Compare with  
Legend:
inserted text deleted text

Dystonien

Zusammenfassung

  • Definition:Erkrankung mit unwillkürlichen, drehenden, anhaltenden Muskelkontraktionen als isoliertes Phänomen oder aufgrund zugrunde liegender neurologischer Störungen.
  • Häufigkeit:Chronische Dystonie tritt bei ca. 30/100.000 Menschen auf.
  • Symptome:Drehende wiederholte Bewegungen der betroffenen Körperregion, häufig in Kombination mit veränderter Körperhaltung.
  • Befunde:Unwillkürliche Bewegungen der Muskulatur in Gesicht, Halsbereich, Armen, Händen und Füßen.
  • Diagnostik:Genetische Untersuchung, weiterhin orientierend MRT und Laboruntersuchungen zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen.
  • Therapie:Symptomatische Therapie in den meisten Fällen. Kausale Therapie bei doparesponsiver Dystonie und Morbus Wilson. Alternative Therapiemöglichkeiten mittels Botox-Injektionen und tiefer Hirnstimulation.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1 
  • Bewegungsstörung, die durch unwillkürliche, anhaltende oder intermittierende Muskelkontraktionen verschiedener Körperteile gekennzeichnet ist, mit daraus resultierenden abnormen, oftmals repetitiven Bewegungen und/oder Fehlhaltungen.2-3
    • wiederholte drehende Bewegungen der betroffenen Körperregion4-5
    • Kann von einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen ausgehen.
  • Dystonische Bewegungen folgen einem typischen Muster mit Drehbewegungen und Zittern (Tremor).
  • Häufig durch willkürliche Bewegungen ausgelöst oder verschlimmert
  • Isolierte Dystonie (früher: primäre Dystonie)6
    • ausschließlich Anzeichen von Dystonie und gelegentlich Tremor
    • keine weiteren auffälligen Befunde in neurologischer Untersuchung, Labor oder bildgebenden Verfahren
  • Erworbene Dystonie (früher: sekundäre Dystonie)6
    • Bekannte erworbene Ursachen liegen zugrunde.
    • Neurologische Ausfälle (kombinierte Dystonie) sind häufig.
      • u. a. Muskelschwäche, Spastik, Ataxie, okuläre Motilitätsstörungen, retinale Veränderungen, kognitive Störungen und Krämpfe

Klassifikation nach klinischen Merkmalen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Ein Konsensus-Komitee erarbeitet die Klassifikation der Dystonien nach Ursachen, topographischer Verteilung, Muster, evtl. weiteren Bewegungsstörungen, Alter der Patient*innen bei Beginn der Erkrankung und Genetik.5
  • Alter bei Beginn der Erkrankung
    • Säuglingsalter (< 2 Jahre)
    • Kindheit (3–12 Jahre)
    • Jugendliche (13–20 Jahre)
    • frühes Erwachsenenalter (21–40 Jahre)
    • spätes Erwachsenenalter (> 40 Jahre)
  • Topographische Verteilung
    • Fokale Dystonie: Nur eine Körperregion ist betroffen, z. B. zervikale Dystonie.
    • Segmentale Dystonie: Zwei oder mehrere benachbarte Körperregionen sind betroffen.
    • Multifokal: Zwei oder mehrere nicht-benachbarte Körperregionen sind betroffen.
    • Generalisiert: Betrifft den Rumpf und mindestens zwei weitere Körperregionen.
    • Hemidystonie: Betrifft mehrere Körperregionen, ist aber nur auf eine Körperhälfte begrenzt.
    • Fokale, segmentale und generalisierte Dystonien sind häufiger als multilokale und Hemidystonie zu beobachten.
  • Zeitliche Entwicklung der Anfälle („Temporal Pattern“)
    • Krankheitsentwicklung
      • statisch
      • progressiv
    • Variabilität
      • persistierend
      • aktivitätsspezifisch
      • diurnal (tagsüber)
      • paroxysmal
  • Begleitende Merkmale
    • isoliert oder in Kombination mit einer anderen Bewegungsstörung
      • Isolierte Dystonie: Dystonie als einziges motorisches Kennzeichen mit Ausnahme von Tremor.
      • Kombinierte Dystonie: Dystonie in Kombination mit anderen Bewegungsstörungen (Myoklonien, Parkinsonismus usw.)
    • weitere neurologische oder systemische Manifestationen

