Thoracic-outlet-Syndrom

Zusammenfassung

  • Definition:Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) ist eine übergreifende Beschreibung aller Beschwerdebilder, bei denen im Bereich der oberen Thoraxapertur nervale oder vaskuläre Strukturen durch Druck geschädigt bzw. beeinträchtigt werden (neurogenes TOS, arterielles TOS, venöses TOS).
  • Häufigkeit:Wenig verlässliche Daten zur Prävalenz, wahrscheinlich eher seltenes Krankheitsbild.
  • Symptome:Hauptsymptome sind Brachiozephalgien, Parästhesien, Sensibilitätsstörungen, Paresen, Schwere/Spannungsgefühl.
  • Befunde:Mögliche Befunde sind Haltungsanomalien, Zeichen der Durchblutungsstörung (Kälte/Blässse), Blutdruckdifferenz, Schwellung, Zyanose, Atrophien.
  • Diagnostik:Provokationstests im Rahmen der klinischen Untersuchung. Ergänzend apparative Diagnostik (Röntgen, CT/MRT, Farbduplex, Elektroneurografie).
  • Therapie:Primär konservative Therapie (Vermeiden auslösender Bewegungen, Physiotherapie, Massage, lokale Wärmebehandlung, medikamentöse Muskelrelaxation). Im Einzelfall operative Dekompression.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) ist eine übergreifende Beschreibung aller Beschwerdebilder, bei denen im Bereich der oberen Thoraxapertur nervale oder vaskuläre Strukturen durch Druck geschädigt bzw. beeinträchtigt werden.1

Klassifikation

  • Ein TOS kann abhängig von der symptomverursachenden Struktur kategorisiert werden in:2
    • neurogenes TOS (nTOS): 95–99 %
    • vaskuläres TOS
      • arterielles TOS (aTOS): 1–2 %
      • venöses TOS (vTOS): 3–5 %, bei isoliertem Auftreten auch als Thoracic-inlet-Syndrom (TIS) bezeichnet.

Häufigkeit

  • Wenig verlässliche Daten zur Epidemiologie aufgrund der schwierigen Identifizierung der betroffenen Patient*innen3
  • Prävalenz
    • Insgesamt vermutlich eher seltenes Krankheitsbild, Daten zur Prävalenz schwanken zwischen 1/10.000.000 und 1/100.4
  • Alter
    • Auftreten überwiegend im Alter zwischen 20 und 50 Jahren1
      • Altersgipfel zwischen 30 und 40 Jahren
  • Geschlecht
    • Verteilung abhängig vom Typ des TOS2
      • nTOS: überwiegend Frauen
      • aTOS: keine wesentliche Geschlechterdifferenz
      • vTOS: Männer etwas häufiger betroffen

Ätiologie und Pathogenese

  • TOS wird durch Kompression nervaler und/oder vaskulärer Strukturen im Bereich des Schultergürtels verursacht.5
  • Betroffen sein können:5
    • Plexus brachialis
    • A. subclavia/A. axillaris
    • V. subclavia/V. axillaris.
  • Das neurovaskuläre Bündel passiert im Verlauf 3 natürliche Engstellen, Veränderungen in diesen Bereichen können zur Kompression führen.2,6
    • Skalenuslücke
      • am häufigsten Ursache für eine Kompression des Plexus brachialis1
    • kostoklavikulärer Raum
      • Kann Nerven und Gefäße komprimieren.1
    • retropektoraler Raum (M. pektoralis minor)
      • Kann Nerven und Gefäße komprimieren.1
  • Zahlreiche Mechanismen werden für ein TOS verantwortlich gemacht, hierzu gehören:2,4,7
    • anatomische Variationen
      • Halsrippe (häufigste Form) oder andere knöcherne Anomalien
      • zusätzlicher Bänder
      • aberrierende Muskelzüge und Muskelansätze
    • St. n. Traumata
      • narbige Residuen
      • Kallusbildung
    • Bewegungsmuster, repetitive Bewegungen
      • Überkopfarbeit, Schwimmen, Werfen, Rad- und Autofahren, Lasten- und Rucksacktragen
    • Haltungsschäden der Wirbelsäule (mit nach vorne hängenden Schultern)
    • ausgeprägte Muskulatur (Body Building)
    • Fibrose nach Radiatio.

