Compare with  
Legend:
inserted text deleted text

Geschlechtsinkongruenz

Was ist Geschlechtsinkongruenz?

Der Artikel basiert auf dem zugehörigen Arztartikel sowie der Patientenleitlinie Leitfaden Trans*Gesundheit in: Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung.1

Definition

Mit dem medizinischen Fachbegriff „Geschlechtsinkongruenz“ wird beschrieben, dass sich die körperlichen Geschlechtsmerkmale einer Person unpassend oder falsch anfühlen, die Personen selbst bezeichnen sich als Trans*.

Begriffserklärungen

Trans*-Personen fühlen sich nicht – oder nicht nur – dem Geschlecht zugehörig, das in ihrer Geburtsurkunde eingetragen wurde.“1 Das Wort „Trans“ ist ein Oberbegriff, daraus abgeleitet sind die Selbstbeschreibungen:

  • transgender (verstehen sich eindeutig als Mann oder Frau)
  • transident (verstehen sich eindeutig als Mann oder Frau)
  • transsexuell (verstehen sich eindeutig als Mann oder Frau)
  • non-binär (verstehen sich weder als Frau noch als Mann)
  • agender (keinem Geschlecht zugehörig).

Als Geschlechtsdysphorie wird der Leidensdruck bezeichnet, der durch das fehlende Zusammenpassen von Identität und Körper entstanden ist.

Der Begriff Transsexualismus gilt als international überholt, wird aber in Deutschland noch als Diagnose verwendet und ist daher auch noch auf Attesten und Anträgen zu lesen. Ab dem 1. Januar 2022 kann er mit Inkrafttreten des neuen Diagnoseschlüsselsystems ICD-11 durch die Diagnose „Geschlechtsinkongruenz“ ersetzt werden.

Transition bezeichnet die verschiedenen Stationen von dem nach der Geburt festgelegten Geschlecht zum eigenen Geschlecht.

Cis-Person ist eine Person, bei der erlebtes und zugewiesenes Geschlecht gleich sind.

Die sexuelle Orientierung einer Person und ihre Geschlechtsidentität sind voneinander unabhängig.

Symptome

Eine Geschlechtsinkongruenz ist keine Krankheit, wenn aber ein Leidensdruck durch die Diskrepanz zwischen festgelegtem und erlebtem Geschlecht entsteht, können sich daraus z. B. psychische Symptome entwickeln. Diese verschwinden meist relativ schnell unter entsprechender Behandlung. Außerdem kann ein ausgeprägter Wunsch nach einer Änderung des Körpers entsprechend der Geschlechtsidentität vorhanden sein, dies lässt allerdings keine Rückschlüsse über die Ausprägung einer Geschlechtsdysphorie zu.

Häufigkeit

Seit ca. 20 Jahren wird in ganz Europa von einer deutlichen Zunahme von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdsyphorie berichtet. Dies hängt wahrscheinlich mit mehr Verständnis und Akzeptanz gegenüber der Geschlechtervielfalt zusammen, sowohl in der Bevölkerung als auch im GesundheitswesenBevölkerungsbefragungen in den Niederlanden und Belgien haben gezeigt, dass schätzungsweise ca. 0,6–1,1 % der Bevölkerung geschlechtsinkongruent sind.

Untersuchungen

Das Festlegen der Diagnose „Geschlechtsinkongruenz“ bzw. „Geschlechtsdysphorie“ nach den speziellen Kriterien eines Diagnosekatalogs (ICD-11, DSM-5) macht individuelle Behandlungen von Trans*Personen und eine von der Krankenkasse finanzierte Behandlung erst möglich.

Folgende Aspekte können von Ärzt*innen zum Festlegen einer Diagnose erfragt werden:

  • psychosexuelle Entwicklung seit der Kindheit (z. B. Geschlechtsinkongruenz vor der Pubertät, Pubertätsentwicklung, Geschlechtsidentität, Partnerschaften, Coming-out)
  • aktuelle Lebensumstände und das soziale Umfeld
  • biografische Inhalte seit der Geburt (z. B. Umstände von Geburt, Kindheit, Schule, Ausbildung, Freizeit)
  • Krankheiten und Operationen in Vergangenheit und Gegenwart
  • psychischer Zustand bzw. psychische Erkrankungen
  • individueller Leidensdruck in den verschiedenen Lebensbereichen
  • Bestehen Geschlechtsinkongruenz bzw. Geschlechtsdysphorie konstant (seit einigen Monaten oder länger) oder vorübergehend, oder sind sie zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich stark ausgeprägt (intermittierend)?
  • bisherige Erfahrungen im Gesundheitssystem sowie allgemein mit Mobbing und Ausgrenzung.