Klassifikation nach Ätiologie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Pathologie des Nervensystems
    • Degenerationsbefunde
    • Befunde von strukturierten (oft statischen) Läsionen
    • keine Anzeichen von Degeneration oder strukturellen Veränderungen
  • Erblich oder erworben
    • erblich
      • autosomal-dominant
      • autosomal-rezessiv
      • X-gebunden-rezessiv
      • Mitochondrium
    • erworben
      • perinatale Hirnschädigung
      • zerebrovaskulär
      • Hirnschädigung
      • medikamentös
      • Infektion
      • Neoplasma
      • toxisch
      • psychogen
  • Idiopathisch
    • sporadisch
    • familiär

Häufigkeit

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Dystonien sind wahrscheinlich unterdiagnostiziert.7
  • Chronische isolierte Dystonie
    • Epidemiologische Daten weichen aufgrund verschiedener Diagnoseverfahren untereinander stark voneinander ab.
    • Fokale Dystonie (zervikale Dystonie/ Torticollis spasmodicus) tritt am häufigsten auf und macht mindestens 1/3 der gesamten Dystoniefälle aus.
    • isolierte Dystonie bei ca. 16,4 pro 100.000 Menschen8
    • generalisierte Dystonie bei ca. 2–4 pro 100.000 Menschen2-3
  • Akute Dystonie
    • In der Regel sind jüngere Menschen betroffen, kein Unterschied zwischen den Geschlechtern.

Ätiologie und Pathogenese

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Hauptkategorien
    • isolierte (primäre) Dystonie
    • erworbene/kombinierte (sekundäre) Dystonie
  • Die Ursachen der erworbenen/kombinierten (sekundären) Dystonie können sein:
    • neurologische Erkrankungen
    • medikamentös ausgelöst
      • häufigste Ursache für sekundäre Dystonien
        • häufig: Antipsychotika, Levodopa, Metoclopramid, Antihistaminika, Antiepileptika, Anxiolytika, Ca-Blocker
      • sekundäre Fälle bei Einnahme von Dopamin-blockierenden Medikamenten oder als Teil einer Gehirnerkrankung (z. B.  Parkinson-Krankheit, hereditäre Ataxien) möglich
    • genetisch bedingt
      • Mindestens 13 genetisch bedingte primäre Dystonien sind bekannt, 12 davon sind autosomal-dominant.
      • Loci mit DYT1–13 bezeichnet
    • durch metabolische Grunderkrankung
    • jahrelange feinmotorische Tätigkeit hoher Intensität (Instrumentalmusiker*in)

Pathologie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Isolierte Dystonie
    • Konsistente neuropathologische Befunde liegen nicht vor.9
    • Nichtvorhandensein einer Zelldegeneration lässt vermuten, dass die Erkrankung eine dynamische Störung ist.6
  • Pathologie lokalisierbar?
    • Bisher sind keine typischen anatomischen Lokalisationen oder spezifische Neurotransmitter-Defekte bekannt.
    • PET/funktionelle MRT zeigen häufig anomale Aktivitäten in Motorkortex, Kleinhirn und Basalganglien.6
  • Elektrophysiologie
    • Abgeschwächte zentrale inhibitorische Mechanismen, eine erhöhte Plastizität oder eine Störung der sensorischen Funktion scheint bei einigen Erkrankungsformen eine Rolle zu spielen.10

Pathophysiologie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Die Dystonie ist die Folge von unwillkürlichen Kontraktionen der Agonisten und Antagonisten.
    • Übertragung unerwünschter Muskelkontraktionen auf umgebende Muskeln
  • Dystonische Bewegungen können langsam oder schnell sein, sich während verschiedener Aktivitäten oder Körperhaltungen ändern oder in fortgeschrittenen Fällen fixiert sein.
  • In einigen Fällen tritt ein Tremor auf.
  • Aktionsdystonie ist häufig aufgabenspezifisch, und es werden atypische Körperhaltungen eingenommen.
  • Einige lokalisierte Dystonien werden durch einfache sensorische Reize (z. B. eine leichte Berührung des betroffenen Körperteils) ausgelöst oder verstärkt.
  • Zugrunde liegende pathophysiologische Mechanismen sind nicht vollständig geklärt.4

