Allgemeine Informationen
Definition
- Diskontinuität der Klavikula, in den meisten Fällen traumatisch bedingt1
- 70–80 % der Schlüsselbeinfrakturen im mittleren Drittel der Klavikula2
Klassifikation (nach Allman)3
- Gruppe 1: Fraktur im mittleren Drittel der Klavikula
- Gruppe 2: Fraktur im lateralen Drittel der Klavikula
- weitere Einteilung nach Lage bezogen auf die korakoklavikulären Ligamente
- Gruppe 3: Fraktur im medialen Drittel der Klavikula
Häufigkeit
- Schlüsselbeinfrakturen sind, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, häufig.
- in dieser Altersgruppe 10–16 % aller Frakturen1
- Bei Erwachsenen 3–5 % aller Frakturen4
- Mehr als die Hälfte der Frakturen treten bei Kindern unter 12 Jahren auf; dabei handelt es sich um die sog. Grünholzfraktur.
- Frakturstelle2
- 70–80 % mittleres Drittel
- 15–30 % im lateralen Drittel
- < 3 % im medialen Drittel, sehr selten
- Schlüsselbeinfrakturen sind besonders häufig beim Sport.
- vor allem bei Kontaktsportarten5 und unter Radfahrern
- Männer sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Frauen.2
Klinische Anatomie
- Die Klavikula ist aufgrund der subkutanen, relativ prominenten Lokalisation und des häufigen Auftretens größerer Kräfte anfällig für Brüche.
- Das mittlere Drittel, Corpus claviculae, ist am dünnsten und daher besonders anfällig für Brüche.
- Fehlende Unterstützung durch Muskeln und Bänder macht es anfällig für Schäden.
- Das Akromioklavikular- (laterales Drittel) und das Sternoklavikulargelenk (mediales Drittel) sind durch robuste Ligamente und Kapseln unterstützt.
- Funktionen der Klavikula
- Verbindung des axialen Skeletts mit den oberen Extremitäten
- Beitrag zur Bewegung und Stabilität der oberen Extremitäten
- Pseudarthrose (Malunion) kann die Bewegungsabläufe der gesamten oberen Extremität stören.
- Bietet zusammen mit dem Musculus subclavius Schutz der tiefer liegenden neurovaskulären Strukturen.
- Kallusbildung oder Verschiebung können das Thoracic-outlet-Syndrom verursachen.
- Verbindung des axialen Skeletts mit den oberen Extremitäten
Ätiologie und Pathogenese
- Der häufigste Mechanismus ist ein direkter Fall auf die Schulter, während der Arm entlang der Seite verbleibt.5
- Seltener entsteht die Fraktur durch eine direkten Schlag auf die Klavikula oder einen Fall auf den ausgestreckten Arm.6
- häufig bei Fahrradstürzen
- Seitliche Stöße gegen die Schulter können ebenfalls zu einer Fraktur führen.
- Bei Erwachsenen ist mehr Kraft notwendig, um die Klavikula zu brechen.
- Die Heilung schreitet jedoch auch langsamer voran als bei Kindern, und das Komplikationsrisiko ist größer.
- Die Klavikula schützt die großen, darunter liegenden Blutgefäße, die Lunge und den Plexus brachialis.
- Dislozierte Klavikulafrakturen können aufgrund der räumlichen Nähe und ihrer scharfen Kanten diese Strukturen beschädigen.
ICPC-2
- L76 Fraktur, andere
ICD-10
- S42 Fraktur im Bereich der Schulter und des Oberarmes
- S42.0 Fraktur der Klavikula
- S42.01 Mediales Drittel
- S42.02 Mittleres Drittel
- S42.03 Laterales Drittel
- S42.09 Multipel
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Bestätigung des klinischen Verdachts durch Röntgen
Differenzialdiagnosen
- Verletzung des Akromioklavikulargelenks
- Luxation des Sternoklavikulargelenks
- Schulterluxation
- Skapulafraktur
Anamnese
- Häufig ist die Verletzung entweder durch einen direkten Sturz auf die Schulter entstanden, oder der Fall wurde mit ausgestrecktem Arm abgefangen.
- Patienten haben Schmerzen, insbesondere beim Bewegen des Armes.
Klinische Untersuchung
- Patienten halten den betroffenen Arm meist adduziert und dicht am Körper.
- Häufig durch die andere Hand abgestützt, um die Belastung der Fraktur zu vermindern.5
- Lokale Schmerzen, die bei Schulterbewegungen verstärkt werden; evtl. Blutaustritt, evtl. Krepitation im Frakturspalt.
