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Sprach- und Sprechstörungen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Eine Sprach- oder Sprechstörung beschreibt eine Einschränkung der normalen Kommunikationsfähigkeit durch Sprache nach dem Abschluss der Sprachentwicklung in der Kindheit.
  • Man unterscheidet zwei wesentliche Formen:
    1. Dysarthrien (Sprechstörungen)1-2
      • Störung der Steuerung, Regulierung und Ausführung motorischer Aktivitäten für die Artikulation, Atmung und Stimmerzeugung
      • Folge ist eine oft deutlich reduzierte Verständlichkeit sprachlicher Äußerungen.
    2. Aphasien (Sprachstörungen)3-4
      • Sprachstörungen infolge von Erkrankungen des zentralen Nervensystems
      • Störungen können sowohl das Sprechen und Schreiben als auch das Verstehen und Lesen betreffen.
  • Eine primäre Störung oder Verzögerung der Sprache in der Kindheit wird als Sprachentwicklungsstörung bezeichnet.
  • Für die zwischenmenschliche Kommunikation spielt die Sprache eine zentrale Rolle.12
    • Diagnostik und Therapie erfolgen in der Regel interdisziplinär.
    • Die Behandlung zielt darauf ab, Beeinträchtigungen im Alltag so weit wie möglich zu reduzieren.21

Häufigkeit

  • Häufigkeit von Sprechstörungen (Dysarthrie)21
    • Dysarthrien sind die häufigsten neurologischen Kommunikationsstörungen.
  • Häufigkeit von Sprachstörungen (Aphasie)3
    • Inzidenz von 43 pro 100.000 EinwohnerEinw.
    • Etwa 30  % aller PatientenPatient*innen mit Schlaganfall sind initial aphasisch.
      • Von diesen haben 44  % der nach 6 Monaten noch Überlebenden keine Aphasie mehr.

Diagnostische Überlegungen

Dysarthrie (Sprechstörung)

  • Dysarthrie bzw. Dysarthrophonie bezeichnet eine Sprech- bzw. Stimmstörung.21
    • Ursache ist eine Schädigung des zentralen oder peripheren Nervensystems oder der stimmgebenden Muskulatur.
    • Folge ist ein gestörtes Zusammenspiel von:21,5
      • Atmung (Respiration)
      • Stimmgebung (Phonation)
      • Sprechmelodie und Sprechtempo (Prosodie)
      • Lautbildung (Artikulation).
  • Anarthrie/Aphonie: schwerste Ausprägung der Sprech- und Stimmstörungen
    • z.  B. komplette Lähmung der an Artikulation bzw. Phonation beteiligten Muskelgruppen
  • Auftretenshäufigkeit von Dysarthrie bei neurologischen Erkrankungen21
  • Klassifikation der wichtigsten Dysarthrie-Syndrome1-2,5
    • peripher-paretische („schlaffe“) Dysarthrie
      • Ursache: Läsion des 2. Motoneurons oder des neuromuskulären Übergangs, Frühphase zerebrovaskulärer Erkrankungen
      • verminderte Lautstärke, verlangsamte und monotone Sprechweise, herabgesetzte Stimmlage, Vorverlagerung der Zunge
    • zentral-paretische („spastische“) Dysarthrie
      • Ursache: Läsion des 1. Motoneurons
      • verminderte Lautstärke, verlangsamte und monotone Sprechweise, gepresste/raue Stimmqualität, reduzierte Artikulationsschärfe bei Rückverlagerung der Zunge
    • rigid-hypokinetische Dysarthrie
      • Ursache: v.  a. das Parkinson-Syndrom.
      • verminderte Lautstärke, erhöhte Stimmlage, normales oder beschleunigtes Sprechtempo, monotone Sprechweise
    • ataktische Dysarthrie
      • Ursache: Funktionsstörungen des Kleinhirns, einschließlich afferenter und efferenter zerebellärer Bahnsysteme
      • inadäquate Atmungsmuster, Fluktuationen von Tonhöhe und Lautstärke, gelegentlich „Stimmzittern", verlangsamte, evtl. „skandierende“ Sprechweise („silbisches Sprechen“)