ICPC-2

  • N08 Abnorme unwillkürliche Bewegungen
  • N99 Neurologische Erkrankung, andere

ICD-10

  • G24 Dystonie
    • G24.0 Arzneimittelinduzierte Dystonie
    • G24.1 Idiopathische familiäre Dystonie
    • G24.2 Idiopathische nichtfamiliäre Dystonie
    • G24.3 Torticollis spasmodicus
    • G24.4 Idiopathische orofaziale Dystonie
    • G24.5 Blepharospasmus
    • G24.8 Sonstige Dystonie
    • G24.9 Dystonie, nicht näher bezeichnet

DiagnoseDiagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Diagnose im Wesentlichen durch Anamnese und typische klinische Zeichen
  • Wichtig ist es, erworbene/kombinierte (sekundäre) Dystonien zu identifizieren.11

Klassifikation

  • Isoliert (primär): oft chronisch, zuweilen progredient
    • fokal: Blepharospasmus, Kieferdystonie, spastische Dysphonie, Torticollis spasmodicus, Schreibkrampf
    • segmental: Gesicht + Torticollis spasmodicus, beide Hände
    • generalisiert: Rumpf, obere und untere Extremitäten
  • Erworben/kombiniert (sekundär)
    • akut: arzneimittelinduziert
    • chronisch: arzneimittelinduziert, Teil einer neurologischen Grunderkrankung

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Bizarre, drehende, unwillkürliche, anhaltende Bewegungen in Form von Grimassen, Blepharospasmus, dystonen Zungenbewegungen, Torticollis spasmodicus und Blickdeviationen, Schreibkrämpfen sowie unkoordinierten Bewegungen der Extremitäten.2,12
  • Dynamische Störung, deren Schweregrad sich je nach Aktivität oder Körperhaltung ändern kann.
    • Beispielsweise „Writer's Cramp“ (Schreibkrampf): Dystonie von Händen und Armen, die ausschließlich beim Schreiben auftritt.
  • Mögliche Mechanismen zum Durchbruch der Bewegungen6
    • Leichte Berührung der betroffenen Körperregion führt häufig zur Reduktion oder Sistieren dystonischer Bewegungen.
    • Bei ca. 60 % der Patient*innen hilfreich.
    • auch als Imaginationstechnik anwendbar, ohne tatsächliche physische Ausführung (kognitive Technik)
  • Alter bei Erstmanifestation
    • Bei Erstmanifestation im Kindes- oder Jugendalter kommt es häufig zum Übergang einer fokalen Extremitäten-Dystonie zu einer schweren generalisierten Form.
    • Erstmanifestation ab einem Lebensalter von 25 Jahren zeigt sich oft in Beteiligung der kraniozervikalen Muskulatur, Dystonie bleibt dann fast immer lokalisiert oder segmental und ist in der Regel nicht progressiv.13
  • Unterschiedliche Entwicklungsmuster je nach Beginn der Dystonie
    • Frühe Dystonie beginnt in der Regel an den Extremitäten, meist am Unterschenkel, breitet sich auf andere Bereiche des Körpers aus und generalisiert bei über 50 % der Patient*innen.2-3
    • Späte Dystonie beginnt meistens im Hals/Nacken-Bereich, Arm oder Gesicht und bleibt oft fokal oder segmental.

Früh beginnende isolierte Dystonie

  • Beginnt oft an einer unteren Extremität, häufig in Form einer Inversion des Fußes.
  • Anfangs nur durch intensive physische Aktivitäten ausgelöst (z. B. Laufen)
  • Im Verlauf häufig auch durch weniger intensive Aktivitäten ausgelöst wie Gehen oder Stehen; schließlich bleibt die Dystonie auch im Ruhezustand bestehen.
  • Dystonie mit fokalem Beginn geht häufig in eine generalisierte Form über, meist innerhalb von 5 Jahren.5
  • Bei isolierter Dystonie sind Kognition und intellektuelle Fähigkeiten trotz erheblicher Bewegungsstörungen nicht beeinträchtigt.
  • Untergruppen der früh beginnenden isolierten Dystonie sind die erblichen Formen DYT-TOR1A-Dystonie und DYT-THAP1-Dystonie.