Trans*Menschen können neben der Geschlechtsinkongruenz unter psychischen Symptomen und Beschwerden wie z. B. Depressionen, Ängsten, Suizidgedanken, Abhängigkeit von Alkohol/Medikamenten oder Essstörungen leiden. Diese können eine Reaktion auf die Geschlechtsinkongruenz, aber auch unabhängig davon vorhanden sein.

Ein besonderes Augenmerk gilt psychotischen Erkrankungen wie z. B. einer Schizophrenie die oft mit einer veränderten Realitätswahrnehmung einhergehen. Hier gilt es zu klären, ob die Geschlechtsinkongruenz Folge der Psychose ist oder unabhängig davon besteht und entsprechende Behandlungsschritte einzuleiten (siehe Behandlungen).

Behandlungen

Behandlungsziele und -grundsätze

Eine Behandlung sollte sich an den individuellen Bedürfnissen und Wünschen von Trans*Personen orientieren und hängt z. B. auch davon ab, ob jemand non-binär ist.

Beratung

Die Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen sollten möglichst mit Trans*organisationen vernetzt sein.

Beratung kann bestimmte Informationen und Begleitung bieten, wie z. B.: 

  • zu medizinischen Behandlungsmethoden
  • zu Risiken und Nebenwirkungen bestimmter Behandlungen
  • zu rechtlichen Fragen
  • bei der Identitäts- oder Entscheidungsfindung und Coming-out(s)
  • in schwierigen Lebenssituationen
  • zur Ermutigung und Unterstützung
  • Kontaktherstellung zu Selbsthilfeorganisationen.

Psychotherapie

Entgegen internationalen Standards und den deutschen Leitlinien wird von der gesetzlichen Krankenversicherung immer noch eine Psychotherapie als Voraussetzung für die Übernahme der Kosten von geschlechtsangleichenden Maßnahmen (modifizierende Körperbehandlungen) vorgeschrieben (Stand Februar 2022).

Eine Psychotherapie kann in Anspruch genommen werden, um sich bei Entscheidungsfindungen begleiten zu lassen oder negative Erfahrungen aus dem Umfeld (Diskriminierung, Mobbing, Ablehnung) zu bearbeiten.

Psychotherapeutische Sitzungen können auch dazu beitragen, eine Geschlechtsdysphorie abzumildern, indem Trans*personen lernen, sich selbst, so wie sie sind, anzunehmen, mit negativen Gefühlen und Scham- und Schuldgefühlen besser klar zu kommen sowie ihre eigene Identität (weiter) zu entwickeln.

Falls zusätzlich psychische Erkrankungen vorliegen, sollten diese mitbehandelt werden. Eine psychotische Störung sollte vor oder zumindest parallel zu einer beginnenden Transition entsprechend (psychotherapeutisch und medikamentös) behandelt werden, da es sonst zu einer ungewollten Transition kommen kann. Außerdem sollte bei Beginn und während der Transition eine psychiatrische Begleitung erfolgen.

Vorbereitung geschlechtsangleichender Behandlungen  

Alltagserfahrungen (auch „Alltagstest“), also das Leben in der Rolle des angestrebten Geschlechts, können hilfreich bei der Entscheidung über weitere Schritte zur Transition sein. Allerdings stellen sie aktuell keine nötigen Voraussetzungen für den Beginn geschlechtsangleichender Maßnahmen (körpermodifizierende Behandlungen) dar. Dennoch sind möglichst viele Alltagserfahrungen zu empfehlen. Sie können auch schon mit ersten medizinischen Maßnahmen kombiniert werden, z. B. Hormonbehandlungen, einer Entfernung der Behaarung im Gesicht oder einer Brustentfernung.