Aphasie (Sprachstörung)

  • Störungen im Gebrauch der Sprache , die nach abgeschlossener Sprachentwicklung und durch Hirnschädigung auftretendauftreten.5
    • Betroffen sind alle sprachlichen Modalitäten in unterschiedlichem Ausmaß (Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben).
  • Zentren der Sprachfunktionen (Sprachregion, Sprachnetzwerk) liegen bei >  90  % der Menschen in der linken, „sprachdominanten" Hemisphäre des Gehirns.5
    • bei Linkshändern in etwa 40  % Lokalisation in der rechten Hemisphäre
  • Ursachen3,6
  • Klassifikation der Aphasie-Syndrome3-74
    • 4vier Standardsyndrome (globale, Wernicke-, Broca- und amnestische Aphasie) sowie weitere Nichtstandard-Syndrome
    • Wernicke-Aphasie (sensorische Aphasie)
      • Ursache: Schädigung des Wernicke-Areals im Temporallappen
      • flüssige Aphasie, normale Sprechgeschwindigkeit und Sprachmelodie, unkontrollierte Sprachproduktion
      • semantische Paraphasien (falsche Wortwahl) 
      • schwere Störung im Sprachverständnis
    • Broca-Aphasie (motorische Aphasie)
      • Ursache: Schädigung des Broca-ArealAreals im Frontallappen
      • nicht-flüssige Aphasie, Sprachanstrengung, verringerte Sprechgeschwindigkeit, Telegrammstil
      • Agrammatismus (stark gestörter Satzbau)
      • phonematische Paraphasien (lautliche Veränderung eines Wortes z.  B. „Gruke" statt Gurke; „Mörter" statt Wörter)
      • ausgeprägtes Bewusstsein über Sprachdefizit und starker Leidensdruck
    • globale Aphasie
      • Ursache: ausgeprägte Schädigung der Komponenten des Sprachnetzwerks (Wernicke- und Broca-Areal)
      • schwerste Form der Aphasie: Störung von Sprachproduktion und Sprachverständnis
      • stockender Sprechfluss, Sprachautomatismen, Neologismen
      • In schweren Fällen ist keine Kommunikation mehr möglich.
    • amnestische Aphasie
      • Ursache: temporoparietale Läsionen (häufig bei Hirntumoren und zerebralen Abbauprozessen)
      • weitgehend erhaltene Kommunikationsfähigkeit
      • Wortfindungsstörungen und Störung des Benennens als zentrale Symptome
  • Verlauf des Reorganisationsprozesses bei Aphasie nach Schlaganfall3
    • frühe Phase (0–4 Tage nach Infarkt)
      • deutlich reduzierte Aktivierung nicht geschädigter linkshemisphärischer Sprachareale
    • postakute Phase (ca. 2 Wochen nach Infarkt)
      • Hochregulierung neuronaler Aktivierung in Spracharealen der rechten Hemisphäre mit Leistungsverbesserungen
    • „Konsolidierungsphase“ (4–12 Monate nach Infarkt)
      • Rückgang rechtshemisphärischer Aktivierung und zunehmende Aktivierung der intakten linkshemisphärischen Sprachareale mit weiteren sprachlichen Verbesserungen

Sprechapraxie

  • Apraxie bezeichnet im Allgemeinen eine Störung der Planung und Ausführung von koordinierten Handlungen, ohne dass ein motorisches Defizit vorliegt.12,5
    • Ursache ist meist eine unilaterale Schädigung der sprachdominanten Hemisphäre.
    • häufig begleitet von einer nichtflüssigen Aphasie, daher erschwerte Abgrenzung
  • Sprechapraxie bezeichnet demnach eine Beeinträchtigung der Willkürbewegungen der Komponenten des Sprechens.1-2
    • Unwillkürliche Bewegungen, z.  B. Atmen und Schlucken sind nicht betroffen.
    • keine Einschränkungen des Wortschatzes und des Sprachverständnisses sowie keine Lähmungen der Sprechorgane
    • Symptome sind Störungen der Lautbildung, viele Fehlversuche, wiederholte Selbstkorrekturen, ein inkonstantes Fehlermuster mit „Inseln störungsfreien Sprechens“.5

