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Syringomyelie

Zusammenfassung

  • Definition:Mit Flüssigkeit gefüllter und mit Gliagewebe umgebener Hohlraum im Rückenmark, Syrinx. Zugrunde liegt eine gestörte spinale Liquorzirkulation. Die Erkrankung ist meist angeboren, kann jedoch auch erworben werden.
  • Häufigkeit:Syringomyelie ist eine seltene Erkrankung, die Prävalenz liegt bei 8–10 pro 100.000 Einw.
  • Symptome:Die Symptome sind meist langsam progredient und oft nur schwach ausgeprägt. Hierzu zählen u. a. sensorische Störungen, Schmerzen sowie motorische Störungen.
  • Untersuchung:Die klinischen Befunde hängen von der Lokalisation der Läsion ab; häufig liegt eine dissoziative Sensibilitätsstörung der oberen Extremitäten sowie eine Parese bzw. Spastizität im Bereich der unteren Extremitäten vor.
  • Diagnostik:Diagnostisches Mittel der Wahl ist die Magnetresonanztomografie (MRT).
  • Therapie:Meist ist eine chirurgische Intervention nötig.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Entwicklung eines mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraumes im Rückenmark (syrinx = Flöte), der mit Gliagewebe umgeben ist.
  • Eine Syrinx kann eine fokale Dilatation des Zentralkanals darstellen oder kann separat im Parenchym des Rückenmarks liegen.1
  • Die meisten Läsionen befinden sich zwischen C2 und Th9, sie können sich jedoch auch weiter nach distal oder bis hinauf zum Hirnstamm (Syringobulbie) erstrecken.
  • Eine Syringomyelie entsteht durch eine gestörte spinale Liquorzirkulation.2
  • Es gibt eine Reihe von verschiedenen Arten der Syringomyelie.
  • Meist ist die Erkrankung angeboren, sie kann jedoch auch erworben werden.
  • Syringomyelie ist häufig mit einer Chiari-Malformation assoziiert.
  • Es zeigen sich unterschiedlich schnell progrediente Krankheitsverläufe.

Häufigkeit

  • Syringomyelie ist eine seltene Erkrankung, die Häufigkeit liegt bei 8–10 pro 100.000 Einw.3
  • Symptombeginn liegt meist im Alter zwischen 20 und 50 Jahren.2
  • Fast 50 % der Fälle sind mit einer Chiari-Malformation assoziiert.4
  • Sie tritt nach traumatischen Verletzungen des Rückenmarks bei etwa 20 % der Patient*innen auf.3
  • Bis zu 5 % der Paraplegien lassen sich auf eine Syringomyelie zurückführen.2

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Idiopathische Syringomyelie2
    • Syringomyelie ohne erkennbare Ursache
  • Angeborene Syringomyelie
    • Tritt in der Regel in Verbindung mit anderen Fehlbildungen des Neuralrohrs auf. Die Entstehung der Syrinx beginnt in der grauen Substanz, rund um den Canalis centralis, meist zervikal.5
    • Familiäre Häufungen und Assoziation zu Chiari-Malformation lassen erbliche Komponenten vermuten.2
    • Im Rahmen einer Chiari-Malformation kommt es zu einer Verlagerung von Kleinhirnanteilen nach kaudal und folglich zu einer gestörten spinalen Liquorzirkulation.6
  • Erworbene Syringomyelie
    • durch Wirbelsäulentraumata mit massiver medullärer Kontusion oder Lazeratio7
      • Die Syrinx entsteht in der Regel durch direkte medulläre Läsionen mit zentraler Nekrose und Degeneration der langen Leitungsbahnen.
    • entzündlich bedingte Syringomyelie
    • durch intramedulläre Tumoren verursachte Syringomyelie (z. B. Ependymom, Gliom oder Hämangioblastom)
    • Syringomyelie bei Vorliegen einer Myelomalazie
    • Entwicklung einer Syringomyelie im Rahmen einer Spinalkanalstenose6