Typische Mechanismen eines nTOS

  • Kombination prädisponierender anatomischer Veränderungen (z. B. Engstellung der Skalenuslücke) mit repetitiven Traumata im Bereich Hals/Schulter/Arm
  • Nachfolgend Fibrosierung der Muskelansätze mit persistierenden Par- und Dysästhesien der oberen Extremitäten1

Typische Mechanismen eines aTOS

  • In der Regel liegt eine Halsrippe oder ein anormaler Skalenusansatz vor, typische Gefäßveränderung ist eine Stenose der A. subclavia mit poststenotischer Dilatation oder Aneurysma.1
  • Mögliche Thrombenbildung in Aneurysmen oder ulzerierten Intimaläsionen mit peripherer Embolisierung7

Typische Mechanismen eines vTOS

  • Kostoklavikuläre Enge ist die wichtigste anatomische Voraussetzung, wiederholte Belastungen des (meist dominanten) Arms wirken auslösend.1
  • Fokale Fibrosierungen der Venenwand mit Lumenreduktion und nachfolgend evtl. Thrombusbildung/Armvenenverschluss1

ICPC-2

  • L92 Schultersyndrom

ICD-10

  • G54 Krankheiten von Nervenwurzeln und Nervenplexus
    • G54.0 Läsionen des Plexus brachialis

Diagnostik

  • Wichtig ist, an die Möglichkeit eines TOS zu denken.1,4
    • Das Beschwerdebild ist häufig variabel und unspezifisch, zahlreiche Symptome und Funktionseinschränkungen sind möglich.
    • nicht selten Diagnosestellung erst im Rahmen einer neurovaskulären Komplikation

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnosestellung erfolgt in der Zusammenschau von:
    • Anamnese
    • klinischer Untersuchung
    • apparativen Verfahren.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Hauptsymptome sind:1,4,8
    • Brachiozephalgien mit ausstrahlenden Schmerzen
    • Parästhesien (häufig ulnar betont)
    • Sensibilitätsstörungen
    • Paresen
    • Schwere, Spannungsgefühl.
  • Charakteristika der Symptome
    • Art
    • Lokalisation
    • Dauer
    • Stärke
    • Auslösende Mechanismen (z. B. Überkopfarbeiten, Tragen von schweren Lasten bei herabhängendem Arm, sportliche Aktivitäten)
  • Beruf, Hobbys, Sport
  • Psychische Störungen
    • Eine Depression kann die Folge jahrelanger Beschwerden sein.

Klinische Untersuchung

  • Die klinische Untersuchung einschließlich Provokationstests hat einen hohen Stellenwert in der Diagnostik.7
  • Mögliche Befunde1,4,8
    • Haltungsanomalien
    • Kälte, Blässe von Hand, Arm
    • Blutdruckdifferenz
    • akrale Nekrosen
    • Schwellung, Zyanose
    • Atrophie der Handmuskulatur
    • positives Hoffmann-Tinel Zeichen im Hals- bzw. Klavikularbereich.