Konsultationsgrund

  • Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit
  • Bei diskreten Störungen ggf. Vorstellung auf Anraten durch Angehörige
  • Häufig Begleitsymptom einer anderen neurologischen Erkrankung (z.  B. Parkinson-Krankheit)
  • Folge eines Schlaganfalls oder einer TIA

ICPC-2

  • N19 Sprachstörung

ICD-10

  • R47 Sprech- und Sprachstörungen, anderenorts nicht klassifiziert
    • R47.0 Dysphasie und Aphasie
    • R47.1 Dysarthrie und Anarthrie
    • R47.8 Sonstige und nicht näher bezeichnete Sprech- und Sprachstörungen

Differenzialdiagnosen

Dysarthrie

Schlaganfall und TIA

  • Zerebrovaskuläre Erkrankung mit Blutzirkulationsstörung im Gehirn
    • 85  % der Schlaganfälle entstehen durch einen Gefäßverschluss (Ischämie).
    • Bei einer TIA (transitorische ischämische Attacke) bestehen die Symptome nur passager (<  24 Stunden).
    • häufig Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes mellitus, Herzklappenerkrankungen, Vorhofflimmern und Arteriosklerose
  • Bei einseitigem Schlaganfall häufig nur leichte und vorübergehende Sprech- und Stimmstörungen21
    • Grund ist eine beidseitige Innervation der an der Lautbildung beteiligten Muskelgruppen.
    • bei seltenen beidseitigen Läsionen des Motorkortex ggf. zentral-paretische („spastische“) Dysarthrie
  • Eine persistente Dysarthrie wird in der Rehabilitation nach einem Schlaganfall logopädisch behandelt.

Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

  • Traumatische Kopfverletzung mit Schädigung des Gehirns und daraus resultierender Funktionsstörung
  • Initiale Symptome eines SHT sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Schwindel, in schweren Fällen Bewusstseinsstörung.
    • international geläufige Klassifikation in 3drei Schweregrade anhand der Glasgow Coma Scale
  • Funktionsausfälle nach einem SHT sind vielfältig und abhängig von Lokalisation und Ausmaß der Verletzung.
    • Schweregrad einer Dysarthrie nach SHT bis hin zur Anarthrie21
  • Logopädische Übungsbehandlung ausgehend von den noch vorhandenen sprachlichen Leistungsressourcen21

Morbus Parkinson (idiopathisches Parkinson-Syndrom)

  • Progrediente, neurodegenerative Erkrankung mit Untergang dopaminerger Neurone, v.  a. in der Substantia nigra
    • typischer Symptomkomplex aus Ruhetremor, Rigor, Bradykinese und Standunsicherheit
  • Oft respiratorische und phonatorische Defizite, die zu einer Dysarthrie führen (z.  B. monotone, leise Sprechweise).21
    • im Verlauf artikulatorische Einschränkungen
  • Medikamentöse (z.  B. dopaminerge) und multimodale Therapie
    • bei Dysarthrie ggf. Kommunikationshilfsmittel zur Verlangsamung des Sprechens und Erhöhung der Lautstärke21

Weitere neurologische Erkrankungen1-2

Aphasie

Schlaganfall und TIA

  • Zerebrovaskuläre Erkrankung mit meist ischämischer Hirngewebsschädigung
  • Eine Aphasie tritt in den meisten Fällen (etwa 80  %) im Rahmen eines Schlaganfalls auf.3
  • Verlauf und Prognose3
    • Aphasie initial bei etwa 30  % nach einem erstmaligen Schlaganfall
    • weitgehende Normalisierung der Sprachfunktionen in den ersten 4 Wochen bei 1/3 der Betroffenen
    • nach 1 Jahr Kommunikationsstörungen bei noch etwa 20  % der Schlaganfall-PatientenPatient*innen
    • Initial nur leichte Sprachdefizite sind ein Prädiktor für die Möglichkeit auf vollständige Erholung.
  • Die logopädische Behandlung einer Aphasie ist häufiger Bestandteil einer Rehabilitation nach einem Schlaganfall.

