Definition:Ein Karzinoid-Syndrom ist ein klinischer Symptomenkomplex infolge von Serotoninausscheidung in den systemischen Kreislauf durch neuroendokrine Tumoren (NET) und/oder deren Metastasen.
Häufigkeit:20–30 % aller Patient*innen mit NET im Jejunum/Ileum und Lebermetastasen entwickeln ein Karzinoid-Syndrom.
Symptome:Anfallsartige Gesichtsrötung („Flush“) und Durchfall sind Kardinalsymptome, daneben können Schweißausbrüche, abdominelle Schmerzen und bronchiales Giemen auftreten.
Befunde:Bronchokonstriktion, Tachykardie, bei Endokardfibrose Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz.
Diagnostik:Laboruntersuchungen (Chromogranin A und 5-Hydroxyindolessigsäure), bildgebende Verfahren und histopathologische Untersuchung nach Biopsie.
Therapie:Medikamentöse Behandlung mit Serotoninantagonisten. Chirurgische Resektion von Primärtumor und Metastasen, wenn möglich. Evtl. Ergänzung mit katheterinterventionellen und nuklearmedizinischen Verfahren.
Allgemeine Informationen
Definition
Ein Karzinoid-Syndrom ist ein klinischer Symptomenkomplex infolge von Serotoninausscheidung durch neuroendokrine Tumoren (NET) und/oder deren Metastasen
Ca. 80 % der NET in Dünndarm oder Pankreas sind maligne, hingegen nur ca. 15 % im Magen, Appendix oder Rektum.7
Abhängig von einer etwaigen Hormonproduktion werden NET unterschieden in:
funktionell inaktive NET
funktionell aktive NET.
Etwa 20 % der gastrointestinalen NET sind funktionell aktiv.5
Je nach produziertem Hormon können verschiedene Leitsymptome/-syndrome entstehen, u. a. Karzinoid-Syndrom, rezidivierende Ulzera, Hypoglykämie, Diabetes mellitus, Hypokaliämie.8
Das Karzinoid-Syndrom wird am häufigsten verursacht durch hormonproduzierende Metastasen von NET aus Jejunum, Ileum, Appendix und proximalem Kolon.9
Karzinoid-Syndrom bei ca. 20–30 % der Patient*innen mit metastasierten NET des Dünndarms2
überwiegend bei Patient*innen mit Lebermetastasen (95 %), in selteneren Fällen auch retroperitoneale oder ovarielle Metastasen (5 %)2
bei Karzinoiden der Lunge Karzinoid-Syndrom auch ohne Lebermetastasen möglich10
Karzinoid-Syndrom verursacht durch Ausschüttung von:9
Serotonin
normalerweise Umwandlung von 99 % des Tryptophans in der Nahrung in Niacin, < 1 % in Serotonin4
bei Karzinoid-Syndrom erhöhte Serotoninproduktion und evtl. Niacinmangel
Tachykinine
Bradykinin
Prostaglandine
Histamin.
Von Lebermetastasen direkte Abgabe von Serotonin u. a. ins zentralvenöse System und dadurch systemische Ausbreitung und Wirkung
Vasodilatation
Stimulation der glatten Muskulatur
erhöhte gastrointestinale Motilität
Bronchokonstriktion
im Verlauf evtl. Rechtsherzinsuffizienz durch Endokardfibrose mit Trikuspidalklappeninsuffizienz/Pulmonalklappenstenose (Hedinger-Syndrom)
Keine Symptomatik durch Abgabe von Serotonin und anderen Substanzen aus gastrointestinalem Primärtumor ins portalvenöse System, da Inaktivierung in Leber (First-pass-Effekt)
Prädisponierende Faktoren
Auftreten in den meisten Fällen vermutlich sporadisch
Positive Familienanamnese bei 1 % der Patient*innen4
5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) im 24-Stunden-Urin
5-HIES ist ein Abbauprodukt von Serotonin
Bestimmung von 5-HIES im 24-Stunden-Urin ist neben CgA wichtigster Laborparameter für Nachweis und Verlaufskontrolle eines fortgeschrittenen hormonaktiven NET des Dünndarms.14
Wertigkeit bei der Diagnostik des Karzinoid-Syndroms
Für die Primärdiagnostik von abdominellen NET oder Metastasen soll eine Schnittbildgebung mittels CT oder MRT durchgeführt werden.14
Die Untersuchungen sollen kontrastmittelverstärkt erfolgen.14
Sonderformen sind CT/MR-Enterografie/Enteroklysma (Distension des Darms mit Wasser-Mannitol-Mischung zur besseren Beurteilbarkeit).14
Nuklearmedizinische Verfahren
Ein zentrales Element in der Diagnostik von NET ist auch die Rezeptorbildgebung mit nuklearmedizinischen Methoden unter Verwendung von Somatostatinanaloga.7
Soweit möglich und verfügbar soll die funktionelle Somatostatinrezeptor(SSTR)-Bildgebung mittels SSTR-PET/CT erfolgen.14
Kontrastverstärkter Ultraschall (CEUS)
Option als initiale Suchmethode für Primärtumoren oder Lebermetastasen (kräftige Kontrastmittelaufnahme)6
Kapselendoskopie
genaue Wertigkeit noch unklar
empfohlen bei Patient*innen mit metastasierten NET und unklarem Primärtumor2
evtl. Nachweis einer Rechtsherzinsuffizienz durch serotoninbedingte Endokardfibrose (Hedinger-Syndrom)
häufig signifikante Trikuspidalklappeninsuffizienz, evtl. Pulmonalklappenstenose
Eine transthorakale Echokardiografie sollte bei allen Patient*innen mit einem Karzinoid-Syndrom im Rahmen der Primärdiagnostik durchgeführt werden.14
Histologie
Histopathologische Bestätigung der Verdachtsdiagnose obligatorisch2
üblicherweise durch ultraschallgesteuerte Leberbiopsie
alternativ chirurgische Biopsie
Indikationen zur Überweisung
Bei Verdacht auf Karzinoid-Syndrom
Checkliste zur Überweisung
Karzinoid-Syndrom
Anamnese und Befund
Flush?