Fokale oder segmental isolierte Dystonie im Erwachsenenalter

  • Beginnt in der Regel im Oberkörper, meist ist ein Arm, Nacken, Gesicht oder Larynx betroffen.14
  • Tritt häufig erst nach dem 30. Lebensjahr auf.
  • Geht selten in eine generalisierte Form über.
  • Verschiedene Körperregionen können betroffen sein.
    • zervikale Dystonie: Dystonie des Halses und der Schultern, spasmodischer Torticollis
    • Blepharospasmus: Dystonie der periokulären Muskeln
    • oromandibuläre, linguale oder faziale Dystonie: Dystonie des Kiefers, der oralen Muskeln, der Zunge oder der Gesichtsmuskeln
    • spasmodische Dysphonie: Dystonie der laryngealen Muskeln
    • Extremitäten-Dystonie: Dystonie eines Armes oder Beines; meist einseitig und häufig durch bestimmte Aktivitäten ausgelöst
    • Berufs- oder aufgabenspezifische Dystonie: Dystonie, die nur bei bestimmten Aktivitäten auftritt wie etwa beim Schreibkrampf oder bei einer Musiker-Dystonie.

Kombinierte Dystonie

  • Die Dystonie tritt kombiniert mit anderen Bewegungsstörungen auf, häufig mit Parkinsonismus oder Myoklonien.
  • Kann auch eine Reaktion auf Medikamente sein.

Klinische Untersuchung

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Ausschlag für die Diagnose eines dystonen Syndroms gibt das Erkennen von bestimmten, typischen Bewegungsmustern, die durch langsam wiederholte Muskelkontraktionen verursacht werden und zu abnormen Körperhaltungen führen.2
  • Häufig sind unwillkürliche Bewegungen im Augenbereich, im Gesicht, der mandibulären Muskeln, der Zunge, der Halsmuskeln, der Arme, Beine und Füße.15
  • Generalisierte Torsionsdystonie kann zu schweren Verzerrungen und Missbildungen des Rumpfes führen.
  • Bestätigung der Diagnose oft erst durch erfahrene Neurolog*in16-17

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Es gibt keine spezifischen diagnostischen Tests.6
  • Genetische Tests
    • Zahlreiche kombinierte und komplexe (seltener auch isolierte) Dystonien werden monogen vererbt.
    • Diagnostische Gentests sind mittels Sequenzier-Panel vorhanden und können das diagnostische Prozedere erheblich verkürzen.
    • Es ist ratsam, die Patient*innen zu screenen, die in einem Alter von unter 26 Jahren erstmals an einer primären Dystonie erkranken.
    • Patient*innen mit späterem Beginn testen, wenn in ihren Familien Dystonien mit frühem Beginn vorliegen.
  • MRT
    • indiziert bei Vorliegen weiterer neurologischer Befunde
  • Labortests
    • nur indiziert bei Verdacht auf zugrunde liegende strukturelle, degenerative oder metabolische Störungen
    • Morbus Wilson ausschließen durch Messung des Serum-Coeruloplasmins und der 24-Stunden-Ausscheidung von Kupfer
    • Doparesponsive Dystonie ausschließen durch 3-wöchige Behandlung mit Levodopa oder aber bestätigen durch eine Enzym- und Genanalyse.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf die Erkrankung sollte eine Überweisung zur Neurolog*in erfolgen.