Hirntumor

  • Es werden hirneigene Tumoren und Hirnmetastasen unterschieden.
  • Die Symptome sind abhängig von der Lokalisation und Größe des Tumors.
  • Die Diagnostik erfolgt in erster Linie durch eine zerebrale Bildgebung (MRT oder CT des Schädels).
  • Therapieoptionen sind operative Resektion, Radiochirurgie, Ganzhirnbestrahlung und medikamentöse Tumortherapie.

Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

  • Traumatische Kopfverletzung mit Schädigung des Gehirns und daraus resultierender Funktionsstörung
  • Sowohl Aphasie als auch Dysarthrie bzw. Anarthrie können bei einem SHT auftreten.
    • häufig deutliche Remission der Sprachstörung in den ersten Wochen nach dem Ereignis

Enzephalitis

  • Meist viral oder bakteriell verursachte Entzündung des Gehirns
  • Häufige Symptome sind BewusstseinsstörungenParesen, Aphasie, epileptische Anfälle
  • Aphasie häufig im Verlauf einer HSV-Enzephalitis (plötzlicher Fieberanstieg, fokal-neurologische Defizite)
  • Die Diagnose beruht auf der klinischen Untersuchung, Laboruntersuchungen (auch des Liquors) sowie bildgebenden Untersuchungen.
  • Antivirale bzw. antibiotische Therapie empirisch und nach Nachweis erregerspezifisch

Weitere neurologische Erkrankungen

  • Hypoxie (hypoxischer Hirnschaden, z.  B. nach Reanimation)
    • Schädigung abhängig von der Hypoxiedauer (irreversible Schäden schon nach 3 Minuten min)
  • Alzheimer-Demenz
    • neurodegenerative Erkrankung mit Leitsymptom Demenz
  • Primär-progrediente Aphasie
    • Neurodegenerative Erkrankung, die v.  a. die Sprachregion der Hirnrinde betrifft.

Andere Ursachen

  • Entwicklungsstottern12
  • Intoxikation (z.  B. Alkohol)
  • TumoreTumoren des Zungengrundes, des Hypopharynx und des Larynx12
  • Verschluss der Nase/Nasenrachens mit Nasenatmungsbehinderung12
  • Psychogene Dysphonie und Aphonie1-2
  • Akinetischer Mutismus21
    • schwere Antriebsminderung ohne Sprechen und Bewegung
    • z.  B. nach Schädigung des Frontallappens („Frontalhirnsyndrom“)
  • Epileptischer Anfall21
    • passagere Artikulationsstörungen bzw. Episoden von „Speech Arrest"

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Körperliche Untersuchung
  • Orientierende neurologische Untersuchung
    • Untersuchung der Hirnnervenfunktion (z.  B. Zungenbewegung)
    • Untersuchung auf weitere neurologische Auffälligkeiten
  • Orientierende Prüfung des Sprach- und Sprechvermögens
    • Nachsprechen von Wörtern und Sätzen
    • Benennen einfacher Gegenstände (z.  B. Stift, Uhr)
    • Ausführen geschriebener Aufforderungen (z.  B. „Falten Sie dieses Blatt.“)

Beobachtung des spontanen Sprachverhaltens5

  • PatientenDie Patient*innen frei und ohne Unterbrechungen berichten lassen.
  • Gesprächsthemen (offene Fragen) z.  B. Krankheitsverlauf, Familie, Freizeit
  • Beobachten Sie dabei:
    • Sprach- und Sprechanstrengung
    • Flüssigkeit des Sprechens
    • Sprechmelodie
    • Artikulation
    • lautliche Entstellung von Wörtern (phonematische Paraphasien)
    • falsche Wortwahl (semantische Paraphasien)
    • Wortneubildungen (Neologismen)
    • Umschreibungen anstelle eines gesuchten Wortes
    • syntaktische Struktur der Sätze
    • Sprachverständnis
    • Reaktion der PatientenPatient*innen auf ihre evtl. sprachlichen Defizite.

