Laktoseintoleranz

Zusammenfassung

  • Definition:Das Enzym Laktase wird in der Schleimhaut des Dünndarms nicht oder nur gering produziert. Eine primäre Intoleranz ist genetisch bedingt. Eine sekundäre Intoleranz kann bei einer unbehandelten Zöliakie (Sprue) oder anderen Dünndarmerkrankungen auftreten.
  • Häufigkeit:In Deutschland liegt die Prävalenz bei 15—20 %.
  • Symptome:Bauchkrämpfe, Völlegefühl. Bei einigen Betroffenen können teilweise Meteorismus, starke Bauchschmerzen oder Diarrhö auftreten.
  • Befunde:Klinisch tritt ein geblähtes Abdomen auf, tympanischer Klopfschall, lebhafte Darmgeräusche.
  • Diagnostik:Mit einem Gentest kann die angeborene Laktoseintoleranz nachgewiesen werden. Mit Funktionstests (Laktosetoleranztest, Atemgastest) können andere Formen der Intoleranz nachgewiesen werden.
  • Therapie:Laktosehaltige Lebensmittel sollten vermieden oder reduziert werden. Einnahme von Laktase bei Bedarf.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Andere Bezeichnungen der Laktoseintoleranz sind Laktasemangel oder Laktosemalabsorption.
  • Laktose ist ein Disaccharid, das normalerweise durch das Enzym Laktase aus dem Bürstensaum der Dünndarmschleimhaut in Glukose und Galaktose aufgespalten wird, bevor es absorbiert wird.
  • Laktoseintoleranz
    • Das Enzym Laktase fehlt oder ist nur in geringer Menge in der Schleimhaut des Dünndarms vorhanden.
    • Bei der Aufnahme von Laktose kann es aufgrund des Laktasemangels zu Beschwerden kommen.1
  • Primärer Laktosemangel1
    • häufigste Form
    • erblich
    • altersabhängige Abnahme der Laktaseaktivität 
  • Sekundärer Laktasemangel1
    • nach Dünndarmschädigung, z. B. durch Infektionen (wie HIV-Enteropathie, tropische Sprue), systemische Erkrankungen (wie Karzinoid-Syndrom), Chemo- oder Radiotherapie
    • bei Kindern am häufigsten nach Gastroenteritis oder bei Kuhmilchprotein-Allergie
  • Kongenitaler Laktasemangel1
    • extrem selten
    • therapieresistente Diarrhö von Geburt an bei der ersten Exposition gegenüber Milchzucker
  • Laktasemangel ist der genetische Wildtyp bei Menschen und Säugetieren und keine Krankheit.2

Häufigkeit

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3
  • In Deutschland liegt die Prävalenz einer Laktoseintoleranz bei 15–20 %.
  • 70 % der Weltbevölkerung haben eine Laktoseintoleranz.
    • 80–100 % der Bevölkerung in Asien, 70–95 % der Bevölkerung in Afrika und 15–80 % der Bevölkerung in den USA haben eine Laktoseintoleranz.
    • In Europa liegt die Prävalenz bei 15–70 %.
    • Der Zeitpunkt des Verlusts der Laktaseaktivität variiert je nach Ethnizität. Personen asiatischer Abstammung verlieren ihre Laktaseaktivität einige Jahre früher nach dem Abstillen als Personen nordeuropäischer Abstammung.
  • Ein vorübergehender sekundärer Laktasemangel ist bei Kindern häufiger.
  • Die primäre (angeborene) Laktoseintoleranz kommt in Deutschland aufgrund der gestiegenen Multiethnizität immer häufiger vor.

Ätiologie und Pathogenese

Genetische Ursache (primärer Laktasemangel)

  • Das Enzym Laktase wird in der Schleimhaut des Dünndarms nicht oder nur gering produziert.
  • Es gibt nachweislich eine genetische Ursache dafür, dass Mitteleuropäer*innen die Laktaseaktivität (Laktasepersistenz) auch im Erwachsenenalter behalten.
    • Bei dem heterozygoten Genotyp 13910 C/T, evtl. auch dem homozygoten Genotyp 13910 T/T, führt der Einzelnukleotid-Polymorphismus dazu, dass die Laktaseaktivität bestehen bleibt.1
    • Ist der Genotyp 13910 C/T oder 13910 T/T nicht vorhanden, nimmt die Laktaseaktivität ab, und es kommt abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit im Alter von 3–20 Jahren zu einer Laktoseintoleranz.1
    • Bei Säuglingen und Kleinkindern wird die Laktaseaktivität durch einen unabhängigen Mechanismus aufrechterhalten, und der Rückgang der Laktaseaktivität ist individuell.