Provokationstest

  • Verschiedene Tests können angewandt werden, allerdings ist kein Testergebnis pathognomonisch, und zur diagnostischen Genauigkeit der Tests gibt es keine verlässlichen Date.n9
  • Die Provokationstests können als positiv gewertet werden, wenn die typischen Symptome ausgelöst werden können.6
    • Wenn mehrere Tests positiv sind, steigert dies die Spezifität.2

AER-Test (Abduktions-Elevations-Rotations-Test)

  • Funktionstest mit der größten klinischen Bedeutung5
  • Durchführung10
    • Abduktion beider Arme um 90 Grad, rechtwinklige Beugung der Ellenbogen und Außenrotation der Unterarme
    • 3 min kräftige Fautschlussübungen in dieser Position
    • Symptomprovokation häufig schon vor Ablauf der 3 min
  • Der Test ist beim Karpaltunnelsyndrom, beim Ulnarissyndrom und bei degenerativen HWS-Veränderungen negativ.10

Hyperabduktionsmanöver

  • Abduktion und Hyperabduktion im Schultergelenk
  • Positives Ergebnis: auskultierbares arterielles Strömungsgeräusch über der distalen Arteria subclavia sowie Pulsverlust der Arteria brachialis/radialis7

Skalenuslückentest

  • Forcierte Kopfdrehung zur Gegenseite mit Reklination des Kopfes
  • Positives Ergebnis: auskultierbares arterielles Strömungsgeräusches über der distalen Arteria subclavia sowie Pulsverlust der Arteria brachialis/radialis7

Modifizierter Test nach Elvey (ULTT = upper limb tension test)

  • Neurodynamischer Test bei V. a. nTOS
  • Durchführung1
    • Abduktion beider gestreckter Arme in Schulterhöhe
    • Dorsalflektion der Handflächen
    • Lateralflexion der HWS zur Gegenseite
  • Positives Ergebnis bei Auslösen der neurolgischen Symptome

Adson-Test

  • Durchführung2
    • Arm der untersuchten Seite 30 Grad abduziert und gestreckt
    • Überstrecken des Kopfes und Drehen zur ipsilateralen Schulter, gleichzeitiges tiefes Einatmen
    • Abnahme/Verlust des ipsilateralen Pulses
  • Der Test gilt als wenig spezifisch, d. h. viele falsch-positive Befunde.9

Ergänzende Untersuchungen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4

Rö-HWS, Rö-Thorax

  • Anomalien von Rippen und Klavikula, degenerative Veränderungen

Farbduplex-Sonografie

  • Nachweis von Pathologien der Gefäßstrombahnen
  • Untersuchung in Normalposition sowie in Provokationsstellung

CT/MRT

  • Darstellung der Weichteilstrukturen um das Gefäß-Nerven-Bündel
  • Ausschluss anderer Erkrankungen/Tumoren

Digitale Subtraktions-Angiografie (DSA)

  • Beurteilung der Gefäße
  • Durchführung in Normalposition und in Provokationsstellung

Elektroneuronografie (ENG)

  • Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und somatosensorisch evozierter Potenziale (SEP)

Indikationen zur Überweisung

  • Bei V. a. TOS Überweisung zur Durchführung apparativer Untersuchung(en)

Therapie

Therapieziele

  • Ziele der Behandlung sind:1
    • Kontrolle der Schmerzsymptomatik
    • Vermeiden von vaskulären und neurogenen Komplikationen.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung kann bestehen aus:1
    • konservativer Therapie
      • Ca. 2/3 der Patient*innen sprechen gut auf konservative Maßnahmen an.5
    • operativer Therapie.
  • Es gibt keine Evidenz durch vergleichende klinische Studien7,11
  • Die Entscheidung über die Behandlung sollte daher individuell mit den Patient*innen und im interdisziplinären Konsens getroffen werden.4

Spezielle Therapie

Konservative Therapie

  • Primäre Option bei leichten bis mittelschweren Fällen ohne neurologische und/oder vaskuläre Komplikationen1,4-5,7
  • Vermeidung kritischer Arm- oder Körperpositionen (z. B. Überkopfarbeiten)
  • Physiotherapie und Ergotherapie
    • Beseitigung von Haltungsfehlern
    • Dehnungsbehandlung der Schultergürtelmuskulatur
    • Massage
    • lokale Wärmebehandlung
  • Evtl. ergänzende medikamentöse Therapie mit: 
    • Muskelrelaxanzien
    • Analgetika.
  • Die Bedeutung infiltrativer Applikation von Medikamenten (Steroide, Lokalanästhetika, Botulinumtoxin) zur Behandlung neurologischer Symptome ist noch ungeklärt.4
  • Unter konservativer Therapie sollte sich die Symptomatik innerhalb von 3–6 Monaten zurückbilden.1

