Definition:Im Jugendalter auftretende Wachstumsstörung an Grund- und Deckplatten der Brust- und/oder Lendenwirbelsäule, bei der es durch Keilwirbelbildung zu einer Hyperkyphose kommt.
Häufigkeit:Tritt in der Regel bei Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren auf. Jungen sind häufiger betroffen.
Symptome:Die meisten Patient*innen haben kaum Schmerzen oder Beschwerden, suchen aber wegen der „schlechten Haltung“ oder des Rundrückens ärztlichen Rat.
Befunde:Es kommt zu einer verstärkten thorakalen Kyphose, die am besten sichtbar ist, wenn sich die Patient*innen nach vorne beugen. Eine flache Lumballordose wird ebenfalls beobachtet.
Diagnostik:Röntgen des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts in 2 Ebenen.
Therapie:Physiotherapie und bei Kyphosen > 50 Grad Korsettbehandlung, sofern Wachstum noch nicht abgeschlossen. Bei sehr ausgeprägter Kyphose aufrichtende Operation.
Im Jugendalter auftretende Wachstumsstörung an Grund- und Deckplatten der Brust- und/oder Lendenwirbelsäule mit teilfixierter vermehrter Kyphose bzw. verminderter Lordose.1
Definitionsgemäß müssen mindestens 3 benachbarte Wirbel einen Keilwirbelwinkel > 5° Grad aufweisen.1
Die Erkrankung ist nach dem dänischen Radiologen Holger Werfel Scheuermann benannt, der sie im Jahre 1921 erstmals beschrieb.2
Die geschätzte Prävalenz liegt zwischen 4 % und 8 %.3
Ätiologie und Pathogenese
Die Ätiologie ist unbekannt, aber die Vererbung scheint eine wichtige Rolle zu spielen, da ähnliche Veränderungen bei 50 % der Geschwister einer erkrankten Person vorkommen.5
Als auslösende Ursachen werden u. a. eine avaskuläre Nekrose, hormonelle sowie metabolische Störungen, mechanische, traumatische, aber auch psychogene Auslöser oder Veränderungen im Kollagenaufbau diskutiert.6
In der Folge kommt es zu einer Wachstumsstörung der Wirbelkörper mit Keilwirbelbildung und Kyphosierung der Wirbelsäule.6
Prädisponierende Faktoren
Eine genetische Disposition wird angenommen.
ICPC-2
L94 Osteochondrose
ICD-10
M42.0 Juvenile Osteochondrose der Wirbelsäule inkl. Scheuermann-Krankheit
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Radiologischer Nachweis von mindestens 3 benachbarten Wirbelkörpern mit einem Keilwirbelwinkel von jeweils > 5 Grad1
Die meisten Patient*innen mit der Scheuermann-Krankheit haben kaum Schmerzen oder Beschwerden, suchen aber wegen schlechter Haltung oder Rundrücken ärztlichen Rat.
Falls im Verlauf Rückenschmerzen auftreten, ist dies insbesondere nach körperlicher Anstrengung sowie am Ende des Tages der Fall.7
Die Schmerzen sind in der Regel stärker ausgeprägt, wenn die Veränderungen im lumbalen Teil der Wirbelsäule lokalisiert sind.
In Ruhe lassen die Schmerzen nach.
Klinische Untersuchung
In der Regel kommt es zu einer verstärkten thorakalen Kyphose, die am besten sichtbar ist, wenn sich die Person nach vorne beugt. Eine flache Lumballordose wird ebenfalls beobachtet (Prüfung nach Schober und Ott).
In der Vorbeugung sollte auch auf eine mögliche begleitende Skoliose geachtet werden.
Die Kyphose ist fixiert, d. h. sie kann nicht aktiv oder passiv aufgehoben werden.8
Auf lateralen Röntgenaufnahmen am besten zu beurteilen.
Der Winkel zwischen den Deckplatten der Wirbel ist größer als 5 Grad.
Die Veränderungen sind im mittleren Teil der Brustwirbelsäule am ausgeprägtesten, können aber auch in der Lendenwirbelsäule auftreten.3,10-11
In der Regel zeigen 3–5 benachbarten Wirbelkörper die Fehlentwicklung.
Bandscheibenhernien in die spongiösen Wirbelkörperanteile (sog. Schmorlsche Knötchen) gehören zu den typischen morphologischen Zeichen der Erkrankung.1
Kompensatorisch verstärktes Knochenwachstum (exostosenartig) an den gegenüberliegenden Deckplatten der Schmorl-Knötchen wird als Edgren-Vaino-Zeichen bezeichnet.
Ggf. MRT zur Diagnosesicherung und Bestimmung des Ausmaßes9
Indikationen zur Überweisung
Bei unklarer Diagnose und in schwereren Fällen (Kyphose > 50 Grad) Überweisung an die Orthopädie oder Pädiatrie, ggf. gemeinsame Betreuung und Behandlung der Patient*innen
Gewicht und Größe. Die Vorlage einer Wachstumskurve ist sehr hilfreich.
Apparative Diagnostik
Röntgen: Grad der Krümmung
Therapie
Therapieziele
Verhinderung des Auftretens bzw. der Progression zu einer schwerwiegenden Wirbelsäulendeformität1
Ggf. Schmerzen lindern.
Allgemeines zur Therapie
Bei auftretenden Schmerzen ist eine Medikation mit Schmerzmitteln möglich.