Ursachen bei sekundärem Lakasemangel

Pathophysiologie und Entstehung der Symptomatik

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Laktose ist ein Disaccharid aus Galaktose und Glukose, das in Milch und Milchprodukten vorkommt.
  • Laktose wird normalerweise auf den Mikrovilli des Dünndarms mithilfe des Enzyms Laktase in Galaktose und Glukose hydrolysiert.
    • Diese Monosaccharide werden dann im Dünndarm resorbiert.
  • Bei Patient*innen mit Laktasemangel kann Laktose aufgrund der fehlenden Hydrolsierung nicht resorbiert werden und gelangt in das Kolon.
    • Intraluminal hat das Disaccharid Laktose eine hohe Osmolalität.
    • Im Kolon wird Laktose von Milchsäure-Darmbakterien in kurzkettige Fettsäuren und Darmgas (Wasserstoff, Methan, COetc.) umgewandelt. Dabei entstehen Acetat, Butyrat und Proprionat.
    • Milchsäure-Bakterien können auch Laktase hydrolysieren, sodass im Kolon Galaktose und Glukose entstehen und fermentiert werden.
  • All dies führt zu einer beschleunigten Darmpassage, Gasbildung mit Meteorismus und einer großen Variationsbreite an Symptomen: Bauchschmerzen, Aufgeblähtsein, Meterorismus und Diarrhö.
    • Ob Symptome entstehen und wie ausgeprägt sie sind, hängt individuell von der Darmflora und der Zusammensetzung der Nahrung ab.

Prädisponierende Faktoren

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Personen afrikanischer, nativ-amerikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer oder jüdischer Abstammung sind wesentlich häufiger betroffen.
  • Jugendliche und junge Erwachsene
  • Positive Familienanamnese
  • Akute Gastroenteritis
  • Prädisponierende Komorbiditäten, siehe Abschnitt Ätiologie und Pathogenese.
  • Diagnose eines Reizdarmsyndroms in der Vorgeschichte

ICPC-2

  • T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere

ICD-10

  • E73 Laktoseintoleranz
    • E73.8 Sonstige Laktoseintoleranz
    • E78.9 Laktoseintoleranz, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnostik erfolgt mittels H2-Atemtest mit 50 g Milchzucker.3
  • Klinische Symptome nach Einnahme der Laktose bestätigen die Diagnose.
  • Die Diagnose wird durch Nachweis des homozygoten Genotyps CC_13910 oder GG_22018 bestätigt.
  • Der Gentest kann die klinische Relevanz und Ausprägung nicht klären.3
  • Die sekundären Formen bei Begleiterkrankungen können mittels Gentest nicht nachgewiesen werden.3
  • H2-Atemtest sollte bei einem klinischen Verdacht und dem Vorliegen der Genotypen 13910 C/T oder 13910 T/T durchgeführt werden.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Bei vielen Betroffenen ist der Laktasemangel asymptomatisch.
  • Eine Laktoseintoleranz kann in jedem Alter erstmalig auftreten.
    • Symptombeginn in der Regel während der späten Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter
  • Charakteristische Anamnese: gastrointestinale und/oder systemische Symptome innerhalb von Minuten bis Stunden nach Konsum laktosehaltiger Lebensmittel (Milchprodukte und industriell verarbeitete Lebensmittel)
    • Die Beschwerden treten oft schon 30 Minuten nach dem Verzehr von Milch oder Milchprodukten auf. Sie können bis zu 6–9 Stunden anhalten.2
    • Manche Betroffene, die bereits auf Milchprodukte verzichten, haben aufgrund versteckter Laktose in verarbeiteten Lebensmitteln weiterhin Symptome und sind sich über den Zusammenhang nicht im Klaren.
  • Übliche Symptome nach Konsum laktasehaltiger Lebensmittel:1
    • abdominelle Schmerzen (typischerweise periumbilikale Krämpfe)
    • Aufgeblähtsein
    • laute Darmgeräusche
    • Flatulenz (führt manchmal zur Symptombesserung)
    • Diarrhö (typischerweise explosiv, wässrig, schaumig, massig)
    • besonders bei Jugendlichen auch Übelkeit und Erbrechen
    • Seltener kann es auch zu einer Obstipation kommen.
  • Häufig, besonders bei Erwachsenen, auch systemische Symptome (absteigende Häufigkeit):1 
    • Kopfschmerzen
    • Konzentrationsstörungen, Störungen des Kurzzeitgedächtnisses
    • langanhaltende schwere Müdigkeit
    • Muskelschmerzen
    • Gelenkschmerzen und -steifigkeit
    • Allergiesymptome
    • Herzrhythmusstörungen
    • Ulzerationen der Mundschleimhaut
    • häufiges Wasserlassen
    • Halsschmerzen.