Therapie

Therapieziele

  • Akute sekundäre Dystonie
    • Anfälle verhindern und/oder durchbrechen.
  • Isolierte (primäre) Dystonie
    • symptomatische Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Die Therapie einer Dystonie ist rein symptomatisch.2,6
  • Lediglich für die doparesponsive Dystonie und Morbus Wilson existieren spezifische pharmakologische Therapien.
  • Ein Absetzen möglicher auslösender Medikamente sollte stets erwogen werden.
    • häufig: Antipsychotika, Levodopa, Metoclopramid, Antihistaminika, Antiepileptika, Anxiolytika, Ca-Blocker
  • Therapie der Wahl bei fokalen Dystonien (Blepharospasmus, zervikaleDystonie u. a.) ist die selektive periphere Denervierung mittels Botulinumtoxin A.
    • In Deutschland sind momentan 3 BoNT-Typ-A-Präparate (BOTOX – Onabotulinumtoxin, Dysport – Abobotulinumtoxin und Xeomin – Incobotulinumtoxin) zur Behandlung der zervikalen Dystonie und des Blepharospasmus zugelassen.1,18
  • Bei in den Extremitäten beginnenden, später generalisierten Dystonien mit Beginn im Kindes- oder Jugendalter sollte das Ansprechen auf L-Dopa im chronischen L-Dopa-Test über 8 Wochen untersucht werden.
  • Anticholinergikum Trihexyphenidyl ist bei generalisierten Dystonien mit unbekannter Ursache wirksam, die Effekte bei fokalen Dystonien sind jedoch schwächer und der Behandlung mit Botulinumtoxin unterlegen.2-3

Medikamentöse Therapie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1

Bei akuter Exazerbation

  • Anticholinergikum-Behandlung
    • Biperiden, Injektion 5 mg/ml: 5 mg i. m. oder langsam i. v.
      • Kann nach 30 min wiederholt werden, max. 20 mg pro Tag.
      • Die Langzeitbehandlung mit Biperiden-Tabletten ist sinnvoll (siehe Fachinformation).
    • UAW: Harnverhalt und Erhöhung der Transaminasen (regelmäßige Bestimmung der Leberwerte); nicht abrupt absetzen.
  • Diazepam ist mögliche Alternative: 5–10 mg i. v. Kann bei Bedarf wiederholt werden.

Chronische Formen

  • Mangel an qualitativen Wirksamkeitsstudien
  • Zahlreiche Medikamente können günstige Wirkungen haben, der klinische Nutzen wird jedoch häufig durch die Nebenwirkungen begrenzt.
  • Versuchsweise Anticholinergika (Trihexyphenidyl), Levodopa, evtl. mit Antipsychotika (vor allem mit Tetrabenazine)
    • Trihexyphenidyl kann zuweilen hochdosiert bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden. Bei Erwachsenen sind gute Ergebnisse ohne unerwünschte Nebenwirkungen selten.
    • L-Dopa-Versuch bei Beginn im Kinder- und Jugendalter: Dosierung erfolgt einschleichend bis zu einer max. Tagesdosis von 3 x 200 mg (bei Kindern 10 mg/kg Körpergewicht tgl. auf 3 Einzeldosen verteilt) und über einen Zeitraum von 8 Wochen.
  • Botulinumtoxin bei fokalen Dystonien
    • Botulinumtoxin hemmt die Freisetzung von Acetylcholin am neuromuskulären Übergang.
    • Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin in die dystone Muskulatur ist oft wirksam, vor allem bei Torticollis spasmodicus, hemifazialen Spasmen, Blepharospasmus, Schreibkrämpfen und Dysphonie.19
      • Wirksam bei 70–90 % von zervikaler Dystonie.
    • Die Wirkung einer Injektion zeigt sich nach etwa 1 Woche und hält ca. 3 Monate lang an.
    • Wirkung von Botulinumtoxin kann durch bestimmte Antibiotika verstärkt werden (z. B. durch Aminoglykoside).