Vor dem Beginn geschlechtsangleichender Maßnahmen sollten Sie sich ausreichend über „Möglichkeiten und Grenzen körpermodifizierender Behandlungen, die Dauer der stationären Aufenthalte, potenzielle Risiken und Komplikationen sowie die nötige Pflege nach Operationen“ informieren.1

Körpermodifizierende Behandlungen (Transition)

Körpermodifizierende Behandlungen können dazu beitragen, Geschlechtsdysphorie und psychische Beeinträchtigungen zu mindern sowie die Lebensqualität zu verbessern. Es werden maskulinisierende und feminisierende Behandlungen und Hilfsmittel unterschieden. Die Bezeichnungen „maskulinisierend“, (wörtlich vermännlichend) und „feminisierend“ (verweiblichend) zielen dabei auf das Geschlecht ab, das nach den jeweiligen Maßnahmen vom Umfeld wahrgenommen wird.

Welche Behandlungen im Einzelnen infrage kommen, ist je nach Wunsch und Möglichkeiten sehr individuell. Die Maßnahmen sollten mit Ihnen gemeinsam in spezialisierten Zentren entschieden und anschließend auch dort durchgeführt und begleitet werden.

Hormonbehandlung

Die Einnahme von Hormonen sollte von entsprechenden Spezialist*innen (Endokrinolog*innen) begleitet werden. Hormone spielen eine große Rolle für viele Trans*Menschen, da sie den Körper so verändern können, dass er nach außen männlicher oder weiblicher wirkt. Damit einher geht meistens eine Verbesserung

  • der Lebensqualität
  • des Selbstwerts
  • einer Geschlechtsdysphorie
  • von Ängsten und Depressionen.

Die Einnahme von Homonen ohne ärztliche Begleitung kann verschiedene Risiken für das Herz-Kreislauf-System oder ein erhöhtes Thrombose-Risiko bedeuten. Falls Sie aktuell Hormone auf eigene Faust einnehmen, sollten Sie sich bei einer entsprechenden Trans*Beratungsstelle Informationen und Adressen zu Ärzt*innen geben lassen, die eine Hormonbehandlung durchführen und begleiten (siehe Unterstützung und Anlaufstellen).

Behandlung der Stimme (Logopädie und Phonochirurgie)

Ob eine Stimme als männlich oder weiblich wahrgenommen wird, hängt u. a. von der Stimmfrequenz, von Sprechmuster, Klangfarbe und Sprachmelodie ab.1 Ein Training der Stimme und des Sprechens kann diese Faktoren beeinflussen und macht es möglich, dass die Stimme weiblicher oder männlicher wahrgenommen wird. Die Behandlung kann bereits zu Beginn der Transition erfolgen. Falls dies nicht ausreicht, ist es darüber hinaus möglich, die Stimmlippen zu operieren (Phonochirurgie), mit anschließender Fortführung der Logopädie.

Feminisierende Hilfsmittel und Operationen

Um im Alltag als Frau bzw. weiblich wahrgenommen zu werden, können bereits zu Beginn einer Transition die Epilation, also Entfernung der Barthaare und ggf. auch anderen Körperteilen, sowie Perücken, Haar-Teilersatz und Brustepithesen zum Einsatz kommen. Als Brustepithesen werden Brustnachbildungen aus Silikon bezeichnet, die an der Haut befestigt werden oder in einem BH getragen werden können. Haartransplantationen sind ebenfalls möglich.

Als feminisierende Operationen kommen infrage:

  • ein Brustaufbau (Mammaplastik)
  • eine Genitaloperation
  • eine Adamsapfelkorrektur
  • gesichtsfeminisierende Operationen.

Ein Brustaufbau kann dann erfolgen, wenn die hormonelle Behandlung kein ausreichendes Brustwachstum hervorruft oder keine Hormontherapie möglich ist. Bei der feminisierenden Genitaloperation werden Hoden und Schwellkörper entfernt und durch die Bildung von Scheide, Schamlippen und Klitoris ersetzt. Da die körpereigene Produktion von Sexualhormonen durch die Entfernung der Hoden ausfällt, müssen diese lebenslang als Medikament (Östrogen) eingenommen werden.

Der Adamsapfel, als Teil des Kehlkopfes, kann als nach außen wahrnehmbares männliches Geschlechtsmerkmal je nach Leidensdruck ebenfalls chirurgisch korrigiert werden.

Gesichtsfeminisierende Operationen können ergänzend durchgeführt werden, wenn Hormon- und Epilationsbehandlungen bereits durchgeführt wurden, aber von Trans*weiblichen als nicht ausreichend empfunden werden.

