Aktuelle Definition des Tremors der Tremor Task Force der International Movement Disorder Society (IMDS): unwillkürliche, rhythmische, oszillatorische Bewegungen eines oder mehrerer Körperabschnitte1
Symptom mit diversen Ursachen
Am häufigsten verstärkter physiologischer Tremor, essenzieller (idiopathischer) Tremor und Parkinson-Tremor2
Ruhetremor: Extremität vollkommen von Schwerkraft befreit und relevante Muskulatur nicht innerviert, also „entspannt"
Haltetremor: Während des willkürlichen Annehmens einer Haltung, der durch Schwerkraft entgegengewirkt wird (Beispiel: Armvorhalteversuch).
Subtyp isometrischer Tremor: Die willkürliche Muskelkontraktion gegen ein festes unbewegliches Objekt führt zu isometrischer Muskelaktivität.
Bewegungs- oder kinetischer Tremor: bei jeder Art von Bewegung (Beispiel: Schriftprobe)
Subtyp Intentionstremor: Der Tremor erreicht die größte Intensität in der Zielzone der Bewegung.
Subtyp tätigkeitsspezifische Tremor: Tremor nur bei sehr spezifischen und erlernten Bewegungen wie Schreiben oder Klavierspielen (DD aktionsinduzierte Dystonie)
Der essenzielle Tremor ist die häufigste Bewegungsstörung überhaupt.3
Prävalenz in Allgemeinbevölkerung 0,31–1,7 %, Zunahme mit Alter.
Beide Geschlechter gleichermaßen betroffen.
Häufigkeitsgipfel in 2.–6. Lebensdekade.
Alle Arten von Tremor kommen in der Regel häufiger im hohen Alter vor.5
Diagnostische Überlegungen
Relevant ist die Unterscheidung zwischen dem verstärkten physiologischen Tremor und den beiden häufigsten pathologischen Tremorformen (essenziell und Parkinson).
Beim verstärkten physiologischen Tremor sollte Ursache gefunden werden, da er nach Behebung der Ursache oft reversibel ist.2
Typische Symptome starres, maskenähnliches Gesicht, Verlust des Mitschwingens der Arme beim Gehen, monotone Stimme
Klassische Trias: Rigor, Tremor, Akinese
Psychogener Tremor
Kriterien, die für einen psychogenen Tremor sprechen:2
plötzlicher Beginn oder plötzliche Remissionen
unübliche klinische Kombinationen von Ruhe-, Halte- und Bewegungstremor
Sistieren bei Ablenkung
positives Entrainment-Zeichen: Abnahme der Tremoramplitude oder Veränderung der Tremorfrequenz bei Ablenkung oder bei repetitiven Willkürbewegungen der kontraleralen Hand
Beispiel: Patient*in soll mit kontralateraler Extremität Takt klopfen; daraufhin Nachlassen des Tremors oder Wechsel auf gleiche Frequenz wie Takt des Klopfens.8
Haltetremor: typisch für essenziellen und gesteigerten physiologischen Tremor
Intentionstremor: Auch zerebelläre Schädigung in Betracht ziehen.
Atypische Kombination von Ruhe-, Halte- und Intentionstremor: psychogene Ursache möglich
Praktische Auswirkungen?
Sozial belastend?
Probleme bei Nahrungsaufnahme?
Begleitsymptome?
Beispiel Parkinson-Syndrom: Muskelrigidität, Bradykinesie und Verlust der posturalen Kontrolle
Beispiel Hyperthyreose: u. a. Gewichtsverlust, vermehrtes Schwitzen, Schlaflosigkeit
Andere neurologische Symptome?
Entstehungszeitraum des Tremors?
Kurzfristiger, schlagartiger Beginn: Medikamente, Toxine, Hirntumor oder psychogene Ursache in Betracht ziehen.
Schleichend über mehrere Jahre: typisch für essenziellen Tremor
Medikamente?
Mögliche tremorauslösende/-verstärkende Medikamente: z. B. Lithium, Amphetamine, Sympathomimetika, Koffein und Steroide6
Entzugssymptom bei Benzodiazepin- oder Drogenabhängigkeit
Alkohol?
Sowohl fortgeführter Missbrauch als auch Abstinenz kann Tremor auslösen.
Besserung nach Einnahme von geringeren Mengen Alkohol mit Rebound der Symptomatik nach 3–4 Stunden (nach Metabolisierung des Alkohols): typisch für essenziellen Tremor3
bei Unsicherheit bezüglich der Einteilung des Tremors
bei abruptem Beginn ohne eruierbare Ursache
bei therapierefraktären Beschwerden bei essenziellem Tremor
Indikation zur tiefen Hirnstimulation?
Checkliste zur Überweisung
Tremor
Zweck der Überweisung
Diagnosesicherung? Therapie? Sonstiges?
Anamnese
Seit wann bestehen die Beschwerden? Progression? Bekannte Grunderkrankung?
Ruhetremor? Haltetremor? Bewegungstremor? – Wann ist das Zittern am stärksten ausgeprägt? Begleitsymptome wie Rigidität, Bradykinesie, Verlust der posturalen Kontrolle (Parkinson-Krankheit)? Andere neurologische Symptome?
Andere relevante Erkrankungen? Derzeit eingenommene Medikamente? Familiäre Vorbelastung? Drogenkonsum?
Evtl. Therapien, Wirksamkeit?
Praktische berufliche, private, soziale oder sonstige Auswirkungen?
Klinische Untersuchung
Allgemeinzustand? Anzeichen einer neurologischen Erkrankung? Hyperthyreose? Alkoholismus?
Multimodales Behandlungskonzept, u. a. mit symptomatischer medikamentöser Therapie mittels MAO-B-Hemmern, Dopaminagonisten oder Levodopa und körperlichem Training.
Pillendreher- oder Geldzähl-Phänomen bei Parkinson-Syndrom (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. med. Jean-François Chenot)
Quellen
Literatur
Bhatia KP, Bain P, Bajaj N, et al. Consensus Statement on the classification of tremors from the task force on tremor of the International Parkinson and Movement Disorder Society. Mov Disord 2018; 33(1): 75-87. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Tremor. AWMF-Leitlinie Nr. 030-011. S1, Stand 2012 (abgelaufen). dgn.org
Ceballos-Baumann A. Klinische Neurologie. Berlin, Heidelberg: Springer, 2020. link.springer.com
Wenning GK, Kiechl S, Seppi K et al. Prevalence of movement disorders in men and women aged 50–89 years (Bruneck Study cohort): a population-based study. Lancet Neurol 2005; 4: 815–820. www.ncbi.nlm.nih.gov
Tse W, Libow LS, Neufeld R, et al. Prevalence of movement disorders in an elderly nursing home population. Arch Gerontol Geriatr 2008; 46: 359-66. PubMed
Deuschl G, Berg D. Essenzieller Tremor: State of the Art. Der Nervenarzt 2018; 89: 394-99. link.springer.com
Chou KL. Diagnosis and management of the patient with tremor. Med Health R I 2004; 87: 135-8. PubMed
Brown P, Thompson PD. Electrophysiological aids to the diagnosis of psychogenic jerks, spasms, and tremor. Mov Disord 2001;16:595-9. PubMed
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Aktuelle Definition des Tremors der Tremor Task Force der International Movement Disorder Society (IMDS): unwillkürliche, rhythmische, oszillatorische Bewegungen eines oder mehrerer Körperabschnitte1