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • In der Regel ambulante bzw. stationäre Behandlung beimbei SpezialistenSpezialist*innen

BeimBei SpezialistenSpezialist*innen

  • Die Diagnostik ist abhängig von der vermuteten Ursache.
  • Neurologische Untersuchung12,5
    • Hirnnervenstatus und Funktion der Vokaltrakt- und Atemmuskulatur
    • motorische, sensible und reflektorische Funktionen (Würgreiz, Schlucken, Hustenreflex u.  a.)
    • neurokognitive Testung bei Anzeichen einer Demenz
  • Logopädische bzw. phoniatrische Diagnostik12-3
    • Beurteilung der Sprech- und Sprachfähigkeit
    • ggf. objektive, computergestützte Datenerhebung und auditive Beurteilung einer Dysarthrie
    • Beurteilung der Nase, der Mundhöhle, des Nasenrachens, des Meso- und Hypopharynx und des Larynx
    • auch computergestützte Analyse des akustischen Sprachsignals möglich
  • Laboruntersuchungen
  • Zerebrale Bildgebung
    • CT oder MRT des Schädels bei strukturellen Erkrankungen des Gehirns
  • Endoskopische Maßnahmen1-2
    • Lupenlaryngoskopie des Kehlkopfes
    • Videostroboskopie, um organische Gewebebefunde und Kehlkopflähmungen bei peripheren Nervenläsionen zu erkennen.
  • Audiometrie12
    • Verlust der Rückkopplung und Selbstkontrolle der Stimmgebung, des Sprechens und der Sprache bei Hörstörungen

Spezielle Sprachtests bei Aphasie3,5

  • In der Initialphase (z.  B. nach Schlaganfall) oft stark fluktuierende Symptomatik
    • daher Klassifikation in der Regel erst nach ca. 4–6 Wochen möglich
  • Zur Klassifizierung und Feststellung des Schweregrads einer Aphasie
    • Aachener Aphasie-Test (AAT)
      • standardisierter, im deutschsprachigen Raum verbreiteter, linguistisch aufgebauter Test für PatientenPatient*innen nach Schlaganfall
      • oft Grundlage der logopädischen Therapie
    • zu beurteilende Sprachleistungen
      • Token-Test: Zeigen und Zuordnen von verschiedenen geometrischen Formen in verschiedenen Farben und Größen
      • Nachsprechen von Lauten, Wörtern und kurzen Sätzen
      • Benennen und Beschreiben von gezeigten Abbildungen
      • Sprachverständnis
      • Schriftsprache

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung/KrankenhauseinweisungKlinikeinweisung

  • Bei neu aufgetretenen oder progredienten Sprech- oder Sprachstörungrungen
  • Bei allen unklaren Aussprachestörungen, Stimmstörungen, Näseln und Schluckstörungen12
  • Bei V.  a. Schlaganfall notfallmäßige Krankenhauseinweisung
  • Bei behandlungsbedürftiger Aphasie und Dysarthrie im Verlauf Überweisung an einen Logopädendie
  • Eine Überweisung an die jeweiligen SpezialistenSpezialist*innen ist abhängig von der vermuteten Grunderkrankung (z.  B. Neurologie, HNO).