Weitere Therapieoptionen

  • Verhaltenstherapie
    • Entwicklung physischer Techniken, mit denen Anfälle verhindert oder durchbrochen werden können.
    • Schulung in kognitiven Verfahren zur Verhinderung der Anfälle (Psychiater*in, Psycholog*in)
  • Tiefe Hirnstimulation des Globus pallidus
    • Patient*innen mit schweren Dystonien vorbehalten, bei denen andere Therapien wirkungslos bleiben.
    • Methode bei primärer generalisierter und bei segmentaler Dystonie20-21
    • Kann auch für bestimmte Patient*innen mit sekundären Dystonien indiziert sein.
    • Nebenwirkungen der tiefen Hirnstimulation
      • in der Regel leicht und reversibel: am häufigsten Dysarthrie oder Parästhesien
  • Physiotherapie
    • Muskeldehn- und Kräftigungsübungen sind zur Prävention von Kontrakturen zu empfehlen.
    • Mechanische Hilfsmittel können Funktionsverluste ausgleichen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Akute Dystonien treten häufig nach kurzen medikamentösen Therapien auf, zuweilen schon nach einer Einzeldosis.
  • Isolierte Dystonie kann allmählich zunehmen.
    • Kontrakturen können in Bereichen auftreten, die chronisch von Dystonie betroffen sind.6

Anerkennung als Berufskrankheit

  • Treten Dystonien im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit auf (bei Instrumentalmusiker*innen durch feinmotorische Tätigkeit hoher Intensität), können diese als Berufskrankheit anerkannt werden.22
  • Bei Verdacht auf eine Berufskrankheit sollte dies an den gesetzlichen Unfallversicherungsträger gemeldet werden (Meldebogen23).
  • Erhebung ausführlicher Arbeits- und Gefährdungsanamnese
    • Ein Gutachten entscheidet über die Anerkennung als Berufskrankheit.
  • Dann können bestimmte Maßnahmen auf Kosten der GUV durchgeführt werden:
    • spezielle therapeutische Maßnahmen
    • Einstellung der gefährdenden Tätigkeit
    • Minderung der Erwerbsfähigkeit bis zur Zahlung einer Rente.24
  • Manchmal muss die Tätigkeit erst vollständig aufgegeben werden, damit die Anerkennung als Berufskrankheit erfolgen kann.

Prognose

  • Idiopathische fokale Dystonie entwickelt sich meist langsam, kann sich nach wenigen Monaten bis zu einem Jahr verschlimmern und danach stabilisieren.25
  • Eine früh einsetzende isolierte Dystonie entwickelt sich häufig zu einer generellen Dystonie.
  • Bei doparesponsiver Dystonie führen Levodopa oder Dopamin-Agonisten, evtl. auch Anticholinergika zu einer beständig positiven Wirkung.25