Maskulinisierende Hilfsmittel und Operationen

Um eine männliche Außenwirkung zu erzielen, können sog. Binder zur Brustkompression und Penis-Hoden-Epithesen eingesetzt werden. Penis-Hoden-Epithesen sind Silikon-Nachbildungen, die an den Körper der Träger*in angepasst und festgeklebt werden. Beides kann entweder dauerhaft oder als Überbrückung bis zu einer operativen Maßnahme verwendet werden.

Als maskulinisierende Operationen sind möglich:

  • Mastektomie
  • Hysterektomie und Adnektektomie
  • maskulinisierende Genitaloperation.

Als Mastektomie wird die operative Verkleinerung und Abflachung der Brust bezeichnet.

Falls von Trans*männlichen gewünscht, ist eine Entfernung von Eierstöcken und Gebärmutter möglich (Hysterektomie und Adnekektomie), aufgrund der daraus folgenden fehlenden Produktion von Sexualhormonen ist ein lebenslanger Ersatz dieser durch Medikamente erforderlich (z. B. durch Testosteron).

Als maskulinisierende Genitaloperation kann ein Penis aus Hautlappen von Unterschenkel oder Unterarm aufgebaut werden, sie wird als Penoidkonstruktion oder Phalloplastik bezeichnet und bedarf mehrerer Operationen. Alternativ oder vorgeschaltet zur Penoidkonstruktion, kann bei einer vorausgegangenen Testosteronbehandlung aus der Klitoris ein kleiner Penis gebildet werden.

Weitere Informationen 

  • Geschlechtsinkongruenz – Informationen für ärztliches Personal
  • Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung. Patientenleitlinie Leitfaden Trans*Gesundheit in: Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 138-001. S3,
    Stand 2018. www.awmf.org

Unterstützung und Anlaufstellen

  • Regenbogenportal – Informationspool des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und geschlechtlicher Vielfalt
  • Bundesverband Trans*
  • VLSP – Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie – bietet eine Übersicht von Beratungsstellen und Therapeut*innen.

Selbsthilfegruppen 

  • Regionale Selbsthilfegruppen können z. B. über die o. g. Anlaufstellen gefunden werden, zusätzlich sind unten exemplarisch weitere (überregionale) Vermittlungsstellen für Selbsthilfe aufgeführt.
  • Trans-Ident e. V. ist „ein gemeinnütziger Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, transident empfindende Menschen und deren Angehörigen sowie den Zusammenschluss der angeschlossenen Selbsthilfegruppen (...) Angehörige und Trans-Ident Eltern und Kinder zu unterstützen und zu betreuen.“
  • VDGE e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der im „gesamten deutschsprachigen Raum Kontakt-, Informations- und Peerberatungsstellen (Betroffene für Betroffene) für Menschen mit Variante der Geschlechtsentwicklung, also Transsexualität, Transidentität und Intersexualität, eingerichtet“ hat. Er bietet Hilfe zur Selbsthilfe.

Quellen

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung. Patientenleitlinie Leitfaden Trans*Gesundheit in: Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 138-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org

Autorin

  • Catrin Grimm, Ärztin in Weiterbildung Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klingenberg a. M.
Geschlechtsinkongruenz; Geschlechtsdysphorie; Geschlechtervielfalt; transgender; transident; Transidentität; transsexuell; transgeschlechtlich; trans*; trans; non-binär; agender; Transsexualismus; Coming-out; Alltagserfahrungen; Transition; Hormonbehandlung; Körpermodifizierende Maßnahmen; Geschlechtsangleichende Maßnahmen; Phonochirurgie; Penis-Hoden-Epithese; Brustepithese; Epithese; Binder; Mammaplastik; Mastektomie; Penoidkonstruktion
Geschlechtsinkongruenz
https://deximed.de/home/klinische-themen/psychische-stoerungen/patienteninformationen/verschiedene-zustandsbilder/geschlechtsinkongruenz/
CG 16.03.22
document-information document-nav document-tools
Der Artikel basiert auf dem zugehörigen Arztartikel sowie der Patientenleitlinie Leitfaden Trans*Gesundheit in: Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung.1
Psychische Störungen
Geschlechtsinkongruenz
/link/222ab9be76e44f2698b642fc576b3121.aspx
/link/222ab9be76e44f2698b642fc576b3121.aspx
geschlechtsinkongruenz
SitePublic
Geschlechtsinkongruenz
u.boos@gesinform.de
u.boos@gesinform.de
de
de
de