Checkliste zur Überweisung

Sprach- und Sprechstörungen, Aphasie und Dysarthrie

  • Zweck der Überweisung
    • Diagnosesicherung? Therapie? Sonstiges?
  • Anamnese
    • Seit wann bestehen die Beschwerden? Plötzlicher oder schleichender Beginn? Progression? Bekannte Grunderkrankung?
    • Art der Störung? Aphasie oder Dysarthrie? Weitere Symptome?
    • Andere relevante Erkrankungen? Derzeit eingenommene Medikamente?
    • Berufliche, soziale oder sonstige Auswirkungen?
  • Klinische Untersuchung
    • Allgemeinzustand? Welche Art von Sprach- und Sprechstörung? Anzeichen einer neurologischen Erkrankung?
    • Ggf. Screening bei Verdacht auf Demenz (Mini-Mental-Test)
  • Ergänzende Untersuchungen
    • Bildgebende Untersuchung? Liquordiagnostik? Phoniatrische Diagnostik inkl. Endoskopie?

Maßnahmen

Therapieziele12-3

  • Grunderkrankung behandeln.
  • Die Artikulationsfähigkeit und Stimmgebung verbessern.
  • Schreiben, Lesen, Verstehen und der Sprache verbessern.
  • Kommunikationsfähigkeiten verbessern.
  • Teilhabe am alltäglichen Leben ermöglichen.

Therapieansatz

  • Behandlung richtet sich nach individuellen Zielsetzungen und den Fähigkeiten der PatientenBetroffenen.12-3
  • Bei bekannter Grunderkrankung steht dessen Therapie im Vordergrund.12
  • Angehörigenarbeit gehört zum Gesamtkonzept der Sprachrehabilitation.3
    • Beratung und familiärerer/sozialesozialer Rückhalt haben einen positiven Einfluss.
    • Hinweis auf und Unterstützung bei Integration in eine Selbsthilfegruppe
  • Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie (Übungsbehandlungen)
    • Logopädische Therapie verbessert die Prognose der Sprachfunktion.21,3-4,87
    • Sprechtherapie bei Dysarthrie1-2
      • lautsprachliche Übungen (Artikulationsübungen) zur Optimierung des Sprechtempos und Besserung der sprechmotorischen Koordination
      • mundmotorische Übungen ohne lautsprachliche Äußerungen
      • Oft ist eine höhere Therapieintensität bei gleichzeitiger Schluckstörung notwendig.
    • Sprachtherapie bei Aphasie nach Schlaganfall
      • In den ersten Wochen ist eine intensive Sprachtherapie nötig, um die Rückbildung zu unterstützen.
      • Die Verbesserung von Kommunikationsfähigkeit, Schreiben, Lesen und sprachlichem Ausdrucksvermögen ist in der Metaanalyse nachgewiesen.87
      • Die Wirksamkeit ist besser bei hoher Therapieintensität und frühem Beginn (bereits in der Akutphase).3
    • spezielles Verfahren bei Morbus Parkinson21
      • Lee Silverman Voice Therapy (LSVT) mit nachgewiesener Verbesserung der Sprechlautstärke
    • Computergestützte Therapien können zur häuslichen Übung eingesetzt werden.
  • Pharmakologische Therapie
    • Einige Medikamente zeigten bei Aphasie nach Schlaganfall Wirksamkeit (z.  B.  Piracetam, Donepezil, Memantin).3
  • Stimulationsstudien zeigten in Verbindung mit Benenntraining bei Aphasie eine Wirksamkeit von:3
    • transkranieller Magnetstimulation (TMS)
    • transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS).
  • Bei Dystonien (z.  B. spasmodische Dysphonie)
    • lokale Injektionen von Botulinumtoxinen zur Reduktion der Symptomatik (nach Ausschluss psychogener Ursachen)12
  • Computergestützte Kommunikationshilfen (z.  B. mit Sprachausgabe) bei schweren expressiven Störungen1,2-3
  • In seltenen Fällen kommen operative Ansätze infrage (z.  B. Gaumensegelprothese bei Gaumensegelparese).1-2
  • Kein Wirksamkeitsnachweis alternativer Therapiemethoden (Akupunktur, Hypnose, Entspannung)3