- Meist sind die Bruchenden leicht zu ertasten.
- Stufenbildung, anomale Beweglichkeit
- Eine verkürzte und asymmetrische Schulterbreite kann ebenfalls sichtbar sein.1
Komplikationen?7
- Verletzungen an den unter der Klavikula verlaufenden Gefäßen, am Plexus brachialis und an der Lungenapex sind möglich.
- Überprüfen Sie unbedingt die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität.
- Pneumothorax bei 3 % aller betroffenen Patienten1
- In vielen Fällen Stufenbildung durch kranialen Zug vom M. sternocleidomastoideus am medialen Fragment
- Gefahr der Drucknekrose!
Diagnostik beim Spezialisten
- Röntgen
- Weitergehende Diagnostik, etwa mittels Computertomografie, Magnetresonanztomografie oder Angiografie, ist außer bei Komplexverletzungen in der Regel nicht erforderlich.2
Befunde nach Klassifikation
- Fraktur des Mittelschafts
- Mediales Fragment relativ nach oben verschoben, Schultergürtel im Vergleich zur Gegenseite verkürzt
- Das mediale Segment wird durch den Musculus sternocleidomastoideus nach oben gezogen.
- Das Gewicht des Armes zieht das laterale Segment nach unten, wird jedoch durch den Musculus trapezius opponiert.
- Musculus pectoralis major und Musculus latissimus dorsi üben einen inferomedialen Zug auf das laterale Segment aus, sodass ein Verkürzungseffekt entsteht.
- Mediales Fragment relativ nach oben verschoben, Schultergürtel im Vergleich zur Gegenseite verkürzt
- Laterale Frakturen
- Es gibt zwei korakoklavikuläre Bänder: Ligamentum conoideum und Ligamentum trapezoideum.
- Die Klassifikation und Therapie sind abhängig von der Frakturstelle relativ zu den beiden Bändern.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf Fraktur Überweisung zum Spezialisten zur Festlegung des konservativen oder operativen Vorgehens
Therapie
Therapieziele
- Die normale Anatomie (keine Fehlstellung) wiederherstellen.
- Die Beweglichkeit erhalten.
- Schmerzen lindern und eine rasche Heilung fördern.
Allgemeines zur Therapie
- In der Mehrzahl der Fälle erfolgt eine konservative Behandlung, insbesondere bei Kindern.
- Ruhigstellung der betroffenen Seite im Rucksack- oder Schlingenverband sowie ggf. Analgetikagabe
- Das Pseudarthroserisiko ist nach konservativer Therapie in einzelnen Subgruppen deutlich erhöht.
- Patienten mit starker Dislokation, Frauen, hohes Lebensalter2
- Diese Patientengruppen profitieren von operativer Therapie.
Gruppe 1: Fraktur des mittleren Drittels
- Initial Kühlung und Analgesie
- Nur bei starker Dislokation ist eine Operation indiziert.
- Patienten mit konservativer Therapie erholen sich schneller und können den Arm früher wieder belasten.8
- In den meisten Fällen ist eine Immobilisation in der Armschlinge ausreichend.1
- Es stehen verschiedene Armschlingen zur Auswahl, ohne Beleg der Überlegenheit einer bestimmten Armschlinge.9
- Dauer
- Übungen
- Mit Ellenbogenbewegungen sollte begonnen werden, sobald die Schmerzen es zulassen.
- Mit Schulterbewegungen und Stärketraining sollte begonnen werden, sobald die Fraktur verheilt ist.
- Steifheit ist nur selten ein Problem.1
- Komplikationen
- Sind trotz der Nähe zu neurovaskulären Strukturen und Lungenapex selten.
- Dislokation um mehr als eine Knochenbreite ist der größte radiologische Risikofaktor für Komplikationen.10
Gruppe 2: Fraktur des lateralen Drittels
- Hohe Rate von Pseudarthrosen
- Verantwortlich für 50 % aller Pseudarthrosen, obwohl die Fraktur des lateralen Drittels nur ca. 15 % aller Klavikulafrakturen ausmacht.11
- Einteilung in Typ I–III
- Typ I: Fraktur medial der korakoklavikulären Bänder
- Die korakoklavikuläre Bänder sind intakt, in der Regel kaum Dislokation.
