmitteln mit hohem Gehalt an biogenen Aminen oder Histamin. Häufigkeit:Unklar. Symptome:Unterschiedliche Reaktionen: Periorale Schwellungen, brennendes Gefühl im Oropharynx, Flush, Urtikaria, Juckreiz, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Meteorismus, nasale Obstruktion, Fließschnupfen, Schwindel und Kopfschmerzen bis hin zu Hypotonie, Arrhythmien, und Asthmaanfällen sind beschrieben.