Empfehlungen für Angehörige

  • Familienmitglieder und andere nahestehende Personen sollten:98
    • den Betroffenen ausreichend Zeit zum Reden lassen.
    • natürlich und respektvoll im Gespräch mit den PatientenPatient*innen umgehen.
    • Ablenkungen, wie z.  B. lautes Radio oder Fernseher, vermeiden.
    • Sprache vereinfachen und kurze, unkomplizierte Sätze verwenden.
    • Gesagtes ggf. wiederholen und Wichtiges aufschreiben, um das Verständnis zu verbessern.
    • die betroffene Person in Gruppenunterhaltungen einbinden.
    • sich aktiv nach der Meinung der Betroffenen erkundigen.
    • jede Art der Kommunikation fördern (Sprache, Gesten, Zeigen, Zeichnen etc.).
    • vermeiden, die Betroffenen zu korrigieren.
    • die Therapie begleiten, falls möglich.
    • den Betroffenen helfen, weitere Unterstützungen zu finden (z.  B. Selbsthilfegruppen).

Weitere Informationen

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Patientenorganisationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Neurogene Sprechstörungen (Dysarthrien). AWMF-Leitlinien Nr. 030-103. S1, Stand 2018. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Kommunikationsstörungen bei neurogenen Sprech- und Stimmstörungen im Erwachsenenalter, Funktionsdiagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 049-014. S1, Stand 2014. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Schlaganfall, Rehabilitation aphasischer Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-090. S1, Stand 2012. www.dgn.org

Weitere InformationenLiteratur

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Kommunikationsstörungen bei neurogenen Sprech- und Stimmstörungen im Erwachsenenalter, Funktionsdiagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 049-014, Stand 2014. awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Neurogene Sprechstörungen (Dysarthrien). AWMF-Leitlinien Nr. 030-103, Stand 2018. wwwregister.awmf.org
  3. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Schlaganfall, Rehabilitation aphasischer Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-090, Stand 2012. awmf.org
  4. Hillis AE. Aphasia: progress in the last quarter of a century. Neurology. 2007 Jul 10;69(2):200-13. Review. PubMed PMID: 17620554 www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Hacke, W. Neurologie, 14. Auflage. Heidelberg: Springer-Verlag Berlin, 2016. www.springer.com
  6. Pedersen PM, Vinter K, Olsen TS. Aphasia after stroke: type, severity and prognosis. The Copenhagen aphasia study. Cerebrovasc Dis. 2004;17(1):35-43. Epub 2003 Oct 3. PubMed PMID: 14530636 www.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Hillis AE. Aphasia: progress in the last quarter of a century. Neurology 2007;69:200-213. Neurology
  8. Brady MC, Kelly H, Godwin J, Enderby P, Campbell P. Speech and language therapy for aphasia following stroke. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Jun 1;(6):CD000425. doi: 10pubmed.1002/14651858ncbi.CD000425nlm.pub Reviewnih. PubMed PMID: 27245310 deximed.degov
  9. National Institute on Deafness and other Communication Disorders. NIDCD Fact Sheet: Aphasia. NIH Pub. No. 97 4257. December 2015. www.nidcd.nih.gov

AutorenAutor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breisgau
  • HDie ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåkanndbok Widner(NEL, adj professor och överläkare, Neurologiska kliniken, Skånes universitetssjukhus
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim https://legehandboka.no/).
R47; R470 Dysphasie; R471; R478
N19
Aphasie; Dysarthrie; Anarthrie; Sprachstörung; Sprechstörung; Sprechapraxie; Wernicke-Aphasie; sensorische Aphasie; Broca-Aphasie; motorische Aphasie; phonematische Paraphasie; semantische Paraphasie; Dysarthrophonie; Neologismus; Agrammatismus; Telegrammstil; Logopädie; logopädische Rehabilitation; Sprachtraining; Sprechtraining
Sprach- und Sprechstörungen
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Eine Sprach- oder Sprechstörung beschreibt eine Einschränkung der normalen Kommunikationsfähigkeit durch Sprache nach dem Abschluss der Sprachentwicklung in der Kindheit.
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