Allgemeine Informationen
Definition
- Die transiente globale Amnesie (TGA), auch amnestische Episode genannt, ist eine akut einsetzende Störung aller Gedächtnisinhalte (visuell, taktil, verbal).1
- Die Gedächtnisstörung mit antero- und manchmal auch retrograder Amnesie kann bis zu 24 Stunden (im Mittel 6–8 Stunden) dauern.
- Es bestehen keine Bewusstseinsminderung oder weitere neurologische Ausfälle.2
Häufigkeit
- Die Inzidenz einer TGA beträgt 3–8 Betroffene pro 100.000 Einw. pro Jahr.1
- Am häufigsten tritt die TGA in der Altersgruppe der 50- bis 70-Jährigen auf, bei unter 30-Jährigen ist sie bislang nicht beschrieben.
- Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.
- In den Wintermonaten ist die TGA häufiger.
Ätiologie und Pathogenese
- Es wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, ohne dass die Pathophysiologie vollständig verstanden ist.
- Bildgebende Befunde sprechen für eine passagere Funktionsstörung mediobasaler Temporallappenanteile unter Einschluss der beiden Hippocampi.1
Prädisponierende Faktoren
- Emotional-psychische Belastungen
- Körperliche Anstrengungen
- Sprung ins kalte Wasser
- Geschlechtsverkehr
- Ängstliche Persönlichkeitsstruktur
- Migräne3
ICPC-2
- K89 Transiente zerebrale Ischämie/TIA
- Schließt transiente globale Amnesie ein.
ICD-10
- G45.4 Transiente globale Amnesie
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
- Plötzlicher anterograder Gedächtnisverlust
- Manchmal ist auch der Zugriff auf kurz vor der TGA erworbene Gedächtnisinhalte gestört (retrograde Amnesie).
- Es bestehen keine neurologischen Ausfälle oder andere Zeichen körperlicher oder psychischer Erkrankungen (insbesondere keine Zeichen epileptischer Anfälle).
- Es besteht keine Bewusstseinsstörung oder Desorientierung zur Person.
- Die Episode muss beobachtet worden sein.
- Die Symptome verschwinden spontan, meist im Laufe von 2–12 Stunden, immer jedoch innerhalb von 24 Stunden.
Differenzialdiagnosen
- TIA oder Schlaganfall
- Commotio cerebri
- Intoxikationen, Medikamentennebenwirkungen
- Hypoglykämie
- Verwirrtheit mit anderer Ursache
- Epilepsie
- Dissoziative Amnesie
Anamnese
- Plötzlich auftretende Verwirrtheit im Sinne einer anterograde Amnesie, d. h. neue Eindrücke werden nicht mehr aufgenommen und erinnert.
- Betroffene stellen wiederholt die gleichen Fragen und verstehen die Situation nicht, in der sie sich befinden.
- Das Bewusstsein ist nicht gestört, und die Person weiß, wer sie ist.
- Die übrigen kognitiven Funktionen sind intakt.
- Die Person erinnert sich an ihre Personalien und kann z. B. Rechenaufgaben lösen oder vor der Episode erlernte Tätigkeiten ausführen.
- Manche Patient*innen haben auch eine retrograde Amnesie, die einen mehr oder weniger langen Zeitraum betrifft.
- Typisch ist, dass die TGA nach oder während starker körperlicher Anstrengung oder emotionaler Belastung auftritt.
- Manche Betroffene haben in der akuten Phase leichte vegetative Symptome wie Kopfschmerz, Übelkeit oder Schwindel.
- Nach der TGA erinnert sich die Person nicht an die Episode.
Klinische Untersuchung
- Die klinisch-neurologische Untersuchung ist unauffällig. Es können Kopfschmerzen, Schwindel und Tachykardie im Rahmen der Verängstigung auftreten.
- Gegen eine TGA spricht das Auftreten folgender Symptome:2
- neurologischen Ausfälle
- Fieber
- Halluzinationen
- epileptische Anfälle
- Bewusstseinsveränderungen.