- konservative Therapie mit Kühlung, Analgesie und Armschlinge
- frühfunktionelle, passive Mobilisierung der Schulter wegen Gefahr der adhäsiven Kapsulitis1
- Typ II: Fraktur auf Höhe der korakoklavikulären Bänder
- Typ II A
- Ligamentum conoideum und trapezoideum sind intakt, Fraktur medial der Ligamente.
- Vorgehen abhängig von Ausprägung der Dislokation
- Typ II B
- Ruptur vom Ligamentum conoideum und/oder Ligamentum trapezoideum
- in der Regel operative Reposition und Fixierung, konservativ 30 % Risiko für Pseudarthrose12
- Typ II A
- Typ III: Fraktur lateral der korakoklavikulären Bänder
- in der Regel kaum disloziert, konservative Therapie wie Typ I1
- Typ I: Fraktur medial der korakoklavikulären Bänder
Gruppe 3: Fraktur des medialen Drittels
- Mediale Frakturen sind ungewöhnlich.
- Nicht dislozierte Frakturen ohne weitere Verletzungen können konservativ mit einer Schlinge behandelt werden.1
- Stark dislozierte Frakturen und sternoklavikuläre Dislokationen sollten chirurgisch reponiert werden.
- Hierbei liegen häufig auch intrathorakale oder neurovaskuläre Verletzungen vor, die eine Akutoperation notwendig machen.13
Operative Therapie
- Operationsindikationen, u. a. bei:14
- bestehender Gefahr einer Hautperforation, drohender Hautnekrose, Gefäßschäden oder Nervenschäden
- stark dislozierten Frakturen
- Pseudarthrose
- Verkürzung des Schultergürtels um > 15–20 mm
- offener Fraktur
- „Floating Shoulder“
- begleitende Skapulafraktur mit instabilem Glenoid
- Die operative Therapie erfolgt meist unter Einsatz von Platten und Schrauben oder durch Marknagelung.
- Ziel ist die Wiederherstellung der ursprünglichen Anatomie.
Behandlung von Komplikationen
- Häufigkeit
- Fehlverheilungen (unterschiedlichen Ausmaßes) können nach konservativer Behandlung bei bis zu 2/3 der Patienten auftreten, in der Regel entstehen Verkürzungen des Schultergürtels.15
- Fehlverheilungen/Pseudarthrosen
- Indikationen für eine operative Korrektur18
- nachgewiesene Verkürzung des Schultergürtels > 15 mm
- Rotationsfehlstellung oder erheblichen Winkelfehlstellungen mit hervorstehender Klavikula
- erhebliche Beschwerden in Form von Schmerzen, Schwäche, Protraktion der Schulter, reduzierter Beweglichkeit, Taubheit/Parästhesie in den oberen Extremitäten oder kosmetischen Belastungen
- Mögliche Komplikationen sind Infektionen (1–2 %), Verletzungen des Plexus und Fehlverheilungen (5–10 %).
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Verletzung beginnt bei Erwachsenen nach ca. 4–6 Wochen zu heilen.
- Bei Kindern heilt die Fraktur schneller.
- Es kann zu erheblicher Kallusbildung kommen.
Komplikationen
- Im Verhältnis zur großen Anzahl der Klavikulafrakturen sind Komplikationen selten.7
- Akute Komplikationen sind Nerven- und Gefäßschäden sowie evtl. Pneumothorax oder Hämatothorax.
- Langzeitbeschwerden können Schmerzen in Ruhe oder bei Aktivität, Schwäche, Parästhesien und kosmetische Defekte sein.4
- Pseudarthrosen in etwa 6 % aller Fälle17
- In Einzelfällen kann die Heilung auch zu Fehlstellungen führen, die später eine Operation erforderlich machen.
Prognose
- Die meisten Klavikulafrakturen heilen beschwerdefrei aus, jedoch treten gehäuft kosmetische Deformitäten (starke Kallusbildung) auf.1
Verlaufskontrolle
- Verlaufskontrollen der knöchernen Konsolidierung per nativradiologischer Aufnahmen
- bei Kindern in der Regel nach 2 Wochen, bei Erwachsenen nach 4–6 Wochen1
- Schmerzadaptierte frühfunktionelle Beübung nach Vorgabe der behandelnden Spezialisten
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Literatur
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Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Katarina Lönn Specialistläkare, VO ortopedi, Akademiska sjukhuset, Uppsala
- Arild Aamodt, overlege/professor, Ortopedisk avdeling, Lovisenberg Sykehus, Oslo