Operative Therapie

  • Zweck einer operativen Behandlung ist die vollständige Dekompression des neurovaskulären Bündels durch Erweiterung der oberen Thoraxapertur.8
  • Dies wird in den meisten Fällen durch eine vollständige Resektion der 1. Rippe und ggf. einer Halsrippe erreicht.1
  • Grundsätzlich strenge Indikationsstellung, diese kann bei Patient*innen mit hohen Anforderungen an die Armfunktion (z. B. Sportler*innen, Musiker*innen, Handwerker*innen) großzügiger gefasst werden.1

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Thromboembolien
  • Intraoperative Komplikationen (Blutungen, Plexusläsionen)

Prognose

  • Die Prognose ist vor allem von der Dauer und Schwere des Krankheitsbildes abhängig.1
  • Beschwerdefreiheit oder deutliche Verbesserung der Symptomatik1
    • bei konservativer Therapie in 30–90 % der Fälle
    • bei operativer Therapie in 80 % der Fälle
  • Rezidive kommen nach operativer Therapie nur selten vor, in der Regel frühestens nach 2 Jahren.1

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Thoracic_Outlet_Syndrome.jpg
Thoracic-outlet-Syndrom im kostoklavikulären Raum

Quellen

Literatur

  1. Bürger T, Debus E. Thoracic-outlet-Syndrom. eMedpedia, publiziert 31.08.2016, Zugriff 30.09.22. www.springermedizin.de
  2. Jones M, Prabhakar A, Viswanath O, et al. Thoracic Outlet Syndrome: A Comprehensive Review of Pathophysiology, Diagnosis, and Treatment. Pain Ther 2019; 8: 5-18. doi:10.1007/s40122-019-0124-2 DOI
  3. Rosenbaum D. Thoracic Outlet Syndrome. Medscape, updated Jan 10,2019. Zugriff 30.09.22. emedicine.medscape.com
  4. Bürger T, Bürger M, Gebauer T, et al. Kompressionssyndrome der supraaortalen Gefäße. Gefässchirurgie 2022; 27: 55–66. doi:10.1007/s00772-021-00793-x DOI
  5. Bürger T, Gebauer T, Baumbach H, et al. Das vaskuläre Thoracic-outlet-Syndrom. Gefässchirurgie 2013; 18: 184–195. doi:10.1007/s00772-013-1154-4 DOI
  6. König R, Pedro M, Kapapa T, et al. Neurogenes Thoracic- outlet-Syndrom (nTOS). Gefässchirurgie 2013; 18: 201-205. doi:10.1007/s00772-013-1158-0 DOI
  7. Weiss N, Hoffmann R, Creutzig A (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin). Kompressionssyndrome. eMedpedia, publiziert am 03.07.15, Zugriff 30.09.22. www.springermedizin.de
  8. Dragu A, Lang W, Unglaub F, et al. Thoracic-outlet-Syndrom. Chirurg 2009; 80: 65-75. doi:10.1007/s00104-008-1609-4 DOI
  9. Christo P, McGreevy K. Updated Perspectives on Neurogenic Thoracic Outlet Syndrome. Curr Pain Headache Rep 2011; 15: 14-21. doi: 10.1007/s11916-010-0163-1 DOI
  10. Gruß D. Das Thoracic-outlet-Syndrom. Gefässchirurgie 2006; 11: 371–380. doi:10.1007/s00772-006-0471-2 DOI
  11. Povlsen B, Hansson T, Povlsen SD. Treatment for thoracic outlet syndrome. Cochrane Database of Systenatic Reviews 2014. doi:10.1002/14651858.CD007218.pub3 DOI

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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