Ergänzende Untersuchungen
- Die Störung der Orientierung zu Zeit, Ort und Situation lässt sich mit Tests wie dem Mini-Mental-Status-Test (MMST) oder MoCa nachweisen.2
- Bei typischer Klinik sind keine ergänzenden Untersuchungen erforderlich.
- Bei anhaltenden Symptomen oder Verdacht auf eine andere Ursache der Amnesie können EEG, MRT oder CCT indiziert sein.
- In während oder kurz nach einer TGA-Episode angefertigten zerebralen MRT sind kleinere, aber typische Veränderungen im Hippocampus beschrieben.5
- Die Veränderungen sind reversibel und kein diagnostisches Kriterium.
- In während oder kurz nach einer TGA-Episode angefertigten zerebralen MRT sind kleinere, aber typische Veränderungen im Hippocampus beschrieben.5
- Evtl. ist auch eine Gefäßdiagnostik des vertebrobasilären Stromgebietes hilfreich.1
Indikationen zur Überweisung
- Bei unklarem Krankheitsbild an eine neurologische Praxis überweisen.
Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Betreuung und Beruhigung der Betroffenen, solange die Funktionsstörung anhält.
Medikamentöse Therapie
- Nicht indiziert
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die TGA manifestiert sich akut in Form von Verwirrtheit und Unfähigkeit zur Aufnahme neuer Informationen (anterograder Gedächtnisverlust).
- Die Symptome verschwinden meist innerhalb von 2–12 Stunden und halten nicht mehr als 24 Stunden an.
- Trotzdem lassen sich in einigen Fällen Tage bis Monate nach dem Ereignis Einschränkungen des nonverbalen Langzeitgedächtnisses nachweisen.1
Komplikationen
- Komplikationen sind nicht bekannt.
Prognose
- Die Prognose ist gut.
- Rezidive sind häufiger bei Migräne-Patient*innen oder bei Auftreten der TGA in jüngeren Jahren.6
- Kein erhöhtes Risiko für andere Erkrankungen wie z. B. Schlaganfälle oder eine spätere psychische Erkrankung7
Verlaufskontrolle
- Bei sicherer Diagnose sind keine Kontrollen erforderlich.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Die Ursache der TGA ist unbekannt.
- Die TGA ist ungefährlich und nicht mit anderen Erkrankungen oder Komplikationen verbunden.
- Rückfälle sind die Ausnahme.
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Transiente globale Amnesie (= amnestische Episode). AWMF-Leitlinie Nr. 030-083. S1, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Transiente globale Amnesie (= amnestische Episode). AWMF-Leitlinie Nr. 030-083. Stand 2017. www.awmf.org
- Hoyer C. Szabo K. Klinik, Diagnostik und Pathophysiologie der transienten globalen Amnesie (TGA). Neurologie up2date 2020; 03(03): 259-270 www.thieme-connect.de
- Yi M, Sherzai AZ, Ani C, Shavlik D, et al. Strong Association Between Migraine and Transient Global Amnesia: A National Inpatient Sample Analysis. J Neuropsychiatry Clin Neurosci 2019; 31: 43. pmid:30305003 PubMed
- Hodges JR, Warlow CPSyndromes of transient amnesia: towards a classification. A study of 153 cases.Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry 1990 jnnp.bmj.com
- Scheel M1, Malkowsky C, Klingebiel R, Schreiber SJ, Bohner G. Magnetic resonance imaging in transient global amnesia: lessons learned from 198 cases. Clin Neuroradiol 2012; 22: 335-40. pmid:22422060 PubMed
- Morris KA, Rabinstein AA, Young NP. Factors Associated With Risk of Recurrent Transient Global Amnesia. JAMA Neurol. 2020 Aug 31;77(12):1–8. doi: pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Arena JE, Rabinstein AA. Transient global amnesia. . Mayo Clin Proc 2015; 90: 264-72. pmid:25659242 PubMed
Autor*innen
- Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).