Primäre Laktoseintoleranz

  • Die Toleranzschwelle für Milch oder Milchprodukte variiert individuell.
  • Die meisten Betroffenen vertragen ein Glas Milch pro Tag (240 mg = 1 g Laktose), während andere schon bei 2–5 g Laktose (z. B. Schokoriegel) Symptome entwickeln.1

Sekundäre Laktoseintoleranz

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Patient*innen mit sekundärer Laktoseintoleranz können, je nach Grunderkrankung, zusätzliche Symptome haben:

Klinische Untersuchung

  • Abdomen1
    • angespanntes Abdomen, lebhafte Darmgeräusche, tympanischer Klopfschall

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Labor zum Ausschluss von Grunderkrankungen1
    • großes Blutbild
    • Stuhl auf pathogene Keime bei plötzlichem und kurz zurückliegendem Symptombeginn

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Ein zweiwöchiger Auslassversuch von laktosehaltigen Lebensmitteln mit komplettem Rückgang der Symptome wird von einigen Autor*innen als diagnostisch angesehen.1
  • Wasserstoff-Exhalationstest (H2-Atemtest)3
    • Sensitivität ca. 90–95 %, Spezifität ca. 95–100 %
    • 50 g Laktose (Kinder 2 g/kg KG) werden oral verabreicht.
    • Über einen Zeitraum von 150–180 Minuten wird die H2-Ausatmung in 30-Minuten-Intervallen gemessen.
    • H2 wird im Kolon gebildet, wenn Kohlenhydrate von den Bakterien der Darmflora verstoffwechselt werden.
    • pathologischer H2-Wert: > 20 ppm
    • falsch positiv: bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms
    • falsch negativ: Bei 10–15 % der Bevölkerung kann die bakterielle Darmflora kein H2 produzieren (H2-Non-Producer).
    • Eindeutige klinische Symptome nach Laktoseeinnahme bestätigen die Diagnose.
  • Gentest
    • keine Kassenleistung
    • Der Nachweis der Genmutation zeigt nur den primären Laktasemangel an.3
    • Kann nicht klären, ob und ab welcher Dosis von Milchzucker Symptome entstehen.3
    • Fast alle symptomatischen Betroffenen mit dem Genotyp CC_13910/GG_22018 haben einen Laktasemangel und sind laktoseintolerant.1
      • 82 % der Personen mit dem Genotyp CT_13910/GA_22018 und 68 % der Personen mit dem Genotyp TT_13910/AA_22018 sind ebenfalls laktoseintolerant.
      • hohe Sensitivität und Spezifität
    • Der Gentest kann als einziger Test verwendet werden, wenn ein erblicher Laktasemangel nachgewiesen oder ausgeschlossen werden soll.
  • Laktosetoleranztest
    • Der Test hat eine niedrige Sensitivität und Spezifität und wird in der Praxis nicht mehr durchgeführt.1
    • Den Patient*innen wird 25–50 g Laktose oral verabreicht. Steigt der Blutzuckerspiegel über 3 Stunden nicht oder nur wenig, weist dies auf eine Laktosemalabsorption hin.
  • Bestimmung der Laktaseaktivität über eine Dünndarmbiopsie
    • invasive Untersuchung mit geringerer Sensitivität als ein Atemtest1