Pathogenese

  • Bei einer Syringomyelie kommt es zu einer gestörten Liquorzirkulation im spinalen Subarachnoidalraum.2,4
  • Die genaue Pathogenese ist nicht bekannt, es gibt jedoch verschiedene Theorien.2,4,8
    • Hydrodynamische Theorie: Bei gestörtem Liquoraustritt aus dem IV. Ventrikel kann es zu einer kraniospinalen Druckdifferenz und damit zu einer vermehrten Ansammlung von Liquor im Spinalkanal kommen.
    • Saugeffekt Theorie: Intrakranielle Druckunterschiede führen zu einem Sog, der Liquor in die Syrinx befördert.
    • Piston-Theorie: Pulssynchrone Bewegungen der Kleinhirntonsillen befördern Liquor vom Subarachnoidalraum in die Syrinx.
    • Erhöhter Liquordruck (z. B. beim Husten/Niesen) bei Patient*innen mit verengtem Foramen magnum führt zu einem Liquoraustritt entlang perivaskulärer Virchow-Robin-Räume.
    • Intramedulläre Pulsdruck-Theorie: Aufgrund eines gestörten Liquorflusses (z. B. bei beschleunigter Flussgeschwindigkeit bedingt durch Obstruktion im spinalen Subarachnoidalraum) kommt es zu einem Unterdruck innerhalb des Rückenmarks, der zur Ansammlung von extrazellulärer Flüssigkeit und damit zur Dilatation des Parenchyms und zur Entstehung der Syrinx führt (Venturi-Effekt).
  • Pathophysiologie 2,7,9
    • Durch eine progrediente Dilatation der Syrinx wird Druck auf die Medulla ausgeübt.
    • Ein Anstieg des intramedullären Drucks verursacht mehrere der Symptome und steht mit der Prognose in Verbindung.
    • Es sind insbesondere spinothalamische Bahnen betroffen, die die Mittellinie in der Commisura alba anterior (Schmerz und Temperatur) kreuzen.
    • Das typische klinische Bild besteht aus einer Kombination von Sensibilitätsverlust auf Höhe der Syrinx (oft der Arme) und einem verringerten Schmerz- und Temperatursinn unterhalb der Läsion (spinothalamische Bahnen).
    • Mit zunehmender Ausbreitung der Syrinx werden auch Tastsinn und motorische Bahnen betroffen. Viele Patient*innen haben Schmerzen.

Prädisponierende Faktoren

  • Fehlbildungen des Neuralrohrs
    • Arnold-Chiari-Malformation Typ I
    • Arnold-Chiari-Malformation Typ II
    • Myelomeningozele10
  • Traumatische Verletzungen der Wirbelsäule
  • Spinalkanalstenose (insbesondere zervikal) 6
  • Iatrogene Risikofaktoren (z. B. wiederholte Liquorpunktionen, Operationen)4

ICPC-2

  • N85 Angeborene Anomalie Nervensystem
  • N99 Neurologische Erkrankung, andere

ICD-10

  • G95.0 Syringomyelie und Syringobulbie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Diagnostisches Mittel der Wahl ist die Magnetresonanztomografie (MRT).2,4,8,11
    • MRT ermöglicht genaue Bestimmung von Lage und Größe der Syrinx.

Differenzialdiagnosen

  • Intramedullärer Tumor mit Syrinxbildung (z. B. Ependymom, Gliom oder Hämangioblastom)
  • Intramedulläre Zysten2
  • Myelopathie anderer Ursache
  • Multiple Sklerose
  • Amyotrophe Lateralsklerose
  • Spinaler Epiduralabszess/spinale Epiduralblutung
  • Medulloblastom
  • Neuropathien, Diabetes oder andere
  • Hydrozephalus
  • Gliedergürteldystrophie

Anamnese

  • Erstmanifestation der angeborenen Variante meist im Alter von 20–50 Jahren
  • Die Erkrankung wird häufig zufällig erkannt.
    • z. B. bei Bilddiagnostik des Rückenmarks
    • Beispielsweise, wenn sich Patient*innen verbrennen, ohne es zu bemerken.
  • Etwa 50 % der Patient*innen mit angeborener Syringomyelie haben Schmerzen.
  • In der Regel zeigt sich ein langsam progredienter Verlauf.
  • Die Symptome hängen von der Lokalisation der Läsion ab, sind oft nur schwach ausgeprägt und unspezifisch.12
    • sensorische Störungen
    • Schmerzen
    • evtl. motorische Ausfallerscheinungen
    • Muskelschwäche2
    • Kopfschmerzen
    • Heiserkeit, Schluckstörungen
    • Sehstörungen
    • Schwindel, Tinnitus, Ohrenschmerzen, Hörverlust
    • gestörte Kleinhirnfunktion (Tremor, Ataxie, Gleichgewichtsstörungen)
    • Synkopen
    • Schlafapnoe, Schnarchen