Eine frühzeitige Diagnose ist für den Therapieerfolg durch Physiotherapie und evtl. Orthesen entscheidend.12
Der Grad der kyphotischen Deformität bestimmt die konservative Behandlung.13
Ob das Tragen eines Stützkorsetts oder eine Operation evtl. Folgen der Erkrankung verhindern kann, ist bisher nicht abschließend geklärt.3
Empfehlungen für Patient*innen
Unterschiedliche körperliche Aktivitäten
Das Krafttraining der Rückenstrecker und Bauchmuskulatur ist dabei sehr wichtig.
Kinder sollten vornübergebeugte Positionen, wie z. B. beim Radfahren und Rudern, vermeiden.
Kompressions- und Torsionsbelastungen der Wirbelsäule (einige Kampfsportarten, Turnen, Gewichtheben, schwere Rucksäcke, etc.) sollten vermieden werden.
Beratung zur Berufswahl mit Vermeidung wirbelsäulenbelastender Tätigkeiten1
Konservative Therapie
Kyphose < 50 Grad: physiotherapeutische Behandlung mit Kräftigung der Rumpf- und Rückenmuskulatur6
Voraussetzung für die Wirksamkeit des Korsetts ist eine gute Flexibilität der Wirbelsäule und ein noch nicht abgeschlossenes Wachstum.
Tragedauer: 23 Stunden am Tag im ersten Jahr, anschließend meist nur noch nachts bis zum Abschluss des Wachstums1
Bereits vorhandene Deformitäten können meist nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Zusätzlich ist regelmäßige Physiotherapie notwendig.
Operative Therapie
Eine operative Aufrichtung kann bei stark ausgeprägter Kyphose > 70 Grad durchgeführt werden, kommt jedoch erst nach Abschluss des Wachstums in Betracht.3
Die Indikation sollte mit großer Zurückhaltung gestellt werden.1
Mögliche OP-Indikationen sind eine neurologische Symptomatik oder eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion.1
Bei Beschwerden und untragbarem kosmetischen Aspekt kann ebenfalls eine Operation diskutiert werden.6
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Die Schmerzen und Beschwerden enden in den meisten Fällen nach Abschluss des Wachstums.
Abgesehen von Haltungsproblemen liegen meist keine anderen Beschwerden vor.
Komplikationen
Die Verkrümmung der Wirbelsäule kann kosmetisch störend sein.
Bei einem Befall der Lendenwirbelsäule können im Erwachsenenalter häufiger Rückenbeschwerden auftreten.
Es kann zu Folgeerscheinungen aufgrund einer Spondylose kommen.
Neurologische Komplikationen treten sehr selten auf.
Prognose
Die Prognose hängt vom Grad der Fehlhaltung ab.
Die Prognose ist für die überwiegende Mehrheit der Patient*innen gut.
Langzeitstudien deuten jedoch auf vermehrte Rückenschmerzen, insbesondere bei thorakolumbalen oder lumbalen Veränderungen, im Erwachsenenalter hin.
Übergewicht gilt als prognostisch ungünstiger Faktor und erhöht das Risiko für Rückenschmerzen im Verlauf.1
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
Die Krankheit kann Schmerzen in der Wachstumsphase verursachen, die nach dem Ende des Wachstums abnehmen, aber zu einem fixierten Rundrücken führen.
In den meisten Fällen ist neben Übungen zur Stärkung der Bauch- und Rückenmuskulatur keine weitere Therapie notwendig.
Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR). AWMF-Leitlinie Nr. 064-012. Rückenschmerz (nicht traumatisch) – Bildgebende Diagnostik. S1, Stand 2020. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und Berufsverband der Ärzte für Orthopädie (BVO). Morbus Scheuermann. AWMF-Leitlinie Nr. 033-040. S1, Stand 2010. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und Berufsverband der Ärzte für Orthopädie (BVO). Morbus Scheuermann. AWMF-Leitlinie Nr. 033-040. Stand 2010. www.leitliniensekretariat.de
Scheuermann HW. Kyphosis dorsalis juvenilis. Zeitschrift für orthopädische Chirurgie einschließlich der Heilgymnastik und Massage 1921; 21: 305-17.
Fotiadis E, Kenanidis E, Samoladas E, Christodoulou A, Akritopoulos P, Akritopoulou K. Scheuermann's disease: focus on weight and height role. Eur Spine J 2008; 17: 673-8. PubMed
Damborg F, Engell V, Andersen M, Kyvik KO, Thomsen K. Prevalence, concordance, and heritability of Scheuermann kyphosis based on a study of twins. J Bone Joint Surg Am 2006; 88: 2133. PubMed
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Bhatia NN, Chow G, Timon SJ, Watts HG. Diagnostic modalities for the evaluation of pediatric back pain: a prospective study. J Pediatr Orthop 2008; 28: 230-3. PubMed
Palazzo C, Sailhan F, Revel M. Scheuermann's disease: an update. Joint Bone Spine. 2014 May;81(3):209-14. doi: 10.1016/j.jbspin.2013.11.012. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Mutschler, Kohn, Pohlemann. Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie. 3., vollständig überarbeitete Auflage 2013. Thieme Verlag Stuttgart
Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Im Jugendalter auftretende Wachstumsstörung an Grund- und Deckplatten der Brust- und/oder Lendenwirbelsäule, bei der es durch Keilwirbelbildung zu einer Hyperkyphose kommt.