Therapie

Therapieziel

  • Symptomfreiheit

Allgemeines zur Therapie  

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3
  • Therapie indiziert bei klinischen Symptomen
  • Ernährungsberatung
  • Karenz von Milch und Milchprodukten für 4–6 Wochen
  • Danach Reduktion des Milchzuckers bis auf die tolerierte Maximaldosis
  • Wichtig ist eine Beratung der Patient*innen, damit sie laktosehaltige Lebensmittel identifizieren können (z. B. Eiscreme, Back-, Fertig- und Wurstwaren).
  • Orale Substitution von Laktase in Tablettenform
    • Alternative laut eines systematischen Reviews: Einnahme von Probiotika, wie Lactobacillus sp., Bifidobakterium longum oder Bifidobakterium animalis, die im Darm Laktase produzieren.2
      • Evidenz geringer Qualität, positiver Effekt nicht konsistent besser als bei Laktase-Substitution 
  • Bei sekundärer Laktoseintoleranz Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung

Empfehlungen für Patient*innen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3
  • Substitution der Laktase in Tablettenform während des Verzehrs von milchzuckerhaltigen Produkten (OTC, keine Erstattung durch die Krankenkassen)
    • mediane Symptomreduktion bis zu 88 % (laut anderen Autor*innen nur 18 % Symptomreduktion2)
  • Verzehr laktosefreier Milchprodukte (< 0,1 g Laktose/100 g Lebensmittel)
  • Auf verborgene Laktose in industriellen Lebensmitteln achten.
  • Auswahl fermentierter Milchprodukte (Joghurt/Quark)
    • Haben wegen der bakteriell-enzymatischen Aufspaltung der Laktose einen geringeren Laktosegehalt.
    • 100 g pasteurisierter Milch enthalten 5 g Laktose.
    • 100 g fermentierter Lebensmittel (Joghurt, Quark, Hart-, Schnitt-, Frisch- bzw. Weichkäse enthalten 1–3 g Laktose.
  • Regelrechte Nährstoffzusammensetzung der Kost (50 % KH, 15–20 % Eiweiß, 25–30 % Fett), Verzicht auf Magerprodukte
    • Verlängerung der Magenentleerungszeit mit langsamerer intestinaler Anflutung
  • Bei primärer Laktoseintoleranz ist in der Regel eine Rest-Laktaseaktivität vorhanden, sodass geringe Laktosemengen keine Beschwerden hervorrufen.
    • Es kann helfen, den täglichen Konsum von Milchprodukten in kleinere Portionen aufzuteilen und andere Nahrungsmittel gleichzeitig zu verzehren.
    • Die in Tabletten vorkommenden geringsten Laktosemengen (Milligramm-Bereich) werden normalerweise vertragen.
  • Patient*innen mit gleichzeitig vorliegendem Reizdarmsyndrom profitieren zusätzlich von einer FODMAP-armen Diät.1-2
    • FODMAP = Fermentable Oligosaccharides, Disaccharides, Monosaccharides and Polyols
    • Reduziert werden vergärbare Mehrfachzucker (z. B. Laktose, Stärke), Einfachzucker (wie Fruktose) und Zuckeralkohole (z. B. Süßstoffe).
    • Sollte bei fehlender Besserung unter laktosefreier Diät versucht werden.
    • auch bei gleichzeitig vorliegender Fruktosemalabsorption

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. BMJ BestPractice. Lactase deficiency. Stand Juni 2022. Letzter Zugriff am 20.07.2022. bestpractice.bmj.com
  2. Misselwitz B, Butter M, Verbeke K, Fox MR. Update on lactose malabsorption and intolerance: pathogenesis, diagnosis and clinical management. Gut. 2019 Nov;68(11):2080-2091. doi: 10.1136/gutjnl-2019-318404. Epub 2019 Aug 19. PMID: 31427404; PMCID: PMC6839734. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Raithel M, Weidenhiller M, Hagel AFK, Hetterich U, Neurath MF, Konturek PC. Kohlenhydratmalassimilation häufig vorkommender Mono- und Disaccharide - Abgestuftes diagnostisches Vorgehen und Differenzialdiagnosen. Dtsch Ärztebl Int 2013; 110: 775-82. www.aerzteblatt.de

Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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