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Dystonie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-039. S1, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Dystonie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-039. S1, Stand 2021. www.awmf.org
  2. Balint B, Mencacci NE, Valente EM et al. Dystonia. Nat Rev Dis Primers 4, 25 (2018). www.nature.com
  3. Batla A. Dystonia: A review. Neurol India. 2018. DOI: 10.4103/0028-3886.226439. www.neurologyindia.com. www.neurologyindia.com
  4. Tarsy D, Simon DK. Dystonia. N Engl J Med 2006; 355: 818-29. PubMed
  5. Albanese A, Bhatia K, Bressman SB, et al. Phenomenology and classification of dystonia: a consensus update. Mov Disord 2013; 28:863. PubMed
  6. Comella C. Classification and evaluation of dystonia. UpToDate, last updated April 2014. UpToDate
  7. Klein C, Ozelius LJ. Dystonia: clinical features, genetics, and treatment. Curr Opin Neurol 2002; 15:491. PubMed
  8. Steeves TD, Day L, Dykeman J, et al. The prevalence of primary dystonia: a systematic review and meta-analysis. Mov Disord 2012; 27:1789. PubMed
  9. Holton JL, Schneider SA, Ganesharajah T, et al. Neuropathology of primary adult-onset dystonia. Neurology 2008; 70:695. Neurologypubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Phukan J, Albanese A, Gasser T, Warner T. Primary dystonia and dystonia-plus syndromes: clinical characteristics, diagnosis, and pathogenesis. Lancet Neurol 2011; 10:1074. PubMed
  11. Friedman J, Standaert DG. Dystonia and its disorders. Neurol Clin 2001; 19: 681-705. PubMed
  12. Geyer HL, Bressman SB. The diagnosis of dystonia. Lancet Neurol 2006; 5:780. PubMed
  13. Bressman SB. Dystonia genotypes, phenotypes, and classification. Adv Neurol 2004; 94: 101-7. PubMed
  14. O'Riordan S, Raymond D, Lynch T, et al. Age at onset as a factor in determining the phenotype of primary torsion dystonia. Neurology 2004; 63:1423. Neurologypubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  15. Lin JP, Nardocci N. Recognizing the Common Origins of Dystonia and the Development of Human Movement: A Manifesto of Unmet Needs in Isolated Childhood Dystonias. Front Neurol. 2016. doi: 10.3389/fneur.2016.00226. www.ncbi.nlm.nih.gov. www.ncbi.nlm.nih.gov
  16. Logroscino G, Livrea P, Anaclerio D, et al. Agreement among neurologists on the clinical diagnosis of dystonia at different body sites. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2003; 74:348. PubMed
  17. Albanese A, Barnes MP, Bhatia KP, et al. A systematic review on the diagnosis and treatment of primary (idiopathic) dystonia and dystonia plus syndromes: report of an EFNS/MDS-ES Task Force. Eur J Neurol 2006; 13:433. PubMed
  18. Quagliato EM, Carelli EF, Viana MA. A prospective, randomized, double-blind study comparing the efficacy and safety of type A botulinum toxins Botox and Prosigne in the treatment of cervical dystonia. Clin Neuropharmacol 2010; 33: 22-6. PubMed
  19. Simpson DM, Hallett M, AshmanEJ, et al. Practice guideline update summary: Botulinum neurotoxin for the treatment of plepharospasm, cervical dystonia, adult spasticity, and headache. Neurology 2016; vol. 86 no. 19: 1818-1826. doi:10.1212/WNL.0000000000002560 DOI
  20. Coubes P, Cif L, El Fertit H, et al. Electrical stimulation of the globus pallidus internus in patients with primary generalized dystonia: long-term results. J Neurosurg 2004; 101: 189-194. PubMed
  21. Toft M, Lilleeng B, Ramm-Pettersen J et al. Behandling av bevegelsesforstyrrelser med dyp hjernestimulering. Tidsskr Nor Legeforen 2008; 128: 1972-6. Tidsskrift for Den norske legeforening
  22. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dortmund. Merkblätter und wissenschaftliche Begründungen zu den Berufskrankheiten der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), zuletzt aktualisiert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. Dezember 2014. Zugriff 24.1.2017. www.baua.de
  23. DGVU Formtexte für Ärzte: Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit. www.dguv.de
  24. Mehrtens, G. Valentin, H. Schönberger, A. Arbeitsunfall und Berufskrankheit : rechtliche und medizinische Grundlagen für Gutachter, Sozialverwaltung S. 878ff. Berlin: Erich Schmidt Verlag 9: Auflage, 2017.
  25. Simon DK, Tarsy D, Shih LC. Dystonias. BMJ BestPractice, last updated Sep 25, 2013.

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
G24; G240; G241; G242; G243; G244; G245; G248; G249
N08; N99
Unwillkürliche Muskelkontraktion; Unwillkürliche Muskeldrehung; Unwillkürliche Muskelbewegung; Anomale Körperhaltung; Tremor; Isolierte Dystonie; Erworbene Dystonie; Hemidystonie; Muskelschwäche; Spastizität; Ataxie; Okuläre Motilitätsstörungen; Retinale Veränderungen; Kognitive Störungen; Krämpfe; Blepharospasmus; Dystonen Zungenbewegungen; Torticollis spasmodicus; Schreibkrampf; Writers's Cramp; Morbus Wilson
Dystonien
U-NH 21.11.17
BBB MK 21.10.2021 revidiert, in Teilen umgeschrieben, neue LL. chck go 8.4.
document-disease document-nav document-tools document-theme
Definition:Erkrankung mit unwillkürlichen, drehenden, anhaltenden Muskelkontraktionen als isoliertes Phänomen oder aufgrund zugrunde liegender neurologischer Störungen.
Neurologie
Dystonien
/link/2ccdf1447b6641c4962acac8ba365032.aspx
/link/2ccdf1447b6641c4962acac8ba365032.aspx
dystonien
SiteDisease
Dystonien
anders.skjeggestad@nhi.no
u.boos@gesinform.de
de
de
de