Durchfall?
Weitere Symptome/Befunde: abdominelle Krämpfe, asthmatische Beschwerden, Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz, Palpitationen?
Sonografie
V. a. Lebermetastasen
Therapie
Therapieziele
Kurativer Ansatz
im Einzelfall möglich bei günstiger Verteilung der Metastasen12
Symptomkontrolle
Verbesserung der Lebensqualität
Allgemeines zur Therapie
Vor Therapieeinleitung Besprechung in der multidisziplinären Tumorkonferenz empfohlen wegen:12
Heterogenität der NET
Komplexität der Erkrankung
zahlreichen Therapieoptionen.
Somatostatinanaloga gehören zur Erstlinientherapie, auch wegen ihrer guten Verträglichkeit.14
Alle Therapiemaßnahmen im Bereich der Leber erfordern eine Vorbehandlung mit Somatostatinanaloga.12
Bei einem primären NET im Jejunum/Ileum sollte der Primärtumor unabhängig vom Tumorstadium operativ entfernt werden.
Chirurgie und lokoregionale/ablative Therapie sollten bei Diagnosestellung und im Verlauf erwogen werden.12
Verkleinerungsresektion bei Patient*innen mit dominierendem Leberbefall zur besseren Symptomkontrolle auch empfohlen, wenn Tumorlast weniger als 90 % reduziert werden kann.12
Medikamentöse Therapie
Somatostatinanaloga (SSA) sollen in der Erstlinientherapie des Karzinoidsyndroms eingesetzt werden.14
Verringerung der oft schweren hormonell bedingten Symptomatik (Flush, Diarrhö, Bronchospasmus)14-15
Oktreotid und Lanreotid gelten als gleich wirksam.12
Verbesserung der Symptomatik bei bis zu 88 % der Patient*innen1
geringe Nebenwirkungsrate gemessen an der Effektivität14
Kann spontan auftreten oder Auslösung durch u. a.:
Palpation des Abdomens
Tumormanipulation während OP
Anästhetikagabe
interventionelle Lebermetastasentherapie.
Verlauf und Prognose
Kurative Resektion von Primärtumor und Metastasen im Einzelfall möglich12
Lebensqualität abhängig vom Erfolg der Symptomkontrolle
Unter Standardtherapie mit SSA Symptomkontrolle von Monaten bis zu mehreren Jahren möglich16
Verlust der Symptomkontrolle unter Therapie mündet in ein „refraktäres Karzinoid-Syndrom".16
5-Jahres-Überlebensrate bei kompletter Entfernung eines kleinen NET: 90 %1
Bezogen auf den Primärtumor Prognose von NET abhängig von Histologie, Größe, Lokalisation, Invasivität, residuellen Befunden nach Resektion und Metastasierung
5-Jahres-Überlebensrate bei Metastasierung: ca. 20–30 %1
Verbesserte Überlebensraten bei metastasierter Erkrankung konnte vor allem nach Einführung der SSA erzielt werden.17
Karzinoid im Rektum (mit freundlicher Genehmigung von endoskopiebilder.de, Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH, Hamburg)
Quellen
Leitlinien
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Neuroendokrine Tumore. AWMF-Leitlinie Nr. 021-026. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
European Neuroendocrine Tumor Society. Consensus Guidelines Update for Neuroendocrine Neoplasms of the Jejunum and Ileum, Stand 2016. www.enets.org
European Neuroendocrine Tumor Society. Consensus Guidelines Update for the Management of Distant Metastatic Disease of Intestinal, Pancreatic, Bronchial Neuroendocrine Neoplasms (NEN) and NEN of Unknown Primary Site, Stand 2016. www.enets.org
Literatur
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Ein Karzinoid-Syndrom ist ein klinischer Symptomenkomplex infolge von Serotoninausscheidung in den systemischen Kreislauf durch neuroendokrine Tumoren (NET) und/oder deren Metastasen.