Klinische Untersuchung

Auf Höhe der Syrinx (meist in den Armen)

  • Dissoziierte Sensibilitätsstörung durch Funktionsverlust der sich kreuzenden schmerz- und temperaturempfindlichen Nervenfasern2,13
    • segmentaler Verlust des Schmerz- und Temperatursinns
    • Tast- und Vibrationsempfinden bleiben meist erhalten.
  • Infranukleäre motorische Störung
    • Muskelschwäche, Atrophie
    • eingeschränkte Feinmotorik
    • Verlust von Reflexen

Unterhalb der Syrinx (meist in den Beinen)

  • Supranukleäre motorische Störung
    • Paraparese
    • Hyperreflexie
    • extensiver Plantarreflex
    • Spastizität
  • Evtl. sensorische Ataxie: Verlust des Lagesinnes aufgrund der Beteiligung der Hinterstränge

Sonstige Befunde

  • Bei Syringobulbie kommt es zu Symptomen des Gesichts und des Rachens (z. B. Horner-Syndrom, Schluckstörungen).
  • Progrediente Skoliose
  • Segmentale, nicht-radikuläre neuropathische Schmerzen2
  • Bei einer traumatischen Syringomyelie treten die Symptome erst Jahre nach dem Trauma auf.
    • Rückenschmerzen und sensorische Ausfallerscheinungen, die über das ehemalige Läsionsniveau ausstrahlen.13

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Keine speziellen Untersuchungen

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • MRT als diagnostisches Mittel der Wahl
  • Dynamische MRT-Untersuchungen geben Aufschluss über Liquorzirkulationsstörungen.2

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf Syringomyelie ist eine Überweisung an eine neurologische Praxis notwendig.

Therapie

TherapiezielTherapieziele

  • Bei symptomatischer Syringomyelie ist in erster Linie eine chirurgische Therapie zur Verbesserung der Liquorzirkulation nötig.2,4,8
  • Begrenzung der Symptome, Prävention von Komplikationen

Allgemeines zur Therapie

  • Bei Vorliegen einer Chiari-Malformation: operative Dekompression 2
  • Bei entzündlich bedingter oder posttraumatischer Syringomyelie
    • Resektion von Narbengewebe
    • mikrochirurgische Lösung von Verklebungen der Arachnoidea
    • Rekonstruktion der Dura
  • Bei idiopathischer Syringomyelie
    • syringosubarachnoidaler Shunt
    • syringoperitonealer Shunt
  • Bei intramedullären Tumoren ist die Entfernung des Tumors meist ausreichend.14
  • Symptomatische Behandlung (z. B. Physio-/Schmerztherapie)4,6

Empfehlungen für Patient*innen

  • Zur Aufrechterhaltung oder zur Verbesserung der neurologischen Funktionen kann bei Paresen eine umfassende Rehabilitation notwendig sein.
  • Patient*innen mit Syringomyelie sollten Belastungen, die mit Valsalva-Manövern einhergehen (z. B. Tragen schwerer Lasten, Verstopfung, vermehrtes Husten oder Niesen), vermeiden.2
  • Bei Chiari-Malformation sollten stärkere Belastungen der Halswirbelsäule vermieden werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Langsam progredienter Verlauf mit allmählicher Verschlechterung des Zustandes
  • Bei symptomatischer Syringomyelie ist meist eine Operation erforderlich.
  • Bei bis zu 90 % der Patient*innen kann dadurch Symptomfreiheit oder eine Verbesserung der Symptomatik erreicht werden.8

Komplikationen

  • Myelopathie ist die schwerste Komplikation und kann auch sekundäre Probleme verursachen.2
    • Para-/Tetraplegie
    • rezidivierende Pneumonien
    • Dekubitus
    • HWI
    • Schmerzen

Prognose

  • Ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung, dem Ausmaß und der Lokalisation der Syrinx.
  • Die Prognose steht in direkter Beziehung mit dem Grad der Symptome zum Zeitpunkt der Diagnose.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Üblicherweise ist der Krankheitsverlauf langsam progredient, die meisten Patient*innen benötigen jedoch eine Operation für eine anhaltende Symptomverbesserung.

Patienteninformationen in Deximed

Patientenverbände

  • Deutsche Syringomyelie und Chiari Malformation e. V. (DSCM)

Weitere Informationen

Quellen

Literatur

  1. Kim J, Kim CH, Jahng TA, Chung CK. Clinical course of incidental syringomyelia without predisposing pathologies. J Clin Neurosci 2012; 19(5):665-8. PubMed
  2. Shenoy VS, Sampath R. Syringomyelia. 2020 Jun 29. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2020 Jan–. PMID: 30725795. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Nielsen OA, Biering-Sorensen F, Botel U: Post-traumatic syringomyelia. Spinal Cord 1999 Oct; 37(10): 680-4 PubMed
  4. Giner J, Pérez López C, Hernández B, Gómez de la Riva Á, Isla A, Roda JM. Update on the pathophysiology and management of syringomyelia unrelated to Chiari malformation. Neurologia. 2019 Jun;34(5):318-325. English, Spanish. doi: 10.1016/j.nrl.2016.09.010. Epub 2016 Dec 9. PMID: 27939111. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Milhorat TH, Capocelli AL Jr, Anzil AP: Pathological basis of spinal cord cavitation in syringomyelia: analysis of 105 autopsy cases. J Neurosurg 1995 May; 82(5): 802-12 PubMed
  6. Vandertop WP. Syringomyelia. Neuropediatrics. 2014 Feb;45(1):3-9. doi: 10.1055/s-0033-1361921. Epub 2013 Nov 22. PMID: 24272770. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Falci SP, Indeck C, Lammertse DP. Posttraumatic spinal cord tethering and syringomyelia: surgical treatment and long-term outcome. J Neurosurg Spine 2009 Oct. 11(4):445-60. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Goetz LL, De Jesus O, McAvoy SM. Posttraumatic Syringomyelia. 2021 Feb 7. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan–. PMID: 29262020. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Milhorat TH, Capocelli AL Jr, Kotzen RM: Intramedullary pressure in syringomyelia: clinical and pathophysiological correlates of syrinx distension. Neurosurgery 1997 Nov; 41(5): 1102-10 PubMed
  10. Oldfield EH, Muraszko K, Shawker TH, Patronas NJ: Pathophysiology of syringomyelia associated with Chiari I malformation of the cerebellar tonsils. Implications for diagnosis and treatment. J Neurosurg 1994 Jan; 80(1): 3-15 PubMed
  11. Eisen A. Disorders affecting the spinal cord. UpToDate, last updated June 29, 2012. UpToDate
  12. Todor DR, Mu HT, Milhorat TH. Pain and syringomyelia: a review. Neurosurg Focus 2000; 8:E11. PubMed
  13. Milhorat TH, Kotzen RM, Mu HT: Dysesthetic pain in patients with syringomyelia. Neurosurgery 1996 May; 38(5): 940-6; discussion 946-7. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  14. Laxton AW, Perrin RG. Cordectomy for the treatment of posttraumatic syringomyelia. Report of four cases and review of the literature. J Neurosurg Spine 2006; 4:174. PubMed

Autor*innen

  • Susanne Engelhardt, Dr. med., Ärztin in Weiterbildung für Allgemeinmedizin, Hof
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
G950
N85; N99
Hohlraum im Rückenmark; Syrinx; Gliagewebe; Fokale Dilatation des Zentralkanals; Syringobulbie; Traumatische Rückenmarksverletzung; Wirbelsäulentraumata; Medulla-Kompression; Verlust des Schmerzsinns; Verlust des Temperatursinns; Myelopathie
Syringomyelie
Hinweis zur Fahreignung TH 5.3.18
BBB MK 24.02.2021 umfassend überarbeitet, Lit. aktualisiert. chck go 9.6.
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Definition:Mit Flüssigkeit gefüllter und mit Gliagewebe umgebener Hohlraum im Rückenmark, Syrinx. Zugrunde liegt eine gestörte spinale Liquorzirkulation. Die Erkrankung ist meist angeboren, kann jedoch auch erworben werden.
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